BGH Beschluss v. - 1 StR 438/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 154; StPO § 154 Abs. 1; StPO § 154 Abs. 2; StPO § 154a; StPO § 154a Abs. 1; StPO § 170 Abs. 2; StPO § 203; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4

Instanzenzug: LG München I vom

Gründe

Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen Betruges sowie Vereitelung der Zwangsvollstreckung in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Gesamtfreiheitsstrafe lagen Einzelstrafen für den Betrug von drei Jahren und zehn Monaten und für jeden Fall der Vereitelung der Zwangsvollstreckung von 50 Tagessätzen zu je 20 Euro zugrunde.

I.

Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen II. 2 Nr. 1 bis 10 der Urteilsgründe - Verurteilungen zu jeweils 50 Tagessätzen zu je 20 Euro wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung in zehn Fällen - hat keinen Einfluss auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Angesichts der Einsatzstrafe von drei Jahren zehn Monaten wegen Betruges kann ausgeschlossen werden, dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, wenn es von dem nunmehr gegebenen Schuldumfang ausgegangen wäre (vgl. § 354 Abs. 1, 1a, 1b Satz 3 StPO; BGH NJW 2005, 912).

II.

In dem nach der Einstellung verbliebenen Umfang hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte initiierte zusammen mit den anderweitig verfolgten J. und G. das "I. -Anlagemodell". Sie veranlassten die Gründung der Firma I. -Immobilienbeteiligungs GmbH (nachfolgend: Firma I. ), deren einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der bereits rechtskräftig verurteilte St. war. An dieser Firma für Immobilieninvestitionen sollten sich zum Zweck der Kapitalbeschaffung Anleger als stille Gesellschafter beteiligen. Dem Tatplan entsprechend wurden unter Verwendung eines Emissionsprospekts auf diese Weise bis zum insgesamt 2.485 Personen als atypisch stille Gesellschafter geworben, von denen am noch 1.399 Personen mit einer Gesamtzeichnungssumme von 35 Mio. € und einer erbrachten Gesamteinlagesumme von 5,8 Mio. € vorhanden waren. Das in dem Prospekt beworbene Konzept war, wie der Angeklagte wusste, wegen zu hoher Kosten in Zusammenhang mit dem Vertrieb nicht realisierbar. Im Übrigen wurden, wie von Anfang an beabsichtigt, auch keine Immobilieninvestitionen getätigt. Der Angeklagte und St. verwendeten vielmehr Gelder in einer Gesamthöhe von 2.080.518,30 € für sich, wobei an den Angeklagten allein 1.182.891 € flossen.

Außerdem vereinnahmte der Angeklagte in Absprache mit St. Honorare über insgesamt 396.520 DM nicht auf dem Firmenkonto der Firma F. GmbH, sondern auf dem Firmenkonto der ebenfalls von ihm geführten Firma Im. GmbH, um sie der drohenden Vollstreckung der Finanzbehörden zu entziehen.

Folgende Rügen des Angeklagten bedürfen - ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts sowie unter Berücksichtigung des weiteren Revisionsvorbringens - näherer Erörterung:

1. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs infolge der ursprünglich von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Sachbehandlung nach §§ 154, 154a StPO ist nicht gegeben.

Die Verfolgung der in zeitlichem Zusammenhang mit der Erhebung der ersten (später zurückgenommenen) Anklage mit Verfügung vom nach §§ 154, 154a StPO vorläufig eingestellten Straftaten konnte wieder aufgenommen werden.

Die staatsanwaltliche Verfügung ist als vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO, nicht als Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 1 StPO zu qualifizieren. Verwertungs- und Sicherungshandlungen bleiben regelmäßig auch dann selbständige prozessuale Taten, wenn sie materiell-rechtlich als mitbestrafte Nachtaten für eine selbständige Bestrafung ausscheiden (vgl. KK-Engelhardt, StPO 5. Aufl. § 264 Rdn. 4). Die die Möglichkeit der Wiederaufnahme einschränkenden Absätze 3 und 4 des § 154 StPO gelten nur im Fall einer gerichtlichen Einstellung. Die Staatsanwaltschaft kann hingegen das Verfahren jederzeit wieder aufnehmen (vgl. BGHSt 30, 165; 37, 10, 13).

Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft München I das Verfahren mit der insgesamt dritten Anklageerhebung konkludent wieder aufgenommen. Dies ergibt sich eindeutig aus der Anklageschrift vom selbst. Auch aus der Verfügung vom sowie der neuerlichen Einstellungsverfügung (im Zusammenhang mit der dritten Anklageerhebung) vom , die keine vorläufige Einstellung hinsichtlich des Betrugsvorwurfs mehr enthält, folgt nichts anderes. Denn im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung war es angezeigt, bei dem bereits mit der Sache befassten Gericht die Sache erneut und in dem Umfang anzuklagen, soweit ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von § 203 StPO gegeben ist. Dies war vorliegend zweifelsfrei der Fall, wie sich aus der nach der Einstellung verbleibenden rechtsfehlerfreien Verurteilung ergibt.

Die fehlende Anhörung des Angeklagten vor Wiederaufnahme des Verfahrens seitens der Staatsanwaltschaft kann nicht zu einem Verfahrenshindernis führen. Allenfalls ein Verfahrensfehler vor Eröffnung des Hauptverfahrens wäre vorstellbar. Dabei kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Staatsanwaltschaft in diesem Fall überhaupt zur Anhörung verpflichtet ist oder - mangels Vertrauenstatbestand - eine Anhörung wie bei Einleitung der Ermittlungen oder Wiederaufnahme des Verfahrens nach Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO unterbleiben kann. Jedenfalls kann hier ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf der Versagung rechtlichen Gehörs zur Wiederaufnahme des Verfahrens seitens der Staatsanwaltschaft beruht (§ 337 Abs. 1 StGB), zumal der Angeklagte im Zwischenverfahren umfangreich Stellung genommen hat.

2. Die Verfahrensrüge, das Geständnis des Verurteilten St. , das dieser nach Abtrennung des Verfahrens gegen ihn abgelegt habe, sei nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden, ist jedenfalls unbegründet.

Der Angeklagte macht mit der Rüge geltend, dass sich das Urteil auf Erkenntnisse außerhalb der Hauptverhandlung stütze, und trägt vor, das Geständnis des Verurteilten St. sei nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Das Protokoll ergebe, dass weder das Urteil verlesen noch ein Zeuge zu dem Geständnis gehört worden sei.

Die Rüge, es seien Erkenntnisse verwertet worden, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen seien, kann allenfalls dann Erfolg haben, wenn ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung der Nachweis geführt werden kann, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung benutzten Beweismittel und auch sonst nicht aus dem zum Inbegriff der Handlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden sind (vgl. KK-Schoreit, StPO 5. Aufl. § 261 Rdn. 52). Vorliegend ergibt sich, dass das Geständnis durch Vorhalt in die Verhandlung eingeführt worden ist. Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält hierzu folgende Feststellungen:

"Die Verhandlung wurde um 10.15 Uhr unterbrochen und um 11.25 Uhr fortgesetzt.

Dem Angeklagten H. wurden die Anklagevorwürfe und Überlegungen dazu sowie die Überlegungen zur rechtlichen Würdigung in Anlehnung an die Ausführungen im Eröffnungsbeschluss und an das gegen den ehemaligen Mitangeklagten St. ergangene Urteil, die einer einvernehmlichen Regelung zugrundezulegen wären, nochmals vom Vorsitzenden ausdrücklich erläutert.

Die Verhandlung wurde um 11.45 Uhr unterbrochen und um 11.48 Uhr fortgesetzt."

Dem Protokoll zufolge ist das Urteil damit zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden. Die Verfahrensrüge ist daher jedenfalls unbegründet. Ob die Rüge, wie der Generalbundesanwalt meint, darüber hinaus bereits unzulässig ist, da die Revisionsbegründungsschrift den oben zitierten Protokollausschnitt nicht im Rahmen dieser Rüge wiedergibt, kommt es daher nicht an.

3. Die mit "unzulässige Urteilsabsprache" bezeichnete Rüge dringt ebenfalls nicht durch. Im Kern zielt sie darauf, die Verurteilung des Angeklagten sei ohne jegliche Überprüfung der Glaubhaftigkeit seines Geständnisses erfolgt. Sie greift damit die richterliche Beweiswürdigung an und ist als Sachrüge zu beurteilen.

Auch für die Bewertung eines Geständnisses gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss allerdings, will es die Verurteilung des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein; dies war hier der Fall. Wann und unter welchen Umständen es diese Überzeugung gewinnen darf oder nicht, kann ihm jedoch grundsätzlich nicht vorgeschrieben werden (vgl. BGH NStZ 1999, 92, 93). Erforderlich ist allerdings, dass die Einlassung über ein inhaltsleeres Formalgeständnis hinausgeht (vgl. BGH - Großer Senat für Strafsachen - NJW 2005, 1440, 1442; BGHR § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO, Rechtsmittelverzicht 25).

Vorliegend hat die Strafkammer die Beurteilung des Geständnisses als glaubhaft zum einen darauf gestützt, dass der Angeklagte die Taten nach einem Gespräch über die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, wobei die Erläuterung der Vorwürfe unter Berücksichtigung der Aktenlage der Besorgnis entgegensteht, bei dem Geständnis des Angeklagten habe es sich nur um ein inhaltsleeres Formalgeständnis gehandelt. Zum anderen hat das Tatgericht die Übereinstimmung mit dem Geständnis des Verurteilten St. ebenso gewürdigt wie auch die Aussagen der beiden Mitangeklagten, wobei diese allerdings nicht den Kernbereich der Tatvorwürfe gegen den Angeklagten betroffen haben.

Dass das Gericht unter diesen Umständen die Überzeugung von der Richtigkeit des Geständnisses gewonnen hat, ist nicht zu beanstanden. Dass der Angeklagte bei seiner Einlassung keine detaillierte Angaben mehr zum Anklagevorwurf gemacht und das Geständnis im Hinblick auf die Inaussichtstellung einer Strafobergrenze erfolgt ist, stehen seiner Glaubhaftigkeit nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 1999, 92).

4. Auch die Sachrüge, das Urteil enthalte keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen zur Betrugstat, greift nicht durch. Die Darstellung der Tat lässt die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands erkennen und bezeichnet die Tat so konkret, dass sie von anderen Taten unterscheidbar ist (vgl. KK-Engelhardt, StPO 5. Aufl. § 267 Rdn. 9). Damit ist die Rechtskraftwirkung des Urteils klar umrissen. Dass die geschädigten stillen Gesellschafter der Firma I. nicht einzeln in der angefochtenen Entscheidung genannt werden, ist unschädlich. Da die Kammer den Angeklagten nur wegen einer Betrugstat zum Nachteil aller geschädigten Anleger verurteilt hat, können Probleme im Zusammenhang mit der Rechtskrafterstreckung nicht entstehen.

Dass das Urteil im Übrigen den festgestellten Betrugsschaden auf die Beträge beschränkt, welche der Angeklagte und der Verurteilte St. für sich verwendeten, beschwert den Angeklagten nicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
SAAAB-95184

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