OFD Koblenz - S 2137 A

Gewährleistungsrückstellungen in der Bauwirtschaft;
Ermittlung der Pauschalrückstellung

Es ist gefragt worden, ob in der Bauwirtschaft pauschale Gewährleistungsrückstellungen in Anlehnung an Sicherheitseinbehalte in Höhe von 2 – 3 v. H. der Auftragssumme gebildet werden können. Hierzu gilt nach Abstimmung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder Folgendes:

1. Grundsätze

Aufwendungen, die erst in einem späteren Wirtschaftsjahr zu einer in ihrer Höhe und ihrem genauen Fälligkeitstermin am Bilanzstichtag noch nicht feststehenden Ausgabe führen, sind unter den Voraussetzungen von § 249 Handelsgesetzbuch (HGB) dem Wirtschaftsjahr ihrer Verursachung zuzurechnen und als Rückstellung auszuweisen. Das gilt auch für Garantie- und Gewährleistungsrückstellungen.

In der Steuerbilanz gilt nach § 5 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) Entsprechendes, soweit das Steuerrecht keine vom Handelsrecht abweichenden Ansatzvorschriften enthält.

R 31c Einkommensteuerrichtlinien (EStR) enthält allgemeine Erläuterungen zur Auslegung der vorstehenden Rückstellungsvoraussetzungen. Diese geben insbesondere die Grundsätze wieder, die der BFH in langjähriger Rechtsprechung zu § 249 HGB (i. V. m. § 5 Abs. 1 EStG) aufgestellt hat. Danach ist eine Rückstellung (zwingend) zu bilden, wenn

  1. am Bilanzstichtag eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung vorliegt,

  2. die Verpflichtung am Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht ist,

  3. mit der künftigen Inanspruchnahme aus der Verpflichtung zu rechnen ist und

  4. die künftigen Aufwendungen nicht zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten für ein Wirtschaftsgut führen.

Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten darf u. a. nur dann gebildet werden, wenn mit der Inanspruchnahme aus einer nach ihrer Entstehung oder Höhe ungewissen Verpflichtung ernsthaft zu rechnen ist (R 31c Abs. 2 EStR). Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ist aufgrund objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender und spätestens bei Aufstellung der Bilanz erkennbarer Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen, es müssen mehr Gründe für als gegen die Inanspruchnahme sprechen, vgl. R 31c Abs. 5 EStR.

2. Garantie- und Gewährleistungsrückstellungen in der Bauwirtschaft

Garantie- und Gewährleistungsrückstellungen, mit denen das Risiko künftigen Aufwands durch kostenlose Nacharbeiten, durch Ersatzlieferungen oder aus Minderungen bzw. Schadensersatzleistungen wegen Nichterfüllung aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Gewährleistungen erfasst werden soll, können bei Vorliegen der o. g. Voraussetzungen als Einzelrückstellungen für die bis zum Tag der Bilanzaufstellung bekannt gewordenen einzelnen Garantiefälle oder als Pauschalrückstellung gebildet werden.

Für die Bildung von Pauschalrückstellungen ist weiter Voraussetzung, dass der Kaufmann aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit Garantieinanspruchnahmen rechnen muss oder dass sich aus der branchenmäßigen Erfahrung und der individuellen Gestaltung des Betriebs die Wahrscheinlichkeit ergibt, Garantie- oder Gewährleistungen erbringen zu müssen.

Die Unternehmen der Bauindustrie bieten unterschiedliche Gewährleistungszeiträume (z. B. 2 Jahre nach § 13 Nr. 4 Abs. 1 der Verdingungsordnung für Bauleistungen – Teil B (VOB/B) oder 5 Jahre nach § 638 Abs. 1 BGB). Unterschiedliche Risiken im Rahmen eines Bauvorhabens sind differenziert zu betrachten.

In der Baubranche sind die gewährleistungspflichtigen Umsätze den einzelnen Sparten (Hochbau, Tiefbau, Straßenbau etc.) zuzuordnen. Lediglich die am Abschlussstichtag abgenommenen und abgerechneten Bauleistungen, ggf. auch Teilleistungen, können Bemessungsgrundlage der Gewährleistungsrückstellung sein. Die gewährleistungspflichtigen Umsätze sind um die Leistungen (Subunternehmerleistungen, anteilige ARGE Leistungen etc.) zu mindern, bei denen Rückgriffsmöglichkeiten auf Dritte bestehen.

Aus der Inanspruchnahme von Sicherheitseinbehalten von bis zu 5 v. H. der Auftragssumme können keine Rückschlüsse auf die tatsächlich erbrachten oder künftig zu erbringenden Garantieleistungen gezogen werden. Sicherheitseinbehalte erfüllen lediglich die Funktion einer Kaution und sind keine Vorauszahlungen auf die zu erwartenden Gewährleistungen.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom kann von der Finanzverwaltung die Bildung einer Pauschalrückstellung für Gewährleistungsrisiken nicht von vornherein abstrakt auf einen bestimmten Prozentsatz des garantiebehafteten Umsatzes beschränkt werden. Sofern diese Prozentsätze jedoch auf der Basis langjähriger Erfahrungen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, dürften diese Sätze in der Folgezeit auch übernommen werden. Somit steht das Urteil des EuGH nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der die Erfahrungen der Vergangenheit für die Bemessung der Gewährleistungsrückstellungen heranzieht (vgl. BVH/NV 1998 S. 1217).

In der Praxis der Finanzverwaltung wird die Rückstellungshöhe aus Vereinfachungsgründen vielfach nicht beanstandet, wenn bestimmte – je nach Art der Bauleistungen unterschiedliche – Sätze, die aus der Erfahrung der Vergangenheit abgeleitet werden, nicht überschritten sind. Solche Erfahrungssätze dienen der Arbeitserleichterung. Dem Steuerpflichtigen bleibt es aber unbenommen, einen tatsächlich höheren Rückstellungsbedarf durch geeignete Unterlagen nachzuweisen.

Unterstellte Gewährleistungszeiträume und -prozentsätze, die keinen Bezug zur tatsächlichen Inanspruchnahme haben, stehen nicht im Einklang mit geltenden Bilanzierungsgrundsätzen. Dem Anliegen einer pauschalen Gewährleistungsrückstellung von 2 – 3 v. H. kann daher nicht gefolgt werden. Vielmehr sind bei der Bemessung der Rückstellungshöhe die in der Bauwirtschaft unterschiedlichen Gewährleistungszeiträume und Risiken bei Bauvorhaben zu beachten.

Bei der Ermittlung der Pauschalwerte für die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus Gewährleistungsverpflichtungen stehen weiter

  • die Gegebenheiten der speziellen Branche (z. B. Hoch-, Tief- oder Straßenbau),

  • die individuell technischen und betriebswirtschaftlichen Verhältnisse (z. B. Qualitätsmanagement, Produktionsverfahren und Materialeinsatz) und

  • die konkreten vertraglichen Vereinbarungen (z. B. Gewährleistungszeitraum)

im Vordergrund.

Dabei sind immer die Umstände des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtung der vorhandenen betriebswirtschaftlichen individuellen Gegebenheiten maßgebend. Die Vorgabe einer allgemein gültigen Leitlinie für die Berechnung von Pauschalrückstellungen in der Bauwirtschaft würde dagegen aufgrund der genannten unterschiedlichen betrieblichen Verhältnisse und zivilrechtlichen Vereinbarungen zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen und kann daher nicht befürwortet werden.

OFD Koblenz v. - S 2137 A

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Fundstelle(n):
XAAAB-23356