BFH Beschluss v. - IX B 81/04

Erlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Gesetze: AO §§ 240, 163, 227

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Entgegen der Auffassung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob bei der Entscheidung über den Erlass von Säumniszuschlägen (§ 240 der Abgabenordnung 1977AO 1977—) nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und des § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein späterer (teilweiser) Ausfall der der Steuerforderung zugrunde liegenden Einnahmen zu berücksichtigen ist. Denn diese Rechtsfrage kann —soweit sie nicht schon nach Maßgabe der folgenden Ausführungen als geklärt anzusehen ist— im Streitfall aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht (weiter) geklärt werden.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) haben Säumniszuschläge einen doppelten Zweck. Sie sind zum einen ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgen sie den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten und Verwaltungsaufwendungen abzugelten, die bei den steuerverwaltenden Körperschaften regelmäßig entstehen, wenn Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß bezahlen (vgl. u.a. , BFH/NV 1999, 1440; , BFH/NV 1999, 10; vom XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; vom X R 87/96, BFH/NV 2000, 161).

Danach ist die Erhebung von Säumniszuschlägen insofern sachlich unbillig, als dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verloren hatte (vgl. u.a. das Urteil in BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7). Nach den BFH-Entscheidungen in BFH/NV 1999, 10 und in BFH/NV 2000, 161 rechtfertigt allerdings der Tatbestand der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit für sich allein keinen vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen wegen sachlicher Unbilligkeit, sondern gebietet in der Regel nur einen Erlass zur Hälfte, wenn sie lediglich ihren Zweck verloren haben, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen (in diesem Sinne auch Beschluss des Senats in BFH/NV 1999, 1440).

Allerdings kann bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge bzw. eine Nichtinanspruchnahme eines Haftungsschuldners auf Säumniszuschläge dann in Betracht kommen, wenn —über Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung hinaus— zusätzliche, besondere Gründe persönlicher oder sachlicher Billigkeit gegen die Geltendmachung von Säumniszuschlägen sprechen (BFH-Urteil in BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1440). Ein vollständiger Erlass von Säumniszuschlägen bzw. eine Nichtinanspruchnahme eines Haftungsschuldners kommt insbesondere in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der nicht pünktlich entrichteten Steuerforderung ein Steuererlass oder ein Verzicht auf Stundungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit gerechtfertigt gewesen wäre (, BFHE 160, 296, BStBl II 1990, 673, und in BFH/NV 2000, 161) oder wenn persönliche Billigkeitsgründe in der Person des Steuerschuldners vorliegen, die Steuererhebung also dessen wirtschaftliche oder persönliche Existenz vernichten oder ernstlich gefährden würde (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, und vom X B 54/88, BFH/NV 1989, 285).

b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung könnte der vom Kläger begehrte weiter gehende Erlass allenfalls dann in Erwägung gezogen werden, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderung (BFH-Entscheidung in BFH/NV 2000, 161) ein —ggf. dem Billigkeitsanspruch nach §§ 163, 227 AO 1977 gleichzusetzender— Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung wegen des teilweisen Forderungsausfalls bestanden hätte.

An einem solchen Anspruch fehlt es indessen schon aus verfahrensrechtlichen Gründen, wenn die Besteuerungsgrundlagen mangels Abgabe einer Steuererklärung im Wege der Schätzung nach § 162 AO 1977 festgestellt und diese nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen werden. Werden diese Besteuerungsgrundlagen nämlich wie im Streitfall erst mit der späteren Abgabe einer Steuererklärung geltend gemacht, ist aufgrund der bis zu jenem Zeitpunkt bestehenden Bestandskraft des Schätzungsbescheids ersichtlich keine Unbilligkeit der Säumniszuschläge gegeben. Denn nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge nicht allein deshalb unbillig, weil sich die Steuerfestsetzung im Nachhinein als unrechtmäßig erweist; den insoweit erforderlichen Rechtsschutzbedürfnissen trägt das Gesetz in verfassungskonformer Weise insbesondere durch die Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes hinreichend Rechnung (, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst 1986, 101; BFH in BFH/NV 2000, 161, 162).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NAAAB-43693