Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen bei Ehegatten
Leitsatz
Bei der Kürzung des zusammenveranlagten Ehegatten gemeinsam zustehenden Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG) ist in die Bemessungsgrundlage „Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit„ nur der Arbeitslohn desjenigen Ehegatten einzubeziehen, für den Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder der zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Gesetze: EStG § 10 Abs. 3
Instanzenzug: (EFG 2003, 611) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr 2001 erzielte die Klägerin sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 12 000 DM und der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 104 592 DM. Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung hat der Kläger nicht erworben.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 2001 machten die Kläger Vorsorgeaufwendungen in Höhe von insgesamt 19 005 DM als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte lediglich 7 830 DM. Dabei bezog das FA in die Berechnungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit mit ein, so dass kein Vorwegabzug verblieb.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 611). Bei der Kürzung des gemeinsamen Vorwegabzugs seien nur die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin zu berücksichtigen, da nur diese die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG in eigener Person erfülle.
Dagegen wendet sich das FA mit der Revision, die es im Wesentlichen wie folgt begründet: Das finanzgerichtliche Urteil verletze die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG. Der Gesetzgeber habe dort eine generalisierende Regelung getroffen, die aus dem Umstand, dass überhaupt Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, darauf schließe, dass ein weiterer Vorwegabzug nicht geboten sei. Eine individuelle Berechnung, die nur auf die Einnahmen der Klägerin abstelle, sei nach diesem Konzept nicht vorzunehmen. Das ergebe sich auch aus § 26b EStG, wonach zusammen zu veranlagende Ehegatten nach der Zusammenrechnung ihrer Einkünfte gemeinsam als Steuerpflichtiger zu behandeln seien.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der den Klägern gemeinsam zustehende Vorwegabzug lediglich um 16 v.H. des Arbeitslohns der Klägerin zu kürzen ist.
1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr 2001 geltenden Fassung beträgt der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten 12 000 DM. Dieser Betrag ist gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Die in dieser Bestimmung enthaltene Kürzungsregelung ist unter Berücksichtigung ihres Sinns und Zweckes sowie ihrer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dahin gehend auszulegen, dass im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten nur der Arbeitslohn desjenigen Ehegatten in die Bemessungsgrundlage „Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit„ einzubeziehen ist, für den Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder der zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
a) Der Vorwegabzug ist durch das Steueränderungsgesetz 1961 eingeführt worden, um solchen Steuerpflichtigen, die die Kosten ihrer Zukunftssicherung allein aufbringen müssen, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge zur Zukunftssicherung übernimmt und dieser sog. Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Sozialversicherung steuerfrei bleibt (vgl. BTDrucks 3/2573, 17, 21; , BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183, m.w.N.). Den annähernden Ausgleich erreicht das Gesetz dadurch, dass es zunächst den Vorwegabzug allen Steuerpflichtigen gewährt, dann aber eine Kürzung des Vorwegabzugs bei solchen Steuerpflichtigen vorschreibt, für die deren Arbeitgeber Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringt. Bemessungsgrundlage für den ab einschließlich 1993 in einem pauschalierten Verfahren zu errechnenden Kürzungsbetrag ist die Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Kläger ist als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zwar steuerrechtlich Arbeitnehmer und erzielt als solcher Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Er ist jedoch kein Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn und unterliegt nicht der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger auch keine vertraglichen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung erworben. Er gehört deshalb zu dem Personenkreis, der die Kosten für seine Zukunftssicherung allein aufbringen muss und für den nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung eine Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen nicht vorzunehmen ist.
b) Für die vorgenommene Auslegung spricht auch die historische Entwicklung der gesetzlichen Kürzungsnorm. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1992 geltenden Fassung richtete sich nämlich die Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Arbeitslohn aus der Beschäftigung, „mit der die Alters- oder Krankenversorgung zusammenhängt„. Die Kürzung erfasste danach nicht Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit schlechthin. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 1993 davon abrücken wollte. Wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist (BTDrucks 12/5764), bezweckte die Gesetzesänderung eine aus datenerfassungstechnischen Gründen notwendig gewordene Vereinfachung der Kürzung des Vorwegabzugs. Es wurde insbesondere ein einheitlicher prozentualer Kürzungssatz eingeführt und auf eine zeitanteilige Berechnung verzichtet. Es spricht nichts dafür, dass entgegen der bis dahin geltenden Rechtslage nunmehr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit auch dann in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen sind, wenn für den Steuerpflichtigen weder Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, noch er zu dem in § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG genannten Personenkreis gehört.
2. Aus § 26b EStG kann die vom FA vertretene Auffassung, dass wegen der „Einheit der Ehegatten beim Sonderausgabenabzug„ auch die Einnahmen des Klägers in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des gemeinsamen Vorwegabzugs einzubeziehen sind, nicht abgeleitet werden.
Nach dieser Vorschrift werden bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, „soweit nichts anderes vorgeschrieben ist„, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt. Dementsprechend hat der BFH in ständiger Rechtsprechung den Vorwegabzug im Falle der Zusammenveranlagung als den Ehegatten gemeinsam zustehend beurteilt und eine individuelle Kürzung anhand der jeweils erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit abgelehnt (vgl. z.B. , BFHE 175, 563, BStBl II 1995, 119; , BFH/NV 2001, 773, m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung vgl. z.B. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1991, 672). Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom XI B 226/02 (BFHE 202, 294, BStBl II 2003, 708), der in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen ist und einen dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt betrifft, dargelegt hat, ist die Rechtsproblematik hier jedoch eine andere.
Im Streitfall kann § 26b EStG schon deshalb nicht eingreifen, weil —wie oben dargelegt— § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG so auszulegen ist, dass in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des gemeinsamen Vorwegabzugs Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit des Ehegatten nicht miteinbezogen werden dürfen, für dessen Zukunftssicherung keine Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht wurden und der auch nicht zu dem in § 10c Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG genannten Personenkreis gehört. Damit aber ist i.S. von § 26b EStG „etwas anderes vorgeschrieben„ und für eine Behandlung der Ehegatten „gemeinsam als Steuerpflichtiger„ kein Raum (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 563, BStBl II 1995, 119, zur kumulativen Berücksichtigung der persönlichen Beitragsbemessungsgrenzen beider Ehegatten).
3. Diese Entscheidung steht im Einklang mit dem (BFH/NV 1998, 1466). Dort hat der X. Senat zwar eine Kürzung des den Ehegatten gemeinsam zustehenden zusätzlichen Sonderausgabenabzugs für Versicherungsbeiträge auch um 16 v.H. des Arbeitslohns des Ehemannes zugelassen, obwohl von diesem Arbeitslohn im Streitjahr keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Allerdings handelte es sich insoweit um eine Lohnnachzahlung aus dem Vorjahr, für die nur deshalb keine Sozialversicherungsbeiträge einbehalten worden waren, weil bereits im Vorjahr die Höchstbeträge der Beitragsbemessungsgrenze überschritten waren. Damit aber gehörte auch der nachgezahlte Lohn zu solchen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, für die Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden waren.
4. Die der Handhabung des FA im Streitfall zu Grunde liegende Auslegung der Kürzungsvorschrift würde dem in Art. 3 des Grundgesetzes (GG) geregelten Gleichbehandlungsgebot zuwider laufen.
Art. 3 GG verlangt die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz und verbietet jede Benachteiligung oder Bevorzugung wegen persönlichkeitsbedingter Eigenheiten. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Urteil vom 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618, unter C. I.). Die systematische Unterscheidung der Einkunftsarten in § 2 Abs. 1 EStG kann nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (, BVerfGE 99, 88, Finanz-Rundschau 1998, 1028, unter B. I. 2.).
Gegen diese verfassungsrechtlichen Vorgaben würde verstoßen, wenn der Kläger als Bezieher nicht sozialversicherungspflichtiger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, der auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG gehört, im Rahmen des Sonderausgabenabzugs schlechter gestellt würde als ein Steuerpflichtiger mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten, obwohl beide in vollem Umfang die Kosten für ihre Zukunftssicherung allein aufbringen müssen (vgl. dazu auch den Senatsbeschluss in BFHE 202, 294, BStBl II 2003, 708).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 709
BB 2004 S. 762 Nr. 14
BFH/NV 2004 S. 701 Nr. 5
BStBl II 2004 S. 709 Nr. 16
DB 2004 S. 737 Nr. 14
DStR 2004 S. 596 Nr. 14
DStRE 2004 S. 543 Nr. 9
FR 2004 S. 532 Nr. 9
INF 2004 S. 321 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 51/2005 S. 4350
StB 2004 S. 162 Nr. 5
LAAAB-17512