BFH Beschluss v. - II B 129/03

§ 145 Abs. 3 Satz 3 BewG verstößt nicht gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG

Gesetze: BewG § 145 Abs. 3 Satz 3; GG Art. 19

Instanzenzug:

Gründe

I. Der im April 2001 verstorbene Erblasser ist von seinen beiden Töchtern A und B beerbt worden. Im Nachlass befand sich ein zusammenhängender größerer und mit zehn Mehrfamilienhäusern bebauter Grundbesitz. Der Grundbesitz bestand aus drei Flurstücken, von denen eines mit dem frei stehenden Haus Nr. 7 und den durch Brandmauern untereinander verbundenen Häusern Nrn. 28, 30 und 32 bebaut war. Sämtliche zehn Häuser bestanden aus sechs Wohnungen, die zum Teil noch einer Mietpreisbindung unterlagen. Der gesamte Grundbesitz ist mittlerweile für 3 550 000 DM im gewöhnlichen Geschäftsverkehr an einen einzigen Erwerber verkauft worden.

Bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens war angenommen worden, dieser zerfalle entsprechend der Anzahl der Häuser in zehn wirtschaftliche Einheiten mit allerdings unterschiedlich großem Umgriff. Demgemäß ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) auch bei der für die Erbschaftsteuer erforderlichen Bedarfsbewertung gemäß den §§ 138 ff. des Bewertungsgesetzes (BewG) von zehn wirtschaftlichen Einheiten aus, von denen er mit Bescheiden vom acht bei einem Bodenrichtwert von 650 DM/qm mit dem Mindestwert nach § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG und zwei im Ertragswertverfahren nach § 146 Abs. 2 bis 5 des Gesetzes bewertete. Dabei ergaben sich Grundstückswerte von zusammen 3 518 000 DM. Für das Mehrfamilienhaus Nr. 7 stellte das FA als Mindestwert nach § 146 Abs. 6 BewG den Grundstückswert einheitlich und gesondert auf 356 000 DM fest. Den Bescheid gab es der A für die Erbengemeinschaft A/B bekannt, nachdem B der A Empfangsvollmacht erteilt hatte.

Einspruch und Klage, mit denen beantragt worden war, die wirtschaftliche Einheit Nr. 7 mit dem Ertragswert gemäß § 146 Abs. 2 BewG in Höhe von 288 000 DM zu bewerten, blieben erfolglos. Begründet wurde dieses Begehren damit, dass ein Vergleich der Summe der Grundstückswerte, von denen acht Werte solche für fiktiv unbebaute Grundstücke darstellen, mit dem erzielten Verkaufserlös zeige, dass der gemeine Wert der fiktiv unbebauten Grundstücke wesentlich niedriger sein müsse, weil anderenfalls der erzielte Grundstückskaufpreis rechnerisch bereits durch die Werte für den Grund und Boden fast vollständig ausgeschöpft werden würde und nur ein kleiner Rest für die zehn Häuser übrig bliebe. Damit sei der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nach § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG geführt, und zwar eines so niedrigen, dass es bei dem Ertragswert nach § 146 Abs. 2 BewG zu bleiben habe.

Das Finanzgericht (FG) erließ das klageabweisende Urteil nur gegenüber A, weil es die unter der Angabe „Erbengemeinschaft A/B” erhobene Klage als eine solche lediglich der A in gesetzlicher Prozessstandschaft gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ansah. In der Sache war das FG der Ansicht, ein niedrigerer Grundstückswert sei weder gemäß § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG für das fiktiv unbebaute Grundstück nachgewiesen noch gemäß § 146 Abs. 7 des Gesetzes für das bebaute Grundstück.

Während des Klageverfahrens hatte die Klägerseite ein Gutachten des Gutachterausschusses der Stadt vorgelegt, wonach der Bodenrichtwert von 650 DM/qm speziell für den ererbten Grundbesitz wegen lärmemittierender Gewerbebetriebe in der Nachbarschaft, der Lage an einer verkehrsreichen Straße sowie der Bebauung mit 40 Jahre alten Mietshäusern und der Mietpreisbindung um zweimal 15 v.H. zu mindern sei. Dies ergab einen Bodenrichtwert von 455 DM/qm.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wird geltend gemacht, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung zu wegen folgender Rechtsfragen:

1. Verstößt es gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), dass gegen die gemäß § 145 Abs. 3 BewG auf der Basis der Bodenrichtwerte festgestellten Grundstückswerte für unbebaute Grundstücke nur durch den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts vorgegangen werden kann?

2. Kann der gemeine Wert eines Teilgrundstücks mit einem Haus aus dem Vergleich mit dem Kaufpreis für das Gesamtgrundstück mit zehn Häusern dergestalt abgeleitet werden, dass dieser Kaufpreis durch die Zahl der Häuser geteilt wird?

3. Kann aus dem Gesamtkaufpreis für einen Grundbesitz mit mehreren Häusern gefolgert werden, dass der Mindestwert des fiktiv unbebauten Grundbesitzes oder eines fiktiv unbebauten Teils dieses Grundbesitzes so weit hinter dem Gesamtkaufpreis zurückbleiben muss, dass eine angemessene Differenz für die tatsächlich vorhandene Bebauung verbleibt?

4. Kann der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts mit Hilfe des Kaufpreises aus dem zeitnahen Verkauf eines vergleichbaren Grundstücks auch gegen ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses geführt werden?

5. Kann das FA bei der Ermittlung eines Mindestwerts nach § 145 Abs. 3 BewG aufgrund eigener fallbezogener Überlegungen über die dort vorgesehene Ermäßigung der Bodenrichtwerte um 20 v.H. hinausgehen?

6. Kann das FG bei der Bewertung eines fiktiv unbebauten Grundstücks einen Abschlag vom Bodenrichtwert, den der Gutachterausschuss wegen der Mietpreisbindung und des Alters der vorhandenen Bebauung vorgenommen hat, unberücksichtigt lassen?

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Es kann auf sich beruhen, ob die Ausführungen des FG zur gesetzlichen Prozessstandschaft der A gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO zutreffend sind, da insoweit keine Verfahrensrügen erhoben worden sind. Der Sache kommt jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, da die aufgeworfenen Rechtsfragen entweder nicht klärungsbedürftig oder im Streitfall nicht klärungsfähig sind.

1. Die erste Frage ist nicht klärungsbedürftig, da sie ohne weiteres zu verneinen ist. Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, muss ihm gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg offen stehen. Der danach garantierte Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt muss so ausgestaltet sein, dass er eine tatsächlich wirksame Kontrolle durch die Gerichte darstellt und für den Rechtsuchenden zumutbar ist (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 2 BvR 236, 245, 308/74, BVerfGE 37, 150, 153, sowie vom 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275, 284). Gegen diese Rechtsschutzgarantie verstößt § 145 Abs. 3 BewG offensichtlich nicht.

Belastet wird der Steuerpflichtige nicht durch die von den Gutachterausschüssen gemäß § 196 des Baugesetzbuchs (BauGB) ermittelten Bodenrichtwerte, sondern durch die festgestellten Grundstückswerte. Diese müssen nach Art. 19 Abs. 4 GG einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein.

Dem Erfordernis ist genügt. Gegen den gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG auf der Grundlage des um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerts festgestellten Grundstückswert kann der Betroffene vor Gericht geltend machen, sein Grundstück weiche von den lagetypischen Merkmalen des Richtwertgrundstücks ab (vgl. dazu R 161 der Erbschaftsteuer-RichtlinienErbStR— 2003). Dies ist im Streitfall auch geschehen. Der Einwand ist vom FG auch aufgegriffen worden. Er hat allerdings nur zu einer Wertminderung geführt, die innerhalb des ohnehin gesetzlich vorgeschriebenen Abschlags von 20 v.H. lag. Gemäß § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG steht dem Betroffenen auch sonst die Möglichkeit offen, einen niedrigeren gemeinen Wert des fiktiv unbebauten Grundstücks nachzuweisen. Dass ihm dabei die Beweislast für den niedrigeren gemeinen Wert aufgebürdet wird, ist vor dem Hintergrund der jeder Grundstücksbewertung innewohnenden Unsicherheiten und der Tatsache, dass mit den Bodenrichtwerten auf der Basis von Verkaufsfällen eine anerkannt objektive Bewertungsgrundlage vorgegeben wird, im Rahmen eines typisierenden Bewertungsverfahrens —so § 138 Abs. 3 Satz 1 BewG (vgl. zur gesetzlichen Typisierung: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 3 AO 1977 Anm. 51)— nicht zu beanstanden.

Dass der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts im Streitfall nach der Rechtsauffassung des FG nicht gelungen ist, ergibt sich aus den Besonderheiten des zu beurteilenden Sachverhalts. Der Nachweis sollte mit Hilfe eines einheitlichen Verkaufspreises für einen größeren Grundbesitz mit mehreren Häusern geführt werden, die jedoch hinsichtlich der Mietpreisbindung und der ihnen jeweils zuzuordnenden Teilflächen Unterschiede aufweisen. Unter diesen Umständen sah sich das FG außerstande, den Gesamtkaufpreis für den Grundbesitz so auf die einzelnen Häuser mit den zugehörigen Teilflächen aufzuteilen, dass sich der auf die streitbefangene wirtschaftliche Einheit entfallende Teilbetrag ermitteln ließ. Ob diese Auffassung des FG zutrifft, ist aber keine Frage der Wahrung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG durch § 145 Abs. 3 BewG im Allgemeinen, sondern eine Frage der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall.

2. Die zweite Frage rechtfertigt schon deshalb keine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil sie sich im Streitfall offensichtlich nicht stellt und daher nicht klärungsfähig ist. Es liegt auf der Hand, dass eine Aufteilung des als Vergleichspreis herangezogenen Gesamtkaufpreises nach der Anzahl der aufstehenden Häuser nur dann in Betracht kommen kann, wenn sich diese Häuser bezüglich ihrer wertbildenden Faktoren einschließlich der ihnen zuzuordnenden Anteile am Grund und Boden gleichen. Diese Voraussetzung ist im Streitfall jedoch nicht gegeben.

3. Die dritte Frage kann im Streitfall von vornherein nur insoweit rechtserheblich und damit klärungsfähig sein, als sie den Mindestwert eines fiktiv unbebauten Teils des insgesamt verkauften Grundbesitzes betrifft. Aber auch mit dieser Einschränkung stellte sie sich im Streitfall nur dann, wenn zur Überzeugung des FG feststünde, welcher Teilbetrag des Gesamtkaufpreises auf die tatsächlich bebaute Teilfläche entfällt. Da es daran jedoch fehlt, kommt der Frage für den Streitfall insgesamt keine Bedeutung zu.

4. Auch die vierte Frage ist im Streitfall nicht klärungsfähig, da der Verkauf des gesamten Grundbesitzes aus den mehrfach genannten Gründen keinen Verkauf eines mit der streitbefangenen Teilfläche vergleichbaren Grundstücks darstellt.

5. Die fünfte Frage ist deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie ohne weiteres zu verneinen und daher nicht klärungsbedürftig ist (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, Kommentar, § 145 Anm. 22; Knobel in Viskorf/Glier/Hübner/ Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 145 BewG Anm. 19).

6. Die sechste Frage ist ohne weiteres zu bejahen. Ein derartiger Abschlag wäre unzulässig. Bei der Ermittlung des gemeinen Werts des fiktiv unbebauten Grundstücks gemäß § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG scheidet eine Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen Bebauung, in welcher Form auch immer, jedenfalls über die in R 176 Abs. 2 ErbStR 2003 vorgesehenen Ausnahmen hinaus, von vornherein aus (vgl. , BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179, unter II.2.). Angesichts der in § 146 Abs. 7 BewG geregelten Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert des bebauten Grundstücks auch in den Fällen eines Mindestwerts gemäß § 146 Abs. 6 BewG nachzuweisen, besteht keine Notwendigkeit, diesen Mindestwert entgegen der Fiktion eines unbebauten Grundstücks über die in R 176 Abs. 2 ErbStR 2003 vorgesehenen Ausnahmen hinaus, deren Berechtigung im Streitfall dahingestellt bleiben kann, von der tatsächlich vorhandenen Bebauung wertmindernd beeinflussen zu lassen (vgl. , juris Dok STRE200451130).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 507
BFH/NV 2005 S. 507 Nr. 4
HAAAB-42188