Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: BFH IV B 62/02 vom FG München 6 K 2638/99 vom
Gründe
Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit der Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang. Sie machen die Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie von Art. 3 Abs. 1 GG geltend.
I.
Die Beschwerdeführerin zu 1. ist eine GmbH & Co. KG, die ihren Gewinn im Jahr 1985 durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte. Ihre Komplementärin ist die D... Beteiligungs GmbH. Mit geändertem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1985 vom stellte das Finanzamt Fürstenfeldbruck gewerbliche Einkünfte der Beschwerdeführerin zu 1. in Höhe von 4.979.989,00 DM fest. Dem lag eine Steuerfahndungsprüfung zugrunde, die offen legte, dass das Vorratsvermögen in den dem Streitjahr 1985 vorangegangenen Jahresabschlüssen zu niedrig bewertet worden war. Nach der Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang erhöhte das Finanzamt das Vorratsvermögen zum um die gesamten bisher nicht erfassten Mehrbestände von 5.186.463,00 DM auf 10.145.015,00 DM. Den festgestellten Gewinn verteilte es auf die Kommanditisten, die Beschwerdeführer zu 2., 5., 6. und 9. sowie die am verstorbene D.... Der Beschwerdeführer zu 4. ist ihr Nachlassverwalter. Die Beschwerdeführer zu 3., 7., 8. und 10. sind ihre Rechtsnachfolger.
Klage und Nichtzulassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg. Mit Beschluss vom wies der Bundesfinanzhof die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurück.
Die Geschäftsführerin der Beschwerdeführerin zu 1. trat im fachgerichtlichen Verfahren zugleich als gesetzliche Prozessstandschafterin der Beschwerdeführer zu 2., 5., 6. und 9. und nach dem Tod der Kommanditistin D... als Prozessstandschafterin ihres Nachlassverwalters sowie ihrer Rechtsnachfolger auf.
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Den Verfassungsbeschwerden kommt weder nach § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch sind sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>). Die Verfassungsbeschwerden sind jedenfalls unbegründet und haben deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl.BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).
Die von allen Beschwerdeführern angegriffene Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang betrifft die Auslegung der §§ 5 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG und damit die Anwendung einfachen Rechts. Im Steuerrecht sind die Finanzgerichte im Rahmen und nach Maßgabe gesetzlicher Ermächtigung zur Gesetzesauslegung berechtigt (vgl. BVerfGE 78, 214 <227 ff., 230 ff.>). Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Das Bundesverfassungsgericht hat nur zu gewährleisten, dass dabei die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten werden. Seine Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Fachgerichte bei der Gesetzesauslegung die Grundentscheidung des Gesetzgebers berücksichtigt haben (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.> - zum Zivilrecht).
Nach diesen Maßstäben begegnen die hier angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang müssen Bilanzen für Zwecke der Veranlagung und der Gewinnfeststellung zwar grundsätzlich im Fehlerjahr und in den Folgejahren berichtigt werden. Ist eine solche Berichtigung aber nicht mehr möglich, weil die Feststellungs- oder Veranlagungsbescheide bestandskräftig sind, und greift keine Änderungsvorschrift für diese Bescheide ein, ist die Korrektur in der Schlussbilanz des ersten Jahres nachzuholen, in dem dies mit steuerlicher Wirkung möglich ist. Diese Regeln gelten nicht ausnahmslos, sondern erfahren Durchbrechungen sowohl unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben als auch dann, wenn der fehlerhafte Bilanzansatz (bestandskräftig) in den Vorjahren ohne Auswirkung auf die Höhe der festgesetzten Steuern geblieben ist (vgl. , BFHE 166, 431, BStBl II 1992, S. 512, 516; vom VIII R 24/95, BFHE 182, 307 vom , VIII R 46/96, BFHE 185, 492, BStBl II 1998, S. 443 sowie , BFH/NV 1995, S. 192 jeweils m.w.N.).
In Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG geht die Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang davon aus, dass auch dem bestandskräftig festgestellten, jedoch fehlerhaft ermittelten Betriebsvermögen zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres die rechtliche Qualität eines Tatbestandsmerkmals für die Gewinnermittlung des Folgejahres zukommt. Damit trägt sie dem Prinzip des Bilanzenzusammenhangs, das sowohl in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG als auch in § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB gesetzlichen Ausdruck gefunden hat, nach Wortlaut und Zweck Rechnung. Der Bilanzenzusammenhang bedeutet die zahlenmäßige Übereinstimmung zwischen der Jahresschlussbilanz eines Wirtschaftsjahres und der Eröffnungsbilanz des Folgejahres (Bilanzidentität). Dies begründet die Maßgeblichkeit jeder Bilanz sowohl für die Gewinnermittlung der Vergangenheit als auch der Zukunft (sog. Zweischneidigkeit der Bilanz). Der in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG sowie § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB vorgegebene Bilanzenzusammenhang soll verhindern, dass beim Übergang vom einen auf das andere Wirtschaftsjahr Änderungen vorgenommen werden können, um Teile des Betriebsvermögens von der Gewinnermittlung auszuschließen. Er bezweckt und bewirkt die fortlaufende und lückenlose Erfassung des Gewinns als Konsequenz der gesetzgeberischen Grundentscheidung für die Besteuerung des von der Gründung bis zur Beendigung erzielten sogenannten Totalgewinns eines Betriebs.
Die Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang will gewährleisten, dass der erzielte Totalgewinn bilanzierender Steuerpflichtiger zutreffend erfasst wird. Fehlerhafte Gewinnfeststellungen eines Wirtschaftsjahres können danach im Interesse der zutreffenden Erfassung des Totalgewinns auch nach bestandskräftigen Veranlagungen und auch nach Ablauf der Festsetzungsverjährung nicht zu endgültigen Gewinnminderungen, sondern lediglich zu temporären Gewinnverlagerungen führen, soweit Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht ausnahmsweise entgegenstehen.
Auch vor dem Hintergrund der den bilanzierenden Steuerpflichtigen handels- sowie steuerrechtlich eingeräumten Spielräume zur Gestaltung ihrer periodisch erklärten Gewinne - etwa durch Bewertungswahlrechte gemäß § 6 EStG sowie § 252 HGB, unterschiedliche Abschreibungsmöglichkeiten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG sowie §§ 7 ff. EStG und §§ 253 Abs. 2, 254 HGB, die Entscheidungmöglichkeit, Wirtschaftsgüter dem sogenannten gewillkürten Betriebsvermögen zuzuordnen oder durch die Bildung von Rückstellungen gemäß §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG sowie § 249 HGB - fungiert die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch die Rechtsprechung zum formellen Bilanzenzusammenhang als ein praktisch sehr bedeutsames Korrektiv, um fehlerhafte Periodengewinne im Interesse der zutreffenden Totalgewinnerfassung zu berichtigen. Sie entspricht den Grundregeln der Gewinnbesteuerung. Danach lässt einerseits das Steuerbilanzrecht gewisse Gewinnverlagerungen in nachgelagerte Perioden durch niedrige Wertansätze bei den einzelnen Wirtschaftsgütern zu, die zur Bildung stiller Reserven führen, also zu Erhöhungen des Betriebsvermögens, die zunächst nicht von der Gewinnermittlung erfasst werden. Andererseits ist gewährleistet, dass die zunächst in den sogenannten Buchwerten nicht erfassten Wertsteigerungen zu späteren Zeitpunkten als Gewinn auszuweisen sind, sobald nämlich das betreffende Wirtschaftsgut durch Veräußerung oder Entnahme aus dem Betriebsvermögen ausscheidet. Ebenso kommt es zur gewinnwirksamen Auflösung stiller Reserven bei der Veräußerung oder der Aufgabe des gesamten Betriebs. Diese nicht periodengerechte steuerliche Erfassung stiller Reserven des Betriebsvermögens zu gegebenenfalls erheblich späteren Zeitpunkten - unabhängig davon, ob und wann dessen Buchwerte fehlerhaft oder korrekt zustandegekommen sind - bestätigt, dass das Gesetz der konsequenten Erfassung des Totalgewinns den Vorrang vor der periodengerechten Abschnittsbesteuerung ausgewiesener Gewinne zuweist.
Ob und inwieweit die aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG wie aus den Grundrechten folgenden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Einzelfall von Verfassungs wegen zu einem anderen Ergebnis führen können, bedarf hier keiner Entscheidung. Weder dem Vortrag der Beschwerdeführer noch den angegriffenen Entscheidungen lässt sich entnehmen, auf welche Vertrauensgrundlage die Beschwerdeführer sich stützen, inwieweit sie sich in ihrem Verhalten auf die Vertrauensbasis eingerichtet haben und inwieweit ein konkreter Vertrauensschaden überhaupt entstanden ist.
Auch auf die Frage, ob und wieweit die bereits nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zugelassenen Ausnahmen vom Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs mit Blick auch auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Erweiterung fähig und bedürftig sind, kommt es vorliegend nicht an, denn jedenfalls bestehen gegen die hier angegriffene Nachholung einer korrekten Bewertung vorhandenen Betriebsvermögens keine grundsätzlichen Bedenken. Zudem lassen sich besondere Härten, die durch die gewinnwirksame Aufdeckung stiller Reserven insbesondere auch als Folge des progressiven Einkommensteuertarifs eintreten können, gegebenenfalls durch Stundung der Steuerschuld gemäß § 222 AO auffangen.
Soweit sich die Beschwerdeführer auf eine Ungleichbehandlung gegenüber Steuerpflichtigen berufen, die ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG durch Überschussrechnung ermitteln, ist darauf hinzuweisen, dass die unterschiedliche Behandlung gegenüber den Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ermitteln, Teil eines komplexen Gefüges steuerrechtlicher Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Gewinnermittlungsarten sind, die, wozu die Beschwerdeführer jedoch nichts vorgetragen haben, in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. So haben, wie erwähnt, bilanzierende Steuerpflichtige insbesondere Möglichkeiten der steuerlichen Gestaltung ihrer Gewinne in den einzelnen Besteuerungsperioden, die bei der Gewinnermittlung durch Überschussrechnung nicht in vergleichbarem Maß eröffnet sind.
Im Übrigen wird von einer Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstelle(n):
RAAAB-87216