Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; AuslG § 23 Abs. 1 2. Halbsatz
Instanzenzug: OVG Berlin OVG 8 SN 164.00 vom VG Berlin VG 10 A 173.00 vom
Gründe
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis, die einem nicht-sorgeberechtigten ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen deutschen Kindes nach § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG erteilt werden kann.
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist Vater einer am geborenen Tochter deutscher Staatsangehörigkeit. Nach der Trennung von der Kindsmutter hatte er zunächst bis etwa Mitte 1999 Kontakt zu seiner Tochter. Das Amtsgericht wies mit Beschluss vom seinen Antrag auf vorläufige Regelung des Umgangs mit dem Kind zurück.
Die Ausländerbehörde lehnte mit Bescheid vom seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab.
Über seinen hiergegen erhobenen Widerspruch ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom ab. Eine Aufenthaltserlaubnis könne der Beschwerdeführer gemäß § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz, § 17 AuslG nicht beanspruchen, weil seit der Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft keine - nicht notwendig ein häusliches Zusammenleben voraussetzende - familiäre Gemeinschaft mit der Tochter gelebt werde. Der Beschwerdeführer verfüge darüber hinaus nicht über ein Umgangsrecht mit dem Kind. Daher sei bereits für eine Ermessensbetätigung der Ausländerbehörde kein Raum.
Kurz zuvor hatte das dem Beschwerdeführer einen betreuten Umgang mit seiner Tochter zweimal im Monat eingeräumt. Obwohl die dagegen gerichtete Beschwerde erfolglos blieb, verweigerte die Kindsmutter zunächst die Durchführung des Umgangs. Seit Dezember 2000 oder Anfang des Jahres 2001 ließ die Mutter einen Umgang mit dem Beschwerdeführer entsprechend den gerichtlichen Regelungen zu. Die Eltern gestalteten seit April 2001 die Umgangskontakte eigenständig. Im Laufe der Zeit regelten sie den Umgang einvernehmlich dahingehend, dass die Tochter unbetreut alle zwei Wochen je einen Tag einschließlich einer Übernachtung bei dem Vater verbringt. Diese Umgangsvereinbarung erklärte das für verbindlich.
Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Beschwerde gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom ab. § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz AuslG setze als Regelung über den Nachzug zu deutschen Familienangehörigen eine bereits gelebte familiäre Lebensgemeinschaft voraus, an der es vorliegend fehle. Die Absicht der (Wieder-)Herstellung einer solchen sei, anders als im Fall des § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG, nicht tatbestandsmäßig und führe daher nicht zu einer Ermessensentscheidung. Das erstmals mit dem Beschwerdezulassungsantrag als gerichtlich zuerkannt geltend gemachte betreute Umgangsrecht sei als veränderter Umstand im Beschwerdezulassungsverfahren unbeachtlich. Im Übrigen würde dieses - zumal angesichts seiner Beschränkung und Geringfügigkeit - lediglich eine unzureichende Begegnungsgemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter begründen. Ohne Einbeziehung der tatsächlichen Ausgestaltung der Beziehungen der Familienmitglieder zueinander lasse sich auch vor dem Hintergrund des Kindschaftsrechtsreformgesetzes die Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne des § 23 Abs. 1 AuslG nicht begründen.
Einen auf dieses betreute Umgangsrecht gestützten Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom ab, den der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen hat.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 und 2 sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Durch die Reform des Kindschaftsrechts habe die rechtliche Situation nichtehelicher Kinder und ihrer Väter eine deutliche Verbesserung erfahren. Die damit zum Ausdruck gekommenen Wertungen hätten eine Abwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz AuslG erfordert, die zu dem Ergebnis hätte gelangen müssen, dass einwanderungspolitische Belange hinter dem Umgangsrecht des Beschwerdeführers zurückzustehen hätten, und zwar auch dann, wenn wie hier eine Lebensgemeinschaft demnächst - wieder - begründet werden solle. Er werde zudem in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 und 2 GG verletzt, weil es ihm gegen den Willen der Kindsmutter grundsätzlich nicht möglich sei, das (Mit-)Sorgerecht zu erhalten. Die Gerichte hätten schließlich seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) missachtet, indem sie zu dem Vortrag über die Hintergründe der Trennung und die Auswirkungen der Kindschaftsrechtsreform auf das Ausländerrecht keine Stellung bezogen und seine Tochter nicht beigeladen hätten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Weder kommt der Verfassungsbeschwerde grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme - mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg - zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die ausländerrechtliche Verfügung vom richtet, ist der Rechtsweg mangels Entscheidung über den eingelegten Widerspruch und eine sich hieran anschließende Klage noch nicht abgeschlossen; insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
2. Hinsichtlich der angegriffenen Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Rechtsweg zwar erschöpft. Die Verfassungsbeschwerde hat aber gleichwohl auch insoweit keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 6 GG gerecht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 80, 81 <93>) gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>).
Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon auf Grund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 <42 f.>), wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist. Besteht eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem deutschen Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, weil dem deutschen Kind wegen dessen Beziehung zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, NVwZ 2000, S. 59).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Erwägungen der Fachgerichte einer verfassungsgerichtlichen Prüfung stand.
Es war ihnen nicht verwehrt anzunehmen, dass zwischen dem nicht-sorgeberechtigten Beschwerdeführer und seiner Tochter die für das beantragte Daueraufenthaltsrecht nach § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG erforderliche familiäre Lebensgemeinschaft nicht bestand. Nach den für die verfassungsgerichtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen in den angefochtenen Entscheidungen fand tatsächlich keinerlei Umgang zwischen Vater und Tochter statt. Das kurz vor dem Verwaltungsgerichtsbeschluss vom am familiengerichtlich zugesprochene betreute Umgangsrecht zweimal pro Monat war dem Verwaltungsgericht nicht bekannt. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass es deshalb als veränderter Umstand in dem Beschwerdezulassungsverfahren keine Beachtung erfahren konnte, war zwar seinerzeit umstritten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 80 Rz. 201 m.w.N.), aber jedenfalls vertretbar und ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Jedenfalls bei dieser Sachlage begegnet die Einschätzung der Gerichte, es bestehe keine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.
Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht darauf berufen, die Kindsmutter habe durch die Beendigung ihrer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die familiäre Lebensgemeinschaft mit der Tochter "unterbrochen". Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG gebietet nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um dem Umstand zu begegnen, dass durch den Wandel der elterlichen Lebensverhältnisse aus familienrechtlichen oder tatsächlichen Gründen die (Wieder-)Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft erschwert oder verhindert wird. Inwieweit hier die Erteilung einer anderen Form der Aufenthaltsgenehmigung oder einer Duldung - gegebenenfalls auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des Ausländergesetzes - in Betracht gekommen wäre, um die weitere Entwicklung der familienrechtlichen Situation abzuwarten, kann dahinstehen, da dies nicht Gegenstand der angegriffenen Gerichtsentscheidungen war.
Soweit das Oberverwaltungsgericht in seiner Begründung hilfsweise auf das dem Beschwerdeführer vom Familiengericht zugesprochene betreute Umgangsrecht eingegangen ist und es nur als unzureichende Begegnungsgemeinschaft angesehen hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob dies mit den sich aus Art. 6 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen - auch nach der Kindschaftsrechtsreform - in Einklang steht. Denn auf dieser lediglich hilfsweise gegebenen Begründung beruht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht. Den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom , mit dem es den auf dieses betreute Umgangsrecht gestützten Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO abgelehnt hat, hat der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen. Die weitere, erst nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts von dem Beschwerdeführer und der Kindsmutter im Jahre 2001 eigenständig gestaltete Umgangsregelung, die vom für verbindlich erklärt wurde, kann im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) nicht berücksichtigt werden.
Vor diesem Hintergrund kann weiter offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit die durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom (BGBl I S. 2942) bewirkten Veränderungen der familienrechtlichen Regelungen insbesondere des Umgangsrechts möglicherweise mit einer auch verfassungsrechtlich erheblichen Modifikation des Leitbilds der Familie in Art. 6 GG korrespondieren und welche Auswirkungen dies auf die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 GG hat (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des -, NVwZ 2002, S. 849).
3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist Art. 3 Abs. 1 und 2 GG nicht deshalb verletzt, weil ihm als Vater eines nichtehelichen Kindes gegen den Willen der Mutter die Erlangung des Sorgerechts nicht möglich sei und ihm deshalb ein Daueraufenthaltsrecht nur unter besonderen Umständen zustehen könne. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es gerechtfertigt, das Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich der Mutter und nicht dem Vater oder beiden Elternteilen gemeinsam zuzuordnen. Die weiteren Unterschiede bei der sorgerechtlichen Ausgestaltung rechtfertigen sich aus der derzeit nicht zu beanstandenden Annahme des Gesetzgebers, damit dem Wohl des nichtehelichen Kindes zu entsprechen. Bei dieser Lage bestehen - abgesehen vom Fehlen einer hier nicht einschlägigen Übergangsregelung für bestimmte Altfälle - derzeit keine Gründe für eine Unvereinbarkeit des Regelungskonzeptes von § 1626a BGB zur gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern mit dem Grundgesetz (vgl. Urteil des Ersten Senats des , 1 BvR 933/01 -, NJW 2003, S. 955). Eine ungerechtfertigte mittelbare Ungleichbehandlung durch den Sorgevorrang der Mutter eines nichtehelichen Kindes im Hinblick auf die Aufenthaltsrechtsregelung in § 23 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 AuslG kann demnach nicht angenommen werden.
4. Eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht substantiiert dargelegt, insbesondere fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den Gründen des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts, das für eine solche Verletzung keine Anhaltspunkte sah. Hierfür ist auch nichts ersichtlich.
Von einer weiter gehenden Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstelle(n):
IAAAB-86957