Beim Au-pair-Aufenthalt gewährtes Taschengeld als Einkünfte und Bezüge i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter der 1981 geborenen J. J war nach Beendigung ihrer Schulausbildung zunächst arbeitslos. In der Zeit vom 22. Januar bis zum nahm sie an einem Au-pair-Programm in den USA teil. Sie erhielt in dieser Zeit freie Unterkunft und Verpflegung in einer Gastfamilie sowie ein wöchentliches Taschengeld in Höhe von 139 US-$.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob die Kindergeldfestsetzung für J mit Bescheid vom unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) rückwirkend ab Januar 2001 auf, weil die Einkünfte und Bezüge der J den im streitigen Zeitraum maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 14 040 DM überschritten hätten, und forderte danach für den Monat Januar 2001 zu Unrecht gezahltes Kindergeld in Höhe von 270 DM bzw. 138,05 € zurück. Der Beklagte ging dabei davon aus, dass die Gewährung freier Unterkunft und Verpflegung nach der auf § 17 Abs. 1 Nr. 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) beruhenden Verordnung über den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung —SachBezV—) mit 668 DM monatlich zu bewerten sei und dass das der J gewährte Taschengeld 315,50 DM wöchentlich und somit 1 367,17 DM monatlich entspreche. Aufwendungen der J wie Programmgebühr für das Au-pair-Programm, Kaution, Reisekosteneigenbeteiligung, Zusatzversicherungen, Visaservice und Telefonkarten berücksichtigte der Beklagte dabei nicht.
Einspruch und Klage der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, dass J im Streitjahr 2001 —unabhängig von der Frage, ob sie sich während ihres Aufenthaltes in den USA tatsächlich in einer Ausbildung befunden habe— jedenfalls deshalb nicht für das Kindergeld habe berücksichtigt werden können, weil ihre Einkünfte und Bezüge den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 14 040 DM überschritten hätten. Nach Auffassung des FG waren die Leistungen der Gasteltern der J in den USA als Bezüge der J gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzen. Für Unterkunft und Verpflegung ermittelte das FG entsprechend der SachBezV und unter Berücksichtigung der Kostenpauschale in Höhe von 360 DM den Betrag von 6 686 DM. Hinsichtlich des Taschengeldes war das FG der Ansicht, dass es gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung umzurechnen sei. Eine Kürzung der Bezüge der J um ausbildungsbedingten Mehrbedarf lehnte das FG ab.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass das ihrer Tochter gewährte Taschengeld in Höhe von 139 US-$ im Verhältnis 1:1 in DM umzurechnen sei. Zudem hätten sie, die Klägerin, und ihre Tochter für die Dauer der Teilnahme der Tochter an dem Au-pair-Programm einen doppelten Haushalt geführt, so dass die Kosten der doppelten Haushaltsführung, also z.B. Verpflegungsmehraufwand jedenfalls für die ersten drei Monate des Aufenthaltes in den USA sowie die Kosten der An- und Abreise berücksichtigt werden müssten.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie den angefochtenen Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und ihr ab Januar 2001 Kindergeld für ihre Tochter J zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Kindergeld für J für die Monate Februar bis Dezember unbegründet. Sie war insoweit zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Hinsichtlich des Anspruchs auf Kindergeld für den Monat Januar 2001 ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
1. Der Klägerin steht für Februar bis Dezember 2001 kein Kindergeld für ihre Tochter J zu.
a) Insoweit kann offen bleiben, ob J dem Grunde nach gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als ein in der Ausbildung befindliches Kind zu berücksichtigen war oder ob sie sich nicht in einer Ausbildung befand, so dass eine Berücksichtigung für das Kindergeld schon aus diesem Grund nicht in Betracht kam.
b) Selbst wenn man davon ausgeht, dass J sich während ihres Aufenthaltes in den USA in einer Ausbildung befand, ist der Kindergeldanspruch der Klägerin wegen der Höhe der Einkünfte und Bezüge ihrer Tochter ausgeschlossen.
aa) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG setzt der Kindergeldanspruch für ein volljähriges Kind voraus, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von —nach der im Streitjahr geltenden Gesetzesfassung— 14 040 DM nicht überschreiten. Bezüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bleiben dabei außer Ansatz. Der Betrag von 14 040 DM ermäßigt sich nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG 2003 (im Streitjahr: § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG) für jeden Kalendermonat um 1/12, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG nicht vorliegen (Kürzungsmonate). Bei der Prüfung, ob der sich danach ergebende anteilige Jahresgrenzbetrag überschritten ist, bleiben nach § 32 Abs. 4 Satz 8 EStG 2003 (im Streitjahr: § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG) diejenigen Einkünfte und Bezüge des Kindes außer Ansatz, die auf die Kürzungsmonate entfallen.
Geht man davon aus, dass der Aufenthalt in den USA Teil der Ausbildung der J war, so war J grundsätzlich während des gesamten Jahres 2001 —teils wegen der Arbeitslosigkeit, teils wegen der Berufsausbildung— für das Kindergeld berücksichtigungsfähig, so dass der ungekürzte Jahresgrenzbetrag von 14 040 DM maßgeblich ist.
bb) Die Einkünfte und Bezüge der Tochter der Klägerin im Jahr 2001 überstiegen diesen Betrag.
Zutreffend ist die Vorinstanz —ebenso wie mittlerweile auch übereinstimmend die Beteiligten— davon ausgegangen, dass die Leistungen der Gasteltern in Form von freier Unterkunft und Verpflegung Bezüge eines Kindes i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG darstellen und nach der SachBezV zu bewerten sind (vgl. Senatsurteil vom VIII R 74/01, BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695, m.w.N.). Das FG hat den Wert der Bezüge der Tochter der Klägerin für den streitigen Zeitraum insoweit fehlerfrei mit 7 046 DM (vor Abzug der Kostenpauschale) ermittelt.
Ob das einem Kind gewährte Taschengeld gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung umzurechnen oder in entsprechender Anwendung der SachBezV im Verhältnis 1:1 anzusetzen ist, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Als Taschengeld sind nur geringfügige Beträge anzusehen, die lediglich dazu dienen, kleinere Anschaffungen des täglichen Bedarfs sowie alltägliche Freizeitgestaltungen zu finanzieren. Der Betrag von 139 US-$ pro Woche geht darüber deutlich hinaus; er ist bereits als Entgelt für die im Rahmen des Au-pair-Programms geleisteten Dienste anzusehen. Die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung der Zahlung als „Taschengeld” bindet den Senat bei seiner rechtlichen Beurteilung nicht.
Als Entgelt ist die von der Tochter der Klägerin bezogene Leistung gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nach dem im September des Vorjahres von der Europäischen Zentralbank bekannt gegebenen Referenzkurs umzurechnen. Der Senat kann offen lassen, ob ein Abschlag im Hinblick auf die geringere Kaufkraft in den USA vorzunehmen ist (für eine Umrechnung nach der gesetzlichen Regelung Helmke/ Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG, Rdnr. 111). Selbst bei Berücksichtigung eines Abschlages wäre der Jahresgrenzbetrag noch weit überschritten. Dabei wäre der Abschlag etwa mit 23 v.H. anzusetzen. Der im Jahr 2001 durchschnittlich zu gewährende Kaufkraftausgleich für die USA betrug 30 v.H.; eine Rückrechnung des im Ausland bezogenen —also 130 v.H. entsprechenden— Betrages auf 100 v.H. erfordert dann den Abzug von 23 v.H. Die Bezüge der J berechnen sich dann bei einem Umrechnungskurs des Euro zum US-$ von 0,8765 (vgl. Schreiben des Bundesamts für Finanzen vom , BStBl I 2001, 121, 122) wie folgt:
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Taschengeld 139 US-$ x 49 Wochen | 15 198,12 DM | |
./. 23 v.H. | 3 495,56 DM | 11 702,56 DM |
Sachbezüge | 7 046,00 DM | |
./. Kostenpauschale | 360,00 DM | |
18 388,56 DM |
cc) Die Kosten der Tochter der Klägerin für Unterkunft und Verpflegung sind nicht als Aufwendungen für besondere Ausbildungszwecke in Abzug zu bringen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist vielmehr davon auszugehen, dass die Tatsache, dass eine beträchtliche Anzahl der in Ausbildung befindlichen Kinder auswärts untergebracht ist und es deshalb an einer gemeinsamen Wirtschaftsführung mit den Eltern fehlt, bei der Bemessung des Jahresgrenzbetrages berücksichtigt ist (, BFHE 193, 457, BStBl II 2001, 495; in BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695). Das gilt auch für Kinder, die ihre Ausbildung im Ausland erhalten, jedenfalls dann, wenn ihnen Unterkunft und Verpflegung gestellt werden und diese Bezüge nach der SachBezV bewertet werden.
dd) Die Kosten des erhöhten Lebensbedarfes der Tochter wegen auswärtiger Unterbringung können auch nicht entsprechend R 43 Abs. 5 der Lohnsteuer-Richtlinien 1999 (LStR 1999) unter dem Gesichtspunkt einer zeitlich beschränkten doppelten Haushaltsführung als ausbildungsbedingter Mehrbedarf abgezogen werden. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BFH sind im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG Aufwendungen für eine zeitlich beschränkte doppelte Haushaltsführung bei Ledigen nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695, m.w.N.).
ee) Die Verwendung des von der Tochter der Klägerin bezogenen Entgelts gehört ebenfalls nicht allgemein zu den ausbildungsbedingten Mehraufwendungen. Das Entgelt hat lediglich insoweit außer Ansatz zu bleiben, als es nachweislich für besondere Ausbildungszwecke ausgeben worden ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695). Es ist jedoch weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass ausbildungsbedingter Mehrbedarf in einer solchen Höhe (ca. 4 400 DM) angefallen sein könnte, die zur Unterschreitung des maßgeblichen Jahresgrenzbetrages notwendig wäre.
c) Der Beklagte war auch berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes für J für die Monate Februar bis Dezember 2001 aufzuheben. Wenn man davon ausgeht, dass sich J nicht mehr in einer Ausbildung befand, ergibt sich die Änderungsbefugnis aus § 70 Abs. 2 EStG, weil sich die Verhältnisse geändert hatten. Sieht man den Aufenthalt der J hingegen als Teil ihrer Ausbildung an, so ergibt sich die Änderungsbefugnis aus dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, dass die Familienkasse berechtigt ist, die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend mit Wirkung zum Beginn eines Kalenderjahres aufzuheben, wenn sich während oder nach Ablauf eines Kalenderjahres herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten (, BFHE 196, 265, BStBl II 2002, 85; VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86; vom VI R 76/01, BFH/NV 2002, 343; vom VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525; vom VIII R 96/01, BFH/NV 2002, 1027).
d) Ohne Erfolg weist die Klägerin darauf hin, dass anderen Kindergeldberechtigten in gleicher Situation Kindergeld gewährt worden sei. Abgesehen davon, dass der Vortrag unsubstantiiert ist, kann eine fehlsame Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch andere Familienkassen nicht zu einer anderen Entscheidung in diesem Verfahren führen.
2. Hinsichtlich des Monats Januar 2001 vermag der Senat nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht zu entscheiden, ob der Klägerin Kindergeld für J zustand. Insoweit ist maßgeblich, ob J sich während ihres Aufenthaltes in den USA in einer Ausbildung befand oder nicht.
a) Geht man davon aus, dass die Teilnahme an dem Au-pair-Programm Teil der Ausbildung der J war, so war sie während des ganzen Jahres 2001 dem Grunde nach für das Kindergeld berücksichtigungsfähig (dazu oben II.1.b aa). Da die Einkünfte und Bezüge der J den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag überstiegen (dazu oben II.1.b bb-ee), wäre der Kindergeldanspruch der Klägerin für das ganze Jahr 2001 ausgeschlossen.
b) Sieht man hingegen den Aufenthalt der J in den USA nicht als Teil ihrer Ausbildung an, so wäre J aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit —nur— im Monat Januar 2001 dem Grunde nach für das Kindergeld berücksichtigungsfähig. Ein Anspruch der Klägerin bestünde in diesem Fall dann, wenn die Einkünfte und Bezüge der J in diesem Monat den Betrag von 1 170 DM (1/12 von 14 040 DM) nicht überstiegen, da die Monate Februar bis Dezember 2001 als Kürzungsmonate anzusehen wären.
Das FG wird demnach zunächst Feststellungen dazu zu treffen haben, ob der Aufenthalt der J in den USA den Tatbestand der Ausbildung erfüllte. Sollte das nicht der Fall sein, wird das FG weiter festzustellen haben, wie hoch die Einkünfte und Bezüge der J im Januar 2001 waren.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 536
BFH/NV 2005 S. 536 Nr. 4
DAAAB-42561