BFH Beschluss v. - VII B 195/05

Ermessen bei der zusammengefassten Aufforderung zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung

Gesetze: AO § 284

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde mit Haftungsbescheid vom wegen Lohn- und Umsatzsteuer aus einer Betriebsübernahme in Höhe von 35 955,60 € in Anspruch genommen. Gegen die den Einspruch zurückweisende Einspruchsentscheidung vom hat der Kläger Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Nach mehreren vergeblichen Vollstreckungsversuchen und Weigerung des Klägers, über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft zu geben, forderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger am gemäß § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) auf, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und lud ihn zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am vor. Einspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wies das Finanzgericht (FG) die Auffassung des Klägers, die Ladung zur eidesstattlichen Versicherung sei ermessensfehlerhaft, da sie nicht das geringste Mittel sei, und dass die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erst nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses ergehen dürfe, zurück. Die Frage einer erneuten Ermessensausübung stelle sich nicht, wenn —wie im Streitfall— ein Vermögensverzeichnis gar nicht abgegeben worden sei.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hinsichtlich der Frage geltend, ob das FA gleichsam durch Vordruck die Vorlage des Vermögensverzeichnisses und gleichzeitig die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anordnen könne. Aufgrund der gerichtsbekannten wirtschaftlichen Krisensituation sei eine erneute Entscheidung des BFH zum gebotenen Umfang der Ermessensausübung nach Vorlage und Prüfung des Vermögensverzeichnisses erforderlich. Im Übrigen stünde die Annahme des FG, dass es mangels Vorlage des Vermögensverzeichnisses keiner Entscheidung über die Notwendigkeit einer erneuten Ermessensausübung für die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bedürfe, im Widerspruch zu Urteilen des Niedersächsischen FG (Urteil vom XIII 534/89, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1990, 403) und des XVI-III 3031/86 AO, EFG 1990, 404). Schließlich sei das Vertrauen in die Rechtsprechung gefährdet, weil das FG die Aufforderung zur —ggf. existenzvernichtenden— Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wegen eines Haftungsbescheides bestätigt habe, bevor es über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides in dem dazu anhängigen Verfahren entschieden habe.

II. Die Beschwerde ist —bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit— jedenfalls unbegründet.

1. Die vom Kläger mit der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden kann und klärungsbedürftig ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn auf den Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Frage geboten erscheinen lassen (z.B. , BFH/NV 2003, 208).

a) Die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage ist —abgesehen von ihrer Klärbarkeit im Streitfall— nicht klärungsbedürftig.

Der Senat hat das Verhältnis der Anforderung des Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 AO 1977 zur Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO 1977 und die Notwendigkeit anzustellender Ermessenserwägungen geklärt.

Der Senat hat —wie dem Kläger nach seinen Ausführungen offenbar bekannt ist— judiziert, dass die Verpflichtungen des Vollstreckungsschuldners, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und die Richtigkeit desselben zu Protokoll an Eides statt zu versichern, trotz der gesetzlichen Regelung in unterschiedlichen Absätzen des § 284 AO 1977 als Einheit anzusehen seien. Die Aufforderungen hierzu könnten daher grundsätzlich in einem einheitlichen Vorgang, in der Regel in der Ladung zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, erfolgen. Ob die Vollstreckungsbehörde so vorgehe oder die Verpflichtungen Schritt für Schritt einfordere, stehe in ihrem pflichtgemäßen Ermessen und bedürfe in der Ladungsverfügung keiner besonderen Begründung.

Der Gesetzgeber habe in § 284 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 zum Ausdruck gebracht, dass die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Bekräftigung des abgegebenen Vermögensverzeichnisses den Regelfall darstelle und nach § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 das Ermessen der Vollstreckungsbehörde erst bei der Frage einsetze, ob sie nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses im konkreten Einzelfall von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen könne (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 71/02, BFH/NV 2003, 139, und vom VII B 206/00, BFH/NV 2001, 577).

Daraus folgt, dass die zusammengefasste Aufforderung zu beiden Teilakten nicht unverhältnismäßig und deshalb grundsätzlich ermessensfehlerfrei ist.

b) Entgegen der Auffassung der Beschwerde bedarf es auch keiner weiteren oder erneuten Entscheidung des BFH zur Frage, ob das FA gleichzeitig die Vorlage des Vermögensverzeichnisses und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verlangen darf. Allein der Hinweis auf die wirtschaftliche Krisensituation des deutschen Mittelstandes ist nicht geeignet, die bisherige Rechtsprechung des Senats in Frage zu stellen. Da sich an der gesetzlichen Regelung seither nichts geändert hat, besteht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung zu überprüfen.

2. Die vom Kläger behauptete Divergenz der Entscheidung des FG zu Urteilen anderer FG führt —unbeschadet der Vergleichbarkeit der Sachverhalte— schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, weil die im Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen durch die oben dargestellten, den FG-Urteilen zeitlich nachfolgenden Entscheidungen des Senats geklärt sind.

3. Auch mit dem Vorbringen, das FG habe im vorliegenden Verfahren nicht vor der Entscheidung über die „Rechtssache” gegen den der Vollstreckung zugrunde liegenden Haftungsbescheid entscheiden dürfen, kann der Kläger die Zulassung der Revision nicht erreichen. Der unter dem vom Kläger angegebenen Aktenzeichen geführte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides ist durch (ausgefertigt am ) und damit ein Jahr vor dem streitgegenständlichen Urteil abgewiesen worden. Im Zeitpunkt der Entscheidung des FG war lediglich die Klage gegen den Haftungsbescheid, die dessen Vollziehung nicht hindert (§ 69 Abs. 1 FGO), anhängig.

Da das Aussetzungsbegehren auch schon im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung über die Anforderung des Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung am —auf den es für die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung allein ankommt (, BFHE 210, 205, BStBl II 2005, 814)— unanfechtbar abgelehnt war, lag auch kein Vollstreckungshindernis vor, das das FG bei der Überprüfung der Entscheidung hätte beachten müssen.

4. Im Kern wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Urteils bzw. der behördlichen Entscheidung. Er setzt seine Rechtsauffassung über die gebotene Ermessensausübung des FA an Stelle derjenigen des FG. Das vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Die Rüge des Ermessensfehlgebrauchs betrifft auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (z.B. , BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.), der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO führt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1786 Nr. 10
KÖSDI 2006 S. 15303 Nr. 11
RAAAB-92643