BFH Urteil v. - II R 55/02

Rechtsmäßigkeit der Anwendung der Steuermesszahl in § 29 GrStDVO 1937 auf den Einheitswert 1935 eines 1920 errichteten Einfamilienhauses im Beitrittsgebiet

Gesetze: GrStG §§ 13, 15, 41; GrStDVO §§ 29-33

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 3 K 659/01 (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Miteigentümer zu je 1/2 eines in X/Brandenburg gelegenen Grundstücks, das sie 1998 erworben haben und auf dem sich ein im Jahre 1920 errichtetes Einfamilienhaus befindet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) rechnete den Klägern das Grundstück durch Bescheid vom auf den zu und stellte auf diesen Stichtag den Einheitswert nach den Wertverhältnissen vom in Höhe von 9 800 DM fest. Hierbei berücksichtigte das FA eine Alterswertminderung von 15 v.H. und einen Abschlag wegen behebbarer Baumängel/ Bauschäden von 30 v.H. Auf der Grundlage dieses Bescheids stellte das FA durch weiteren Bescheid vom unter Anwendung der Steuermesszahl 10 v.T. auf den Einheitswert den Grundsteuermessbetrag auf 98 DM fest.

Einspruch und Klage gegen den Grundsteuermessbescheid, mit denen die Kläger geltend machten, die Anwendung der Steuermesszahl 10 v.T. verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), weil eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung sowohl im Vergleich zu den Gebäuden ab Baujahr 1924 (Steuermesszahl 8 v.T.) als auch zu vergleichbaren Gebäuden in den alten Bundesländern (Steuermesszahl 2,6 v.T.) vorliege, blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) sah in der Anwendung der Steuermesszahl von 10 v.T. keine gleichheitswidrige Behandlung der Kläger, da die Anwendung der unterschiedlichen Steuermesszahlen sachlich begründet sei. Soweit § 29 der Grundsteuer-Durchführungsverordnung (GrStDVO 1937) vom (RGBl I 1937, 733) hinsichtlich der maßgeblichen Steuermesszahl zwischen Altbauten (Bezugsfertigkeit bis ; Steuermesszahl 10 v.T.) und Neubauten (Bezugsfertigkeit ab ; Steuermesszahl 8 v.T.) differenziere, liege dem die ausdrückliche Absicht des Verordnungsgebers zugrunde, bei der Umstellung der Grundsteuer auf die Einheitswerte 1935 eingetretene Belastungsverschiebungen auszugleichen. Dieser Differenzierungsgrund bestehe nach wie vor. Eine Ungleichbehandlung bestehe auch nicht im Vergleich zu entsprechenden Grundstücken in den alten Bundesländern. Denn dort habe man mit der Absenkung der Steuermesszahlen auf 2,6 bzw. 3,5 v.T. im Zuge der Einführung der Einheitswerte 1964 dem erheblich gestiegenen Einheitswertniveau Rechnung tragen und eine neutrale Wirkung der höheren Einheitswerte auf das Grundsteueraufkommen erreichen wollen.

Das angefochtene Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 796 veröffentlicht.

Mit der —vom FG zugelassenen— Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung des § 41 des Grundsteuergesetzes (GrStG) i.V.m. § 29 GrStDVO 1937. Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit sei verletzt, weil Altbauten i.S. von § 31 GrStDVO 1937 gegenüber Neubauten benachteiligt würden. Die Intentionen des damaligen Verordnungsgebers seien heute nicht mehr bekannt. Die Anwendung einer höheren Steuermesszahl für Altbauten sei sachlich nicht begründet und widerspreche der Erfahrung, dass der Reparatur- und Erhaltungsaufwand mit zunehmendem Alter des Gebäudes tendenziell steige. Die Anwendung der Grundsteuermesszahl 10 v.T. führe auch zu einer stärkeren Grundsteuerbelastung von Altbauten in den neuen Bundesländern als dies bei der Anwendung der für die alten Bundesländer maßgeblichen Steuermesszahlen auf den Einheitswert 1964 für vergleichbare Objekte in den alten Bundesländern der Fall sei. Eine mit den alten Bundesländern vergleichbare Belastung stelle sich bei Anwendung einer Steuermesszahl von 6,3 v.T. ein.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 3 K 659/01 und die Einspruchsentscheidung des FA vom aufzuheben sowie unter Abänderung des Bescheids vom den Grundsteuermessbetrag auf der Grundlage einer Steuermesszahl von 6,3 v.T., hilfsweise von 8 v.T. des Einheitswerts festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Das FG ist ohne Rechtsverstoß von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Feststellung des Grundsteuermessbetrages ausgegangen.

a) Die Festsetzung des Grundsteuermessbetrages auf 98 DM entspricht der derzeitigen Rechtslage.

Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GrStG ist der Steuermessbetrag durch Anwendung eines Tausendsatzes (Steuermesszahl) auf den Einheitswert zu ermitteln, der nach dem Bewertungsgesetz im Veranlagungszeitpunkt für den Steuergegenstand maßgebend ist. Im Streitfall beträgt der maßgebende Einheitswert des Grundstücks der Kläger 9 800 DM und der anzuwendende Tausendsatz (Steuermesszahl) 10. Denn nach § 41 Satz 1 GrStG gelten für Steuergegenstände in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) ab dem Kalenderjahr 1991 in den Fällen, in denen ein im Veranlagungszeitpunkt für die Grundsteuer maßgebender Einheitswert 1935 festgestellt oder festzustellen ist, bei der Festsetzung des Steuermessbetrages abweichend von § 15 GrStG die Steuermesszahlen der weiter anwendbaren §§ 29 bis 33 GrStDVO 1937. Danach gilt für das im Jahre 1920 bezugsfertig gewordene und in die Gemeindegruppe a (bis 25 000 Einwohner) fallende Einfamilienhaus der Kläger die Steuermesszahl 10 v.T.

b) Das FG hat auch zutreffend entschieden, dass die anzuwendende gesetzliche Regelung nicht gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 GG verstößt.

aa) Die von den Klägern beanstandete Abstufung der Steuermesszahlen in § 29 GrStDVO 1937 ist verfassungsrechtlich deshalb nicht zu beanstanden, weil sie sachlich begründet ist. Durch die Abstufung sollten nämlich die für Eigentümer bestimmter Grundstücke als Folge der Umstellung der Grundsteuer auf die Einheitswerte 1935 eintretenden wirtschaftlich nicht tragbaren Mehrbelastungen ausgeglichen werden (vgl. Gürsching/Stenger, Grundsteuergesetz, § 12 Rdnr. 13; Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 11). Eine eigens für diesen Zweck aufgestellte Steuerstatistik (vgl. Renzi, Die Grundsteuer, 1938, Einführung S. 11) hatte nämlich u.a. ergeben, dass der Einheitswert von Neubauten im Vergleich zu den Altbauten relativ hoch war, sodass ohne die vorgenommene Abstufung eine starke Verschiebung der Wertverhältnisse eingetreten und die Grundsteuer für Neubauten doppelt so hoch wie zuvor und damit unerträglich hoch geworden wäre (Kühne, Das Grundsteuergesetz, 1937, Gesetz § 12, Seite 181; Renzi, a.a.O., Einführung S. 10, § 12 Anm. 5). Die sich durch die erstmalige Anwendung der Einheitswerte 1935 auf die Grundsteuer ergebenden Belastungsverschiebungen und Mehrbelastungen, die nach Auffassung des damaligen Gesetz- und Verordnungsgebers eine Milderung erfahren mussten, hatten ihren Grund auch in der allgemein erkannten Unzulänglichkeit bei der Ermittlung der Einheitswerte 1935 (vgl. Dunz/Blaich, Das Grundsteuergesetz, 1937, § 12 Anm. 2). Diese Unzulänglichkeiten hatten ihre Ursache wiederum darin, dass in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg der von der allgemeinen Wirtschaftslage stets abhängige Grundstücksmarkt nie eine für eine vollkommen einwandfreie Bewertung ausreichende Stetigkeit gehabt hat (Renzi, a.a.O., Einführung S. 10 f.).

Eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Altbauten gegenüber den Neubauten liegt somit bei der Abstufung der Steuermesszahlen in § 29 GrStDVO 1937 nicht vor. Denn hierdurch sollen Benachteiligungen und Mehrbelastungen bei der Einheitsbewertung für Neubauten ausgeglichen und gemildert werden. Dies ist im Hinblick auf eine gleichmäßige Grundsteuerbelastung der verschiedenen Gruppen von Grundstücken nicht nur sachlich nicht zu beanstanden, sondern vielmehr geboten. Die Steuermesszahl sagt im Übrigen für sich noch nichts über die Höhe und die Gleichmäßigkeit der Grundsteuerbelastung von Grundstücken aus; erst die Multiplikation des Einheitswerts mit der Steuermesszahl ergibt den Grundbetrag der Grundsteuer (Steuermessbetrag), der nach Anwendung des von der Gemeinde festgesetzten Hundertsatzes (Hebesatz) die Grundsteuerbelastung ergibt (§ 25 Abs. 1 GrStG).

bb) Soweit die Kläger darüber hinaus geltend machen, die Anwendung der Steuermesszahl 10 v.T. auf die Einheitswerte 1935 führe zu einer stärkeren grundsteuerlichen Belastung von Altbauten in den neuen Bundesländern als dies bei der Anwendung der für die alten Bundesländer maßgeblichen Messzahl von 2,6 v.T. der Fall sei, hat die Revision ebenfalls keinen Erfolg. Für diese Behauptung gibt es nämlich keine ausreichenden Hinweise. Die von den Klägern für ihren Fall vorgelegte Vergleichsrechnung besagt noch nicht, dass dieses Einzelfallergebnis für die Grundsteuerbelastung von Altbauten in den neuen Bundesländern als generell typisch anzusehen ist. Im Übrigen dürfte eher das Gegenteil der Fall sein. Denn mit der Übernahme der Einheitswerte 1964 für die Grundsteuer hat der Gesetzgeber die Messbeträge dem erheblich höheren Wertniveau der Einheitswerte 1964 gegenüber den bis dahin maßgeblichen Einheitswerten 1935 entsprechend an das gewünschte Grundsteueraufkommen angepasst. Da den Gemeinden ein höheres Grundsteueraufkommen zufließen sollte, wurden die Messzahlen für bebaute Grundstücke so festgelegt, dass sich das Gesamtaufkommen an Grundsteuer für die bebauten Grundstücke im Vergleich zur vormaligen, jetzt noch im Beitrittsgebiet geltenden Regelung um 25 v.H. erhöht hat (hierzu s. Glier, Grundsteuer, Stand Juli 2001, § 15 Anm. 2). Demnach liegt trotz der Absenkung der Steuermesszahl auf 2,6 v.T. als Folge der Maßgeblichkeit der höheren Einheitswerte 1964 das durchschnittliche Niveau der Steuermessbeträge in den alten Bundesländern um ca. 25 v.H. über dem Niveau der im Beitrittsgebiet maßgeblichen Steuermessbeträge.

cc) Im Übrigen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Übernahme der Regeln hinsichtlich der Einheitswerte 1964 und der Messzahlen des § 15 GrStG für das Beitrittsgebiet zu einer nennenswerten Änderung der tatsächlichen Grundsteuerbelastung bebauter Grundstücke in den neuen Bundesländern führen würde, und zwar selbst dann nicht, wenn dies —wie die Kläger behaupten— generell zu niedrigeren Grundsteuermessbeträgen führte. Denn die tatsächliche Höhe der Grundsteuer ergibt sich erst durch die Anwendung des von der Gemeinde autonom festgesetzten Hebesatzes auf den Grundsteuermessbetrag. Diese bemisst den Hebesatz nach ihrem tatsächlichen Finanzbedarf und würde sinkende Grundsteuermessbeträge durch eine Erhöhung des Hebesatzes ausgleichen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 577
BFH/NV 2005 S. 577 Nr. 4
BAAAB-42540