BGH Beschluss v. - 4 StR 99/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 176 Abs. 1; StGB § 177; StGB § 177 Abs. 1; StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3

Instanzenzug: LG Bielefeld vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener in vier Fällen, "davon dreimal in jeweils zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in Tateinheit mit sexueller Nötigung", sowie wegen eines weiteren Falles des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit das Landgericht ihn wegen sexuellen Missbrauchs seiner leiblichen, zur Tatzeit 10 bzw. 7 Jahre alten Töchter (§§ 174 Abs. 1 Nr. 3, 176 Abs. 1 StGB) und der zur Tatzeit 13-jährigen Sabrina S. (§ 176 Abs. 1 StGB) verurteilt hat. Dagegen hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 3 der Urteilsgründe auch jeweils der (tateinheitlich begangenen) sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) für schuldig befunden hat.

2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe in den genannten Fällen die sexuellen Handlungen, soweit sie sich gegen seine jüngere, noch 7-jährige Tochter richteten, unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, in der sich das Kind befunden habe, vorgenommen, wird von den Feststellungen nicht getragen.

Die sexuellen Übergriffe fanden in der Wohnung des Angeklagten statt, in der ihn seine Töchter, die bei seiner geschiedenen Ehefrau lebten, seit seinem Einzug vor etwa zwei Jahren regelmäßig an jedem zweiten Wochenende besuchten. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH NStZ 2003, 533; 2005, 267) zutreffend näher ausgeführt hat, belegen die Feststellungen schon objektiv nicht, dass sich das siebenjährige Mädchen in einer schutzlosen Lage im Sinne der genannten Strafvorschrift befand. Eine solche ergab sich für das Kind entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht bereits daraus, dass es bei den Taten zusammen mit seiner 10-jährigen Schwester in der ihm "zwar nicht völlig unbekannten, aber letztlich nach Lage und weiterer Umgebung fremden Wohnung des Angeklagten" mit diesem allein war.

Davon abgesehen sind hier auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht gegeben. Durch diese Vorschrift werden diejenigen Fälle erfasst, in denen das Opfer ohne Anwendung von Gewalt oder (qualifizierter) Drohung durch den Täter dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen lässt, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (st. Rspr.; BGHSt 45, 253, 259 f.). Dies setzt nicht nur voraus, dass das Opfer - wovon das Landgericht ausgegangen ist - mit den sexuellen Handlungen nicht einverstanden ist. Vielmehr verlangt der qualifizierte Tatbestand nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung eine innere Verknüpfung zwischen der Zwangslage des Opfers und den sexuellen Handlungen dergestalt, dass das Opfer die tatsächlichen Umstände seiner spezifischen Zwangslage (Schutzlosigkeit) erkennt und gerade im Hinblick hierauf, nämlich aus Furcht vor möglichen Gewalteinwirkungen des Täters von Widerstand absieht, weil es diesen aufgrund des Ausgeliefertseins für sinnlos erachtet (, NJW 2006, 1146, 1148, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, unter Aufgabe von BGH NStZ 2004, 440; ). Dafür, dass es sich hier so verhält und das siebenjährige Mädchen die sexuellen Übergriffe nur deshalb über sich ergehen ließ, weil es im Hinblick auf die Situation in der Wohnung des Angeklagten keine Hilfe erhoffte (vgl. ), ist auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nichts zu entnehmen. Der Senat schließt auch aus, dass sich auf Grund neuer Verhandlung Umstände ergeben können, die eine Verurteilung nach § 177 StGB tragen könnten. Er ändert deshalb den Schuldspruch dahin, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen sexueller Nötigung entfällt.

3. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der in den Fällen II. 1 bis 3 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von jeweils zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe zur Folge, die auch zugleich die Einsatzstrafe bilden. Dies gilt hier schon deshalb, weil das Landgericht die Strafen in diesen Fällen dem - gegenüber § 176 Abs. 1 StGB höheren - Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen und zudem ausdrücklich in diesen Fällen die tateinheitliche Verwirklichung von drei Straftatbeständen straferschwerend gewertet hat. Die Aufhebung dieser Einzelstrafen zieht auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

Die dem Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils zu Grunde liegenden Feststellungen werden durch den aufgezeigten Rechtsfehler, der lediglich die rechtliche Wertung durch das Landgericht betrifft, nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben.

Fundstelle(n):
UAAAB-95704

1Nachschlagewerk: nein