BVerfG Urteil v. - 2 BvR 334/05

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b; BVerfGG § 93c; BVerfGG § 95 Abs. 2 Satz 1; BVerfGG § 34a Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 13 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: LG Aachen 65 Qs 4/05 vom AG Düren 14 Gs 1552/04 vom

Gründe

Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich gegen die Durchsuchung seiner Kanzleiräume.

I.

1. Der Beschwerdeführer führte für einen Mandanten eine Auseinandersetzung mit einer Berufsgenossenschaft. Nach Abschluss des Mandats verklagte er den Mandanten auf Zahlung des Honorars. Nach Abschluss jenes Verfahrens forderte der vormalige Mandant von dem Beschwerdeführer erfolglos die Herausgabe eines Bescheides der Berufsgenossenschaft, der sich noch bei den Akten des Beschwerdeführers befinde. Eine Herausgabeklage wurde abgewiesen, weil der Kläger nicht dargelegt habe, dass der Beschwerdeführer den Bescheid besitze. Der vormalige Mandant zeigte sodann den Beschwerdeführer wegen Unterschlagung an.

2. Mit dem angegriffenen Beschluss ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Kanzleiräume des Beschwerdeführers an. Es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Mandant den Bescheid dem Beschwerdeführer übergeben habe, der die Herausgabe ablehne und den Besitz bestreite.

3. Nach der erfolglosen Durchsuchung erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Er besitze den fraglichen Bescheid nicht. Das habe das Landgericht im geführten Zivilprozess festgestellt. Die Durchsuchung sei darüber hinaus unverhältnismäßig gewesen.

4. Das Landgericht verwarf die Beschwerde mit dem angegriffenen Beschluss. Der Verdacht der Unterschlagung des Rentenbescheides beruhe auf den Angaben des vormaligen Mandanten und des Beschwerdeführers selbst, der in der mündlichen Verhandlung über seine Honorarklage angegeben habe, den Bescheid erhalten zu haben. Eine rechtskräftige Feststellung, der Beschwerdeführer besitze den Bescheid nicht, sei im Herausgabeprozess nicht getroffen worden. Die Durchsuchung sei wegen der Erheblichkeit der vorgeworfenen Straftat verhältnismäßig.

5. Akteneinsicht wurde dem Beschwerdeführer zunächst verweigert. Dann erhielt der Beschwerdeführer Gelegenheit, sich Ablichtungen aus der Akte anfertigen zu lassen.

6. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Verfassungsbeschwerde zugleich beantragt, die Staatsanwaltschaft durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihm Akteneinsicht zu gewähren.

Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, indem ihm uneingeschränkte Akteneinsicht verweigert werde. Die Akte enthalte kein Beweismittel. Er werde als Rechtsanwalt und als Mensch gekränkt, indem ihm die Akte nicht überlassen werde.

Art. 13 Abs. 1 GG sei verletzt. Die Durchsuchung der Kanzleiräume bedeute einen erheblichen Eingriff, der nicht verhältnismäßig gewesen sei. Die Schwere des Eingriffs sei nicht zu rechtfertigen, da es um die Fortsetzung einer zivilrechtlichen Streitigkeit gehe und der ehemalige Mandant zudem auf den Besitz des fraglichen Bescheides in keiner Weise angewiesen sei.

II.

1. Dem Land Nordrhein-Westfalen ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden (§ 94 Abs. 2 BVerfGG). Es hat von einer Stellungnahme abgesehen.

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 502 Js 765/04 der Staatsanwaltschaft Aachen vorgelegen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet, und die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen, auf denen diese Beurteilung beruht, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, sodass die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben kann (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Mit einer Durchsuchung wird schwerwiegend in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingegriffen. Auch beruflich genutzte Räume werden durch das Grundrecht geschützt (vgl. BVerfGE 32, 54 <69 ff.>; 42, 212 <219>; 44, 353 <371>; 76, 83 <88>; 96, 44 <51>; 97, 228 <265>). Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>).

Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies darüber hinaus regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des -). Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme.

2. Diese besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit haben die befassten Gerichte nicht geleistet. Es erscheint evident sachfremd und daher grob unverhältnismäßig und willkürlich, wegen des fraglichen Besitzes eines Rentenbescheides die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts zu durchsuchen. Die fragliche Straftat der Unterschlagung hat im hier zu beurteilenden Fall mit Rücksicht auf den eventuell vorenthaltenen Gegenstand nur geringes Gewicht, zumal vollkommen unerörtert geblieben ist, welchen Wert der Besitz des Bescheides für den vormaligen Mandanten - über das Eigentumsinteresse an dem Papier hinaus - haben könnte.

3. Da die angegriffenen Beschlüsse das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzen, kommt es nicht mehr darauf an, ob Staatsanwaltschaft oder Gericht im Beschwerdeverfahren auch das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) missachtet haben, wie der Beschwerdeführer meint.

IV.

Die Entscheidungen, die das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzen, werden gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Aachen zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

V.

Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
NAAAB-87132