OFD München - S 0256 - 10 St 313

Entschädigung von Auskunftspflichtigen und Sachverständigen im Besteuerungsverfahren

1. Geltungsbereich

Werden im Besteuerungsverfahren Auskünfte von Dritten und Sachverständigen eingeholt, bestimmt sich ihre Entschädigung nach § 107 AO in Verbindung mit dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz – JVEG – (eingeführt ab durch Art. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom (BGBl 2004 I S. 718; BStBl 2004 I S. 486)). Die Vorschrift des § 107 AO gilt in allen Abschnitten des Besteuerungsverfahrens einschließlich des Außenprüfungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Einspruchverfahrens.

In Steuerstraf- oder in Bußgeldverfahren, in denen die Finanzbehörde die Ermittlungen selbständig durchführt, sind die von der Finanzbehörde zu Beweiszwecken herangezogenen Zeugen und Sachverständigen entsprechend § 405 AO in der Neufassung des Artikels 4 Abs. 57 Nr. 3 KostRMoG und Nr. 55 AStBV (St) 2004 nach dem JVEG zu entschädigen bzw. zu vergüten (vgl. – 5 St 354 und OFD Nürnberg S 0725 – 7/St 42 vom ).

Eine besondere gesetzliche Regelung besteht für Dritte, die aufgrund eines Beweiszwecken dienenden Ersuchens der Strafverfolgungsbehörde Gegenstände herausgeben (§ 95 Abs. 1 StPO) oder die Pflicht zur Herausgabe entsprechend einer Anheimgabe der Strafverfolgungsbehörde abwenden, Auskunft erteilen oder die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs ermöglichen (§ 100b Abs. 3 StPO). Diese Dritten haben nach § 23 Absatz 1 JVEG einen Anspruch darauf, wie Zeugen entschädigt zu werden.

Die nachfolgenden Regelungen haben nur die Entschädigung von Auskunftspflichtigen (d.h. anderen Personen gem. § 93 AO) und Sachverständigen nach § 107 AO zum Gegenstand.

2. Anspruchsberechtigte

2.1.

Die von einem Finanzamt zu Beweiszwecken herangezogenen Auskunftspflichtigen (§ 93 AO) und Sachverständigen (§ 96 AO) erhalten auf Antrag eine Entschädigung bzw. Vergütung in entsprechender Anwendung des JVEG (vgl. Gesetzestext in AIS unter Arbeitsbereiche/BuStra/Dienst- und Arbeitsanweisungen), soweit sie weder Beteiligte (§§ 78, 359 AO) sind noch die Auskunftspflicht für einen Beteiligten zu erfüllen haben (wie z.B. die gesetzlichen Vertreter und die Verfügungsberechtigten i.S. der §§ 34, 35 AO sowie die Bevollmächtigten und die von Amts wegen bestellten Vertreter der Beteiligten i.S. der §§ 80, 81 AO).

Auskunftspflichtige können natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften sein. Entschädigungsberechtigt sind auch Geldinstitute.

Nimmt ein Auskunftspflichtiger oder ein Sachverständiger eine Hilfsperson (z.B. Steuerberater) in Anspruch, so hat diese keinen eigenen Entschädigungsanspruch (Urteil des , n.v.).

2.2.

Die dem Drittschuldner durch die Erfüllung seiner Erklärungspflicht gem. § 316 AO entstehenden Kosten sind nicht nach § 107 AO zu erstatten. Dies gilt auch, wenn das Finanzamt die Angaben in der Drittschuldnererklärung für unzureichend hält und deshalb um Ergänzung oder Vervollständigung nachsucht. Eine Entschädigung kommt aber in Betracht, wenn das Finanzamt den Drittschuldner um Auskünfte ersucht, die über dessen Erklärungspflicht gem. § 316 AO hinausgehen.

3. Anspruch auf Entschädigung

Die Entscheidung darüber, ob ein Auskunftspflichtiger oder Sachverständiger eine Entschädigung oder Vergütung erhält, liegt nicht im Ermessen des Finanzamts. Beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht auf die Entschädigung ein Rechtanspruch ( BStBl 1981 II S. 392).

4. Fürsorgepflicht des Finanzamts

Handelt es sich bei dem Auskunftspflichtigen um eine Person, bei der Kenntnisse über den Entschädigungsanspruch nicht vorausgesetzt werden können und ist ersichtlich, dass dem Verpflichteten durch die Auskunftserteilung nicht nur ganz unbedeutende Kosten erwachsen werden, ist er auf die Entschädigungsmöglichkeit gem. § 107 AO und das Erfordernis der Antragstellung hinzuweisen (vgl. § 89 AO).

5. Umfang der Entschädigung

5.1. Auskunftspflichtige

5.1.1.

Erledigt der Auskunftspflichtige das Auskunftsersuchen selbst oder beauftragt er Personen, die in seinem Betrieb beschäftigt sind, so werden der Verdienstausfall bzw. die Personalkosten mit dem Betrag erstattet, den ein Zeuge nach § 22 JVEG beanspruchen könnte. Der Zeitaufwand darf jedoch höchstens mit 17 Euro je Stunde angesetzt werden. Dabei ist unbeachtlich, ob dem Antragsteller durch Zahlung von Überstundenvergütungen oder Neueinstellungen ein Mehraufwand entstanden ist. Soweit die Entschädigung nach Stunden bemessen ist, wird sie für höchstens 10 Stunden je Tag gewährt (§ 19 Abs. 2 JVEG). Die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet.

5.1.2.

Werden keine Fachkräfte beschäftigt und kann auch kein Verdienstausfall nachgewiesen werden, kann nach § 20 JVEG nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis von 3 Euro je Stunde gewährt werden. Dies gilt nicht, wenn durch die Auskunftserteilung ersichtlich kein Nachteil entstanden ist.

5.1.3.

Auskunftspflichtige, die nicht erwerbstätig sind und einen Haushalt für mehrere Personen führen, erhalten eine Entschädigung von 12 Euro je Stunde (§ 21 Satz 1 JVEG). Das gleiche gilt für Teilzeitbeschäftigte, die außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit herangezogen wurden (§ 21 Satz 2 JVEG). Die Entschädigung von Teilzeitbeschäftigten wird für höchstens 10 Stunden je Tag gewährt abzüglich der Zahl an Stunden, die der vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit entspricht.

5.1.4.

In allen Fällen der Geltendmachung von Verdienstausfall oder Personalkosten ist zu prüfen, ob der geltend Arbeitsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der erteilten Auskunft steht.

5.1.5.

Auskunftspflichtige können auch Fahrtkostenersatz gem. § 5 JVEG und Aufwandsentschädigung (Tagegeld) gem. § 6 JVEG erhalten. Derartige Entschädigungen kommen im Rahmen des § 107 AO jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht. Bei Geltendmachung ist auf die detaillierten Regelungen im Gesetz zurückzugreifen.

5.1.6.

Für die Praxis bedeutsam ist jedoch der Ersatz für sonstigen Aufwendungen, insbesondere der Kosten für die Anfertigung von Kopien (§ 7 Abs. 2 JVEG). Danach wird für die ersten 50 Seiten 0,50 Euro, für jede weitere Seite 0,15 Euro und für die Anfertigung von Farbkopien 2,00 Euro je Seite ersetzt.

Aufwendungen für unaufgefordert eingereichte Abschriften und Ablichtungen werden nicht erstattet.

Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien anstelle von Fotokopien werden 2,50 Euro je Datei erstattet (§ 7 Abs. 3 JVEG). § 147 Abs. 5 AO ist in den Fällen einer sich aus §§ 93, 107 AO ergebenden Entschädigungsverpflichtung nicht anwendbar ( a.a.O.).

5.1.7.

Für die Vorlage von Urkunden (§ 97 AO) und für die Duldung der Einnahme des Augenscheins (§ 98) kann eine Entschädigung nach § 107 AO nicht beansprucht werden. Verlangt das Finanzamt von einem Vorlagepflichtigen unter Hinweis auf § 97 AO nur die Vorlage von Urkunden, kommt eine Entschädigung daher nicht in Betracht. Dies gilt auch hinsichtlich der Kosten, die der Vorlagepflichtige aufwenden muss, um auf Datenträger gespeicherte Unterlagen lesbar zu machen, sowie der Kosten, die der Ausdruck der Unterlagen oder die Fertigung von lesbaren Reproduktionen verursacht (vgl. Nr. AEAO zu § 107). Bei einem kombinierten Auskunfts- und Vorlageersuchen hat der ersuchte Dritte dagegen Anspruch auf Ersatz aller seiner mit dem Ersuchen zusammenhängenden Aufwendungen, d.h. auch jener, die ihm im Zusammenhang mit der Vorlage von Urkunden entstanden sind ( BStBl 1988 II S. 163). In einem solchen Fall ist die Vorlagepflicht als Nebenpflicht der Auskunftspflicht anzusehen.

5.1.8.

Das JVEG sieht grundsätzlich keine Vergütung für die Benutzung von Werkzeugen, Geräten oder technischen Einrichtungen vor, die der Auskunftspflichtige bei der Ausübung seines Berufs oder Gewerbes ohnehin benötigt. Abnutzung im üblichen Rahmen begründet keinerlei Ersatzanspruch. Deshalb können z. B. bei Geldinstituten nur die Aufwendungen für den Arbeitseinsatz von Mitarbeitern (vgl. Tz. 5.1.1 und 5.1.2) ersetzt werden, die das gewünschte Zuordnen der in Betracht kommenden Mikrofilme zu den entsprechenden Kontounterlagen, das Heraussuchen der Mikrofilme, das Ausfindigmachen des richtigen Bildes, dessen Vergrößerung und Fotokopie sowie das Rückeinordnen der Filme vorgenommen haben. Hierfür wird ein Zeitaufwand von durchschnittlich 8 Minuten pro Bild als realistisch (vgl.  –, n.v.) angesehen.

5.1.9.

Die Entschädigung des Auskunftspflichtigen stellt einen sog. „echten” Schadenersatz dar. Dieser unterliegt nicht der Umsatzsteuer (vgl. Abschn. 3 Abs. 8 UStR). Soweit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, ist sie somit nicht zu erstatten (vgl. aber unten Tz. 5.2.3).

5.2. Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer

5.2.1.

Der Einsatz unabhängiger Sachverständiger gem. § 96 AO kommt im Besteuerungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Betracht; soweit erforderlich, sind die jeweils zuständigen Sachverständigen der Finanzverwaltung einzuschalten. Der Entschädigungsnorm des § 107 kommt in diesem Bereich daher keine große Bedeutung zu.

5.2.2.

In den wenigen in Betracht kommenden Fällen sind insbesondere folgende Vorschriften des JVEG zu beachten:

  • §§ 8, 9 JVEG: Danach erhalten Sachverständige für ihre Leistungen ein Honorar nach Stundensätzen zwischen 50 und 85 Euro abhängig von der Honorargruppe. Die Abrechnung erfolgt auch für Reise- und Wartezeiten bis zur jeweils angefangenen halben Stunde.

  • § 9 Abs. 3 JVEG: Das Honorar eines Dolmetschers beträgt für jede Stunde 55 Euro.

  • § 10 JVEG: Honorar für besondere Leistungen

  • § 11 JVEG: Das Honorar für eine Übersetzung beträgt 1,25 Euro für jeweils angefangene 55 Anschläge des schriftlichen Textes, ist die Übersetzung, insbesondere wegen der Verwendung von Fachausdrücken oder schwerer Lesbarkeit des Textes, erheblich erschwert, erhöht sich das Honorar auf 1,85 Euro, bei außergewöhnlich schwierigen Texten auf 4 Euro. Maßgebend für die Anzahl der Anschläge ist der Text in der Zielsprache; werden jedoch nur in der Ausgangssprache lateinische Schriftzeichen verwendet, ist die Anzahl der Anschläge des Textes in der Ausgangssprache maßgebend.

  • § 12 JVEG: Ersatz für besondere Aufwendungen

  • §§ 5, 6 JVEG: Fahrtkostenersatz und Aufwandsentschädigungen,

  • § 7 JVEG: Ersatz für sonstige Aufwendungen

5.2.3.

Im Gegensatz zur Entschädigung des Auskunftspflichtigen ist die auf die Entschädigung des Sachverständigen entfallende Umsatzsteuer erstattungsfähig, sofern sie nicht nach § 19 Abs. 1 UStG unerhoben bleibt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG).

6. Geltendmachung und Erlöschen des Anspruchs, Verjährung

6.1.

Von Auskunftspflichtigen und Sachverständigen ist der Entschädigungs- bzw. Vergütungsanspruch innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten geltend zu machen. Die Frist beginnt mit der Abgabe der erbetenen Auskunft gegenüber der ersuchenden Stelle, bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen mit Beendigung der Vernehmung, mit der Übergabe der herauszugebenden Gegenstände an die ersuchende Strafverfolgungsbehörde oder mit der Überwachung des Fernmeldeverkehrs.

Wird die Frist überschritten, erlischt der Anspruch (§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Fristverlängerung ist unzulässig und. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) ist – im Gegensatz zu § 2 Abs. 2 JVEG – nicht vorgesehen.

Bei der Fristberechnung ist § 108 AO zu beachten.

6.2.

Im Übrigen verjähren die Entschädigungsansprüche der Auskunftspflichtigen und Sachverständigen drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Pflicht erfüllt wurde (§ 2 Abs. 3 JVEG i.V.m. § 195 BGB). Die Vorschriften der Abgabenordnung über die Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO) sind nicht anwendbar, weil es sich bei den Entschädigungsansprüchen nach § 107 AO nicht um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) handelt.

7. Festsetzung der Entschädigung

Für die Festsetzung der Entschädigungen nach § 107 AO ist die Geschäftsstelle der Finanzbehörde zuständig. In die Überprüfung und Entscheidung über die Entschädigungsansprüche soll die Dienststelle im Finanzamt einbezogen werden, die die Auskunft verlangt oder das Gutachten angefordert hat. Die Entschädigung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt, in dem sowohl über den Grund als auch über die Höhe des Anspruchs entschieden wird, festzusetzen ( EFG 1994 S. 819). Wird dem Antrag nicht oder nur zum Teil entsprochen, sind die hierfür maßgeblichen Gründe spätestens im Bescheid zu erläutern (§ 121 AO).

8. Rechtsbehelfe

Im Besteuerungsverfahren entscheidet das die Auskunft begehrende Finanzamt über den Antrag auf Kostenerstattung. Lehnt das Finanzamt den Entschädigungsantrag ganz oder teilweise ab, so ist gegen diesen Verwaltungsakt der Rechtsschutz nach der AO/FGO gegeben (Einspruch, Verpflichtungsklage).

Im Steuerstrafverfahren ist die Entschädigung bei der selbständig ermittelnden Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts zu beantragen, die um Auskunft ersucht hat. Lehnt diese Behörde eine Entschädigung ganz oder teilweise ab, kann Antrag auf richterliche Festsetzung bei dem (ordentlichen Gericht) beantragt werden, bei dem die Staatsanwaltschaft errichtet ist (§§ 405 AO, 4 Abs. 1 Nr. 4 JVEG). Der Finanzrechtsweg ist dann nicht gegeben (vgl. BStBl 1981 II S. 349).

Inhaltlich gleichlautend
OFD München v. - S 0256 - 10 St 313
OFD Nürnberg v. - S 0256 - 18/St 24

Fundstelle(n):
PAAAB-25975