BGH Beschluss v. - III ZB 81/04

Leitsatz

[1] Zum im Wege des Freibeweises zu führenden Nachweis, dass die Prozesshandlung - entgegen dem Eingangsstempel des angegangenen Gerichts - rechtzeitig erfolgt ist.

Gesetze: ZPO § 418 Abs. 2

Instanzenzug: LG Essen vom AG Essen

Gründe

I.

Das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts ist der Klägerin am zugestellt worden. Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt. Die an sich am endende Frist zur Begründung der Berufung ist antragsgemäß bis zum verlängert worden. Die Klägerin hat die Berufung mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom begründet; dieser Schriftsatz trägt den Eingangsstempel

"Landgericht Essen <= Berufungsgericht> Eing 17. SEP. 2004 N ..."

Das Berufungsgericht hat den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am darauf hingewiesen, die Berufungsbegründung sei am , "mithin nach Fristablauf, eingegangen". Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat daraufhin vorgetragen und an Eides Statt versichert, der am ausgefertigte Berufungsbegründungsschriftsatz sei von ihm unter dem gleichen Datum auf dem Nachhauseweg in der Zeit zwischen 18.00 und 19.00 Uhr in den Notfristbriefkasten des Berufungsgerichts geworfen worden. Zugleich hat er - aus denselben Gründen - hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Das Berufungsgericht hat eine dienstliche Äußerung der Wachtmeisterei eingeholt. Es hat diese und einen Abdruck der mit dem Eingangsstempel versehenen ersten Seite der Berufungsbegründung dem Vertreter der Klägerin zugeleitet und darauf hingewiesen, der Eingangsstempel weise den Zusatz "N" auf. Die eingehende Post werde dergestalt präsentiert, dass die bis mittags vorgelegte Post einen Eingangsstempel mit dem Zusatz "V" erhalte. Ab Mittag werde der Stempel umgestellt; dann erscheine neben dem Datum der Zusatz "N" als Symbol dafür, dass die Post erst nachmittags eingegangen sei. Der Anwalt der Klägerin hat daraufhin im Wesentlichen wiederholt, er habe den Schriftsatz vom noch an diesem Tag in den Fristbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen.

Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Zwar ist die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Rechtsbeschwerde statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist aber nicht im Übrigen zulässig, weil Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 574 Abs. 2 i.V.m. § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO analog; vgl. Zöller/Gummer, ZPO 25. Aufl. 2005 § 574 Rn. 11).

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert im Streitfall die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Weder hat das Berufungsgericht Verfahrensgrundrechte der Klägerin verletzt noch grundlegend die Möglichkeit verkannt, den Gegenbeweis im Sinne des § 418 Abs. 2 ZPO und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu führen.

Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung - hier die Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung - wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts auf dem entsprechenden Schriftsatz nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO). Der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis ist aber zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Er erfordert mehr als bloße Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO). Notwendig ist die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang, wobei allerdings die Anforderungen wegen der Beweisnot des Berufungsführers hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge nicht überspannt werden dürfen (st. Rspr., z.B. Senatsbeschluss vom - III ZB 20/87 - BGHR ZPO § 418 Abs. 2 Eingangsstempel 1; BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 100/92 - FamRZ 1993, 313, 314, vom - VIII ZB 45/02 - NJOZ 2003, 329, 330 und vom - VII ZR 33/04 - NJW-RR 2005, 75).

Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, durch den Eingangsstempel sei nachgewiesen, dass die Berufungsbegründungsschrift am Nachmittag des , mithin nach Ablauf der am Donnerstag, dem endenden Frist zur Berufungsbegründung, eingegangen sei. Dem hat es die eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenübergestellt, wonach er den Schriftsatz in den frühen Abendstunden des in den Notfristbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen habe, dies aber nicht für glaubhaft - geschweige denn für erwiesen - erachtet. Nicht auszuschließen sei zwar, dass bis 24.00 Uhr eingehende Post - hier die nach dem Vortrag der Klägerin am zwischen 18.00 und 19.00 Uhr eingeworfene Berufungsbegründung - aus Versehen den "Vormittagsstempel" des folgenden Tages (" V") erhalte; wenig wahrscheinlich sei aber, dass sie - wie im Streitfall - erst den "Nachmittagsstempel" des folgenden Tages (" N"), also die übernächste Einstellung des Stempels, erhalten haben könnte.

Gegen die Würdigung des Berufungsgerichts kann nicht angeführt werden, es habe über die - allerdings karge - dienstliche Äußerung der Wachtmeisterei hinaus möglichen Gründen für eine fehlerhafte Stempelung nachgehen müssen. Dafür bot der Sachverhalt - anders als in den von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Entscheidungen (BGH, Beschlüsse vom aaO, vom - X ZB 13/00 - NJW-RR 2001, 571 und vom aaO) - keinen hinreichenden Anhalt. Die Klägerin hat, nachdem ihr die dienstliche Stellungnahme zur Kenntnis gebracht worden war, selbst nicht geltend gemacht, dass der Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert habe oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen sein könnten. Ihr Vorbringen erschöpfte sich im Grunde in der (eidesstattlich versicherten) Behauptung, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründungsschrift am in den Notfristbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen. Trotz gerichtlichen Hinweises auf die Ausge-staltung der Präsentation mittels Vor- und Nachmittagsstempel erhärtete sie ihren Vortrag und die eidesstattliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten nicht, z.B. durch einen Vermerk ihres Prozessbevollmächtigten über die erfolgte "Zustellung" der Berufungsbegründung in dessen Handakten (vgl. aaO) oder durch einen entsprechenden Nachweis in dessen Postausgangsbuch (vgl. aaO S. 330 f).

Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich, dass das Berufungsgericht zu Recht die Berufung als unzulässig verworfen hat. Wiedereinsetzungsgründe sind nicht ersichtlich.

Fundstelle(n):
BB 2005 S. 2325 Nr. 43
INF 2005 S. 812 Nr. 21
NJW 2005 S. 3501 Nr. 48
VAAAB-98326

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja