Sammelauskunftsersuchen an ein Kreditinstitut zwecks Ermittlung unbekannter Spekulationsgewinne
Instanzenzug:
Gründe
Mit Schreiben vom ... Juni 2002 richtete der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung —FA—) an die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine in der Rechtsform der Genossenschaft geführte Volksbank, ein Auskunftsersuchen im Besteuerungsverfahren gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 93 AO 1977 zum Zwecke der „Erteilung von Auskünften aus sämtlichen Wertpapierabrechnungen und Orderaufträgen über Veräußerungsgeschäfte für in- und ausländische Aktien und Fondanteile von Kunden für die Zeit vom bis zum , soweit diese den sogenannten 'Neuen Markt' (hierbei Neuemissionen nach dem ) betreffen und zwar hierbei sämtliche Veräußerungsgeschäfte, die unter Einbeziehung der hierzu gehörigen Käufe der Wertpapiere zu einem Spekulationsgewinn von mindestens 1.000 DM aus einem einzelnen Veräußerungsgeschäft geführt haben und von einer natürlichen Person getätigt worden sind...”.
Nach erfolglosem Einspruch hat die Antragstellerin hiergegen Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat.
Die von der Antragstellerin begehrte Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Auskunftsersuchens hat das FA abgelehnt. Hingegen hat das FG dem Begehren der Antragstellerin stattgegeben und die Vollziehung des Auskunftsersuchens bis einen Monat nach Bekanntgabe des Urteils im Hauptsacheverfahren oder anderweitiger Erledigung der Klage ausgesetzt. Das FG ließ es dahinstehen, ob im Streitfall neben allgemein zugänglichen Informationen sonstige —insbesondere bankeninterne— Informationen vorgelegen hätten, die einen hinreichenden Anlass für die beabsichtigten Ermittlungen böten, denn die AdV des Auskunftsersuchens sei bereits wegen der zumindest zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung sog. Spekulationsgewinne geboten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 822 i.V.m. 677 abgedruckten Gründe der Vorinstanz verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA, die im Wesentlichen damit begründet wird, dass bei der nach § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen zusätzlichen Interessenabwägung bei der Ermessensausübung das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft des Staates höher zu bewerten sei als das Interesse der Antragstellerin, allein aufgrund von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell verfassungskonform zustande gekommenen Gesetzes vorläufigen Rechtsschutz zu erreichen. Durch die vorläufige Vollziehung des Auskunftsersuchens drohten der Antragstellerin keine irreparablen Nachteile. Allein die abstrakte Behauptung eines unwiederbringlich zerstörten Vertrauensverhältnisses der Antragstellerin zu ihren Kunden und einem drohenden Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen, insbesondere überregional tätigen Kreditinstituten, begründe keine unbillige Härte. Die vom Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Vorlagebeschluss an das (BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74; Az. des BVerfG: 2 BvL 17/02) dargelegte Auffassung, die Besteuerung von Spekulationsgewinnen i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997 a.F.; jetzt § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG) sei wegen des Bestehens struktureller Vollzugshindernisse nicht mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar, werde vom FA nicht geteilt. Gerade das hier gewählte Mittel des Sammelauskunftsersuchens stelle ein ausreichendes, geeignetes und auch verhältnismäßiges Instrumentarium zur Gewährleistung der vom GG geforderten gleichmäßigen Besteuerung der Gewinne aus Spekulationsgeschäften dar. Selbst wenn die streitige Rechtsnorm verfassungswidrig sein sollte, sei nicht mit einer rückwirkenden Nichtigerklärung durch das BVerfG zu rechnen.
Das FA beantragt, den angefochtenen Beschluss des FG aufzuheben und die beantragte AdV abzulehnen.
Die Antragstellerin begehrt, die Beschwerde des FA zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, angesichts der erheblichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen seien die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in die Interessenabwägung einzubeziehenden Belange des von einem Hoheitsakt Betroffenen von besonderem Gewicht. Im Streitfall müsse das öffentliche Interesse an einem Normvollzug zwingend hinter den schutzwürdigen Belangen des Beteiligten zurücktreten. Wäre die Antragstellerin verpflichtet, das Sammelauskunftsersuchen zu beantworten, ehe seine Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren festgestellt würde, wäre das Vertrauensverhältnis der Antragstellerin zu ihren Kunden, die Geschäftsgrundlage für jedwede Bank, nachhaltig und irreparabel gestört; ferner würden irreversible Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen regionalen Bankinstituten und überregional tätigen Großbanken, die nicht von dem Auskunftsersuchen betroffen seien, drohen. Die sich hieraus ergebenden Folgen könnten nicht mehr rückgängig gemacht werden, falls sich später die Rechtswidrigkeit des Auskunftsersuchens erweise.
Überdies seien ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens auch deshalb gegeben, weil die vom (BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495) geforderten besonderen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Sammelauskunftsersuchens im Bankenbereich im Streitfall nicht vorlägen. Die u.a. aus den Lageberichten der Antragstellerin abgeleiteten Erkenntnisse des FA böten keinen hinreichenden Anlass für Ermittlungen, weil es sich dabei nicht, wie erforderlich, um konkrete interne Informationen des Kreditinstituts, dass gerade Kunden der Antragstellerin in einem erheblichen Maße in dem angefragten Zeitraum Aktiengeschäfte auf dem „Neuen Markt” getätigt und innerhalb der Spekulationsfrist auch Spekulationsgewinne realisiert hätten, handele. Schon deshalb müsse AdV gewährt werden.
Da inzwischen der (BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663) die Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne (für das Jahr 1997) in ihrem Vollzug ausgesetzt habe, so müsse dies auch für das hier streitige Auskunftsersuchen gelten, zumal im Falle der Durchführung des Ersuchens die Rechtsposition der Antragstellerin endgültig und nicht korrigierbar beeinträchtigt wäre.
Die vom FG zugelassene (§ 128 Abs. 3 FGO) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des FA ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass wegen der zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass seit dem Vorlagebeschluss des IX. Senats des BFH an das BVerfG in BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74 ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der den Steueranspruch bei Spekulationsgewinnen begründenden Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1997 a.F. bestehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das mit Fragen der Spekulationsbesteuerung befasste Gericht die Überzeugung des IX. Senats, diese Vorschrift sei wegen des Bestehens struktureller Vollzugshindernisse nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, teilt (so wie das FG); maßgeblich ist insoweit vielmehr, dass mit dem Vorlagebeschluss eines obersten Bundesgerichts ein Präjudiz geschaffen worden ist, welches nachfolgende Gerichtsentscheidungen zwingend zu berücksichtigen haben. Schon aus Respekt vor der höchstrichterlichen Entscheidung kann jetzt bis zur endgültigen Entscheidung des BVerfG über die Vorlage nicht mehr davon ausgegangen werden, dass keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Spekulationsbesteuerung beständen. Nicht in Widerspruch hierzu steht, dass der beschließende Senat selbst in seinem Beschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495 nur einige Monate vor dem Zeitpunkt der Vorlage des IX. Senats an das BVerfG inzident von der Verfassungsmäßigkeit der Spekulationsbesteuerung ausgegangen ist.
2. Mit Beschluss in BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663 hat der nämliche IX. Senat des BFH ferner entschieden, dass aus den ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Norm auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines auf die Norm gestützten und angefochtenen Steuerbescheids folgen und hat deshalb die Vollziehung des Steuerbescheids ausgesetzt. Hier mag es immerhin diskussionswürdig sein, ob der verfassungsrechtliche Anspruch des (dort steuerunehrlichen) Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) wirklich hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurücktreten muss, dieser also die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verdient, wie der IX. Senat des BFH meint (a.A. FG Düsseldorf als Vorinstanz, EFG 2003, 557; kritisch auch Bilsdorfer, Zur derzeitigen Situation bei der steuerlichen Erfassung von Spekulationsgewinnen, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2509).
Der Senat sieht indes davon ab, sich mit dieser Frage näher zu beschäftigen, da das Bundesministerium der Finanzen (BMF) der Auffassung des IX. Senats gefolgt ist und im IV D 2 –S 0338– 53/03 (BStBl I 2003, 402) die obersten Finanzbehörden der Länder gebeten hat, auf Antrag des Steuerpflichtigen AdV zu gewähren, wenn mit einem Rechtsbehelf die Verfassungswidrigkeit der Spekulationsbesteuerung —auch für Veranlagungszeiträume vor 2000— geltend gemacht wird. Der Senat sieht weder Notwendigkeit noch Veranlassung, den dadurch insoweit eingetretenen vorläufigen bundesweiten Rechtsfrieden durch Formulierung einer ggf. abweichenden Ansicht zu stören.
3. Der Senat teilt die Auffassung des FG, dass die im Verfassungsrecht begründeten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines die Spekulationssteuer festsetzenden Steuerbescheids grundsätzlich auch auf die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsersuchens durchschlagen, dessen Ziel es ist, bisher unbekannte Einkünfte aus Spekulationsgeschäften aufzudecken, um die entsprechenden staatlichen Steueransprüche durchsetzen zu können.
Mitwirkung eines Beteiligten oder anderer Personen bei der Erfüllung eines Auskunftsersuchens (§ 93 AO 1977) kann nach in der Rechtsprechung feststehenden Grundsätzen (vgl. , BFH/NV 1993, 76, und vom VII R 73/98, BFHE 191, 211, BStBl II 2000, 366, m.w.N.) nur verlangt werden, wenn sie zur Feststellung eines steuererheblichen Sachverhalts geeignet und notwendig und für den Betroffenen erfüllbar, verhältnismäßig und zumutbar ist. Die Inanspruchnahme eines Dritten zur Auskunftserteilung bedarf dabei darüber hinaus einer Interessenabwägung zwischen den besonderen Belastungen, denen ein Auskunftspflichtiger ausgesetzt ist, und dem Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst gleichmäßigen Festsetzung und Verwirklichung der Steueransprüche (BFH in BFHE 191, 211, BStBl II 2000, 366; Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl. 2003, § 93 Rz. 6).
Im Streitfall bestehen zunächst ernstliche Zweifel an der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des Auskunftsersuchens, weil es keinen Sinn macht, umfangreiche und aufwändige Ermittlungen durchzuführen, die sowohl die Antragstellerin als auch die staatlichen Fahndungs- und Steuerbehörden mit viel Arbeit belasten, aber möglicherweise vergeblich sind und zu nichts führen, wenn das BVerfG die Spekulationssteuer als verfassungswidrig erachten sollte.
Einzig der Gesichtspunkt drohender Festsetzungsverjährung könnte es unter den gegebenen Umständen rechtfertigen, das Auskunftsverfahren durchzuziehen, um den Erlass entsprechender Steuerbescheide zu ermöglichen, die dann bis zur endgültigen Entscheidung des BVerfG in ihrer Vollziehung auszusetzen wären. Eine solche Gefahr sieht der Senat allerdings nicht. Angesichts der langen Verjährungsfristen bei Steuerhinterziehung und leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) droht Steuerfestsetzungsverjährung im Streitfall nicht unmittelbar. So würde die Festsetzungsverjährung für einen im Mai 1998, dem vom Auskunftsersuchen betroffenen frühesten Zeitpunkt, verwirklichten Spekulationsgewinn, der im Normalfall in der bis zum abzugebenden Einkommensteuererklärung anzumelden gewesen wäre, erst mit Ablauf des Jahres 1999 beginnen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977) und im leichteren Fall einer lediglich leichtfertigen Steuerverkürzung bei einer Verjährungsfrist von fünf Jahren erst zum enden. Zudem hat das BVerfG (Verfahren 2 BvL 17/02) nach von der zuständigen Geschäftsstelle bestätigten Presseberichten schon für den 18. November dieses Jahres eine mündliche Verhandlung über die Vorlage des IX. Senats des BFH angesetzt, so dass mit einer baldigen Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Spekulationssteuer zu rechnen ist. Mit dem Gesichtspunkt der drohenden Festsetzungsverjährung können also die ernstlichen Zweifel an der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des Auskunftsersuchens derzeit nicht ausgeräumt werden.
Auch die Interessenabwägung fällt eindeutig zu Gunsten der Antragstellerin aus. Dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft droht kein bleibender Schaden, wenn das FA von der Durchsetzung des Auskunftsersuchens vorerst Abstand nimmt und sein weiteres Vorgehen nach der in Bälde zu erwartenden Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Spekulationsbesteuerung ausrichtet. Bestätigt die Entscheidung den staatlichen Steueranspruch, so bedeutete die AdV des Auskunftsersuchens lediglich einen Aufschub in der Verfolgung dieses dann immer noch durchsetzbaren Steueranspruchs, dessen Entstehungsumstände nicht vertuscht werden können. Diesen Aufschub muss der Rechtsstaat ertragen. Andererseits wäre das Vertrauensverhältnis der Antragstellerin zu ihren Kunden für immer gestört, wenn sie jetzt die geforderten Auskünfte erteilen müsste, später sich aber herausstellte, dass es hierfür keine Berechtigung gab.
4. Da AdV des Auskunftsersuchens letztlich bereits wegen der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Spekulationsbesteuerung zu gewähren war, brauchte der Senat, wie schon das FG, die Frage nicht zu erörtern, ob im Streitfall überhaupt die besonderen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Sammelauskunftsersuchens im Bankenbereich erfüllt waren, so wie sie der Senat in seinem Beschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495 aufgestellt hat. Sollte diese Frage in einem späteren Stadium des Verfahrens noch einmal relevant werden, so wäre vorsorglich darauf hinzuweisen, dass der Senat ausweislich der Gründe jener Entscheidung unter „sparkasseninternen Informationen” nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Geschäfts- und Lageberichte oder sonstige für die Öffentlichkeitsarbeit bestimmte Publikationen verstanden haben wissen möchte, sondern solche Auskünfte und Informationen, die von Personen aus dem Bankbereich anlässlich von Anzeigen, Erkundigungen bei und Gesprächen mit Bankmitarbeitern sowie bereits aufgrund von ersten durchgeführten Prüfungen und Auswertungen von zur Verfügung gestellten Bankunterlagen gewonnen worden sind. Veröffentlichte Geschäftsberichte oder sonstige Publikationen gäben nur dann einen hinreichenden Anlass für Ermittlungen der Steuerfahndung ab, wenn sie unmittelbar die Kenntnis vermittelten, dass gerade Kunden dieses Kreditinstituts in erheblicher Zahl in einem bestimmten Marktsegment Aktiengeschäfte getätigt und innerhalb der Spekulationsfrist Spekulationsgewinne realisiert hätten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 191
BFH/NV 2004 S. 191 Nr. 2
RAAAB-36824