Kein Anspruch auf Akteneinsicht; Rüge mangelnder Sachaufklärung
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 1 K 609/97
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde als Geschäftsführer einer GmbH für deren rückständige Steuern und Nebenleistungen nach § 191 i.V.m. §§ 34 und 69 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung genommen. Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid führten jeweils zur Herabsetzung der Haftungssumme, nicht aber zu der begehrten Aufhebung des mehrfach geänderten Bescheides. Das Finanzgericht (FG) hat die umstrittene Geschäftsführerstellung des Klägers bejaht. Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung der Vorinstanz richtet sich die Beschwerde des Klägers, die er auf das Vorliegen von Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützt.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die behaupteten Verfahrensmängel entweder nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt worden sind oder weil der behauptete Verfahrensverstoß nicht vorliegt.
1. Die Rüge der unrichtigen Darstellung des klägerischen Sachvortrages im Tatbestand des angefochtenen Urteils begründet keinen Verfahrensverstoß i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern ist durch Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO geltend zu machen (, BFH/NV 2000, 1105).
2. Soweit der Kläger mit dem Vorwurf unrichtiger Sachverhaltsdarstellung die Rüge der unrichtigen Würdigung des Sachverhaltes durch das Gericht verbindet, beanstandet er die materielle Richtigkeit des Urteils. Mit der Rüge der Fehlerhaftigkeit der rechtlichen Würdigung durch das Gericht wird kein Revisionszulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO, insbesondere kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, geltend gemacht (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschlüsse vom XI B 181/94, BFH/NV 1997, 782, und vom II B 29/00, BFH/NV 2002, 512).
Gleiches gilt für die Rüge fehlerhafter Würdigung der Zeugenaussage des Herrn K. Die Beweiswürdigung betrifft das materielle Recht und stellt —selbst wenn sie unrichtig wäre— keinen Verfahrensfehler dar (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2002, 1331, m.w.N.).
3. Der dem Gericht entgegengehaltene Verfahrensverstoß mangelhafter Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO), weil es die zur Frage der Geschäftsführerbestellung des Klägers als Scheinhandlung der beschließenden Gesellschafter und zu den tatsächlich fehlenden Möglichkeiten des Klägers, als Geschäftsführer zu handeln, benannten Zeugen nicht einvernommen hat, ist nicht schlüssig bezeichnet. Hierzu hätte es substantiierter Ausführungen dazu bedurft, mit welchem Schriftsatz und mit welchem Beweisthema die Zeugen benannt worden sind und was diese im Einzelnen hätten bekunden können und inwiefern deren Aussagen, gemessen an dem vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkt, zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom V B 48/03, BFH/NV 2003, 1341; in BFH/NV 2000, 1105, und vom V B 82/92, BFH/NV 1995, 398).
Genaue Angaben zu den Tatsachen, die die von dem Gericht zu dem Sachverhalt einer unwirksamen Bestellung des Klägers als Geschäftsführer durch Scheinhandlungen und dem fehlenden Auftreten des Klägers als Geschäftsführer nicht einvernommenen Zeugen X, Y und Z hätten bekunden können, und die Angabe, zu welchem genauen Beweisthema welcher Zeuge angeboten worden ist, fehlen in der Beschwerdebegründung. Sie wären aber insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil das Gericht zum Zustandekommen des Gesellschafterbeschlusses über die Geschäftsführerbestellung des Klägers in dessen Anwesenheit den Zeugen K vernommen hat und der fachkundige Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung die nunmehr aufgeworfene Frage nach einer Scheinhandlung des Zeugen (und der übrigen Gesellschafter) bei der Beschlussfassung über die Geschäftsführerbestellung des Klägers weder gestellt, noch ein entsprechendes Beweisthema formuliert hatte. Zudem hätte es einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Gerichtes bedurft, das ausführlich begründet hat, warum es die Geschäftsführerbestellung durch den Gesellschafterbeschluss als wirksam erachtet und das Auftreten des Klägers im Innen- und Außenverhältnis als ausreichendes Indiz für die Wahrnehmung der Geschäftsführerstellung durch den Kläger angesehen hat. In Anbetracht dieser Ausführungen hätte der Kläger darlegen müssen, aus welchen Gründen die erwarteten Zeugenaussagen geeignet gewesen wären, die Auffassung des Gerichtes zu erschüttern.
4. Dem Anspruch des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO) trägt die angefochtene Entscheidung hinreichend Rechnung.
a) Soweit der Kläger rügt, das Gericht habe diesen Anspruch dadurch verletzt, dass es sich entgegen seinem Antrag nicht sämtliche der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) für die GmbH geführten Steuerakten und ggf. die Vollstreckungsakten, sondern lediglich die den Streitgegenstand betreffenden Steuer- und die den Haftungsvorgang betreffenden Akten hat vorlegen lassen, fehlt in der Beschwerdebegründung schon der Hinweis, dass diese Unterlassung, bei der es sich allenfalls um einen verzichtbaren Verfahrensmangel handelt, rechtzeitig vor dem FG gerügt worden ist (vgl. , BFH/NV 2000, 1098). Ungeachtet dessen begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör lediglich das Recht der Beteiligten, in die Gerichtsakten und die vom Gericht als Grundlage seiner Entscheidung für notwendig erachteten und hierfür vorgelegten oder beigezogenen Akten Einsicht zu nehmen (§§ 71 Abs. 2, 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO; , BFH/NV 2002, 1168, und Senatsbeschluss vom VII B 131/99, BFH/NV 2000, 78). Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht ebenso wenig, wie darauf, dass sich das Gericht zum Zwecke der Gewährung von Akteneinsicht vom FA Akten vorlegen lässt, die es für seine Entscheidungsfindung nicht benötigt. Eines Hinweises des Gerichtes bedurfte es insoweit ebenso wenig, wie darauf, dass der Vortrag des Klägers nach Einschätzung des Gerichtes möglicherweise nicht zum Obsiegen führen würde (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 78 Rz. 6).
b) Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör ist auch nicht dadurch verletzt, dass der nach Schluss der mündlichen Verhandlung aber vor Zustellung des Urteils eingereichte Schriftsatz des Klägers vom nicht berücksichtigt worden wäre. Der BFH hat die Nichtberücksichtigung nachgereichter Schriftsätze grundsätzlich als verfahrensfehlerhaft angesehen, wenn dies zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der finanzgerichtlichen Sachaufklärungspflicht geführt hat (BFH-Beschlüsse vom IX B 89/01, BFH/NV 2002, 511, und vom III R 42/98, BFH/NV 1999, 509, 510). Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt, dass das Gericht das Vorbringen des Beteiligten nicht zu Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (, BVerfGE 27, 248, 252). Schriftsätze, die erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingehen, müssen inhaltlich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. , BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115). Das FG hat jedoch bei Eingang eines solchen Schriftsatzes eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu erwägen. Hält das FG die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung aufgrund des eingereichten Schriftsatzes nicht für geboten, so haben die Prozessbeteiligten Anspruch auf eine schriftliche Darlegung der Erwägungen des Gerichtes, um nachprüfen zu können, ob das Recht auf Gehör gewahrt worden ist (vgl. , BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187).
Diesem Erfordernis ist im Streitfall genügt. Die Vorinstanz hat sich ausführlich mit dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom auseinander gesetzt, und die Gründe, die zur Ablehnung der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geführt haben, offen gelegt. Darin, dass das Gericht in der angefochtenen Entscheidung trotz der Beweisanträge des Klägers im Rahmen der ihm zustehenden Ermessensausübung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, liegt kein Verfahrensverstoß. Nach der Rechtsprechung des BFH braucht die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet zu werden, wenn ein Beteiligter, obwohl er dazu Gelegenheit gehabt hätte, seiner Mitwirkungspflicht in der mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen ist und deshalb erst nachträglich geeignete Beweismittel bezeichnet, obwohl ihm die Beweisbedürftigkeit seines Vortrages schon seit längerem bekannt war (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rz. 11, und , BFH/NV 1987, 160, 162, sowie vom II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489, 491 f.).
Da der Kläger —obwohl selbst rechtskundig und in der mündlichen Verhandlung persönlich anwesend— die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat, die von ihm behauptete Tatsache einer unwirksamen Geschäftsführerbestellung durch Scheinhandlung und der mangelnden Möglichkeit zum Auftreten als Geschäftsführer unter Beweis zu stellen, und die Beweiserhebung hierüber durch das Gericht offensichtlich für den Kläger nicht das gewünschte Ergebnis erbracht hat, stellt es keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, wenn das Gericht von der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zum Zwecke weiterer Beweiserhebung abgesehen hat. Hinzu kommt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung von einer Rüge im Hinblick auf den verzichtbaren Mangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht nicht Gebrauch gemacht und sich, ohne einen Antrag auf weitere Beweiserhebung zu stellen, unter Stellung seines Klageantrages zur Sache eingelassen hat. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsätze, die sich mit Fragen beschäftigen, die bereits Gegenstand der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung waren, braucht das FG, sofern von dem Rügerecht nicht Gebrauch gemacht worden ist, nicht zu berücksichtigen (so BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 511, 512).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 499
BFH/NV 2004 S. 499 Nr. 4
ZAAAB-13858