Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BVerfGG § 93 a; BVerfGG § 93 a Abs. 2; BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3; BVerfGG § 93 b; SGB VI § 7; SGB VI § 7 Abs. 2 Satz 1; SGB VI § 50; SGB VI § 186; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: Bayerische LSG L 11 An 92/94 vom
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist selbständiger Rechtsanwalt und Mitglied der Bayerischen Rechtsanwaltsversorgung. Zuvor hatte er die Rechtsanwaltstätigkeit in abhängiger Beschäftigung ausgeübt. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (im Folgenden: Bundesversicherungsanstalt) befreite ihn im November 1990 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, weil er seit November 1989 Mitglied der Bayerischen Rechtsanwaltsversorgung war.
Vor Beginn seines Jurastudiums war der Beschwerdeführer Zeitsoldat gewesen. Der Bund hatte Beiträge zur Bundesversicherungsanstalt für die zweijährige Dienstzeit (Juli 1977 bis Juni 1979) sowie für mehrere Wehrübungen (August 1980, Oktober 1981, August und September 1982, April 1985) entrichtet. Weitere Beitrags- oder Ersatzzeiten des Beschwerdeführers liegen nicht vor.
Im Januar 1993 - inzwischen hatte der Beschwerdeführer seine selbständige Tätigkeit aufgenommen - lehnte die Bundesversicherungsanstalt einen Antrag auf Erstattung dieser Beiträge ab. Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht beantragte der Beschwerdeführer erstmals hilfsweise die Übertragung der Beiträge auf die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung. Auch insoweit wies das Landessozialgericht die Berufung zurück. Einen Rechtsbehelf gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht legte der Beschwerdeführer nicht ein.
2. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Urteil des Landessozialgerichts vom sowie gegen den die Beitragserstattung ablehnenden Bescheid der Bundesversicherungsanstalt in der Gestalt des Widerspruchsbescheids. Der Beschwerdeführer sieht sich in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Das in § 186 SGB VI normierte Recht, die Nachversicherung bei einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu wählen, gehe für den Personenkreis, dem er angehöre, ohne ersichtlichen Grund ins Leere. Die zeitliche Begrenzung für die Ausübung dieses Rechts bewirke, dass Rentenanwartschaften überhaupt nicht für eine durch eine berufsständische Versorgungseinrichtung gesicherte Altersversorgung genutzt werden könnten. Unter Umständen sei nicht einmal die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt. Im allgemeinen Gleichheitssatz sieht sich der Beschwerdeführer dadurch verletzt, dass andere nachzuversichernde Personen zumindest vom Grundsatz her die Chance gehabt hätten, die Jahresfrist zur Ausübung des Wahlrechts nach § 124 Abs. 6 a und 6 b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) einzuhalten. Für den Kreis derer, die einen Dienst als Soldat auf Zeit vor dem Studium abgeleistet hätten, sei die Frist dagegen generell und von vornherein nicht einzuhalten gewesen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist - unbeschadet ihrer Zulässigkeit - nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen von § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, weil die angegriffenen Entscheidungen Grundrechte des Beschwerdeführers im Ergebnis nicht verletzen.
1. Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG wird weder durch die Ablehnung einer Übertragung der Anwartschaft auf die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung noch durch die Ablehnung der Beitragserstattung berührt.
a) Eine bei der Bundesversicherungsanstalt als Rentenversicherungsträger erworbene Anwartschaft auf Leistungen bleibt bei einem Wechsel des Versorgungssystems unberührt. Der Umstand, dass das Landessozialgericht der bei der Bundesversicherungsanstalt erworbenen Anwartschaft die Übertragbarkeit auf die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung abgesprochen hat, tangiert den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG nicht. Zwar mag die Übertragbarkeit einer Rentenanwartschaft in ein anderes System der Alterssicherung für sich allein einen wertbildenden Faktor darstellen, der vom eigentumsrechtlichen Bestandsschutz erfasst wird. Jedoch war die Anwartschaft des Beschwerdeführers zu keiner Zeit übertragbar ausgestaltet, so dass keine den Beschwerdeführer rechtlich begünstigende Eigenschaft nachträglich nachteilig verändert worden ist.
b) Dass ein Betroffener möglicherweise wegen nicht erfüllter und nicht erfüllbarer Wartezeit nicht mehr in der Lage ist, eine rentenrechtliche Erwerbsberechtigung zur Anwartschaft erstarken zu lassen, verletzt ebenfalls Art. 14 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfGE 98, 365 <401>). Die Berechtigung des Beschwerdeführers, durch Zahlung weiterer Beiträge eine Anwartschaft in der Form erwerben zu können, dass zur Entstehung des Vollrechts nur noch der Versicherungsfall eintreten muss, ist eigentumsrechtlich nicht geschützt. Auch kann aus Art. 14 Abs. 1 GG kein Anspruch auf Erstattung schon geleisteter Beiträge hergeleitet werden.
2. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen im Ergebnis auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG.
a) Es ist verfassungsrechtlich unter keinem Gesichtspunkt geboten, dem Beschwerdeführer eine aus seiner Sicht optimal ausgestaltete Altersversorgung zukommen zu lassen. Insbesondere können Personen, die das Versorgungssystem wechseln, nicht unter Berufung auf das Grundgesetz verlangen, vor jeglichem rechtlichen Nachteil verschont zu bleiben, den dieser Wechsel mit sich bringt.
b) Die Pflichtmitgliedschaft und die damit einher gehende Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verletzen grundsätzlich auch bei Höherverdienenden, die anderweitig für ihre Alterssicherung Sorge tragen könnten, nicht Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 29, 221 <235 ff.>). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit eines Versicherungspflichtigen, sondern lediglich den Tatbestand der Beschäftigung voraussetzt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass diejenigen Personen, die ihre Arbeitskraft in den Dienst anderer stellen, im Allgemeinen auf diese Beschäftigung zur Erlangung ihres Lebensunterhalts angewiesen und daher - auch im Hinblick auf die Alterssicherung - sozial schutzbedürftig sind (vgl. BVerfGE 18, 257 <270 f.>). Daher bestehen grundsätzlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Beschwerdeführer in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert worden ist und für die absolvierten Wehrübungen Pflichtbeiträge zur Bundesversicherungsanstalt geleistet wurden.
c) Anderes könnte allerdings gelten, wenn die durch einen Wechsel des Versorgungssystems hervorgerufenen konkreten rechtlichen Nachteile dem Betroffenen nicht mehr zumutbar sind. Dies ist hier aber im Ergebnis nicht der Fall.
aa) Ein unzumutbarer Nachteil könnte dann vorliegen, wenn der Beschwerdeführer nicht mehr in der Lage wäre, sein Versicherungsverhältnis so zu gestalten, dass die Nachversicherungszahlungen im Versicherungsfall auch Leistungen begründen können. Der Beschwerdeführer kann jedoch entgegen der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BSGE 41, 93 <94 f.>; Gürtner in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 7 SGB VI Rn. 7 <Stand: September 2003>) durch eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung wenigstens die allgemeine Wartezeit des § 50 SGB VI erfüllen und so sicher stellen, dass mit der Erfüllung dieser Voraussetzung eine rechtlich verfestigte Anwartschaft entstehen kann.
Lässt eine Norm mehrere Deutungen zu, so liegt es nahe, diejenigen zu wählen, die mit dem Grundgesetz mehr in Einklang steht. Der Wortlaut von § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der Tatbestandsalternative "von der Versicherung befreit" lässt auch die Deutung zu, es müsse gerade im Zeitpunkt der freiwilligen Versicherung eine an sich versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen. Das wäre hier aber - der Beschwerdeführer ist als selbständiger Rechtsanwalt nicht versicherungspflichtig - nicht der Fall. Er wäre damit durch § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB VI an einer freiwilligen Versicherung nicht gehindert. Durch eine solche Auslegung kann hier ein möglicherweise unzumutbarer Eingriff zu Lasten des Beschwerdeführers vermieden werden. Sie würde sich im konkreten Fall nicht in Widerspruch zum allgemeinen Zweck des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB VI setzen, eine Überversorgung zu verhindern (vgl. Gürtner, a.a.O., Rn. 6).
bb) Ist aber der Beschwerdeführer durch § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht gehindert, sich freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern, so ist das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, mit vergleichsweise niedrigen Beiträgen - der monatliche Mindestbeitrag beläuft sich derzeit auf 78 € - zumindest die allgemeine Wartezeit zu erfüllen und so bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Rentenleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen zu können. Die aus einer vorübergehenden Doppelversicherung resultierende erhöhte Beitragslast des Beschwerdeführers ist keine unverhältnismäßige Beschwer (vgl. BVerfGE 75, 78 <100, 104>; 78, 232 <246>).
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAB-86242