BAG Urteil v. - 3 AZR 120/02

Leitsatz

[1] Erfolgt eine Betriebsrentenanpassung gemäß § 16 BetrAVG durch streitiges, rechtskräftiges Urteil, das die Rente zu einem länger als zwei Jahre vor dem Sicherungsfall liegenden Zeitpunkt erhöht, so ist dies keine "vereinbarte Verbesserung" im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG in der ab gültigen Fassung.

Gesetze: BetrAVG § 7 Abs. 5 Satz 1; BetrAVG § 7 Abs. 5 Satz 2; BetrAVG § 7 Abs. 5 Satz 3; BetrAVG § 16

Instanzenzug: ArbG Köln 5 Ca 10302/00 vom LAG Köln 9 Sa 685/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung des beklagten Pensionssicherungsvereins, auch für eine Betriebsrentenanpassung gegenüber der Klägerin einstehen zu müssen.

Die am geborene Klägerin war vom bis zum bei der E GmbH & Co. KG und ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Ab dem bezog sie eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 585,40 DM. Mit einer am vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin erhobenen Klage begehrte die Klägerin eine Anpassung ihrer Betriebsrente gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG um 28,45 DM auf 613,85 DM mit Wirkung zum . Durch streitiges Urteil vom gab das Arbeitsgericht Düsseldorf der Klage statt (- 11 Ca 4576/98 -). Die Berufung der Arbeitgeberin blieb - ebenfalls nach streitiger Verhandlung - erfolglos ( -). Daraufhin zahlte sie die höhere Betriebsrente, jedoch nur bis September 1999. Am wurde der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt, das Insolvenzverfahren wurde am eröffnet.

Mit Leistungsbescheid vom erkannte der Beklagte seine Leistungspflicht einschließlich der Rückstände seit Oktober 1999 in Höhe von 585,40 DM monatlich an. Er lehnte es aber ab, die Rentenanpassung gemäß § 16 BetrAVG zu berücksichtigen, wobei er auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Urteils im Vorprozeß abstellte.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, jedenfalls eine Anpassung durch streitiges Gerichtsurteil sei keine "Vereinbarung" im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG in der Fassung ab . Ersichtlich sei mit der Gesetzesänderung mehr erfolgt, als den früher maßgeblichen Zeitraum von einem Jahr für die unwiderlegliche Mißbrauchsvermutung auf zwei Jahre zu verlängern. Außerdem übersehe der Beklagte, daß der Anpassungszeitpunkt länger als zwei Jahre vor der Insolvenz liege.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß der beklagte Verein verpflichtet ist, über die von ihm anerkannten und gezahlten 585,40 DM hinaus insgesamt 613,85 DM monatlich ab dem an sie zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Seiner Meinung nach sind auch durch Gerichtsurteile erzwungene Anpassungen gemäß § 16 BetrAVG vom Ausschlußtatbestand des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG erfaßt. Mit der Wirkung einer unwiderlegbaren Mißbrauchsvermutung erfasse diese Bestimmung alle Verbesserungen, die in den letzten beiden Jahren vor Insolvenzeröffnung erfolgt seien. Bei der Neufassung des Gesetzes sei es nur um die Verlängerung des zu knapp bemessenen Einjahreszeitraumes auf zwei Jahre gegangen. Außerdem ersetze die gerichtliche Verurteilung nur die Willenserklärung des Arbeitgebers. Daher bleibe auch sie im Rahmen einer "Vereinbarung" iSd. § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Nach seiner erfolglosen Berufung verfolgt der Beklagte mit der Revision das Ziel einer Klageabweisung weiter.

Gründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die von der Klägerin vor Gericht gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG durchgesetzte Anpassung ihrer Betriebsrente zum fällt nicht unter die unwiderlegliche Mißbrauchsvermutung gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG in der ab gültigen Fassung.

I. Zu den Rechtsgeschäften, die einer Mißbrauchskontrolle iSv. § 7 Abs. 5 BetrAVG unterliegen, gehören auch solche, mit denen laufende Betriebsrenten verbessert werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die Rente freiwillig erhöht oder ob er nach Maßgabe des § 16 BetrAVG prüft und entscheidet ( - BAGE 60, 228). Nach dem Gesetzeszweck, einen Mißbrauch der Insolvenzsicherung zu verhindern, erfassen die gesetzlichen Regelungen des § 7 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 BetrAVG auch für den Versorgungsempfänger günstige Anpassungsentscheidungen. Ob der Arbeitgeber die Leistung erhöht hat, ohne dazu verpflichtet zu sein, oder ob er lediglich nach Maßgabe des § 16 BetrAVG pflichtgemäß geprüft und ermessensfehlerfrei entschieden hat, ist dabei ohne Belang ( - BAGE 76, 299; - 3 AZR 764/85 - AP BetrAVG § 7 Nr. 42 = EzA BetrAVG § 7 Nr. 24). Nach dieser Rechtsprechung, an der der Senat festhält, kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, eine Anpassung iSd. § 16 BetrAVG bedeute keine "Verbesserung" der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, sondern im Sinne eines Werterhaltes nur die Abwehr oder Abmilderung einer Verschlechterung (§ 16 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 BetrAVG).

II. Nach der Neufassung des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG zum (ab § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbs. BetrAVG) unterfällt nur eine "vereinbarte" Verbesserung der unwiderleglichen Mißbrauchsvermutung des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG.

1. § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG in der vom bis zum gültigen Fassung lautete:

"Verbesserungen der Versorgungszusagen werden bei der Bemessung der Leistungen des Trägers der Insolvenzsicherung nicht berücksichtigt, soweit sie in dem letzten Jahr vor dem Eintritt des Sicherungsfalls größer gewesen sind als in dem diesem Jahr vorangegangenen Jahr."

§ 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG 1999 lautet hingegen:

"Verbesserungen der Versorgungszusagen werden bei der Bemessung der Leistungen des Trägers der Insolvenzsicherung nicht berücksichtigt, soweit sie in den beiden letzten Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls vereinbart worden sind."

2. Bereits der Vergleich des Wortlautes von alter und neuer Fassung des Gesetzes ergibt, daß die Fristverlängerung, mag sie auch nach der amtlichen Begründung im Vordergrund gestanden haben (BT-Drucks. 12/3803 S. 111 f.), ersichtlich nicht die einzige Veränderung der Gesetzeslage war. Durch die Neufassung sind die Voraussetzungen für die unwiderlegbare Mißbrauchsvermutung des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG insgesamt geändert worden. Die bisherige Einschränkung, nach der Verbesserungen in dem Einjahreszeitraum nur dann unberücksichtigt blieben, wenn sie größer waren als im vorangegangenen Jahr, ist mit der Neufassung entfallen. Als neue Voraussetzung wurde aufgenommen, daß die Verbesserung in den letzten beiden Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalles "vereinbart" worden sein muß. Während die frühere Gesetzesfassung nur auf die Verbesserung als solche abstellte, ohne die Art und den Zeitpunkt ihres Zustandekommens näher zu bestimmen, kommt es nach neuem Recht darauf an, daß die Verbesserung durch eine "Vereinbarung" zustandegekommen ist und daß diese Vereinbarung in den letzten beiden Jahren vor Eintritt des Sicherungsfalles getroffen wurde.

III. Ein streitiges Urteil, das zwar innerhalb des Zweijahreszeitraums des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG rechtskräftig geworden ist, die Rente aber zu einem davor liegenden Zeitpunkt erhöht, steht einer solchen Vereinbarung iSv. § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG nicht gleich.

1. § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG stellt nunmehr darauf ab, daß Versorgungsschuldner und Versorgungsempfänger zu Lasten der Insolvenzsicherung eine Vereinbarung getroffen haben. Geschah dies in den beiden Jahren vor dem Sicherungsfall, so wird unwiderlegbar ihr kollusives Zusammenwirken zum Schaden des Trägers der Insolvenzsicherung vermutet. Ein streitiges Urteil, mit dessen Rechtskraft die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers nach § 16 BetrAVG ersetzt wird, stellt dagegen keine "Vereinbarung" iSd. § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG dar. Denn hier erfolgt eine Prüfung des Anpassungsanspruchs durch ein unabhängiges und neutrales Gericht. Mit der Verurteilung zur Anpassung steht fest, welche Anpassungsentscheidung der Versorgungsschuldner nach § 16 BetrAVG hätte treffen müssen, die Verweigerung der Anpassung wird als rechtswidrig befunden.

2. Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt dann, wenn wie hier der Anpassungszeitpunkt außerhalb des Zweijahreszeitraums des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG liegt. Mit der Rechtskraft des von der Klägerin erstrittenen Berufungsurteils im Jahre 1999 wird keine privatautonome Verbesserungszusage des Jahres 1999 fingiert. Vielmehr ersetzte dieses Urteil mit dem Eintritt seiner Rechtskraft eine Erklärung, die der Versorgungsschuldner von Rechts wegen zum hätte abgeben müssen. Ein rechtskonformes Verhalten des Arbeitgebers hätte außerhalb des Zweijahreszeitraums gelegen und den Beklagten verpflichtet. Der Versorgungsempfänger kann gegen Insolvenz nicht deswegen schlechter geschützt sein, weil sich der Arbeitgeber als früherer Versorgungsschuldner rechtswidrig verhalten und seine Rechtspflichten auch während eines längeren Prozesses, vorliegend in zwei Instanzen, geleugnet hat.

3. Ob dies in Anbetracht der veränderten Gesetzeslage in gleicher Weise auch für ein nicht streitiges Urteil gilt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Zu § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG aF, der jede Verbesserung innerhalb des alten Karenzzeitraumes von einem Jahr erfaßte, hat der Senat entschieden, daß durch Versäumnisurteil erstrittene rechtskräftige Anpassungen nach § 16 BetrAVG der unwiderleglichen Mißbrauchsvermutung des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG aF unterliegen (Senat - 3 AZR 981/93 - BAGE 76, 299). Jedenfalls liegt bei einer nicht streitigen Entscheidung, bei der die Parteien den Inhalt des Urteils in größerem Ausmaß bestimmen können, der Gedanke an eine "Vereinbarung" im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG näher. Im übrigen stehen dem Beklagten auch bei streitigem Urteil für die Fälle des Scheinprozesses oder der bewußten Täuschung des Gerichts die Mißbrauchsregelungen des § 7 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BetrAVG zur Verfügung. Vorliegend sind jedoch weder dem Beklagtenvortrag noch der Aktenlage diesbezügliche Hinweise zu entnehmen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2003 S. 2241 Nr. 42
DB 2004 S. 84 Nr. 1
EAAAB-93829

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: nein