BGH Beschluss v. - AnwZ (B) 77/03

Leitsatz

[1] Für die nach dem beantragte Simultanzulassung eines Rechtsanwalts zum Oberlandesgericht wird eine mindestens fünfjährige Zulassung bei einem Gericht des ersten Rechtszuges vorausgesetzt; ein Ermessensspielraum steht der Zulassungsbehörde nicht zu.

Gesetze: BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2; BRAO § 226 Abs. 2

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen vom

Gründe

I.

Die Antragstellerin - die zuvor bis zur Erreichung des Ruhestandes als Richterin am Oberlandesgericht H. tätig war - ist seit dem zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin beim Amtsgericht H. und dem Landgericht B. zugelassen. Im November 2001 begehrte sie außerdem die Zulassung zum Oberlandesgericht H. . Mit Bescheid vom lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab, weil eine Simultanzulassung zum Land- und Oberlandesgericht erst ab dem möglich sei; außerdem sei die Fünf-Jahres-Frist gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO und - für die Zeit ab - § 226 Abs. 2 BRAO nicht eingehalten.

Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof durch Beschluß vom zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 BRAO); es hat jedoch keinen Erfolg.

1. Soweit darüber zu befinden ist, ob die Antragstellerin zum Oberlandesgericht zugelassen werden kann, obwohl sie noch keine fünf Jahre bei einem Gericht des ersten Rechtszuges als Rechtsanwältin tätig war, hat der Anwaltsgerichtshof zutreffend seine Entscheidung nicht auf die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, sondern auf die des § 226 Abs. 2 BRAO gestützt.

Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist die Zulassung zum Oberlandesgericht zwingend davon abhängig, daß der Bewerber zuvor bereits mindestens fünf Jahre lang bei einem Gericht des ersten Rechtszuges zugelassen gewesen ist. Diese Voraussetzung erfüllt die Antragstellerin nicht.

Demgegenüber gewährt die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO bei der Zulassungsentscheidung einen gewissen Ermessensspielraum ("... soll in der Regel versagt werden, wenn ..."). Diese Vorschrift hat seit dem einen zumindest sehr eingeschränkten Anwendungsbereich (vgl. AGH Koblenz BRAK-Mitt. 2003, 135; Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. § 20 Rn. 40, 42). Für die alte Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO, die seit dem mit demselben Wortlaut als Nr. 2 fortgilt, war anerkannt, daß sie nur in Bundesländern mit Singularzulassung galt, also in solchen, in denen die Zulassung beim Oberlandesgericht gemäß § 25 BRAO den Verlust der Zulassung beim Amts- und Landgericht nach sich zog (BGHZ 82, 333, 334; AnwZ (B) 28/89, BRAK-Mitt. 1990, 51, 52; v. - AnwZ (B) 56/98, BRAK-Mitt. 1999, 142 - gebilligt durch BVerfG NJW 2001, 1561). Der Grund für die freiere Stellung der Zulassungsbehörden im Bereich der Singularzulassung wurde darin gesehen, daß wegen dieses mit der Zulassung beim Oberlandesgericht verbundenen Wegfalls der Zulassung bei den Eingangsgerichten viele Rechtsanwälte nicht bereit waren, nach Ablauf der Wartefrist von fünf Jahren ihre auf diese Gerichte eingestellte Praxis und damit die Früchte ihrer bisherigen Tätigkeit aufzugeben. Deshalb mußte dort unter Umständen auf andere Bewerber zurückgegriffen werden, die noch nicht so lange Rechtsanwälte gewesen waren (BGHZ 56, 381, 385 f; Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl. § 226 Rn. 22). § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO kann nicht anders verstanden werden als ihre Vorgängervorschrift. Mit Urteil vom hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß § 25 BRAO mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und § 226 Abs. 2 BRAO ab dem hinsichtlich der Beschränkung auf die dort genannten Länder gegenstandslos ist (BVerfG NJW 2001, 353); seit dem genannten Datum gilt mithin der Grundsatz der Simultanzulassung für alle Bundesländer. Mit der bundesweiten Ausdehnung der Simultanzulassung ist nun eine Rücksichtnahme auf die geringere Zahl von Bewerbern um eine Singularzulassung nicht mehr geboten.

Ein anderweitiges Bedürfnis nach einer flexiblen Lösung, wie sie § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO verwirklicht, ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch der Grundsatz nichts, daß Eingriffe in die Berufsfreiheit nicht weiter gehen dürfen, als es erforderlich ist. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, wie sie § 226 Abs. 2 BRAO und - mit der beschriebenen Einschränkung, für die aber nunmehr die sachliche Anknüpfung entfallen ist - auch § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zugrunde liegen, sollen zum Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung beim Oberlandesgericht nur Rechtsanwälte tätig werden, die durch eine mindestens fünfjährige anwaltliche Tätigkeit bereits eine gewisse Berufserfahrung gesammelt haben (BGHZ 82, 333, 336). Dies hält sich als Regelung der Berufsausübung in dem durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gezogenen Rahmen (vgl. Senatsbeschluß vom heutigen Tage in der Sache AnwZ (B) 24/03).

Ob die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO noch für solche Bewerber gilt, die ausschließlich eine Singularzulassung beim Oberlandesgericht anstreben, obwohl ihnen die Simultanzulassung offenstünde, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn die Antragstellerin begehrt jedenfalls für die Zeit nach dem keine Singularzulassung.

2. Damit braucht der Senat auch nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob eine annähernd 20-jährige Tätigkeit als Richterin am Oberlandesgericht bei einer Ermessensentscheidung über die vorzeitige Zulassung beim Oberlandesgericht zu berücksichtigen gewesen wäre (vgl. einerseits EGH Frankfurt am Main BRAK-Mitt. 1989, 51; Feuerich/Weyland, § 20 BRAO Rn. 44; andererseits Kleine-Cosack, BRAO 4. Aufl. § 20 BRAO Rn. 7).

3. Dahinstehen kann ferner, ob dem Anwaltsgerichtshof darin gefolgt werden kann, daß der Antragstellerin die Zulassung zum Oberlandesgericht auch deswegen zu versagen war, weil sie bis zum dort als Richterin beschäftigt war (vgl. hierzu Feuerich/Weyland, § 20 BRAO Rn. 23).

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 405 Nr. 8
VAAAB-96249

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja