Instanzenzug: Az: 3 KLs 25/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es die Einstellung des Verfahrens zu Ziffer 5 der Anklage (Tat vom ) ausgesprochen sowie den Anrechnungsmaßstab für in den Niederlanden vollzogene Auslieferungshaft bestimmt. Gegen den Strafausspruch und die Verfahrenseinstellung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision zum Nachteil des Angeklagten. Dieser beanstandet mit seinem Rechtsmittel die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Während die Revision der Staatsanwaltschaft, der der Generalbundesanwalt im Hinblick auf die angegriffene Verfahrenseinstellung beigetreten ist, Erfolg hat, ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet.
I.
2Das Landgericht hat – soweit von Relevanz – im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Am Morgen des (Fall II. 1 der Urteilsgründe) begleitete der niederländische Angeklagte gegen Entlohnung einen Transport von 120 Kilogramm Amphetamin von W. nach B. in einem vorausfahrenden Fahrzeug. Die Mitwirkung des Angeklagten diente der Absicherung der Lieferung, um die Fahrzeugführerin des nachfolgenden Drogenfahrzeugs vor etwaigen Polizeikontrollen zu warnen. Sein Auftraggeber war ein niederländischer Drogenhändler, der seit dem Jahr 2021 für in den Niederlanden tätige Hintermänner Betäubungsmitteltransporte gegen Bezahlung unter anderem in die Bundesrepublik organisierte.
4Am darauffolgenden Tag (Fall II. 2 der Urteilsgründe) fragte der Auftraggeber des Amphetamintransports aus Anlass von Lieferschwierigkeiten seines eigentlichen Lieferanten beim Angeklagten an, ob er ihm 15.000 Ecstasy-Tabletten „besorgen“ könne. Der Angeklagte nahm daraufhin Kontakt zu einem ihm bekannten Drogenhändler auf, der mitteilte, die Betäubungsmittelmenge zu einem Preis von 45 Cent pro Stück beschaffen zu können. Für den Fall des Zustandekommens des Geschäfts versprach dieser dem Angeklagten 20 Gramm Haschisch. Anschließend fragte der Angeklagte beim Auftraggeber nach, ob er die Ecstasy-Tabletten, die er „nun auch da“ habe, immer noch benötige. Nach Erkundigungen zu Preis und Wirkstoff entschied sich der Auftraggeber, der sich während der Telekommunikation in den Niederlanden aufhielt, gegen das Geschäft und griff stattdessen auf eine ihm zwischenzeitlich zugesagte anderweitige Lieferung zurück. Der Angeklagte befand sich vor seiner Inhaftierung in der Bundesrepublik in vorliegender Sache in Auslieferungshaft in den Niederlanden.
52. Die Strafkammer hat den Tatbeitrag des Angeklagten im Fall II. 1 der Urteilsgründe als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB). Die Strafe hat sie – nach Ablehnung eines minder schweren Falles des § 29a Abs. 2 BtMG – dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen und bei der Zumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten „gesehen“, dass er lediglich Beihilfe geleistet hat.
6Im Fall II. 2 der Urteilsgründe hat sich das Landgericht nicht davon überzeugen können, dass sich die angefragten Ecstasy-Tabletten bereits im Besitz des Angeklagten oder des von ihm deswegen kontaktierten Drogenhändlers befunden haben. Zudem hat es keine Feststellungen zum Aufenthalt des niederländischen Angeklagten zum Zeitpunkt der Gespräche in der Bundesrepublik Deutschland zu treffen vermocht. Daran anknüpfend hat es das Verfahren hinsichtlich der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat vom wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt (§ 260 Abs. 3 StPO). Die Strafkammer hat die Auffassung vertreten, dass der für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts erforderliche Vertrieb von Betäubungsmitteln im Sinne des § 6 Nr. 5 StGB mangels festgestellter Tätigkeit des Angeklagten, die sich auf die unmittelbare Weitergabe der Ecstasy-Tabletten richtete, nicht gegeben sei.
II.
Revision der Staatsanwaltschaft
71. Der Strafausspruch hält – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. zum Prüfungsmaßstab , BGHSt 34, 345, 349; Beschluss vom – 4 StR 492/22 Rn. 4 mwN) – sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
8a) Die Revision der Staatsanwaltschaft ist trotz des gegenüber ihrer Begründung weiter gehenden Antrags, das Urteil insgesamt aufzuheben, im Fall II. 1 der Urteilsgründe rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Aus dem für die Ermittlung des Angriffsziels maßgeblichen Inhalt der Revisionsbegründung ergibt sich durch Auslegung eindeutig, dass der Schuldspruch nicht angegriffen wird (vgl. Rn. 11 mwN; Urteil vom – 1 StR 464/24 Rn. 7 mwN; Urteil vom – 4 StR 146/19 Rn. 9), denn die Staatsanwaltschaft rügt ausschließlich einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung im Sinne des § 46 Abs. 3 StGB. Die Rechtsmittelbeschränkung ist auch wirksam. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt (vgl. Rn. 10).
9b) Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht den – eine Milderung des Strafrahmens bewirkenden – Umstand der Beihilfe (§ 27 StGB) erneut bei der Zumessung der konkreten Strafe mildernd berücksichtigt hat.
10aa) Die Strafzumessung im engeren Sinne erfordert eine Gesamtbewertung von Tatgeschehen und Täterpersönlichkeit. Danach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, sondern sogar geboten, wenn das Tatgericht wesentliche – mit dem gesetzlich vertypten Milderungsgrund zusammenhängende – Umstände bei der Festsetzung der Strafe innerhalb des gemilderten Strafrahmens berücksichtigt. Hingegen darf es den Anlass für eine Strafrahmenverschiebung als solchen allein nicht nochmals strafmildernd bewerten (vgl. , BGHSt 16, 351, 353 f.; Beschluss vom – 2 StR 101/76, BGHSt 26, 311, 312; LK-StGB/Schneider, 14. Aufl., § 46 Rn. 272 mwN; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 702), denn der Milderungsgrund trifft für jeden denkbaren Punkt der Skala des gemilderten Strafrahmens zu und ist deshalb nicht geeignet, als Differenzierungsmerkmal für die Bestimmung der angemessenen Strafe innerhalb dieses Rahmens zu dienen (vgl. , NStZ 2024, 221 mwN).
11bb) Hieran gemessen hat die Strafkammer den Umstand der Gehilfenstellung in unzulässiger Weise unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB doppelt zugunsten des Angeklagten verwertet. Sie hat – zunächst noch ohne Rechtsfehler – wegen des obligatorischen Milderungsgrundes des § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB den Strafrahmen herabgesetzt. Zu Unrecht hat sie aber sodann bei der Strafhöhenbestimmung diesen Gesichtspunkt erneut abstrakt herangezogen, ohne dabei differenziert nach der konkreten Art und Weise der Beihilfehandlung zu gewichten.
12c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Zumessung zu einer höheren Strafe gelangt wäre. Die Sache bedarf deshalb insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13d) Da es sich bei dem aufgezeigten Rechtsfehler lediglich um einen Wertungsmangel handelt, können die Feststellungen zum Strafausspruch aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
142. Die (teilweise) Einstellung des Verfahrens hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Strafkammer von einem zu engen Verständnis des Begriffs des Vertriebs im Sinne des § 6 Nr. 5 StGB ausgegangen ist.
15a) Nach dieser Vorschrift gilt deutsches Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Die Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung Ausdruck des Weltrechtsprinzips (vgl. zuletzt Rn. 7 mwN). Der Begriff des „Vertriebs“ ist dabei mit dem des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht gleichzusetzen, sondern autonom auszulegen. Für den Vertrieb ist eine Tätigkeit erforderlich, die ein Betäubungsmittel entgeltlich in den Besitz eines anderen bringen soll. Von den zahlreichen Teilakten des Handeltreibens werden durch den Begriff des „Vertriebs“ damit nur solche erfasst, die unmittelbar auf Weitergabe gerichtet sind. Daher fällt der Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch ebenso wenig unter den Begriff des „Vertriebs“ wie der bloße Besitz, die Herstellung bzw. die Verarbeitung, denn in diesen Fällen wird kein Absatzzweck verfolgt (vgl. Rn. 2 [Erwerb zum Eigenverbrauch]; LK-StGB/Werle/Jeßberger, 13. Aufl., § 6 Rn. 73 mwN, MüKo-StGB/Ambos, 5. Aufl., § 6 Rn. 11). Auch zum Handeltreiben zählende Handlungsweisen, die im Vorfeld eines Umsatzgeschäftes liegen oder sich an die Übergabe der Betäubungsmittel anschließen (vgl. , BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 1 [Erkundigung nach Lieferquellen]; Beschluss vom – 6 StR 187/20 Rn. 3 mwN [Beitreibung des Kaufpreises]), erfüllen nicht die Tätigkeit des Vertriebs, weil sie nicht bzw. nicht mehr unmittelbar auf die entgeltliche Weitergabe gerichtet sind. Hingegen setzt die Annahme von „Vertrieb“ keinen Absatzerfolg voraus (vgl. , NJW 2017, 1043; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 6 Rn. 5a; TK-StGB/Eser/Weißer, 31. Aufl., § 6 Rn. 8), sondern auch derjenige „vertreibt“ Betäubungsmittel, der allein oder durch seine Mitwirkung ihren in der Regel entgeltlichen Absatz an andere fördert (vgl. , BGHSt 34, 1, 2 mwN).
16b) Diesem Maßstab werden die Ausführungen der Strafkammer nicht gerecht. Sie geht im Ausgangspunkt noch zutreffend davon aus, dass der Vertrieb nicht mit dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gleichzusetzen ist. Im Weiteren verkennt sie aber, dass nach den Feststellungen die Bemühungen des Angeklagten darauf angelegt waren, 15.000 Ecstasy-Tabletten entgeltlich in den Besitz seines Auftraggebers mit dem Ziel des Weitervertriebs zu bringen, was für die Erfüllung des Vertriebs ausreichend sein könnte. Daran ändert auch nichts, dass es letztlich nicht zu einer Lieferung gekommen ist, weil ein darauf gerichteter und den Absatz befördernder Beitrag genügt. Zudem steht der Einordnung der Verhandlungen des Angeklagten mit seinem Drogenhändler als Vertrieb nicht entgegen, dass er lediglich als Vermittler auftrat, denn gleichwohl bezogen sich seine Bemühungen direkt auf den Ankauf der Betäubungsmittel, der ebenso wie der Verkauf unter den Begriff des Vertriebs zu fassen ist, wenn dieser zugleich unselbständiger Teil des Handeltreibens ist (vgl. , BGHSt 34, 1, 2).
17c) Die Einstellungsentscheidung unterliegt daher der Aufhebung mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn hinsichtlich dieser – für die Bewertung als Vertrieb im Sinne des § 6 Nr. 5 StGB relevanten und ihn belastenden – Feststellungen hatte der Angeklagte bislang keine Möglichkeit, sich mit seiner Revision zu verteidigen (vgl. Rn. 109).
18d) Der Senat kann die streitige Frage offenlassen, ob § 6 Nr. 5 StGB als – ungeschriebenes – Erfordernis einen Inlandsbezug voraussetzt (vgl. , NJW 2025, 2190 Rn. 15 mwN [offen gelassen]; Urteil vom – 1 StR 335/22, BGHSt 67, 284 mwN [ablehnend]; Urteil vom – 2 StR 294/16, BGHSt 62, 90, 92 mwN [ablehnend]). Denn ein hinreichender Inlandsbezug ist hier schon in der Auslieferung des Angeklagten nach Deutschland zu sehen (vgl. Rn. 6; Urteil vom – 2 StR 96/14, NJW 2017, 1043, 1044). Sollten vom neuen Tatgericht – was naheliegt – Feststellungen zur inkriminierten Tat vom wie im ersten Rechtsgang getroffen werden, wäre als weiterer legitimierender Bezugspunkt für die Anwendung deutschen Strafrechts die enge zeitliche und sachliche Verknüpfung zwischen der vom Angeklagten in der Bundesrepublik begangenen und im Schuldspruch rechtskräftigen Unterstützungshandlung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) mit der ihm zur Last gelegten Auslandstat (Fall II. 2 der Urteilsgründe) in Betracht zu ziehen (vgl. , BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2).
III.
Revision des Angeklagten
19Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht ausgeführt und damit unzulässig. Auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nicht näher begründeten Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Quentin Maatsch Scheuß
Momsen-Pflanz Marks
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:061125U4STR83.25.0
Fundstelle(n):
TAAAK-07298