Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 103
Instanzenzug: BFH V R 63/99 vom (Verfahrensverlauf) FG Baden-Württemberg 3 K 68/98 vom ,
Gründe
I.
In dem Ausgangsverfahren war im Streit, ob von der Beschwerdeführerin produzierte und vertriebene Knochenplatten, Knochenschrauben und Knochengitter aus Titan, die in der Kieferorthopädie, in der Wiederherstellungschirurgie und zur Behandlung von Knochenbrüchen verwendet werden, dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Finanzgericht und Bundesfinanzhof haben die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes abgelehnt (vgl. BFH, BFH/NV 2001, S. 348). Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde, die die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 GG rügt.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993; BGBl I S. 565, 1160) in Verbindung mit Nr. 52 Buchstabe b der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG 1993 (im Folgenden: USt-Anlage) unterliegen Körperersatzstücke, orthopädische Apparate und andere orthopädische Vorrichtungen sowie Vorrichtungen zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen für Menschen, und zwar - Buchstabe b - orthopädische Apparate und andere orthopädische Vorrichtungen einschließlich Krücken sowie medizinisch-chirurgischer Gürtel und Bandagen, ausgenommen Teile und Zubehör, aus Unterposition 9021.19 der "Kombinierten Nomenklatur" - KN - (in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2505/92 der Kommission vom , Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 267 vom ), die dem gemeinsamen Zolltarif der EG zu Grunde liegt, dem ermäßigten Steuersatz von 7 vom Hundert. Die Unterposition 9021.19 KN unterscheidet nochmals in der Unter(unter)position 9021.19.10 orthopädische Apparate und andere orthopädische Vorrichtungen sowie der Unter(unter)position 9021.19.90 Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Finanzen und der Bundesfinanzhof Stellung genommen. Sie halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung (§ 93 a BVerfGG) liegen nicht vor.
Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, da die entscheidungserheblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Verfassungsrechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten, insbesondere ist Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt.
1. Die Rechtsauffassung, die von der Beschwerdeführerin gelieferten Knochenplatten und Knochengitter unterlägen nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993, lässt eine Verfassungsverletzung nicht erkennen. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.
a) Art. 3 Abs. 1 GG verlangt die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft, und umso mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden (vgl. BVerfGE 96, 1 <5 f.>; 99, 88 <94>; 101, 132 <138>).
Der Gesetzgeber überschreitet aber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner steuerrechtlichen Gestaltungsfreiheit, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 84, 197 <199>; 96, 315 <325>; 99, 129 <139>; stRspr). Dies gilt auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personen bewirkt. Für die am Maßstab des Gleichheitssatzes vorzunehmende Prüfung kommt es somit darauf an, ob eine ganze Gruppe von Steuerpflichtigen ohne hinreichenden sachlichen Grund stärker belastet wird als eine andere und dadurch in eine empfindlich ungünstigere Wettbewerbslage gerät. Die gesetzliche Auswirkung darf nicht weiter greifen, als der die unterschiedliche Behandlung legitimierende Zweck es rechtfertigt, und sie darf schutzwürdige Belange der Nichtbegünstigten nicht ohne hinreichenden sachlichen Grund vernachlässigen (vgl. BVerfGE 85, 238 <244>).
Für den Sachbereich des Steuerrechts verbürgt der allgemeine Gleichheitssatz den Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten (vgl. BVerfGE 35, 324 <335>; 110, 274 <292>; stRspr). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern gegebenenfalls auch ganzer Gruppen vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. BVerfGE 110, 274 <292>; stRspr).
Der Gesetzgeber darf seine Steuergesetzgebungskompetenz grundsätzlich auch ausüben, um Lenkungswirkungen zu erzielen. Zwar bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet aber nur, dass er seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen darf. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt, insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfGE 17, 210 <216> unter Bezugnahme auf BVerfGE 12, 354 <367 f.>; 110, 274 <293>). Diese Erwägungen gelten auch, wenn der Gesetzgeber eine Subvention steuerrechtlich überbringt, statt sie direkt finanziell zuzuwenden (vgl. BVerfGE 110, 274 <293>).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen verstoßen die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die durch die Fachgerichte erfolgte Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 52 Buchstabe b der USt-Anlage entspricht einer vom Gesetz vorgesehenen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Differenzierung.
Nach Auffassung des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs sind die von der Beschwerdeführerin gelieferten Knochenplatten und Knochengitter Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen aus Unter(unter)position 9021.19.90 KN, die auf Grund ihrer zolltariflichen Einordnung nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Dieser Verweis auf den Zolltarif ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1787/94 -, NJW 1996, S. 1127). Sie dient der Gesetzesökonomie und der notwendigen Vereinfachung der Gesetzesanwendung in der Praxis. Der Inhalt der in der USt-Anlage aufgeführten Warenbegriffe wird durch die Bezugnahme auf den Zolltarif im Einzelnen festgelegt. Die Unterscheidung zwischen orthopädischen Apparaten und anderen orthopädischen Vorrichtungen einerseits und den Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen andererseits ist in Kapitel 90 KN enthalten. Die angegriffenen Entscheidungen knüpfen an die Unterscheidung für die vorgenommene umsatzsteuerliche Differenzierung an.
Das ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Denn orthopädische Apparate und andere orthopädische Vorrichtungen einerseits und Vorrichtungen bei der Behandlung von Knochenbrüchen andererseits unterscheiden sich schon in Art und Funktion. Dies gewinnt Bedeutung im Blick auf den Zweck der Steuerbegünstigung. Entscheidend sind dabei der objektiv erkennbare Sinn und Zweck der Vorschrift sowie ihre wirtschaftlichen Auswirkungen (vgl. BVerfGE 85, 238 <245>).
Für Vorrichtungen mit orthopädischer Funktion ist charakteristisch, dass sie im Normalfall dauernd oder jedenfalls für einen längeren Zeitraum benutzt werden und entsprechend qualitativ ausgerüstet sein müssen. Orthopädische Apparate und Vorrichtungen tragen dazu bei, nicht nur vorübergehend bestehende - angeborene oder erworbene - Fehler der Haltungs- und Bewegungsorgane auszugleichen, um eine Annäherung an den Normalzustand zu erreichen (vgl. Schlienkamp/Rondorf in Plückebaum/Malitzky, UStG, 10. Aufl., Bd. II/5, UStG 1993 § 12 Abs. 2 Rz. 437/1 <Stand: April 1995>; Husmann in Rau/Dürrwächter, UStG, 8. Aufl., § 12 Abs. 2 Rz. 718 <Stand: November 1997>). Sie finden Verwendung in der praktischen Orthopädie, welche die konservative und operative Behandlung aller Gliedmaßen, der Wirbelsäule, des Brustkorbs und des Beckens zur Aufgabe hat.
Demgegenüber handelt es sich bei Vorrichtungen, die zum Behandeln von Knochenbrüchen verwendet werden, um Gegenstände, die zur Behandlung von lediglich vorübergehend verletzten Körperteilen am oder im Körper eines Kranken angebracht werden. Ihnen kommt nicht oder allenfalls nur vorübergehend die Funktion eines orthopädischen Apparates zu. Sie dienen in erster Linie dazu, verletzte Körperteile stillzulegen, zu strecken oder Brüche zu richten (vgl. Schlienkamp/Rondorf, a.a.O., § 12 Abs. 2 Rz. 437/2 Ziff. 12; Husmann, a.a.O., § 12 Abs. 2 Rz. 721 Ziff. 14).
Der Einführung eines ermäßigten Steuersatzes für orthopädische Apparate und andere orthopädische Vorrichtungen liegen sozialpolitische Zielsetzungen zu Grunde. Die Begünstigung verhindert die bei der Anwendung des Regelsteuersatzes eintretende Verteuerung dieser Waren für Patienten und in der Folge der Erhöhung der Kosten für die Versicherungsträger (der Sozialversicherung); sie dient damit letztlich der Entlastung des staatlichen Gesundheitswesens (vgl. Schlienkamp/Rondorf, a.a.O., § 12 Abs. 2 Rz. 49; Husmann, a.a.O., § 12 Abs. 2 Rz. 21).
Die Gesundheitsfürsorge des Staates ist in besonderer Weise bei solchen Krankheiten gefordert, die entweder überhaupt nicht heilbar sind oder jedenfalls länger andauern und durch bestimmte Maßnahmen nur gelindert oder möglicherweise nach längerem Zeitraum auch vollständig beseitigt werden können und bei denen Hilfsmittel verschiedenster Art eingesetzt werden müssen. Gerade in diesem Bereich wird das öffentliche Gesundheitswesen stark in Anspruch genommen und finanziell belastet. Im Hinblick darauf sieht das Gesetz die Befreiung der Umsätze der Sozialversicherungsträger, Krankenhäuser und Altenheime vor (vgl. § 4 Nr. 15 und 16 UStG 1993). Aus dem gleichen Grund ergänzt die umsatzsteuerliche Begünstigung von orthopädischen Vorrichtungen die Steuerbefreiungen für Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt (vgl. § 4 Nr. 14 UStG 1993), die in der Ausübung der Heilkunde bestehen und alle Maßnahmen zur Heilung und Linderung von Krankheiten umfasst, die Lieferung von Hilfsmitteln, wie etwa orthopädischer Apparate, aber nicht einschließt.
Dem genannten Verteuerungseffekt kommt aber bei der Verwendung von Vorrichtungen wie Knochennägeln oder -gittern bei Knochenbrüchen, die den Patienten in der Regel nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum beeinträchtigen, nicht die gleiche Bedeutung zu.
Die von der Beschwerdeführerin gelieferten Knochengitter und Knochenplatten unterscheiden sich von den orthopädischen Apparaten und anderen orthopädischen Vorrichtungen, die für einen längeren Zeitraum benutzt werden sollen, dadurch deutlich, dass sie regelmäßig bereits nach 4 bis 24 Monaten wieder entfernt werden und damit nur vorübergehend, nämlich bis zur Ausheilung des Knochens, die Funktion eines orthopädischen Apparates übernehmen.
Dass die von der Beschwerdeführerin gelieferten Produkte im Einzelfall auch zu anderen medizinischen Zwecken als der Behandlung von Knochenbrüchen verwendet werden können, führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Denn bei einer weiteren Differenzierung innerhalb der Unterposition 9021.19.90 KN (Vorrichtungen zum Behandeln von Knochenbrüchen) je nach ihrem konkreten Einsatzzweck hinge die umsatzsteuerliche Behandlung der Gegenstände von der individuellen medizinisch fachlichen Auffassung des jeweils behandelnden Arztes ab. Eine solche Feindifferenzierung ist im Gesetz aber nicht vorgesehen, und sie widerspräche auch der Typisierung der USt-Anlage und der KN, führte letztlich erst zu den von der Beschwerdeführerin befürchteten Abgrenzungsproblemen.
2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG rügt, ist diese Rüge mangels hinreichender Substantiierung bereits unzulässig.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2005 S. 270 Nr. 3
VAAAB-85570