BFH Beschluss v. - IV B 105/03

Voraussetzungen für das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1. (Klägerin zu 1. bzw. Gesellschaft) ist eine rechts- und steuerberatende Partnerschaftsgesellschaft. Sie ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Die Kläger und Beschwerdeführer zu 2. und 3. (Kläger zu 2. und 3. bzw. Partner) waren im Streitjahr (1998) ihre einzigen Gesellschafter.

Die Kläger zu 2. und 3. erwarben am sämtliche Geschäftsanteile an einer Steuerberatungsgesellschaft (GmbH). Sie machten hierzu geltend, die Partner hätten die Geschäftsanteile der GmbH zeitnah ihrem jeweiligen Sonderbetriebsvermögen bei der Gesellschaft zugeführt und zwar mit den Anschaffungskosten in Höhe von jeweils 582 361 DM. Im Hinblick auf den in der Gesellschafterversammlung vom gefassten Beschluss, die GmbH zu liquidieren, seien jeweils Teilwertabschreibungen auf 0 DM notwendig geworden. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erkannte die aus den Teilwertabschreibungen resultierenden Verluste nicht an. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Die Revision gegen sein Urteil ließ das Finanzgericht (FG) nicht zu.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger, die auf Verfahrensmängel, das Erfordernis der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie Willkürlichkeit der Vorentscheidung gestützt wird.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—)

a) Das FG hat das Recht der Kläger auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Insbesondere stellt sein Urteil keine Überraschungsentscheidung dar (§ 96 Abs. 2 FGO; Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—).

Das FG darf die Verfahrensbeteiligten mit seiner Entscheidung zwar nicht überraschen; eine Überraschungsentscheidung liegt aber nicht schon dann vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung Gesichtspunkte als maßgeblich herausstellt, die bisher nicht im Vordergrund standen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 790, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 10 a, m.w.N.). Die —fachkundigen— Prozessparteien müssen grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einrichten (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht —BVerfG—, Beschluss vom 2 BvR 126/94, Deutsches Verwaltungsblatt —DVBl— 1995, 34).

So verhielt es sich im Streitfall. Das FG hatte schon seinen Beschluss vom , mit dem es die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Feststellungsbescheides abgelehnt hatte, damit begründet, dass die Kläger nicht durch präsente Beweismittel, beispielsweise durch Vorlage laufend geführter Verzeichnisse dargetan hätten, dass die Partner die Geschäftsanteile an der GmbH zeitnah zum Erwerb im Mai und nicht erst im Dezember 1998 oder möglicherweise noch später als Sonderbetriebsvermögen behandelt hätten. Allerdings haben die Kläger nach Ergehen dieses Beschlusses ein als „Abschreibungsverzeichnis für die Zeit vom bis zum ” überschriebenes Blatt Papier, auf dem (ausschließlich) die Geschäftsanteile aufgeführt und als Sonderbetriebsvermögen der Partner bezeichnet waren, vorgelegt. Des Weiteren reichten sie das mit dem Datum vom versehene Protokoll eines Gesellschafterbeschlusses ein, demzufolge die Partner ihre Geschäftsanteile ihrem Sonderbetriebsvermögen bei der Klägerin zu 1. zugeführt haben sollen. Die Kläger konnten jedoch nicht davon ausgehen, dass die Zweifel des FG durch die Vorlage dieser Unterlagen entkräftet wurden, zumal das „Abschreibungsverzeichnis” in keiner Weise den Zeitpunkt seiner Erstellung erkennen ließ. Das gilt umso mehr, als die Kläger in der mündlichen Verhandlung auf diese Zweifel des Gerichts hingewiesen wurden. In den Gründen des angefochtenen Urteils heißt es hierzu: „Auf mehrfaches Befragen des Gerichts in der mündlichen Verhandlung haben sich die zögerlich antwortenden Kläger zu 2. und 3. zu einem Beweisantritt für ihr Vorbringen, beispielsweise durch Vernehmung von Angestellten der Klägerin zu 1. als Zeugen oder durch Vorlage von Urkunden im Rahmen der Verhandlungen der Klägerin zu 3. über die Gewährung verbilligter Existenzgründerdarlehen nicht in der Lage gesehen.” Diese Feststellung des Verlaufs der mündlichen Verhandlung ist mangels eines erfolgreichen Antrags auf Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO für den BFH bindend. Das gilt unabhängig davon, dass sie nicht im „Tatbestand”, sondern in den „Entscheidungsgründen” des Urteils enthalten war (vgl. , BFH/NV 1991, 834). Die Kläger können hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, die Fragen des Gerichts hätten sich vorwiegend auf die fehlende Datierung des Abschreibungsverzeichnisses bezogen, sie hätten in diesem Zusammenhang jedoch auf das —mit dem Datum vom versehene— Protokoll der Gesellschafterversammlung verwiesen, in der die Einlage beschlossen worden sei. Selbst wenn —was angesichts der Formulierung im FG-Urteil fern liegt— die Zweifel des Gerichts hinsichtlich der richtigen Datierung dieses Protokolls nicht ausdrücklich zur Sprache gekommen sein sollten, so lagen sie doch auf der Hand. Hätten sie nicht bestanden, wäre das Fehlen einer zeitlichen Zuordnungsmöglichkeit des „Abschreibungsverzeichnisses” nicht von entscheidender Bedeutung gewesen.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das FA nach Vorlage des „Abschreibungsverzeichnisses” und des Protokolls der Gesellschafterversammlung in seinen Schriftsätzen den Gesichtspunkt des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten in den Vordergrund seiner Argumentation gestellt hat. Auch die nach Eingang der genannten Unterlagen eingereichten Schriftsätze zeigen deutliche Skepsis gegenüber dem von den Klägern geschilderten Sachverhalt —Anschaffung von GmbH-Anteilen zum Preis von 1,15 Mio. DM, die nach einem halben Jahr völlig wertlos sein sollen—. Das FA wollte —eindeutig erkennbar— darauf hinweisen, dass die Wertlosigkeit der Anteile —wenn sie denn tatsächlich vor ihrem echten oder angeblichen Wertverfall eingelegt worden sein sollten— möglicherweise von den Klägern bewusst herbeigeführt worden war, wenn der Sachverhalt denn einen wirtschaftlichen Sinn ergeben sollte. Irgendein Anerkenntnis der behaupteten Einlage der Anteile war damit nicht verbunden. Es wäre zudem für das Gericht nicht bindend gewesen.

Darüber hinaus war das FG im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht gehalten, den Beteiligten seine mögliche Wertung der vorgelegten Unterlagen anzudeuten (vgl. z.B. , BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711; , BFH/NV 1995, 954, m.w.N.).

b) Hatten die Kläger ausreichend Gelegenheit, Beweisanträge zu stellen, haben dies jedoch unterlassen, so ist nicht erkennbar, inwiefern sich dem Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen hätte aufdrängen sollen.

2. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO)

Das FG ist nicht von den BFH-Urteilen vom X R 37/91 (BFHE 172, 354, BStBl II 1994, 172), vom X R 20/86 (BFHE 158, 316, BStBl II 1990, 128) und vom I R 7/84 (BFHE 152, 84, BStBl II 1988, 424) abgewichen. Das FG hat seine Entscheidung nicht auf die Auffassung gestützt, dass die Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zum Betriebsvermögen nicht durch die Aufnahme in das Anlageverzeichnis dokumentiert werden könne, sondern darauf, dass sich aus dem vorgelegten „Abschreibungsverzeichnis” der im Streitfall wesentliche Zeitpunkt der Einlage nicht entnehmen ließ.

3. Mit dem Vortrag, das FG-Urteil sei willkürlich, können die Kläger —neben anderen Gründen— schon deswegen keinen Erfolg haben, weil es sich um einen Gesichtspunkt handelt, der erstmalig außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 116 Abs. 3 FGO geltend gemacht wurde (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 22).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1355 Nr. 8
VAAAB-52985