BFH Urteil v. - V R 14/00

Keine Haftung des Leistungsempfängers gemäß § 55 UStDV bei Anwendung der sog. Null-Regelung

Gesetze: UStG § 18 Abs. 8; UStDV § 55

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Bauunternehmen. Im Jahr 1993, dem Streitjahr, machte die Klägerin die ihr in einer Rechnung der F-Ltd. ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von 9 234,04 DM geltend; die ihr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer hatte die Klägerin einbehalten und an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) abgeführt.

Das FA vertrat im Anschluss an eine Außenprüfung die Auffassung, es handele sich bei der F-Ltd. um eine Scheinfirma, die nicht die tatsächlich leistende Firma gewesen sei. Die F-Ltd. sei in den üblichen Nachschlagewerken nicht verzeichnet. Vor Ort seien keine Beschäftigten ersichtlich. Sie habe ihren früheren Sitz bei einer Registrierungs- und Verwaltungsgesellschaft in Birmingham gehabt. Es seien nur 2 brit. Pfund als Stammkapital eingezahlt worden. Der Geschäftsführer habe seine Funktion bei mehreren gleichartigen Firmen gehabt. Ebenso sei es bei dem Schriftführer, dessen Privatadresse zugleich die Sitzadresse der F-Ltd. sei. Nach den Feststellungen des Bundesamtes für Finanzen sei davon auszugehen, dass die F-Ltd. ebenso wie die unter derselben Adresse registrierten Firmen lediglich als Strohmannfirmen für niederländische Hintermänner fungiere. Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug lägen deshalb nicht vor. Mit nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändertem Bescheid vom setzte es deshalb die Umsatzsteuer für 1993 auf 1 565 760 DM fest.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2000, 829 abgedruckt ist, ging mit dem FA davon aus, dass die F-Ltd. selbst nicht unternehmerisch tätig gewesen sei, vielmehr ein in den Niederlanden ansässiger Unternehmer unter dem Namen F-Ltd. illegale Arbeitnehmerüberlassung erbracht und unter diesem Namen abgerechnet habe. Gleichwohl stehe der Klägerin der Vorsteuerabzug zu, weil sie die Umsatzsteuer vorher im Abzugsverfahren einbehalten und abgeführt habe, denn im Abzugsverfahren könne auf die Identifizierbarkeit des Unternehmers verzichtet werden, wenn —wie hier— feststehe, dass es sich jedenfalls um einen Unternehmer gehandelt habe.

Mit der Revision rügt das FA Abweichung vom (BFHE 185, 279, BStBl II 1998, 521) sowie Verletzung materiellen Rechts.

Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom das Verfahren ausgesetzt bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Rs. C-90/02).

II. 1. Das Verfahren wird fortgeführt; der Aussetzungsgrund ist mit Ergehen des Urteils vom Rs. C-90/02 —Gerhard Bockemühl— (BFH/NV 2004, Beilage 3, 220, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 2004, 197) weggefallen.

2. Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin der Vorsteuerabzug zusteht.

Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1993 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

a) Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2004, 149; , BFHE 198, 208; , BFH/NV 2001, 1307, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, denn nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) hat ein nicht bekannter, in den Niederlanden ansässiger Unternehmer unter dem Namen der F-Ltd. gegenüber der Klägerin Leistungen erbracht und unter diesem Namen gegenüber der Klägerin abgerechnet.

b) Entgegen der Auffassung des FA stand der Umstand, dass die Rechnung nicht den Anforderungen des § 14 UStG 1993 entsprach, dem Vorsteuerabzug deswegen nicht entgegen, weil die Klägerin im Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 UStG 1993, § 51 Abs. 1 Satz 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV 1993) die Steuer, deren Abzug sie als Vorsteuer begehrt, einbehalten und an das FA abgeführt hat.

aa) Nach § 18 Abs. 8 UStG 1993, § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1993 hat der Leistungsempfänger für die Werklieferungen und die sonstigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers die Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen. Er haftet für diese Steuer (§ 55 UStDV 1993).

bb) Die Voraussetzungen des Abzugsverfahrens liegen im Streitfall vor. Das FG geht in Übereinstimmung mit dem FA davon aus, dass die Leistungen in Form der Arbeitnehmerüberlassung an die Klägerin von einem im Ausland (in den Niederlanden) ansässigen Unternehmer ausgeführt worden sind. Die Klägerin hat die für diese im Inland steuerpflichtigen Dienstleistungen (§ 3 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 7 UStG 1993 —Gestellung von Personal—) geschuldete Umsatzsteuer einbehalten und an das FA abgeführt.

cc) Der erkennende Senat hat im Urteil vom V R 61/00 (BFHE 206, 457, BStBl II 2004, 970 —Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil Gerhard Bockemühl in BFH/NV 2004, Beilage 3, 220, UVR 2004, 197—) entschieden, dass die Regelungen des Abzugsverfahrens ungeachtet dessen, dass sie nicht in vollem Umfang den Vorgaben der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) entsprechen, anwendbar und richtlinienkonform auszulegen sind, und dass die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Steuer verbunden mit der Haftung des Leistungsempfängers (§§ 51 ff. UStDV 1993) und die Steuerschuldnerschaft nach Art. 21 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG weitgehend gleich zu behandeln sind.

dd) Zu den Anforderungen an die Rechnung in den Fällen der Steuerschuldnerschaft nach Art. 21 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) hat der EuGH im Urteil Gerhard Bockemühl in BFH/NV Beilage 3, 2004, 220, UVR 2004, 197 entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der nach Art. 21 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, im Rahmen eines Verfahrens der Steuerschuldverlagerung für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG ausgestellte Rechnung zu besitzen braucht.

Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob die der Klägerin erteilte Rechnung den Anforderungen des Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) genügte.

ee) Für die Auslegung der §§ 51 ff. UStDV 1993 bedeutet dies: Liegen —wie im Streitfall— die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1993 vor und hat der Leistungsempfänger —wie hier die Klägerin— die geschuldete Steuer an das FA abgeführt, steht ihm der Vorsteuerabzug selbst dann zu, wenn die Leistungen in der Rechnung nicht zutreffend bezeichnet sind, wenn der Leistende nicht anhand der Rechnung ohne weiteres identifizierbar ist, weil er die Leistung unter einem fremden Namen erbracht und unter diesem Namen abgerechnet hat (bereits BFH-Urteil in BFHE 206, 457, BStBl II 2004, 970, unter I. 1.). Soweit sich aus dem BFH-Urteil in BFHE 185, 279, BStBl II 1998, 521) auf das sich das FA stützt, etwas anderes ergibt, ist dies durch die Entscheidung des EuGH in BFH/NV 2004, Beilage 3, 220 und das anschließende Senatsurteil überholt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1638 Nr. 9
IAAAB-57787