Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 1 K 1160/02 (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) bezogen im Streitjahr 1999 ein Eigenheim im Zuständigkeitsbezirk des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—), nachdem sie zuvor bei einem anderen FA (FA L) steuerlich geführt und veranlagt worden waren. Im Januar 2000 beantragten sie beim FA, ihnen ab 1999 eine Eigenheimzulage zu gewähren. Mit dem Antrag erklärten sie, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres, für das erstmals dieser Antrag gestellt werde, zusammen mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte des vorangegangenen Jahres 480 000 DM voraussichtlich nicht übersteigen werde. Auf Nachfrage teilten sie mit, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte im Jahr 1998 ausweislich der dem FA L vorliegenden Einkommensteuererklärung 284 843 DM betragen habe und der Einkommensteuerbescheid 1998 noch nicht erlassen worden sei.
Nach Übergabe der Steuerakten der Kläger durch das FA L an das FA im April 2000 bearbeitete dessen zuständige Sachbearbeiterin den Eigenheimzulageantrag für die Jahre 1999 bis 2006 am abschließend und setzte Eigenheimzulage für die Jahre 1999 bis 2006 auf jährlich 5 000 DM fest.
Aufgrund der zuvor im Februar 2000 bei dem früher zuständigen FA L eingereichten und am dem FA übermittelten Einkommensteuererklärung 1999 hob das FA den Eigenheimzulagebescheid durch Bescheid vom wegen nachträglich festgestellter Überschreitung des Grenzbetrags für die Gewährung der Eigenheimzulage (Gesamtbetrag der Einkünfte in den beiden Vorjahren von mehr als 480 000 DM) auf. Den dagegen eingelegten Einspruch der Kläger wies das FA als unbegründet ab, nachdem es zuvor die Eigenheimzulage für die Jahre 2000 bis 2006 antragsgemäß festgesetzt hatte.
Die gegen die Aufhebung des Eigenheimzulagebescheids erhobene Klage hatte Erfolg und führte zur Festsetzung der Eigenheimzulage für das Jahr 1999 in Höhe von 5 000 DM.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 11 Abs. 4 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) und des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Es beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie tragen im Wesentlichen vor, im Streitfall fehle es am erforderlichen nachträglichen bekannt werden neuer Tatsachen, weil dem FA die maßgebende Einkommensteuererklärung 1999 vor Absendung des Eigenheimzulagebescheids übermittelt worden sei.
II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Zu Unrecht hat das FG angenommen, die Voraussetzungen für eine Änderung des Eigenheimzulagebescheids nach Maßgabe des § 11 Abs. 4 EigZulG lägen nicht vor.
1. Nach § 11 Abs. 4 EigZulG in der für das Streitjahr geltenden Fassung ist der Bescheid über die Festsetzung der Eigenheimzulage aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass der Gesamtbetrag der Einkünfte in den nach § 5 EigZulG maßgebenden Jahren insgesamt die Einkunftsgrenze über- oder unterschreitet.
Unter welchen Voraussetzungen eine —hier unstreitig gegebene— Überschreitung der Einkunftsgrenze nachträglich bekannt geworden ist, regelt das Eigenheimzulagengesetz selbst nicht. Infolgedessen sind die Voraussetzungen dieses Merkmals nach Maßgabe von Rechtsprechung und Schrifttum zu der insoweit gleichlautenden Regelung in § 173 AO 1977 zu bestimmen (vgl. Blümich/Erhard, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 11 EigZulG Rz. 45).
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 173 AO 1977 werden Tatsachen nachträglich bekannt, wenn das FA sie bei Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte; dafür kommt es auf den Abschluss der Willensbildung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten an, in der Regel also auf die abschließende Zeichnung des Eingabewertbogens (, BFH/NV 2001, 1527; vom IV R 79/99, BFHE 196, 195, BStBl II 2002, 2; vom VIII R 3/01, BFH/NV 2002, 473; vom VI R 93/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2005, 90). Nur wenn der zuständige Bearbeiter des FA aufgrund eines Prüfhinweises oder aus sonstigem Anlass tatsächlich den gesamten Steuerbescheid (in materieller Hinsicht) überprüft oder zu überprüfen hat, tritt in vollem Umfang an die Stelle dieses Zeitpunkts der Zeitpunkt der erneuten tatsächlichen oder der gebotenen Überprüfung (vgl. , BFHE 155, 259, BStBl II 1989, 259, unter II. 2. und 2. b der Gründe; ebenso Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 173 Rz. 53; Frotscher, in Schwarz, Abgabenordnung, § 173 Rz. 39a; von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO Rz. 48; Hellwig, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1989, 117, 118; a.A. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz. 209; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 FGO Rz. 45: Abgangsdatum des Bescheids maßgeblich).
b) Gegen diese Rechtsprechung, die im Streitfall wegen der erst nach Zeichnung des Eingabewertbogens () eingegangenen Einkommensteuererklärung 1999 (am ) zu einer Änderbarkeit des Eigenheimzulagebescheids führt, wendet sich das FG mit der Begründung, damit werde —sachwidrig— auf einen rein behördeninternen und vom Steuerpflichtigen nicht nachvollziehbaren Vorgang abgestellt. Dies werde den Grundsätzen von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nicht gerecht; diese erforderten vielmehr, für die Frage der „Neuheit” einer Tatsache oder eines Beweismittels auf den Tag der Aufgabe zur Post abzustellen (ebenso von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 209; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 FGO Rz. 45).
c) Indes gibt die angefochtene Entscheidung keine Veranlassung, die ständige Rechtsprechung aufzugeben: Zum einen betrifft die Feststellung, ob ein Umstand bis zum Zeitpunkt der Absendung eines Bescheids dem zuständigen Bediensteten eines FA vorgelegen hat oder hätte vorliegen müssen, ebenso wie die Zeichnung des Eingabewertbogens einen rein behördeninternen und damit keinen für den Steuerpflichtigen besser nachvollziehbaren Vorgang.
Zum anderen berücksichtigt die bisherige Rechtsprechung die unterschiedlichen Interessen von Steuerpflichtigen und FA in angemessener Weise. Bei Maßgeblichkeit der Zeichnung des Eingabewertbogens kann der Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt eine umfassende Prüfung seines Steuerfalls erwarten und bei Nichtberücksichtigung der dann vorliegenden Umstände sicher sein, dass diese —bei fehlender Berücksichtigung— zu einem späteren Zeitpunkt nicht erneut zum Anlass eines (Änderungs-)Bescheids genommen werden. Auch das FA erfährt dadurch ersichtlich keine unzumutbare verfahrensmäßige Beeinträchtigung in der Durchführung seiner Verfahren.
Würde dagegen auf den Zeitpunkt der Absendung der Bescheide abgestellt, müsste die Finanzverwaltung angesichts ihrer Pflicht zur Durchsetzung des staatlichen Steueranspruchs (auch im Interesse der Allgemeinheit der Besteuerung) bürokratische Vorkehrungen treffen, damit auch nach Zeichnung des Eingabewertbogens eingehende Schriftsätze oder sonstige bekannt werdende Umstände jederzeit —bis zum Zeitpunkt der Absendung durch die Rechenzentren der Finanzverwaltung— erfasst werden könnten. Einem solchen bürokratischen und damit auch finanziellen Mehraufwand für das Besteuerungsverfahren als Massenverwaltungsverfahren stünden ersichtlich keine Vorteile oder berechtigten Interessen der Steuerpflichtigen gegenüber.
Eine solche Praxis liefe auch dem Zweck des § 11 Abs. 4 EigZulG zuwider, eine angemessene Risikoverteilung zwischen dem berechtigten Interesse der Steuerpflichtigen an einer beschleunigten Bewilligung der Eigenheimzulage —noch vor einer abschließenden Beurteilung der für den Begünstigungszeitraum maßgeblichen Einkommensverhältnisse— einerseits und der Pflicht des FA zur Wahrung der Einkommensgrenzen für die Steuerbegünstigung andererseits in der Weise vorzunehmen, dass die Behörde zunächst von Ermittlungen freigestellt bleibt, die Ergebnisse dieser Ermittlungen aber später durch eine Korrektur der Bescheide nach § 11 Abs. 4 EigZulG berücksichtigen können soll (vgl. , BFH/NV 2005, 416; , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2004, 1501, m.w.N. und mit Anmerkung Siegers, EFG 2004, 1502; , BStBl I 1998, 190, Tz. 97; Wacker, Eigenheimzulagengesetz, 3. Aufl. 2001, § 11 Rz. 81; Blümich/Erhard, a.a.O., § 11 EigZulG Rz. 41 und 45; Hausen/Kohlrust-Schulz, Eigenheimzulage, 2. Aufl., Rz. 591 und 592; Giloy, Finanz-Rundschau —FR— 1999, 125, 127).
2. Auf der Grundlage der danach unverändert aufrecht zu erhaltenden Rechtsprechung hat das FA zutreffend den angefochtenen Änderungsbescheid erlassen, weil die Einkommensüberschreitung erst am und damit erst nach der Zeichnung des Eingabewertbogens i.S. des § 11 Abs. 4 EigZulG, mithin „nachträglich” bekannt geworden ist.
Auf die Kenntnis des bei Eingang der Einkommensteuererklärung bereits unzuständig gewordenen FA L kann es ersichtlich nicht ankommen;denn für die Frage, ob eine Tatsache bekannt ist, kommt es nach ständiger Rechtsprechung allein auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle der Finanzbehörde —hier dem für die Eigenheimzulage der Kläger zuständigen Veranlagungsbezirk des FA— an (, BFHE 185, 568, BStBl II 1998, 552; in HFR 2005, 90, m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 256 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 45
NWB-Eilnachricht Nr. 8/2006 S. 555
MAAAB-73108