Aufrechnung mit einer rechtswegfremden (Gegen-)Forderung
Gesetze: AO § 226
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 1 K 966/02 (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat gegen den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) Steuererstattungsansprüche (Einkommensteuervorauszahlungen und Solidaritätszuschlag für das erste Quartal 2000) in Höhe von ... DM. Das FA seinerseits macht eine Forderung des Landes Brandenburg aus einer Bürgschaftsinanspruchnahme der Klägerin geltend.
Die Klägerin übernahm in 1998 selbstschuldnerische Bürgschaften in Höhe von rd. ... DM für diverse Kredite, welche die X-Bank einer GmbH als deren Hausbank gewährt hatte. Hauptgesellschafter der GmbH war der Ehemann der Klägerin. Ein Darlehen war außerdem durch eine 80 %ige Höchstbetragsausfallbürgschaft abgesichert, welche die Bürgschaftsbank Brandenburg GmbH (Bürgschaftsbank) in 1994 der Hausbank gegenüber abgegeben hatte. Für diese Ausfallbürgschaft hatten sich wiederum die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und das Land Brandenburg ebenfalls zu 80 % verbürgt, wobei das Land Brandenburg die aus der Rückbürgschaft sich ergebenden Rechte und Pflichten der Bundesrepublik treuhänderisch wahrnehmen sollte. Für den Fall der Inanspruchnahme aus den Rückbürgschaften hatte das Land Brandenburg die Bürgschaftsbank verpflichtet, die auf die Bürgschaftsbank übertragenen oder nach § 774 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) übergegangenen Forderungen einschließlich der Rechte aus etwa noch bestehenden Sicherheiten auf das Land zu übertragen und diese treuhänderisch für das Land zu verwalten und zu verwerten. Die Bürgschaftsbank ihrerseits hatte die Hausbank verpflichtet, die auf die Bürgschaftsbank übergegangenen oder übertragenen Rechte und Sicherheiten treuhänderisch für sie weiterzuverfolgen.
In 1999 fiel die GmbH in Insolvenz. Die Bürgschaftsbank beglich daraufhin den Ausfallschaden gegenüber der Hausbank und nahm ihrerseits die Bundesrepublik und das Land Brandenburg aus der Rückbürgschaft in Anspruch. Die übergegangenen und von der Hausbank übertragenen Ansprüche trat die Bürgschaftsbank an das Land Brandenburg ab. Mit Abrechnungsbescheid vom rechnete das FA mit dem an das Land Brandenburg übertragenen Rückgriffsanspruch aus der übernommenen Bürgschaft der Klägerin gegen deren Steuererstattungsansprüche auf. Der dagegen gerichtete Einspruch, mit dem die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen hat, die von ihr übernommenen Bürgschaften seien sittenwidrig, weil sie, die Klägerin, damit finanziell grob überfordert worden sei, hatte keinen Erfolg.
Im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens gab das Finanzgericht (FG), nachdem es bereits in einem Erörterungstermin das FA auf den (BFHE 198, 55, BStBl II 2002, 509) hingewiesen hatte, dem FA auf, bis zum nachzuweisen, dass das Land Brandenburg Klage gegen die Klägerin auf Zahlung aus den gegenüber der Hausbank eingegangenen selbstschuldnerischen Bürgschaften beim zuständigen Zivilgericht erhoben hat. Das FA kam dieser Aufforderung nicht nach. Es verwies darauf, dass die Hausbank beim Landgericht (LG) Z gegen die Klägerin auf Zahlung aus den Bürgschaften geklagt habe; das Land Brandenburg werde es vom Ausgang jenes Verfahrens abhängig machen, ob es Klage gegen die Klägerin erhebe.
Das FG gab daraufhin der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 720 veröffentlichten Gründen statt.
Gegen das Urteil des FG wendet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung von Bundesrecht geltend macht. Das FG habe § 17 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) unzutreffend ausgelegt, indem es die Auffassung vertreten habe, dass es nicht über zur Aufrechnung gestellte rechtswegfremde Forderungen entscheiden dürfe. Diese Vorschrift sei allerdings auch in den Fällen anzuwenden, in denen das Gericht des zulässigen Rechtswegs hinsichtlich einer Aufrechnung über eine nicht rechtskräftig festgestellte, rechtswegfremde Gegenforderung zu befinden habe. Dies ergebe sich u.a. aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main vom 19 W 45/03 (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht —ZIP— 2004, 584). Die Vorentscheidung leide ferner an einem Verfahrensmangel, weil das FG das Verfahren zumindest hätte aussetzen müssen, bis das LG Z in dem anhängigen Verfahren zwischen der Klägerin und der Hausbank über den Bestand der Bürgschaftsforderungen rechtskräftig entschieden habe. Die Hausbank sei verpflichtet, die auf die Bürgschaftsbank bzw. das Land Brandenburg übergegangenen Forderungen treuhänderisch zu verwalten. Damit sei sie auch berechtigt, die Forderungen des Landes Brandenburg einzuklagen mit der Folge, dass in diesem Zivilprozess mit Rechtskraftwirkung auch gegenüber dem Land Brandenburg entschieden werde. Werde das Land demgegenüber vom FG verpflichtet, selbst eine Klage vor dem Zivilgericht zu erheben, komme es unter Umständen zu einer doppelten Rechtshängigkeit, da es sich um dieselbe Forderung handele, die auch die Hausbank eingeklagt habe.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das FG hat zutreffend erkannt, dass es gehindert war, über den rechtlichen Bestand der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung des Landes Brandenburg gegen die Klägerin zu entscheiden.
Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ist zivilrechtlicher Natur. Das Land Brandenburg, dem der Anspruch aus der von der Klägerin übernommenen Bürgschaft von der Bürgschaftsbank abgetreten worden ist —der wiederum von der Hausbank der Anspruch übertragen worden war—, macht einen Anspruch aus § 765 Abs. 1 BGB gegen die Klägerin geltend. Diesen Anspruch kann das FA gemäß § 226 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) als steuerverwaltende Körperschaft für das Land Brandenburg durch Aufrechnung gegen steuerliche Forderungen der Klägerin realisieren (vgl. Senatsurteil vom VII R 143/82, BFHE 139, 487, BStBl II 1984, 178).
Die Aufrechnung mit zivilrechtlichen Ansprüchen gegen öffentlich-rechtliche Ansprüche und umgekehrt ist, soweit die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung gegeben sind und das Gesetz keine Einschränkungen enthält, grundsätzlich zulässig. Eine Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung ist gleichermaßen materiell-rechtlich zulässig und verfahrensrechtlich wirksam, wenn die Forderung unstrittig oder rechtskräftig festgestellt ist. Das Gericht, das zur Entscheidung über die Klageforderung (= Hauptforderung) zuständig ist, braucht dann über das Bestehen der Gegenforderung nicht zu entscheiden (Senatsbeschluss vom VII B 3/85, BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672, m.w.N.). Anders verhält es sich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, wenn die Gegenforderung —wie im Streitfall— nicht rechtskräftig festgestellt ist und vom Kläger bestritten wird. In einem solchen Fall darf das Gericht über das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung nicht mitentscheiden. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, der dem Gericht des zulässigen Rechtswegs eine rechtswegüberschreitende Sachkompetenz eröffnet und gemäß § 155 FGO im Finanzgerichtsprozess entsprechende Anwendung findet, ist insoweit nicht anzuwenden (ständige Rechtsprechung; Senatsbeschlüsse in BFHE 198, 55, BStBl II 2002, 509, und vom VII B 245/04, BFH/NV 2005, 711). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
Gründe, von der hier vertretenen Auffassung abzurücken, sind von der Revision nicht vorgebracht und vermag der Senat auch nicht zu erkennen. In dem Beschluss des OLG Frankfurt am Main in ZIP 2004, 584, auf den sich die Revision beruft, wird lediglich auf eine Literaturmeinung verwiesen (Albers in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 61. Aufl. —ebenfalls 63. Aufl.—, § 17 GVG Rdnr. 6). Mit dieser und gleichlautenden Auffassungen im Schrifttum hat sich der Senat bereits in seinem Beschluss in BFHE 198, 55, BStBl II 2002, 509 eingehend auseinander gesetzt und im Einzelnen begründet, weshalb er dieser Ansicht nicht folgt. Neue rechtliche Gesichtspunkte zeigt der Beschluss des OLG Frankfurt am Main nicht auf.
2. Das FG hat das Verfahren zu Recht nicht ausgesetzt und das Bestehen der bestrittenen zivilrechtlichen Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandelt mit der Folge, dass die erklärte Aufrechnung des FA als unwirksam anzusehen ist.
a) Das FG hat bei Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung den Rechtsstreit gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis das zuständige Gericht über den Bestand der zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Gegenforderung entschieden hat. Gleichzeitig hat das FG dem mit der umstrittenen Gegenforderung aufrechnenden Beteiligten zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtsweg eine Frist zu setzen. Erhebt der Aufrechnende die Klage vor dem anderen Gericht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist, kann das FG in dem anhängigen Verfahren das Bestehen der Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandeln und ohne Berücksichtigung der Aufrechnung entscheiden (so schon Senatsbeschluss vom VII B 146/97, BFHE 184, 242, BStBl II 1998, 200). Dies entspricht der Rechtsauffassung auch anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes zu wortgleichen Vorschriften der von diesen anzuwendenden Verfahrensordnungen (vgl. die Nachweise in dem Senatsbeschluss in BFHE 198, 55, BStBl II 2002, 509).
Im Streitfall ist das FG diesen Grundsätzen gefolgt. Es hat dem FA als dem aufrechnenden Verfahrensbeteiligten (§ 226 Abs. 4 AO 1977) eine Frist gesetzt und ihm aufgegeben, innerhalb der gesetzten Frist nachzuweisen, dass das Land Brandenburg Klage gegen die Klägerin auf Zahlung aus den gegenüber der Hausbank eingegangenen selbstschuldnerischen Bürgschaften, die nunmehr an das Land bzw. den Bund übertragen worden sind, beim zuständigen Zivilgericht erhoben hat. Zusätzlich hat das FG auf die Folgen der Nichterhebung einer zivilrechtlichen Klage hingewiesen. Dieser Aufforderung des FG ist das FA nicht nachgekommen, so dass das FG zutreffend nach Feststellungslastgrundsätzen von einer nicht bestehenden Gegenforderung des Landes Brandenburg ausgegangen ist und zu Lasten des FA entschieden hat.
b) Das angefochtene Urteil beruht —entgegen der Auffassung des FA— auch nicht auf einem Verfahrensmangel, weil das FG das Verfahren nicht ausgesetzt hat, bis das LG Z in dem anhängigen Verfahren zwischen der Klägerin und der Hausbank über den Bestand der Bürgschaftsforderungen rechtskräftig entschieden hat. Es ist nicht erkennbar, dass die Rechtskraft dieser Entscheidung sich auf das Land Brandenburg erstrecken könnte.
Gemäß § 325 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) wirkt die Rechtskraft grundsätzlich nur zwischen den Parteien des rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits. Dies gilt auch, wenn Dritte von dem rechtskräftig beurteilten Rechtsverhältnis betroffen oder wenn sie an ihm beteiligt sind (vgl. Zöller/ Vollkommer, Zivilprozessordnung, 25. Aufl., § 325 Rn. 3).
Eine Rechtskrafterstreckung der Entscheidung des LG Z auf das Land Brandenburg könnte sich im Streitfall allenfalls ergeben, wenn die Hausbank im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft für das Land Brandenburg dessen abgetretene Ansprüche aus dem Bürgschaftsvertrag gegen die Klägerin geltend machen würde. Denn das im Rechtsstreit des Prozessstandschafters ergangene Urteil wirkt für und gegen den Rechtsinhaber ( IVa ZR 38/80, BGHZ 78, 1, 7; vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., Vor § 50 Rn. 54, m.w.N.).
Unabhängig von der Frage, ob die allgemeinen Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft in jenem Verfahren erfüllt sind, scheidet die Annahme einer solchen schon deswegen aus, weil die Hausbank keine Ansprüche des Landes Brandenburg, sondern eigene Ansprüche gegen die Klägerin vor dem LG Z geltend macht. Nach den Angaben des FA im Verfahren vor dem FG begehrt die Hausbank die Zahlung aus der selbstschuldnerischen Bürgschaft der Klägerin in Höhe eines 20 %igen Haftungsanteils, nämlich des Teils, den die Bürgschaftsbank mit der Ausfallbürgschaft gegenüber der Hausbank nicht abgesichert hat. Mithin hat die Hausbank nicht —wie das FA in seiner Revisionsbegründung meint— treuhänderisch Forderungen des Landes Brandenburg vor dem Zivilgericht eingeklagt.
Im Übrigen kann das Urteil des LG Z nicht deswegen eine Bindungswirkung gegenüber dem Land Brandenburg entfalten, weil der dort entschiedene Streitgegenstand in gewisser Weise präjudiziell für das Rechtsverhältnis zwischen dem Land Brandenburg und der Klägerin ist. Eine Vorgreiflichkeit könnte darin bestehen, dass das LG Z allgemein über die Wirksamkeit der von der Klägerin übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaften zu befinden hat. Eine Rechtskrafterstreckung für und gegen Dritte, die an dem einem Urteil zugrunde liegenden Verfahren nicht beteiligt waren, über § 325 ZPO hinaus setzt allerdings eine im Einzelfall, sei es ausdrücklich, sei es nach dem Sinn der Vorschrift gebotene Anordnung voraus, welche zudem Inhalt und Umfang der Bindungswirkung verschieden ausgestalten kann (, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 395; vgl. Nachweise der h.L. in Zöller/ Vollkommer, a.a.O., § 325 Rn. 42).
Im Streitfall ist eine derartige gesetzliche Anordnung nicht einschlägig. Das Land Brandenburg müsste daher neben der Hausbank als weiterer Gläubiger selbst gegen die Klägerin aus dem Bürgschaftsverhältnis vorgehen, um eine für sich verbindliche gerichtliche Entscheidung zu erhalten. Von diesem Standpunkt scheint letztlich auch das FA auszugehen, indem es darauf hinweist, dass das Land Brandenburg seine Entscheidung über die Erhebung einer zivilgerichtlichen Klage von dem Ausgang des Verfahrens der Hausbank vor dem LG Z abhängig machen will.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1759 Nr. 10
VAAAB-58626