Ausländischer Arbeitnehmerverleiher als Arbeitgeber eines an einen inländischen Entleiher verliehenen ausländischen Arbeitnehmers
Leitsatz
1. Ein ausländischer Arbeitnehmerverleiher und nicht der inländische Entleiher ist aus abkommensrechtlicher Sicht jedenfalls dann regelmäßig Arbeitgeber des beschäftigten Leiharbeitnehmers, wenn dieser lediglich 2 1/2 Wochen für den Entleiher tätig ist, sich seine Vergütung im Grundsatz unabhängig von der tatsächlich erbrachten Arbeitszeit beim Entleiher berechnet und kein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Einschaltung des Arbeitnehmerverleihers besteht (Abweichung vom BStBl I 1994, 11 unter 4.).
2. Ein ausländischer Arbeitnehmerverleiher kann anders als ein inländischer Arbeitgeber keine Bescheinigung über die Freistellung von der Lohnsteuer auf gezahlten Arbeitslohn gemäß § 39b Abs. 6 EStG beanspruchen (Abweichung vom Senatsurteil vom I R 72/96, BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660).
3. Wegen dieser unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Behandlung wird dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Widerspricht es Art. 49 EG-Vertrag, wenn zwar der inländische Arbeitgeber, nicht aber der ausländische Verleiher von Arbeitnehmern von der Verpflichtung zum Abzug der Lohnsteuer entbunden wird, weil der gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freizustellen ist?
Gesetze: EStG § 38 Abs. 1 Satz 1EStG § 39b Abs. 6 Satz 1EStG § 39d Abs. 3 Satz 4DBA Großbritannien Art. XVIII A Abs. 4EGV Art. 48 und Art. 59 = EG Art. 39 und Art. 49
Instanzenzug: (EFG 2001, 508), EuGH C-450/02
Tatbestand
I. Sachverhalt und Streitstand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft, tritt im Inland als Verleiherin u. a. britischer Arbeitskräfte auf. Sie ist im Besitz einer vom zuständigen Landesarbeitsamt nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) erteilten Lizenz zum Arbeitnehmerverleih. Eine Betriebsstätte wird im Inland nicht unterhalten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, dass für die Arbeitnehmer unabhängig von deren Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik Lohnsteuer anzumelden und abzuführen sei. Nach vergeblicher Aufforderung, ab dem 4. Quartal 1996 berichtigte Lohnsteueranmeldungen abzugeben, erließ er gegen die Klägerin einen Schätzungsbescheid über Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für das 4. Quartal 1996. Über die dagegen gerichtete Klage ist noch nicht entschieden.
Die Klägerin beantragte, ihr im Hinblick auf einen ihrer Arbeitnehmer (N) für das 4. Quartal 1996 eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und Art. XI Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung (DBA-Großbritannien) zu erteilen. N war in der Zeit vom 30. Oktober bis zum für die Klägerin in Deutschland tätig. Er ist britischer Staatsangehöriger mit ausschließlichem Wohnsitz in Großbritannien. Das FA lehnte diesen Antrag ab.
Die von der Klägerin erhobene Sprungverpflichtungsklage war erfolgreich. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 508 abgedruckt.
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II. Rechtslage nach deutschem Recht
Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der im Tenor genannten Vorlagefrage abhängig. Sofern diese Frage zu bejahen ist, muss die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden. Ist die Frage zu verneinen, müssen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden: Zwar ist der Arbeitslohn, den die Klägerin an N für die von diesem erbrachte nichtselbständige Arbeit in Deutschland gezahlt hat, von der inländischen Besteuerung freizustellen. Gleichwohl kann die Klägerin die beantragte Freistellungsbescheinigung gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG nicht beanspruchen, falls die genannten Vorschriften zu beachten sind. Es bliebe dann bei ihrer Verpflichtung, die auf diesen Arbeitslohn entfallende Lohnsteuer nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG einzubehalten.
1. Der Arbeitslohn, den die Klägerin an N zahlte, ist nach Maßgabe des Art. XI DBA-Großbritannien von der inländischen Besteuerung freizustellen.
a) Danach gilt gemäß Art. XI Abs. 2 DBA-Großbritannien zunächst der Grundsatz, dass nur dem Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht zusteht. Wird die unselbständige Arbeit nicht nur vorübergehend in dem anderen Gebiet ausgeübt, so steht diesem als Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu. Übt demnach ein in Großbritannien ansässiger Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend seine Arbeit in Deutschland aus, steht das Besteuerungsrecht Deutschland zu. Das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates entfällt indes, wenn die Voraussetzungen des Art. XI Abs. 3 DBA-Großbritannien - der sog. 183-Tage-Klausel - erfüllt sind. Dabei müssen sämtliche in Abs. 3 Buchst. a bis c genannten Voraussetzungen vorliegen. Im Falle eines in Großbritannien ansässigen und vorübergehend in Deutschland tätigen Arbeitnehmers bedeutet dies:
- Der Empfänger der Vergütungen - der britische Arbeitnehmer - darf sich nicht länger als insgesamt 183 Tage während des betreffenden Steuerjahres im anderen Gebiet (Deutschland) aufhalten (Art. XI Abs. 3 Buchst. a DBA-Großbritannien),
- die Vergütungen müssen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Gebiet (Deutschland) ansässig ist (Art. XI Abs. 3 Buchst. b DBA-Großbritannien), und
- die Vergütungen dürfen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber in dem anderen Gebiet (Deutschland) hat (Art. XI Abs. 3 Buchst. c DBA-Großbritannien).
b) Die Besteuerung für den in Rede stehenden Arbeitslohn des N steht hiernach im Streitfall Großbritannien zu, da diese Voraussetzungen des Art. XI Abs. 3 DBA-Großbritannien erfüllt sind.
aa) Im Hinblick auf Art. XI Abs. 3 Buchst. a und c DBA-Großbritannien liegt dies auf der Hand. Nach den Feststellungen des FG hat N sich an weniger als 183 Tagen während des Steuerjahres (Kalenderjahres) in Deutschland aufgehalten; der Arbeitslohn wurde - unterstellt, die Klägerin wäre der Arbeitgeber des N - auch nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung der Klägerin in Deutschland getragen.
bb) Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass es im Streitfall sonach allein darauf ankommt, ob die Voraussetzungen des Art. XI Abs. 3 Buchst. b DBA-Großbritannien vorlagen. Das hängt davon ab, wer als Arbeitgeber des N im Sinne dieser Vorschrift während dessen Tätigkeit in Deutschland anzusehen war, die Klägerin als Arbeitnehmerverleiherin oder aber der deutsche Entleiher, in dessen Unternehmen N tätig war. Das FG hat nach dem Gesamtbild der Verhältnisse ersteres angenommen. Diese Einschätzung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aaa) Dabei folgt der Senat seinem bisherigen Verständnis, dass sich der Begriff des Arbeitgebers im Abkommensrecht nach eigenen Regeln bestimmt. Als Arbeitgeber ist danach derjenige anzusehen, der die Vergütungen für die ihm geleistete unselbständige Arbeit wirtschaftlich trägt, sei es, dass er die Vergütungen unmittelbar dem betreffenden Arbeitnehmer auszahlt, sei es, dass ein anderes Unternehmen für ihn mit diesen Arbeitsvergütungen in Vorlage tritt (Senatsurteil vom I R 63/80, BFHE 144, 428, BStBl II 1986, 4; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Wingert/Kempermann, DBA-Deutschland-Schweiz, Art. 15 Tz. 51; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15 MA Rz. 116 ff.; Vogelgesang in Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 OECD-MA Rz. 160).
Arbeitgeber des N in diesem Sinne war im Streitfall hiernach nicht dessen inländischer Entleiher, sondern die Klägerin. Dass diese als Arbeitnehmerverleiherin die an den Arbeitnehmer gezahlten Vergütungen an ihren Auftraggeber weiterbelastete, steht dem nicht entgegen. Die dadurch erlangten Entgelte sind Erlöse aus dem Gegenstand ihres Unternehmens, des Arbeitnehmerverleihs, nicht hingegen durchlaufende Posten (vgl. im Einzelnen Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a. a. O., Art. 15 MA Rz. 117, m. w. N.). Sie führen deswegen im Grundsatz nicht dazu, dass die Arbeitgeberfunktion auf den Entleiher als ,,Nutzenden'' des entliehenen Arbeitnehmers übertragen und die Funktion diesem zuzurechnen sein würde (vgl. Senatsurteil vom I R 55/00, BFH/NV 2002, 478; , EFG 2002, 147; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, ebenda; de Weerth, Internationales Steuerrecht - IStR - 2002, 30; Buciek, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2000/2001, 641 f.; s. auch Senatsurteil vom I R 72/96, BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660).
bbb) Allerdings werden in Nr. 8 des OECD-Musterkommentars (OECD-MK) zu Art. 15 des OECD-Musterabkommens (OECD-MustAbk) seit 1992 Kriterien aufgestellt, nach denen im internationalen Arbeitnehmerverleih abweichend hiervon der Entleiher als Arbeitgeber anzusehen ist und damit dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zustehen kann. Insbesondere soll dies der Fall sein, wenn
1. der Verleiher keine Verantwortung oder kein Risiko für die durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers erzielten Ergebnisse trägt,
2. der Benutzer das Recht hat, dem Arbeitnehmer Weisungen zu erteilen,
3. die Arbeit sich in einer Einrichtung vollzieht, die unter der Kontrolle und Verantwortung des Benutzers steht,
4. die Vergütung für den Verleiher auf der Grundlage der genutzten Zeit berechnet wird, oder eine Verbindung anderer Art zwischen dieser Vergütung und den vom Arbeitnehmer bezogenen Löhnen und Gehältern besteht,
5. die Werkzeuge und das Material dem Arbeitnehmer im Wesentlichen vom Benutzer zur Verfügung gestellt werden,
6. die Zahl und Qualifikation der Arbeitnehmer nicht ausschließlich durch den Verleiher bestimmt werden.
Grund für die Annahme, dass in den genannten Fällen nicht der Verleiher, sondern der Entleiher Arbeitgeber auch im abkommensrechtlichen Sinne sei, ist die Befürchtung, es käme andernfalls zu Steuerumgehungen, indem der ausländische Verleiher lediglich formal als Arbeitgeber in Erscheinung trete, während eigentlicher, wirtschaftlicher Arbeitgeber der Entleiher sei. Die deutsche Finanzverwaltung hat dies veranlasst, beim internationalen Arbeitnehmerverleih generell den Entleiher als Arbeitgeber anzusehen ( BStBl I 1994, 11, dort unter 4.).
Der Senat kann der Verwaltungspraxis jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht beipflichten. Sie entspricht nicht der Abkommenslage und auch nicht deren Auslegung durch den OECD-MK. Zwar mag es sich in Einzelfällen so verhalten, dass die Arbeitgeberfunktionen bei wirtschaftlicher Betrachtung eher vom Entleiher als vom Verleiher ausgeübt werden. Es bedarf deswegen ,,in jedem einzelnen Fall'' - so Nr. 8 OECD-MK - einer Überprüfung der tatsächlichen Gegebenheiten. Die im Streitfall vorliegenden Gegebenheiten bieten jedoch keinen Anlass, von den dargestellten Grundsätzen, nach denen im Abkommensrecht der Arbeitgeber zu bestimmen ist und die prinzipiell auch für Arbeitnehmerverleiher gelten, abzurücken: Nach den den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) Feststellungen des FG war N in der Zeit vom 30. Oktober bis zum , also für knapp 2 1/2 Wochen, für die Klägerin in Deutschland tätig. Schon diese kurze Zeitspanne verdeutlicht, dass N kaum in die organisatorischen Strukturen des inländischen Entleihers eingegliedert worden sein konnte. Die Klägerin zahlte auch den Arbeitslohn des N und führte darauf in Großbritannien Lohnsteuer und Sozialabgaben ab. Dieser Arbeitslohn wurde dem Entleiher zwar in Rechnung gestellt. Dies geschah jedoch nicht in Gestalt einer bloßen Weiterbelastung der sich auf arbeitsvertraglicher Grundlage individuell nach Grundtarif, Bonus, Unterhalts- und Unterkunftszuschüssen sowie Urlaubsgeld zusammensetzenden Beträge. Grundlage für die Abrechnung waren vielmehr kalkulatorische Stundensätze unter Berücksichtigung des Arbeitslohns, weiterer entstehender Kosten und einer Gewinnmarge. N erhielt von der Klägerin darüber hinaus eine Reisekostenpauschale, deren Höhe sich zwar nach der Zahl der Einsatztage in Deutschland berechnete, die aber unabhängig von der tatsächlichen, von N erbrachten Arbeitszeit war. Im Übrigen besteht unter den Beteiligten Einvernehmen, dass es sich nicht um einen rechtsmissbräuchlichen, sondern um einen ordnungsmäßigen, alle einschlägigen Regelungen beachtenden internationalen Arbeitnehmerverleih handelt.
Auf der Grundlage dieser Verhältnisse sowie der tatrichterlichen Feststellungen ist die Schlussfolgerung des FG, bei den dem Entleiher in Rechnung gestellten Entgelten handele es sich um die Erlöse für das ,,Dienstleistungsprodukt der Klägerin'' und nicht um schlicht weiterbelastete durchlaufende Posten, aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
2. Obschon die Klägerin hiernach Arbeitgeberin des N und dessen Arbeitslohn deshalb nach Maßgabe des DBA-Großbritannien von der inländischen Lohnsteuer freizustellen war, kann sie die beantragte Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG nicht beanspruchen. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es bleibt folglich bei der Verpflichtung der Klägerin gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die auf den Arbeitslohn des N entfallende Lohnsteuer einzubehalten (§ 38 Abs. 3 EStG) und diese an das FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG).
a) Eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG, die dazu berechtigen könnte, von dieser Verpflichtung abzusehen, steht der Klägerin nicht zu. Denn die Erteilung einer solchen Bescheinigung erfordert, dass der von einem inländischen Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Lohnsteuer freizustellen ist. Inländischer Arbeitgeber ist nach der in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG enthaltenen Legaldefinition, die mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch für § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG maßgebend ist, aber nur derjenige Arbeitgeber, der im Inland einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter i. S. der §§ 8 bis 13 der Abgabenordnung (AO 1977) hat. Es ist dies jedoch nicht der ausländische Verleiher, der - wie nach den tatrichterlichen Feststellungen des FG im Streitfall die Klägerin - nach der in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gegebenen Definition einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung im Inland überlässt, ohne inländischer Arbeitgeber zu sein (vgl. zur Abgrenzung auch Senatsbeschluss vom I B 113/86, Entscheidungssammlung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - EzAÜG - Nr. 229, dort unter 1.2.3. der Entscheidungsgründe). Ein solcher ausländischer Verleiher bleibt hiernach also auch dann verpflichtet, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfallende Einkommensteuer als Lohnsteuer vom Arbeitslohn zu erheben, wenn das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte dem Wohnsitzstaat zusteht.
Zwar ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien nichts dazu, weshalb bei Einfügung von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 (StBereinG 1985) vom (BGBl. I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) und der dadurch bedingten Ausdehnung der Abzugspflicht auf die ausländischen Verleiher der Regelungswortlaut in § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG unverändert beibehalten worden ist. Möglicherweise ist seinerzeit schlicht ,,vergessen'' worden, den Text in § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG entsprechend anzupassen. Darauf könnte die amtliche Gesetzesbegründung hindeuten, in der der Gesetzgeber ersichtlich von der Anwendbarkeit des Freistellungsverfahrens auch für ausländische Arbeitnehmerverleiher ausgeht (vgl. BTDrucks 10/4119, S. 7). In der Gesetzesfassung schlägt sich dieser gesetzgeberische Wille indes nicht nieder.
Der Senat sieht deshalb angesichts des klaren Regelungswortlauts keine Möglichkeit einer Auslegung, die einem abweichenden gesetzgeberischen Willen Rechnung trüge. Der Umstand, dass der Arbeitgeber nach § 39d Abs. 3 Satz 4 1. Halbsatz EStG den Lohnsteuerabzug ,,nach Maßgabe des § 39b Abs. 2 bis 7 EStG'' - und damit auch Abs. 6 - durchzuführen hat, steht dem nicht entgegen. Daraus folgt lediglich die entsprechende Anwendung von § 39b Abs. 6 EStG. Die tatbestandlichen Erfordernisse dieser Vorschrift bleiben jedoch unberührt. Auch die entsprechende Anwendung des § 39b Abs. 6 EStG ändert also nichts daran, dass nur der inländische Arbeitgeber im vorgenannten Sinne Anspruch auf die Freistellungsbescheinigung hat.
b) Der Senat sieht auch keinen Raum für einen lückenfüllenden Analogieschluss, weil das die Notwendigkeit eines Freistellungsverfahrens voraussetzen würde. Daran fehlt es aber. Art. XVIII A Abs. 4 DBA-Großbritannien lässt einen Steuerabzug im Quellenstaat unter den im Streitfall gegebenen Umständen zu. Er sieht lediglich eine Erstattung der einbehaltenen Steuern auf Antrag des Empfängers der Einkünfte vor, soweit diese nach dem Abkommen von der Steuer im Quellenstaat befreit sind. Eine Verpflichtung des Quellenstaates, bereits den Steuerabzug durch ein vorgelagertes Freistellungsverfahren zu vermeiden, ist dem Abkommen hingegen nicht zu entnehmen. Der nationale Gesetzgeber ist vielmehr grundsätzlich darin frei, wie er das abkommensrechtlich vorbehaltene Erstattungsverfahren ausgestattet, vorausgesetzt, dieses verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
c) Als Auslegungsergebnis ist sonach festzuhalten: Ausländische Verleiher können keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG beanspruchen. Sie bleiben zur Einbehaltung der Lohnsteuer auch dann verpflichtet, wenn der Arbeitslohn nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Steuerpflicht freizustellen wäre. Entliehene Arbeitnehmer ausländischer Verleiher - wie im Streitfall N - als Empfänger der Einkünfte sind deswegen darauf angewiesen, die Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer zu beantragen (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660, dort unter II. 4. b; Senatsbeschluss in EzAÜG Nr. 229, dort unter 1.2.4., m. w. N.). Sofern sich im Hinblick auf die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung zugunsten eines ausländischen Verleihers aus dem Senatsurteil in BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660 (unter II. 4. b und c) möglicherweise etwas anderes ergeben sollte, wäre daran nicht festzuhalten.
III. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht
Der vorlegende Senat erachtet die danach bestehende unterschiedliche Behandlung von inländischen Arbeitgebern und ausländischen Verleihern als gemeinschaftsrechtswidrig. Sie verstößt seiner Überzeugung nach gegen die in Art. 48 und Art. 59 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV - (= Art. 39 und 49 nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften - EG -, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl Nr. C-340/173, 1977, 1) garantierten Grundfreiheiten, deren Auslegung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorbehalten ist.
1. Die direkten Steuern fallen als solche nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft ( ,,Asscher'', Slg. 1996, 1-3029, 3124). Allerdings müssen die Mitgliedsstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere unter Berücksichtigung der Grundfreiheiten, ausüben (vgl. ,,Eurowings'', Slg. 1999, 1-7463, 7473).
2. Im Streitfall könnten infolge der Versagung der Freistellungsbescheinigung die Dienstleistungsfreiheit des Art. 59 EGV (= Art. 49 EG) und damit zugleich das Recht des Arbeitnehmers auf Freizügigkeit gemäß Art. 48 EGV (= Art. 39 EG) verletzt sein.
a) Die Klägerin, die als juristische Person dem Schutz der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten unterfällt (vgl. ,,avoir fiscal'', Slg. 1986, 273, 304 Rn. 18), erbringt als Arbeitnehmerverleiherin eine Dienstleistung gegen Entgelt, ohne im Inland eine Niederlassung oder sonstige feste Einrichtung zu unterhalten. Sie erbringt damit eine Dienstleistung i. S. des Art. 59 EGV (= Art. 49 EG).
b) § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG schließt ausländische Arbeitnehmerverleiher von der Erteilung der Freistellungsbescheinigung aus, benachteiligt diese damit gegenüber inländischen Arbeitgebern und wirkt folglich diskriminierend zu Lasten des ausländischen Arbeitgeberverleihers. Denn dieser ist auch dann verpflichtet, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfallende Einkommensteuer als Lohnsteuer vom Arbeitslohn ihrer Arbeitnehmer einzubehalten, wenn das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte dem Wohnsitzstaat zusteht und es deshalb zu keiner endgültigen Besteuerung in Deutschland kommt.
Die Ungleichbehandlung ergibt sich angesichts dessen zum einen aus dem Liquiditätsnachteil, sei es zu Lasten des Arbeitnehmerverleihers, sei es zu Lasten des jeweiligen Arbeitnehmers: Würde dieser Arbeitnehmer von einem inländischen Arbeitgeber beschäftigt, unterläge er unter vergleichbaren Umständen keiner inländischen Steuerbelastung. Die Klägerin könnte diesen Nachteil zwar dadurch von ihm abwenden, dass sie die einzubehaltende Steuer nicht vom Lohn abzieht und diesen brutto auszahlt. Folge einer solchen Vorgehensweise wäre aber lediglich die Verlagerung des Liquiditätsnachteils auf die Ebene der Klägerin. An der Schlechterstellung würde sich nichts ändern. Gleichermaßen wirkt es sich für den Arbeitnehmer nicht entlastend aus, dass er im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung (§ 50 Abs. 5 Nr. 2 EStG) die Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer erreichen kann. Es bleibt dennoch bei dem besagten Liquiditätsnachteil.
Zum anderen erleiden der ausländische Arbeitnehmerverleiher und der von diesem beschäftigte Arbeitnehmer durch die Nichterteilung der Freistellungsbescheinigung Verfahrensbenachteiligungen: Der ausländische Verleiher unterfällt den lohnsteuerlichen Einbehaltungspflichten, der Arbeitnehmer dem E ein Veranlagungs- oder ggf. ein Erstattungsverfahren einleiten zu müssen. Auch in derartigen Verfahrensbenachteiligungen liegt aber eine diskriminierende Schlechterbehandlung (vgl. auch Futura/Singer, Slg. 1997, 1-2471, 2492). Denn ein inländischer Arbeitgeber oder Arbeitnehmer würde unter vergleichbaren Umständen derartigen Erschwernissen nicht ausgesetzt. Es ist deshalb für den ausländischen Dienstleister im Vergleich zu einem inländischen Dienstleister weniger attraktiv, die betreffende Dienstleistung zu erbringen (vgl. Parodi, Slg. 1997, 1-3899, 3914 Rn. 18; vom Rs. C-118/96 Safir, Slg. 1998, 1-1897 Rn. 23; Rs. C-158/96 Kohll, Slg. 1998, 1-1931, 1937 Rn. 33).
c) Ein tragfähiger Differenzierungsgrund für die unterschiedliche Behandlung von inländischen Arbeitgebern und ausländischen Verleihern ist nicht erkennbar. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich dafür nichts. Diesen lässt sich - wie erwähnt - im Gegenteil entnehmen, dass der Gesetzgeber unbeschadet des Regelungswortlauts in § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG von einer Gleichbehandlung ausging. Auch die aus Nr. 8 OECD-MK ersichtliche Missbrauchsvermutung bei Einschaltung ausländischer Arbeitnehmerverleiher rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung nicht. Der EuGH hat wiederholt bestätigt, dass ,,Missbrauch nicht schon dann vermutet werden darf, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer von einer sich aus dem Vertrag ergebenden Grundfreiheit Gebrauch macht'' (vgl. z. B. Centros, Slg. 1999, 1-1459, 1484; vom Rs. C-397/98 und C-410/98 Metallgesellschaft, Slg. 2001, 1-1727, 1760). Solange - wie im Streitfall - keine konkrete Veranlassung besteht, von einer missbräuchlichen Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile auszugehen, besteht kein Grund, einem ausländischen Marktbürger diese Vorteile generell nur deshalb zu versagen, weil er Ausländer ist (vgl. auch Leur-Bloem, Slg. 1997, 1-4161, 4190; vom Rs. C-478/98 Kommission/Belgien, Slg. 2000, 1-7587, 7614). Schließlich weist die Klägerin auch zutreffend darauf hin, dass die verfahrensrechtlichen Beschränkungen des § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG ein unverhältnismäßiges Mittel wären, um einer unterstellten allgemeinen Steuergefährdung vorzubeugen. Es ist den Finanzbehörden unbenommen, bei Beantragung einer Lohnsteuer-Freistellungsbescheinigung die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift zu überprüfen und hierbei insbesondere der Frage nachzugehen, ob der Arbeitslohn des betreffenden Arbeitnehmers nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Einkommensteuer zu befreien ist. Diese tatbestandliche Überprüfung stellt sich bei einem ausländischen Arbeitgeber aber nicht anders dar als bei einem inländischen. Wenn die Erteilung der Bescheinigung dennoch allgemein versagt wird, werden dadurch gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt, um das Ziel - die Sicherung des inländischen Besteuerungsanspruchs - zu erreichen (vgl. dazu z. B. 205/84 Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755 Rn. 29; vom Rs. C-55/94 Gebhard, Slg. 1995, 1-4165 Rn. 37; in Slg. 1997, 1-2471 Rn. 26).
3. Ob die unterschiedliche Behandlung des inländischen Arbeitgebers und des ausländischen Verleihers zugleich auch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt, kann im Rahmen dieses Beschlusses unbeantwortet bleiben (vgl. allerdings auch zur grundsätzlich fehlenden Grundrechtsfähigkeit einer ausländischen juristischen Person Senatsbeschluss vom 1 R 81/99, BFHE 195, 119, BStBl II 2001, 290).
4. Der Senat sieht sich in Anbetracht seiner Einschätzung der Gemeinschaftsrechtslage verpflichtet, die Sache gemäß Art. 234 Abs. 3 EG dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Eine solche Vorlage lässt sich nicht durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG vermeiden. Eine solche Auslegung scheitert an dem klaren Regelungswortlaut, der insoweit keiner Ausdehnung zugunsten ausländischer Verleiher zugänglich ist. Die Nichtanwendung von § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 Satz 1 EStG aufgrund des prinzipiellen Vorrangs von Gemeinschaftsrecht scheidet aus, weil es ungeachtet dessen bei der Lohnsteuereinbehaltungspflicht der Klägerin gemäß § 38 Abs. 1 EStG bliebe.
Der Verzicht auf das Erfordernis der Erteilung der Freistellungsbescheinigung beim ausländischen Verleiher wegen vorrangigen EU-Rechts ändert daran auch dann nichts, wenn der jeweilige Arbeitnehmer unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist oder wenn sich bei diesem im Inland tatsächlich keine Steuerschuld errechnet. Denn über eine Steuerbefreiung der Löhne im Inland nach Art. XI Abs. 3 DBA-Großbritannien kann wegen Art. XVIII A Abs. 4 Satz 1 DBA-Großbritannien nur im Verfahren gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 39b Abs. 6 EStG oder in einem - aber nur von dem einzelnen Arbeitnehmer einzuleitenden - besonderen Erstattungsverfahren entschieden werden. Solange das FA keinen positiven Freistellungsbescheid erteilt, ist eine materielle Steuerfreiheit nach dem DBA-Großbritannien nicht zu berücksichtigen. Das Senatsurteil vom I R 50/85 (BFHE 157, 142, BStBl II 1989, 755) findet im Verhältnis zu Großbritannien keine Anwendung (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660 im Verhältnis zu Frankreich).
IV. Vorlage an den EuGH
Der Senat setzt daher das Revisionsverfahren gemäß § 74 FGO aus und legt dem EuGH folgende Frage gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung vor:
Widerspricht es Art. 49 EG-Vertrag, wenn zwar der inländische Arbeitgeber, nicht aber der ausländische Verleiher von Arbeitnehmern von der Verpflichtung zum Abzug der Lohnsteuer entbunden wird, weil der gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freizustellen ist?
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 306
BB 2003 S. 1047 Nr. 20
BFH/NV 2003 S. 264
BFH/NV 2003 S. 264 Nr. 2
BFHE S. 265 Nr. 200
BStBl II 2003 S. 306 Nr. 6
DB 2003 S. 2208 Nr. 41
DStRE 2003 S. 156 Nr. 3
FR 2003 S. 262 Nr. 5
KÖSDI 2003 S. 13569 Nr. 1
VAAAB-04303