BAG Urteil v. - 6 AZR 64/03

Leitsatz

[1] 1. Das Verbot einer ungleichen Behandlung befristet wie unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer beim Entgelt nach § 4 Abs. 2 Satz 2 TzBfG konkretisiert das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Deshalb können sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung befristet und unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer im Entgeltbereich rechtfertigen.

2. Die Regelung in § 23 ETV-Arb, die Arbeiter für die Dauer eines über den hinausgehenden befristeten Arbeitsverhältnisses von der Gewährung der Besitzstandszulagen Lohn (§ 24 ETV-Arb iVm. Anlage 6) und Zuschläge (§ 25 ETV-Arb iVm. Anlage 9) ausnimmt, sie aber den über die Jahreswende 2000/2001 hinaus unbefristet beschäftigten Arbeitern gewährt, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 2 Satz 2 TzBfG und ist insoweit unwirksam.

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3; TzBfG § 1; TzBfG § 3 Abs. 1; TzBfG § 4; TzBfG § 17 Satz 1; BGB § 134; BGB § 611 Abs. 1; BeschFG 1996 § 1 Abs. 5; ZPO § 256 Abs. 1; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Rahmenvereinbarung) vom (Abl. EG 1999 Nr. L 175 S. 45) § 4 Nr. 1; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Rahmenvereinbarung) vom (Abl. EG 1999 Nr. L 175 S. 45) § 4 Nr. 2; Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom (Abl. EG 1999 Nr. L 175 S. 43); Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Post AG (Dritter Teil des Tarifvertrags Nr. 75 d) vom (ETV-Arb) § 23; Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Post AG (Dritter Teil des Tarifvertrags Nr. 75 d) vom (ETV-Arb) § 24; Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Post AG (Dritter Teil des Tarifvertrags Nr. 75 d) vom (ETV-Arb) § 25 Anlage 6; Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Post AG (Dritter Teil des Tarifvertrags Nr. 75 d) vom (ETV-Arb) § 25 Anlage 9

Instanzenzug: ArbG Bremen 10h Ca 10296/01 vom LAG Bremen 3 Sa 263/02 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über tarifliche Besitzstandszulagen.

Der Kläger ist seit Oktober 2000 bei der Beklagten als Briefverteiler tätig. Das Arbeitsverhältnis war zunächst mehrfach befristet, zuletzt bis zum . Seit dem ist der Kläger unbefristet beschäftigt. Auf Grund beiderseitiger Tarifgebundenheit finden die zwischen der Beklagten und der Deutschen Postgewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträge für die Arbeiter Anwendung.

Mit dem am in Kraft getretenen Entgelttarifvertrag für die Arbeiter der Beklagten (Dritter Teil des Tarifvertrages Nr. 75 d) vom (ETV-Arb) wurden die bisherigen Grundvergütungen abgesenkt und leistungsabhängige variable Entgeltbestandteile eingeführt. In diesem Zusammenhang ist in ETV-Arb bestimmt:

"§ 23

Geltungsbereich für § 24 und § 25

Für Arbeiter, die am bereits und am noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG standen und stehen, finden die Regelungen der §§ 24 und 25 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung.

§ 24

Besitzstand Lohn

Der Arbeiter erhält eine monatlich zu zahlende Besitzstandszulage (Besitzstandszulage Lohn) gemäß Anlage 6.

§ 25

Besitzstand Zulagen, Zuschläge und Entschädigungen

Der Arbeiter erhält eine monatlich zu zahlende Besitzstandszulage (Besitzstandszulage Zuschläge) gemäß Anlage 9."

Mit dem ETV-Arb setzten die Tarifvertragsparteien eine Eckpunktevereinbarung vom (Petersburger Eckpunktepapier) um. Darin verpflichtete sich die Beklagte ua. 1.200 Zusteller aus dem Kreis der befristet beschäftigten Arbeitnehmer auf Dauer einzustellen. Außerdem verzichtete sie bis zum auf die Fremdvergabe von Zustellbezirken und schloss für die Zeit vom bis zum betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus.

Der Kläger erhielt seit dem weder die Besitzstandszulage Lohn noch die Besitzstandszulage Zuschläge. Er hat deshalb gemeint, die Zahlung der Zulagen nur an Arbeiter, die sowohl am als auch am unbefristet beschäftigt gewesen seien, diskriminiere befristet beschäftigte Arbeitnehmer.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass er ab dem Anspruch auf Zahlung einer

a) Besitzstandszulage Lohn nach § 24 iVm. Anlage 6 und

b) Besitzstandszulage Zuschläge nach § 25 iVm. Anlage 9, Dritter Teil des Entgelttarifvertrages (ETV-Arb) Nr. 75 d hat,

und hilfsweise,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Besitzstandszulage Lohn für das Jahr 2001 in Höhe von DM 2.778,71 (Euro 1.420,73) brutto zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Besitzstandszulage Zuschläge für das Jahr 2001 in Höhe von DM 760,56 (Euro 388,80) brutto zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, die Höhe der Besitzstandszulage Lohn nach § 24 iVm. Anlage 6 und der Besitzstandszulage Zuschläge nach § 25 iVm. Anlage 9, Dritter Teil des Entgelttarifvertrages (ETV-Arb) Nr. 75 d zu berechnen und ab dem als Besitzstandszulage an ihn zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien seien im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie berechtigt gewesen, die an den Stichtagen befristet beschäftigten Arbeiter von der Zahlung der Besitzstandszulagen auszunehmen. Unabhängig davon rechtfertigten auch die aus dem Petersburger Eckpunktepapier folgenden sachlichen Gründe die unterschiedliche Behandlung.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision der Beklagten hat überwiegend Erfolg. Dem Kläger stehen zwar die tariflichen Besitzstandszulagen ab dem für die restliche Laufzeit des befristeten Arbeitsverhältnisses zu; diese Zulagen kann er jedoch ab dem Beginn der unbefristeten Beschäftigung nicht mehr beanspruchen.

I. Die Klage ist zulässig. Für das Feststellungsbegehren fehlt nicht das von § 256 Abs. 1 ZPO vorausgesetzte Feststellungsinteresse. Wegen der vom Kläger sowohl für zurückliegende als auch künftige Monate beanspruchten Besitzstandszulagen in noch nicht feststehender Höhe ist eine Bezifferung des Anspruchs nicht möglich. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat eine Leistungsklage daher keinen Vorrang.

II. Der Kläger hat für die Zeit vom bis zum gemäß § 611 Abs. 1 BGB Anspruch auf Zahlung einer Besitzstandszulage Lohn nach § 24 iVm. Anlage 6 ETV-Arb und einer Besitzstandszulage Zuschläge nach § 25 iVm. Anlage 9 ETV-Arb. Der Ausschluss befristet Beschäftigter von der Gewährung dieser Zulagen verstößt für die Dauer der befristeten Beschäftigung gegen § 4 Abs. 2 Satz 2 TzBfG.

1. Nach § 23 ETV-Arb finden die Regelungen der §§ 24 und 25 ETV-Arb für Arbeiter, die am bereits und am noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG standen und stehen, für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung. Die Tarifvorschrift legt damit den persönlichen Geltungsbereich für den Anspruch auf die Besitzstandszulagen fest. Jener ist auf Arbeiter begrenzt, die über die Jahreswende 2000/2001 hinaus in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten stehen. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Er ist erst seit dem unbefristet beschäftigt.

2. Tarifliche Regelungen müssen mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stehen nach § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (vgl. -).

3. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG darf ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer wegen der Befristung des Arbeitsvertrages nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Das dient der Umsetzung von § 4 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung (Rahmenvereinbarung) über befristete Arbeitsverträge vom , die in die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom (Abl. EG 1999 Nr. L 175 S. 43) aufgenommen worden ist. Danach müssen ungleiche Beschäftigungsbedingungen befristet beschäftigter Arbeitnehmer gegenüber denen vergleichbarer Dauerbeschäftigten aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sein. Dieses spezielle Verbot der schlechteren Behandlung befristet beschäftigter gegenüber unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern ist, wie das in § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG für den Bereich der Teilzeitarbeit geregelte Diskriminierungsverbot ( - AP TzBfG § 4 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 der Gründe; - 5 AZR 8/03 -), zugleich ein gesetzlich geregelter Sonderfall des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG.

4. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung, die für einen bestimmten Bemessungszeitraum gewährt wird, mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Beschäftigungsdauer am Bemessungszeitraum entspricht. Diese Vorschrift regelt kein absolutes Benachteiligungsverbot beim Entgelt (ErfK/Preis 4. Aufl. § 4 TzBfG Rn. 65; Meinel/Heym/Herms TzBfG § 4 Rn. 103; Kliemt NZA 2001, 63, 69; aA Rolfs TzBfG § 4 Rn. 3; Sievers TzBfG § 4 Rn. 14, 34; Däubler ZIP 2001, 217, 218). Ebenso wie beim Diskriminierungsverbot Teilzeitbeschäftigter nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ( -; - 10 AZR 675/02 - zur Veröffentlichung vorgesehen.

Fundstelle(n):
EAAAB-95128

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein