Durch Untreuehandlungen des Sohnes verursachte Minderung des Betriebsvermögens des Vaters als Betriebsausgabe
Leitsatz
Betriebsausgaben müssen i. S. des § 4 Abs. 4 EStG nicht willentlich getätigt werden. Auch Wertabgaben, die den Steuerpflichtigen unfreiwillig treffen, sog. "Zwangsaufwendungen", können Betriebsausgaben sein. Hierzu rechnen auch durch Straftaten verursachte Geld- bzw. Vermögensverluste (Diebstahl, Unterschlagung, Untreue), wenn objektiv einwandfrei feststeht, dass das auslösende Moment für die in Frage stehende Minderung des Betriebsvermögens im betrieblichen und nicht im privaten Bereich liegt. Im Streitfall lag die Ursache für die zum Vermögensverlust führenden Untreuehandlungen des Sohns durch eine im Vermögensübergabevertrag getroffene Zessionsabrede in der privaten Sphäre des Vaters.
Gesetze: EStG § 4 Abs. 4
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres im Juni 1994 verstorbenen Vaters (V). Im Frühjahr des Streitjahres 1991 entschloss sich der im Jahr 1906 geborene V, seinen als Einzelunternehmen geführten Gewerbebetrieb unentgeltlich an seinen Sohn (S) zu übergeben. Nach dem Übergabevertrag vom sollte die Übergabe des Betriebes zum stattfinden. Der Vertrag enthält u.a. folgende Regelung:
„Der Veräußerer (V) nimmt am Gewinn und am Verlust der schwebenden Geschäfte ab dem Bilanzstichtag () nicht mehr teil. Sämtliche Forderungen, die dem Veräußerer noch aus dem Betrieb zustehen, werden mit Wirkung zum Bilanzstichtag an den Erwerber (S) abgetreten, der diese Abtretung annimmt.”
S war bereits seit 1980 als Geschäftsführer im Betrieb seines Vaters tätig. Er entschloss sich im Frühjahr 1991, die entstandenen betrieblichen Kundenforderungen nur noch in der EDV zu erfassen, aber keine Rechnungen mehr zu versenden. Deswegen wurden im Zeitraum zwischen Februar 1991 bis zur Betriebsübergabe an S am an sich fällige Beträge in Höhe von 351 987 DM (netto ohne Umsatzsteuer) nicht bezahlt. Nach dem Übergang des Betriebes und der Forderungen auf S versandte dieser unverzüglich die Rechnungen und vereinnahmte die Rechnungsbeträge. Eine Folge dieses Vorgehens war, dass vor der Betriebsübergabe keine liquiden Mittel im Betrieb vorhanden waren.
Nachdem V und die Klägerin, die als Steuerberaterin für ihren Vater tätig war, von dem Verhalten des S Kenntnis erlangt hatten, kam es zwischen V und S zu Zivilrechtsstreitigkeiten, die im Jahr 1995 durch einen gerichtlichen Vergleich beendet wurden. Hierin verpflichtete sich S gegenüber der Klägerin als Alleinerbin des V zur Zahlung von 315 000 DM. Schon zuvor hatte S dem V den Schaden aus nicht ordnungsgemäß abgewickelten Kundenscheckzahlungen in Höhe von 7 800 DM ausgeglichen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erhöhte den nach § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermittelnden Gewinn aus Gewerbebetrieb des V für das Rumpfwirtschaftsjahr 1991 um die infolge des zögerlichen Verhaltens des S erst nach dem in Rechnung gestellten Kundenforderungen, soweit die ihnen zugrunde liegenden Leistungen bereits vor Betriebsübergabe () erbracht worden waren. Die von der Klägerin begehrte Wertberichtigung ließ das FA nicht zu.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 323 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der von S veruntreute Betrag sei eine sog. Zwangsaufwendung und deshalb nicht als Betriebseinnahme anzusetzen. Die Ursache des dem Vater der Klägerin entstandenen Schadens liege nicht im Verwandtschaftsverhältnis; S habe vielmehr seine Vertrauensstellung, die er als langjähriger Geschäftsführer erworben habe, missbraucht. Jeder fremde Geschäftsführer, der den Betrieb käuflich erworben hätte, hätte in gleicher Weise vorgehen können. V habe S zu keinem Zeitpunkt Bankvollmacht erteilt, insofern die Leistungserbringung und -abrechnung einerseits bzw. den Finanzbereich andererseits strikt getrennt und so strengere Kontrollmechanismen eingeführt als bei fremden leitenden Angestellten üblich sei. Außerdem werde aus der Art der Verfolgung der rechtswidrigen Tat nach ihrer Aufdeckung ersichtlich, dass das Verwandtschaftsverhältnis keinerlei Rolle für die Geschäftsbeziehung gespielt habe. Der gezahlte Schadensersatz sei erst im Vergleichsjahr 1995 als nachträgliche Betriebseinnahme zu erfassen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und in Abänderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Einkommensteuer 1991 auf 6 532,27 € festzusetzen, hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der infolge des Verhaltens des S bei V eingetretene Vermögensverlust privat veranlasst war.
1. Zutreffend hat das FG entschieden, dass die Kundenforderungen aus den von V nicht abgerechneten Leistungen im Einzelunternehmen des V zu aktivieren waren.
a) Die von S erst nach der Betriebsübergabe am abgerechneten Leistungen hat das Einzelunternehmen des V erbracht. Dieses war Verpflichteter und Erbringer der Leistungen und hat damit als Marktteilnehmer die entsprechenden Einkünfte erzielt.
b) Der Zeitpunkt der Aktivierung von Forderungen bestimmt sich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung. Nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) dürfen Vermögensmehrungen nur erfasst werden, wenn sie realisiert sind. Bei Lieferungen und anderen Leistungen wird der Gewinn realisiert, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen „wirtschaftlich erbracht” hat und ihm die Forderung auf die Gegenleistung (die Zahlung) —von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen— so gut wie sicher ist (vgl. , BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786). Ohne Bedeutung ist hingegen, ob am Bilanzstichtag die Rechnung bereits erteilt ist, oder ob die Forderung erst nach dem Bilanzstichtag fällig wird (BFH-Urteil in BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786). Die Vorentscheidung lässt in dieser Hinsicht keinen Rechtsfehler erkennen.
2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG auch erkannt, dass die Gewinnerhöhungen nicht durch aufwandswirksame Vorgänge, insbesondere Betriebsausgaben in gleicher Höhe ausgeglichen worden sind. Insbesondere kam eine (betrieblich veranlasste) Teilwertabschreibung der Forderungen nicht in Betracht.
a) Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG).
Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift müssen nicht willentlich getätigt werden. Auch Wertabgaben, die den Steuerpflichtigen unfreiwillig treffen, sog. „Zwangsaufwendungen”, können Betriebsausgaben sein (vgl. z.B. Senatsurteil vom X R 69/88, BFH/NV 1990, 553). Hierzu rechnen auch durch Straftaten verursachte Geld- bzw. Vermögensverluste (Diebstahl, Unterschlagung, Untreue), wenn objektiv einwandfrei feststeht, dass das auslösende Moment für die in Frage stehende Minderung des Betriebsvermögens im betrieblichen und nicht im privaten Bereich liegt (, BFH/NV 1992, 449; vgl. auch Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl. 2005, § 4 Rz. 520 Stichwort „Verlust”).
Da in einem solchen Fall mehrere Ursachen für die Entstehung des Aufwands bzw. Vermögensverlusts in Betracht kommen können und eine willentliche Beziehung des Steuerpflichtigen zur Wertabgabe typischerweise fehlt, bedarf deren objektiver, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Betrieb zur Abgrenzung von den nicht abziehbaren Kosten der privaten Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG) besonders sorgfältiger Prüfung (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1990, 553, m.w.N.; vom VIII R 26/92, BFH/NV 1994, 366).
Das gilt vor allem, wenn eine unerlaubte Handlung, die zu einem Verlust an Betriebsvermögen führt, aus einer Situation heraus begangen wurde, in der private und berufliche/betriebliche Momente eng miteinander verwoben sind oder einander überlagern. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn —wie hier— ein Sohn zum Nachteil seines Vaters und Arbeitgebers bereits (bilanziell) entstandene Forderungen erst zu einem Zeitpunkt in Rechnung stellt, in dem er nach dem vertraglich vereinbarten Forderungsübergang zivilrechtlich Berechtigter oder wirtschaftlicher Inhaber war. Die hiermit verbundenen Vermögensverluste des geschädigten Vaters sind nur dann gewinnwirksam, wenn einwandfrei feststeht, dass das auslösende Moment für die in Frage stehende Wertabgabe ausschließlich im betrieblich/beruflichen Bereich liegt (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1990, 553).
b) Im Streitfall lag das bei wertender Betrachtung auslösende Moment für die in Frage stehende Wertabgabe (vgl. hierzu Beschluss des Großen Senats des , BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, unter C.II.2.b bb) in der privaten Sphäre des V. Die Untreuehandlung des S konnte —worauf das FA zu Recht hinweist— nur wegen der im Vermögensübergabevertrag getroffenen Vereinbarung, wonach V sämtliche Forderungen, die ihm am Bilanzstichtag zustanden, an S abgetreten hatte, zu einem Vermögensverlust bei V führen. Diese Ursache wurde von V freiwillig gesetzt und beruht allein auf privaten Erwägungen. Sie kann deswegen nicht der Sphäre der Einkünfteerzielung zugeordnet werden (vgl. z.B. Senatsurteil vom X R 66/98, BFHE 205, 285, BStBl II 2004, 830).
Ein fremder Geschäftsführer hätte V allenfalls dann denselben Schaden zufügen können, wenn V ihm seinen Betrieb unentgeltlich übertragen und —entsprechend der Absprache mit S— den Forderungsübergang am Bilanzstichtag vereinbart hätte. In einem solchen Fall würde das die Wertabgabe auslösende Moment ebenfalls in der im Versorgungsvertrag getroffenen Zessionsabrede und damit in der privaten Sphäre liegen und eine Teilwertberichtigung der Forderungen am Bilanzstichtag wäre ausgeschlossen.
c) Ob V —wie die Klägerin im Revisionsverfahren vorgetragen hat— S zu keinem Zeitpunkt Bankvollmacht erteilt und die Bereiche Leistungserbringung und -abrechnung einerseits und den Finanzbereich andererseits strikt getrennt hat oder V eine mangelnde Überwachung des S —als ein weiteres der privaten Sphäre zuzuordnendes auslösendes Moment— anzulasten ist, kann dahingestellt bleiben, weil ohne die Abtretungsvereinbarung im Übergabevertrag, die wie dargelegt als auslösendes Moment für den Vermögensverlust des V nicht der einkommensteuerlich relevanten Erwerbssphäre zugerechnet werden kann, der Vermögensschaden bei V nicht hätte eintreten können.
d) Auch das spätere Verhalten des V und der Klägerin als dessen Gesamtrechtsnachfolgerin, namentlich die (gerichtliche) Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen S, vermag entgegen der Auffassung der Revision nichts daran zu ändern, dass die Forderungseinbußen bei V ihre wesentliche und daher auch steuerrechtlich maßgebliche Ursache in der privat motivierten Zessionsabrede im Übergabevertrag fanden.
3. Die zutreffende Würdigung des FG, das auslösende Moment für die in Frage stehende Wertabgabe liege im privaten Bereich, nämlich im zwischen V und S geschlossenen Vermögensübergabevertrag beruht schließlich auch nicht auf Verfahrensfehlern. Weitere tatsächliche Feststellungen waren nicht zu treffen, zumal Zweifel in dieser Hinsicht zu Lasten der Klägerin gehen, da die Gestaltung einer solchen Ausgangslage maßgeblich in ihren bzw. den Verantwortungsbereich ihres Rechtsvorgängers fällt (vgl. , BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373; in BFH/NV 1990, 553).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 534 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 6
SAAAB-76191