Zolltarifliche Einreihung sog. Polyester-Regeneratfasern
Gesetze: ZK Art. 112 Abs. 3,KN Pos. 5503, KN Pos. 5505
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) überführte von Mai bis September 2001 mit neun Zolllagerzugangsbelegen als „Polyesterregenerate, Abfälle aus synthetischen Chemiefasern” der Codenummer 5505 10 30 der Kombinierten Nomenklatur (KN) bezeichnete Waren in ihr Zolllager Typ D. Die jeweils entnommenen Proben wurden sowohl von der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) X als auch in einem Fall zusätzlich von der ZPLA Y überprüft, die mit ihren Einreihungsgutachten übereinstimmend feststellten, dass es sich bei den Proben jeweils um gräulich-weiße, gestauchte Spinnfasern aus Polyester von in etwa gleicher Faserlänge ohne Verschmutzungen oder Farbunterschiede handele, die als „Polyester-Spinnfasern, weder gekrempelt noch gekämmt noch anders für die Spinnerei bearbeitet” in die Codenummer 5503 20 00 KN einzureihen seien; da die Fasern einheitliche Längen, jedoch keine Verschmutzungen und Farbabweichungen aufwiesen, handele es sich nicht um Abfall der Pos. 5505 KN. Daraufhin änderte das Hauptzollamt Z, dessen Zuständigkeit auf den Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt —HZA—) übergegangen ist, mit zwei Änderungsbescheiden vom und mit Änderungsbescheid vom die anerkannten oder zugelassenen Bemessungsgrundlagen, indem es die Warenbeschaffenheit gemäß den Einreihungsgutachten der ZPLA feststellte. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ab und urteilte, dass die objektiven Merkmale und Eigenschaften der zu tarifierenden Ware in den Gutachten der ZPLA X und Y übereinstimmend festgestellt worden seien; die Richtigkeit dieser Feststellungen zur Warenbeschaffenheit habe die Klägerin nicht substantiiert bestritten. Diese objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware sprächen für ihre Einreihung in die Pos. 5503 KN, da Waren dieser Art sich von Abfällen der Pos. 5505 KN insbesondere dadurch unterschieden, dass jedes Packstück aus einem Gewirr von —wie im Streitfall— im Allgemeinen auf gleiche Länge geschnittenen Fasern bestehe, während Abfälle gewöhnlich aus Fasern ungleicher Länge bestünden. Zudem spreche der Umstand, dass die Ware nach dem Untersuchungsergebnis weder Verschmutzungen noch Farbunterschiede gezeigt, sondern sich als ein einheitliches Produkt erwiesen habe, gegen ihre Einreihung als Abfall. Auch nach der Art der Herstellung der zu tarifierenden Ware, wie sie von der Klägerin geschildert worden sei, handele es sich nicht um Fasern, die als Abfall beim Herstellen und Bearbeiten entstünden, sondern um ein aus Abfällen hergestelltes neues Produkt, denn die Ware werde —wie bei Spinnfasern üblich— durch eine Spinndüse gepresst und anschließend geschnitten. Dass die Regeneratfasern nicht zum Verspinnen verwendet werden könnten, spreche nicht gegen ihre Zuweisung zur Pos. 5503 KN, welche entgegen der Ansicht der Klägerin eine solche Eigenschaft nicht voraussetze. Auf das vorgelegte Gutachten eines ausländischen Textil- und Forschungsinstituts vom könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, da sich dieses zum einen mit einem Qualitätsvergleich zwischen I A Polyester-Stapelfasern und Polyester-Regeneratabfällen und zum anderen offenbar mit anderen Regeneratfasern befasst habe, die andere Eigenschaften als die streitgegenständlichen aufgewiesen hätten. Ebenso wenig könne die Klägerin ihre Einreihungsauffassung auf die von ihr vorgelegten verbindlichen Zolltarifauskünfte (vZTA) stützen, da es sich nicht feststellen lasse, ob sich diese auf Waren der gleichen Qualität und Beschaffenheit wie der im Streitfall zu tarifierenden Ware bezögen.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie habe im Verfahren vor dem FG vorgetragen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Ware um ein reines Abfallverwertungsprodukt handele, welches ausschließlich durch die Verarbeitung von Polyesterabfällen hergestellt werde und das aufgrund seiner stets unterschiedlichen Beschaffenheit nicht in der Textilindustrie zum Verspinnen eingesetzt werden könne. Die Faser sei ein Surrogat für den in Pos. 5505 KN genannten, heute aber nicht mehr üblichen Reißspinnstoff. Dass die Faser durch eine Spinndüse gepresst werde, sei nicht entscheidend; dass sie keine Merkmale von Abfall wie Verschmutzungen oder Farbunterschiede aufweise, sei bestritten worden. Auch sei die Länge der Fasern grundsätzlich unterschiedlich; allerdings könnte die gezogene Probe weniger große Differenzen in der Faserlänge gehabt haben. Die Rechtsauffassung des FG, die Kriterien der Länge der Faser und ihrer Farbe als maßgeblich anzusehen, finde außerdem keine Stütze im Wortlaut der Pos. 5505 KN. Die Regeneratfasern seien ein Verarbeitungsprodukt aus Abfällen i.S. der Pos. 5505 KN, weil sie aus Polyesterfädenabfällen, Polyesterabfällen und gebrauchten Polyesterflaschen hergestellt würden. Es gebe vZTA aus anderen Mitgliedstaaten, welche die gleichen Regeneratfasern dieser Position zuwiesen. Nach Ansicht des Customs Code Committee seien für die Zuweisung einer Faser zur Pos. 5505 KN verschiedene Kriterien ausschlaggebend. All diese Kriterien würden von der streitgegenständlichen Ware erfüllt.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Bescheide des HZA vom 27. August und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es schließt sich der Rechtsauffassung des FG an und trägt vor, dass die von der ZPLA X und der ZPLA Y bei den Proben festgestellten einheitlichen Faserlängen und das äußere Erscheinungsbild der Ware als einheitliches Produkt ohne Verschmutzungen und Farbunterschiede für die Zuweisung zur Pos. 5503 KN sprächen. Der Auffassung der Klägerin, dass die Regeneratfasern als Abfallfasern anzusehen seien, weil es sich um ein Abfallverwertungsprodukt handele, könne nicht gefolgt werden.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist die streitige Ware der Unterpos. 5503 20 00 KN (in der hier maßgeblichen Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2263/2000 der Kommission vom , Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 264/1) zuzuweisen. Die im Zeitpunkt der Überführung der Waren in das Zolllagerverfahren anerkannten oder zugelassenen Bemessungsgrundlagen waren somit gemäß Art. 112 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex —ZK—) des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) i.V.m. Art. 78 Abs. 3 ZK zu ändern.
Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. Allgemeine Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der KN). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System (HS) Erläuterungen und Einreihungsavise (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-276/00, EuGHE 2002, I-1389 Rz. 21 f.; vom Rs. C-379/02, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2004, 409; Senatsurteil vom VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849, jeweils m.w.N.). Auf den sich aus den objektiven Merkmalen und Eigenschaften ergebenden Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. Senatsurteil vom VII R 42/98, BFHE 190, 501, m.w.N.).
Die objektiven Merkmale und Eigenschaften, wie sie hinsichtlich der im Streitfall zu tarifierenden Ware vom FG festgestellt worden sind, entsprechen dem Wortlaut der Unterpos. 5503 20 00 KN. Es handelt sich —was auch die Klägerin nicht bestreitet— um Spinnfasern aus Polyester, weder gekrempelt noch gekämmt noch anders für die Spinnerei bearbeitet. Dass diese Fasern —wie es die Klägerin behauptet— wegen ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit nicht zum Verspinnen eingesetzt werden können, hindert ihre Einordnung in die Pos. 5503 KN nicht; im Übrigen fehlt es auch an tatsächlichen Feststellungen zu einer derart unterschiedlichen Beschaffenheit der Fasern. Eine Zuweisung der streitigen Ware zur Unterpos. 5505 10 30 KN käme nur in Betracht, wenn es sich um Abfälle von Polyesterfasern (einschließlich Kämmlinge, Garnabfälle und Reißspinnstoff) handelte; dies ist jedoch nicht der Fall.
1. Unter „Abfall” sind nach allgemeinem Sprachverständnis unbrauchbare Überreste zu verstehen, die bei der Herstellung, Bearbeitung oder Zubereitung von etwas entstehen (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl.). Dementsprechend gehören nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) 5505 Rz. 02.0 - 04.0 zu den Abfällen von Chemiefasern der Pos. 5505 KN Fasern, die als Abfall beim Herstellen und Bearbeiten von Filamenten entstehen, Abfälle, die beim Krempeln, Kämmen oder sonstigen Vorbereiten für das Spinnen anfallen, gebrochene, verknotete oder verfilzte Garnabfälle, die beim Spinnen, Zwirnen, Spulen, Weben, Wirken, Stricken usw. anfallen, oder Reißspinnstoffe, d.h. mehr oder weniger geöffnete Fäden oder Fasern, die durch Reißen von Lumpen, Garnabfällen usw. entstanden sind. Zu den in dieser Weise beschriebenen „Abfällen” gehört die im Streitfall zu tarifierende Ware nicht. Vielmehr sind die streitigen Regeneratfasern nach den Feststellungen des FG —die insoweit im Wesentlichen auf den Angaben der Klägerin beruhen— aus Polyesterabfällen hergestellt worden, indem dieser Ausgangsstoff durch Spinndüsen gepresst und die dabei entstandenen Fäden geschnitten wurden. Die Regeneratfasern sind somit —wie das FG zutreffend erkannt hat— kein Abfall von Chemiefasern i.S. der Pos. 5505 KN, der bei der Herstellung oder Bearbeitung solcher Fasern angefallen ist, sondern ein aus Abfällen hergestelltes neues Erzeugnis, also ein Abfallverwertungsprodukt. Wie die ErlHS 5505 Rz. 05.0 zeigt, können Abfälle der Pos. 5505 KN zwar gebleicht oder gefärbt werden; eine darüber hinausgehende Bearbeitung, wie im Streitfall das Aufbereiten des aus dem Polyesterabfall gewonnenen Ausgangsstoffs und die Herstellung neuer Fasern durch das Pressen durch Spinndüsen, hindert jedoch die Einreihung dieser neuen Faser in die Pos. 5505 KN (vgl. zu einem ähnlichen Fall: Senatsurteil vom VII K 10/88, BFH/NV 1990, 467). Ein aus Abfällen im Wege des Recycling gewonnenes neues Produkt kann daher seinerseits nicht mehr als Abfall angesehen werden.
2. Merkmale wie ungleiche Faserlängen (vgl. ErlHS 5503 Rz. 02.0), unterschiedliche Fasertypen, Faserdicken oder Färbungen (vgl. das von der Klägerin vorgelegte Committee Statement vom ...) oder Verschmutzungen der Fasern sind lediglich Indizien, die auf das Vorhandensein von Abfall i.S. der Pos. 5505 KN hinweisen und die im Einzelfall zur tariflichen Einordnung herangezogen werden können, wenn —anders als im Streitfall— nicht bekannt ist, auf welche Weise die Fasern gewonnen worden sind. Auch soweit Merkmale dieser Art im Streitfall vom FG festgestellt worden sind, weisen sie aber auf eine Ware der Pos. 5503 KN und nicht auf Faserabfall der Pos. 5505 KN hin, da die gezogenen und untersuchten Proben nach den Feststellungen der ZPLA X und Y, die sich das FG zu Eigen gemacht hat, weder ungleiche Faserlängen noch Verschmutzungen oder Farbabweichungen aufwiesen.
3. Die vom FG für die streitige Ware vertretene Einreihungsauffassung wird auch nicht durch anderslautende vZTA aus Deutschland oder anderen Mitgliedstaaten in Zweifel gezogen. Es findet sich in der vZTA-Datenbank der Europäischen Kommission keine vZTA, welche eine aus Polyesterabfällen gewonnene Faser der vorliegenden Art der Pos. 5505 KN zuweist. Die Behauptung der Klägerin, dass diese vZTA sich zum Teil auf Waren bezögen, welche denjenigen des Streitfalls entsprächen, findet im Wortlaut der Warenbeschreibung dieser vZTA keine Stütze. Der Senat hält daher die vorliegende Einreihungsauffassung für zweifelsfrei und sieht keinen Grund, zu der Tarifierungsfrage des Streitfalls eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. dazu: 283/81, EuGHE 1982, 3415 Rz. 16).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 637 Nr. 3
KAAAB-73904