BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 912/04

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 6; BVerfGG § 32 Abs. 1; BVerfGG § 32 Abs. 2 Satz 2; BVerfGG § 93 d Abs. 2; GG Art. 12 Abs. 1

Instanzenzug: BGH NotZ 23/03 vom

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen seine Enthebung aus dem Amt des Notars.

1. Im November 2002 wurde über das Vermögen des Beschwerdeführers, der seit 1991 Notar in Sachsen ist, wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem im Februar 2003 eine Gläubigerversammlung stattgefunden hatte, bei welcher die vorläufige Fortführung des "Unternehmens" des Beschwerdeführers beschlossen und der Insolvenzverwalter beauftragt worden war, einen Insolvenzplan zu erstellen, enthob das Sächsische Staatsministerium der Justiz den Beschwerdeführer nach Anhörung mit Bescheid vom seines Amtes.

Im Juli 2003 wurde der mittlerweile aufgestellte Insolvenzplan durch das Insolvenzgericht bestätigt. Mit Beschluss vom hob das Oberlandesgericht den Bescheid vom auf und setzte die Vollziehung der Amtsenthebung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aus. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeleitete Vermutung des Vermögensverfalls sei bereits bei Erlass der angefochtenen Entscheidung durch den Beschluss der Gläubigerversammlung im Februar 2003 widerlegt gewesen.

Der sofortigen Beschwerde des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz gab der Bundesgerichtshof mit dem am zugestellten Beschluss vom statt. Die Amtsenthebung des Beschwerdeführers sei gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 der Bundesnotarordnung (BNotO) zu Recht erfolgt. Die Ergebnisse der Gläubigerversammlung im Februar 2003 hätten die Vermutung des Vermögensverfalls durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht entkräftet. Zwar spreche nach Erstellung des Insolvenzplans vieles dafür, dass der Beschwerdeführer nunmehr die gegen ihn gerichteten Forderungen in einer Weise erfüllen könne, die seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse wieder als geordnet erscheinen ließen, doch könnten der Amtsenthebung nachfolgende Veränderungen der Sachlage nicht berücksichtigt werden, weil bei der Überprüfung gestaltender Verwaltungsakte aus Gründen der Rechtssicherheit spätere Veränderungen der Sachlage außer Betracht bleiben müssten.

Mit Schriftsatz vom erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Verfassungsbeschwerde und stellte zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er macht geltend, dass Gründe der Rechtssicherheit den schweren Eingriff in seine Berufswahlfreiheit nicht rechtfertigen könnten.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung der Gegenseite entschieden werden konnte (§ 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG), hat Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum Gemeinwohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 <171 f.>; 91, 328 <332>; stRspr.).

2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch in Bezug auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG offensichtlich unbegründet. Die Grundrechtsfrage hat der Bundesgerichtshof nur am Rande erörtert; sie bedarf der Prüfung im Hauptsacheverfahren.

b) Die danach gebotene Folgenabwägung führt vorliegend zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung sprechen.

Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, müsste der Beschwerdeführer seinen Beruf aufgeben, ohne dass sicher ist, dass er ihn nach einem Erfolg in der Hauptsache wieder aufnehmen könnte.

Wird die einstweilige Anordnung erlassen, hat die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg, bleibt der Beschwerdeführer - wie schon infolge der Entscheidung des Oberlandesgerichts - vorübergehend weiterhin im Amt. Da vieles dafür spricht, dass er infolge des aufgestellten Insolvenzplans wieder in geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen lebt, und seine Amtsführung überdies nach dem Prüfbericht aus Februar 2003 zu Beanstandungen keinen Anlass geboten hat, bestehen hiergegen keine durchgreifenden Bedenken.

Fundstelle(n):
INF 2004 S. 531 Nr. 14
NAAAB-86228