Bodenrichtwerte des Gutachterausschusses für erschließungsbeitragspflichtiges Bauland
Leitsatz
1. Hat der Gutachterausschuss Bodenrichtwerte für erschließungsbeitragspflichtiges Bauland festgelegt, ist dieser Richtwert für solche Grundstücke maßgebend und unverändert zu übernehmen, für die (noch) eine Erschließungsbeitragspflicht besteht. Auf den tatsächlichen Erschließungszustand des Grundstücks kommt es entgegen R 161 Abs. 6 Sätze 4 und 5 ErbStR 2003 nicht an.
2. Aus einer Richtwertkarte, die für Grundstücke in einer Richtwertzone eine Preisspanne nennt, kann bei der Ermittlung des Grundbesitzwerts für unbebaute Grundstücke in diesem Gebiet nach § 145 Abs. 3 BewG nur der unterste Wert der angegebenen Wertspanne übernommen werden.
Gesetze: BewG § 145 Abs. 3BauGB § 195BauGB § 196 Abs. 1 Satz 1 und 4
Instanzenzug: (EFG 2004, 477) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb am schenkweise von seinem Bruder drei Baugrundstücke in einer Gesamtgröße von 2 550 qm. Die seinerzeit unbebauten Grundstücke liegen in der Gemeinde A, Ortsteil B. Zum Stichtag () waren in dem Baugebiet die Abwasser- und Wasserversorgungsanlagen endgültig und die Straßen (Baustraße) vorläufig hergestellt. Der Kläger hat hinsichtlich der Erschließungsbeiträge am mit der Gemeinde eine Ablösevereinbarung getroffen und sich zur Zahlung von 82 824 DM verpflichtet.
Der Gutachterausschuss des Landkreises C hat auf den Stichtag für Wohnbauflächen im Ortsteil B einen Richtwert „von 15 bis 30 DM” festgelegt. In diesen Werten sind Erschließungsbeiträge für Kanal, Wasser und Straße nicht enthalten. Die Erschließungsbeiträge „bei Neuausbau” gab der Gutachterausschuss „unverbindlich” mit 2 DM/qm für Wasser, 4 DM/qm für Kanal und 5,50 bis 8 DM/qm für die Straße an. Für den Stichtag wurden für B für mäßige Wohnlagen 10 DM/qm, für mittlere 18 DM/qm und für gute Wohnlagen 25 DM/qm angesetzt. Der Gutachterausschuss hat während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzend mitgeteilt, dass sich die festgestellten Bodenrichtwerte auf den Zustand „erschließungsbeitragspflichtig” bezögen.
Mit Bescheid vom stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) den Grundbesitzwert für alle drei Grundstücke auf 136 000 DM fest. Hierbei legte es einen Quadratmeterpreis von 67 DM zugrunde. Mit der Einspruchsentscheidung ermäßigte das FA den Grundbesitzwert auf 89 000 DM. Es ging hierbei von einem Bodenrichtwert von 44 DM/qm, nämlich 30 DM/qm für das unerschlossene Grundstück zuzüglich 14 DM/qm Erschließungskosten (2 DM/qm für Wasser, 4 DM/qm für Kanal und 8 DM/qm für die Straße) aus.
Die Klage, mit der der Kläger die Herabsetzung des Grundbesitzwerts auf 36 000 DM begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 477 veröffentlichten Urteil den Standpunkt, dass die durch die Erschließungsmaßnahmen eingetretene Wertsteigerung der in dem Erschließungsgebiet liegenden Grundstücke durch die noch offenen Beitragspflichten neutralisiert würden. Die Werte der Bodenrichtwertkarte enthielten keine Erschließungsbeitragsanteile und seien ohne Wertaufschlag für die bereits tatsächlich bestehenden Erschließungsanlagen bei der Festsetzung des Bodenrichtwerts zu übernehmen. Der Wert des unerschlossenen Baulands sei mit 18 DM/qm anzusetzen. Dies sei der vom Gutachterausschuss zum für mittlere Lagen angegebene Wert. Die Wertverhältnisse hätten sich zwischen 1994 und 1998 nicht wesentlich verändert. So habe der Bruder des Klägers 1994 unerschlossenes Bauland an die Gemeinde für 18 DM/qm veräußert. Das FA habe im Übrigen nicht begründet, weshalb bei den Grundstücken des Klägers von dem Höchstbetrag von 30 DM/qm auszugehen sei.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von § 145 Abs. 3 und § 9 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das FG sei rechtsfehlerhaft von einem unerschlossenen Grundstück ausgegangen. Die bereits weitgehend abgeschlossene Erschließung habe den Wert der Grundstücke zum Bewertungsstichtag erhöht. Die Beitragspflicht des Klägers betreffe die „persönlichen Verhältnisse” und könnten nach § 9 Abs. 2 BewG nicht berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das FG hat es zwar zutreffend abgelehnt, den tatsächlichen Erschließungszustand der Grundstücke am Bewertungsstichtag durch einen Zuschlag auf den Bodenrichtwert für beitragspflichtiges Bauland zu berücksichtigen; es hat jedoch unter Verletzung von § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG seiner Entscheidung nicht einen vom Gutachterausschuss ermittelten, sondern einen von ihm selbst abgeleiteten Bodenrichtwert zugrunde gelegt.
a) Nach § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG bestimmt sich der Wert unbebauter Grundstücke nach ihrer Fläche und den um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerten i.S. von § 196 des Baugesetzbuches (BauGB). Es handelt sich um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche typisierende Bewertungsmethode, die der Vereinfachung der Bedarfsbewertung dient. Die Bodenrichtwerte sind für die am Steuerrechtsverhältnis Beteiligten verbindlich und einer gerichtlichen Überprüfung regelmäßig nicht zugänglich (, zur Veröffentlichung bestimmt). Sie sind deswegen von den Finanzbehörden und -gerichten ungeprüft und ohne eigenen Bewertungsspielraum der Ermittlung des Bedarfswerts zugrunde zu legen. Soweit die Erbschaftsteuer-Richtlinien (ErbStR) 2003 in R 161 „Ableitungen” des Bodenrichtwerts für die Fälle zulassen, in denen die Richtwertkarte lagetypische Merkmale des Bodenrichtwertsgrundstücks bezeichnet oder entsprechend dem beitrags- und abgabenrechtlichen Zustand (erschließungsbeitragspflichtig und erschließungsbeitragsfrei) unterschiedliche Bodenrichtwerte nennt, entspricht dies insoweit der Intention des Gesetzes, als das FA in diesen Fällen nicht selbst einen „eigenen” Bodenrichtwert ermittelt, sondern lediglich eine vom Gutachterausschuss vorgegebene Differenzierung beachtet.
Hat —wie im Streitfall— der Gutachterausschuss für die maßgebliche Bodenrichtwertzone Bodenrichtwerte für erschließungsbeitragspflichtiges Bauland festgelegt, ist dieser Richtwert für solche Grundstücke maßgebend und unverändert zu übernehmen, für die (noch) eine Erschließungsbeitragspflicht besteht. Auf den tatsächlichen Erschließungszustand des Grundstücks kommt es entgegen der Auffassung des FA, welches sich insoweit auf R 161 Abs. 6 Sätze 4 und 5 ErbStR 2003 bezieht, in diesen Fällen nicht an. Denn durch die Erschließung als solche wird der aus tatsächlich erzielten Kaufpreisen (Kaufpreissammlung, § 195 BauGB) abzuleitende und für die Ermittlung des Grundbesitzwerts maßgebliche (Bodenricht-)Wert eines im Erschließungsgebiet gelegenen Grundstücks nicht erhöht, wie in R 161 Abs. 6 Satz 1 ErbStR 2003 ausgeführt wird; vielmehr wirkt sich die Erschließung erst dann auf den Bodenrichtwert aus, wenn diesbezüglich keine Beitragspflichten mehr bestehen.
Soweit die Finanzverwaltung in R 161 Abs. 6 ErbStR 2003 auf den tatsächlichen Erschließungszustand abstellt, widerspricht dies den maßgeblichen Vorschriften über die Ermittlung der Bodenrichtwerte. Die Anknüpfung der Bodenrichtwerte an tatsächlich erzielte Kaufpreise verbietet die Berücksichtigung solcher tatsächlicher Umstände, die sich noch nicht kaufpreiserhöhend ausgewirkt haben. Dem trägt § 196 Abs. 1 Satz 1 BauGB für die Erschließungskosten Rechnung. Danach sind Bodenrichtwerte u.a. für „erschließungsbeitragspflichtiges und erschließungsbeitragsfreies Bauland” zu ermitteln. Keine Rolle spielt es, ob ein Grundstück am maßgeblichen Stichtag bereits tatsächlich erschlossen ist, weil eine Beitragspflicht auch dann noch bestehen kann, wenn die Erschließungsmaßnahmen bereits abgeschlossen wurden. Entscheidend ist allein der „beitrags- und abgabenrechtliche Zustand” des Grundstücks, für den die Pflicht zur Entrichtung von öffentlich-rechtlichen Beiträgen und nichtsteuerlichen Abgaben maßgebend ist (vgl. § 199 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 3 der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken vom , BGBl I 1988, 2209).
Dies verbietet es, für bereits erschlossenes, aber noch beitragspflichtiges Bauland den in der Richtwertkarte ausgewiesenen Bodenrichtwert für beitragsfreies Bauland zu übernehmen oder den für beitragspflichtiges Bauland mit einem Zuschlag für die Erschließung zu versehen.
b) Das FG hat jedoch zu Unrecht einen „eigenen” Bodenrichtwert durch Wertableitung aus einem Verkaufsfall aus dem Jahre 1994 und der Richtwertkarte auf den abgeleitet. Der vom FG auf Grund eigener Schätzung ermittelte Wert von 18 DM/qm ist nicht der nach § 145 Abs. 3 Satz 2 BewG zugrunde zu legende, „vom Gutachterausschuss nach dem BauGB ermittelte Bodenrichtwert auf den ”. Den maßgeblichen Bodenrichtwert durfte das FG ausschließlich der Bodenrichtwertkarte auf den entnehmen.
Soweit im Streitfall die Richtwertkarte des Gutachterausschusses für B auf den eine Preisspanne zwischen 15 und 30 DM/qm vorgibt, ist die Richtwertkarte für Zwecke der steuerlichen Bewertung des Grundbesitzes ungeeignet und entspricht nicht dem § 145 Abs. 3 BewG. Dies rechtfertigt aber keine eigene Schätzung des Bodenrichtwerts durch das FG, selbst wenn die Schätzung sich innerhalb des vorgegebenen Preisrahmens hält. Denn ein solcher Schätzwert ist nicht der „von den Gutachterausschüssen nach dem BauGB” zu ermittelnde Bodenrichtwert. Eine eigene Wertermittlung unterbleibt in diesen Fällen nur bei Ansatz des untersten Werts der angegebenen Preisspanne. Aus einer Richtwertkarte, die für Grundstücke in einer Richtwertzone eine Preisspanne nennt, kann bei der Ermittlung des Grundbesitzwerts für unbebaute Grundstücke in diesem Gebiet nach § 145 Abs. 3 BewG nur der unterste Wert der angegebenen Wertspanne übernommen werden.
2. Die Sache ist nicht spruchreif.
Entsprechend den Ausführungen unter II. 1. b kann im Streitfall für das vom Kläger erworbene Grundstück aus der Richtwertkarte nur der unterste Wert der angegebenen Wertspanne in die Ermittlung des Grundbesitzwerts übernommen werden. Denn es gibt mit Ausnahme dieses untersten Werts (15 DM/qm) keinen vom zuständigen Gutachterausschuss ermittelten Richtwert, der der Wertermittlung nach § 145 Abs. 3 BewG zugrunde gelegt werden könnte.
Gleichwohl ist im Streitfall wegen der bislang ungeklärten Rechtslage dem FA in einem zweiten Rechtszug Gelegenheit zu geben, beim Gutachterausschuss auf die Erarbeitung einer für Zwecke der steuerlichen Bewertung des Grundbesitzes geeigneten und dem § 145 Abs. 3 BewG entsprechenden Richtwertkarte hinzuwirken und die dieser Entscheidung entsprechenden „ergänzenden Vorgaben” i.S. von § 196 Abs. 1 Satz 4 BauGB zu machen.
Sollte das FA innerhalb angemessener Frist beim Gutachterausschuss keinen Erfolg haben, ist der unterste Wert der Wertspanne (15 DM/qm) anzusetzen und der Grundbesitzwert —allerdings unter Beachtung des Klageantrags des Klägers— entsprechend niedriger festzusetzen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 5
BB 2005 S. 2230 Nr. 41
BFH/NV 2005 S. 2097 Nr. 11
BStBl II 2006 S. 5 Nr. 1
DB 2005 S. 2336 Nr. 43
DStR 2005 S. 1689 Nr. 40
DStRE 2005 S. 1239 Nr. 20
DStZ 2005 S. 691 Nr. 20
HFR 2005 S. 1153 Nr. 12
INF 2005 S. 802 Nr. 21
KÖSDI 2005 S. 14853 Nr. 11
StB 2005 S. 405 Nr. 11
StBW 2005 S. 5 Nr. 20
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2005 S. 946
UVR 2005 S. 342 Nr. 11
WPg 2005 S. 1181 Nr. 21
XAAAB-66089