BFH Beschluss v. - V B 129/02

Verwirkung prozessrechtlicher Befugnisse

Gesetze: FGO § 116; ZPO § 180

Instanzenzug:

Gründe

I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer Steuerberaterin, wegen Umsatzsteuer 1998 abgewiesen.

Das FG ordnete die Zustellung des Urteils mit Postzustellungsurkunde an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an. Auf dieser Postzustellungsurkunde ist vermerkt, dass der Postbedienstete versucht hat, die für Herrn Rechtsanwalt X bestimmte Sendung „in der Wohnung des in der Anschrift bezeichneten Empfängers (Einzelperson, Einzelfirma, Rechtsanwalt usw.)„ zuzustellen, jedoch niemanden angetroffen habe. Der Postbote habe —wie bei gewöhnlichen Briefen üblich— die schriftliche Benachrichtigung über die vorgenommene Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt. Als Datum der Niederlegung ist der vermerkt. Am ging die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin beim Bundesfinanzhof (BFH) ein mit der Bemerkung, die Begründung werde nachgereicht. Auf den der Klägerin am zugestellten Hinweis der Geschäftsstelle des erkennenden Senats, dass die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH abgelaufen und die Beschwerdebegründung bisher nicht eingegangen sei, beantragte die Klägerin Fristverlängerung, da der beauftragte Rechtsanwalt sich bis zum in Urlaub befinde. Eine Begründung hat die Klägerin bisher nicht eingereicht.

II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, weil sie nicht, wie erforderlich (§ 116 Abs. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—), begründet worden ist.

Dabei kann offen bleiben, ob die Zustellung des angefochtenen Urteils an Rechtsanwalt X dessen Wohnungs- oder Kanzleianschrift betraf.

1. Im ersten Fall war die Zustellung wirksam (§§ 176180 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der bis geltenden Fassung —a.F.— vor In-Kraft-Treten der Änderungen durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren Zustellungsreformgesetz —ZustRG— vom , BGBl I 2001, 1206, BStBl I 2001, 491 am ). Dann sind die Rechtsmittelfristen abgelaufen.

2. Im zweiten Fall war die Zustellung gemäß § 183 Abs. 2 ZPO a.F. unwirksam und hat die Rechtsmittelfrist gemäß § 116 FGO nicht ausgelöst.

a) Hat in einem solchen Fall der Empfänger —wie hier die Klägerin spätestens am , dem Tag, an dem sie die Beschwerde verfasst und dem BFH per Telefax übermittelt hat— das zuzustellende Schriftstück —hier das Urteil des FG— tatsächlich erhalten, ist der Mangel der Unwirksamkeit geheilt (§ 9 des VerwaltungszustellungsgesetzesVwZG— a.F.); jedoch wurden die in § 9 Abs. 2 VwZG in der bis zum geltenden Fassung benannten Fristen, zu denen auch die Frist für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gehört, nicht in Lauf gesetzt (, BFH/NV 2001, 1573, m.w.N.).

b) Das bedeutet indessen nicht, dass die Klägerin ohne zeitliche Begrenzung in einem solchen Fall noch ihre Beschwerdebegründung nachholen kann.

Auch die Geltendmachung prozessrechtlicher Befugnisse kann im Einzelfall verwirkt werden (, BVerfGE 32, 305; , BFHE 106, 134; , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1972, 2103; , Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 1 zu § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches „Prozessverwirkung"; BFH-Beschlüsse vom VII R 173/82, BFH/NV 1986, 29; vom IV B 70/86, BFH/NV 1988, 244). Bleibt z.B. —wie hier— der jeweilige Rechtsmittelführer unter solchen Verhältnissen untätig, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (BVerfGE 32, 305, 308), können die übrigen Beteiligten und das zuständige Gericht nach Ablauf eines Jahres von dem Zeitpunkt an, in dem die Frist bei fehlerfreier Bekanntgabe bzw. Zustellung der Entscheidung zu laufen begonnen hätte, darauf vertrauen, dass ein Rechtsmittel nicht mehr geltend gemacht werden soll (z.B. BFH in BFH/NV 1986, 29; BFH/NV 1988, 244, jeweils m.w.Nachw.).

c) Davon ausgehend ist im Streitfall die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde am abgelaufen, denn außerordentliche Hinderungsgründe für die Einreichung der Begründung der von der Klägerin erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde sind nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Die Klägerin hat am lediglich beantragt, die Begründungsfrist zu verlängern, weil sich der beauftragte Rechtsanwalt bis in Urlaub befinde. Obwohl sie von der Geschäftsstelle des erkennenden Senats mit Schreiben vom nochmals auf den Ablauf der Begründungsfrist und die Möglichkeit der Wiedereinsetzung hingewiesen wurde, hat sich die Klägerin nicht mehr geäußert. Seit der Einlegung der Beschwerde am ist mehr als ein Jahr verstrichen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 205 Nr. 2
XAAAB-13756