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Online-Nachricht - Dienstag, 23.12.2025

Arbeitsrecht | Arbeitszeiterfassung in Großkanzleien (BRAK)

Dekorative GrafikDie BRAK macht auf ein Urteil des VG Hamburg aufmerksam, wonach die Hamburger Arbeitsschutzbehörde einer internationalen Großkanzlei die Pflicht auferlegen durfte, die Arbeitszeiten ihrer (Senior) Associates zu erfassen. Die sich aus einem EuGH- und einem BAG-Urteil ergebende Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt auch für Rechtsanwälte. Dementsprechend muss die Großkanzlei diese Berufsgruppe im Unternehmen auch über diese Pflicht aufklären. Denn es besteht der begründete Verdacht einer regelmäßigen Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstarbeits- sowie Pausenzeiten – die ebenfalls für Großkanzlei-Associates gelten ().

Sachverhalt: Zwei anonyme Hinweisgeber hatten der Behörde in den Jahren 2020 und 2021 mitgeteilt, dass in einer internationale Wirtschaftskanzlei am Standort Hamburg das Arbeitszeitschutzgesetz regelmäßig „massiv überschritten und missachtet“ werde. Anwesenheiten von täglich 9-10 Uhr bis 23-24 Uhr kämen regelmäßig täglich vor und würden den Mandanten entsprechend in Rechnung gestellt. Die Behörde kündigte bei der Kanzlei eine Vor-Ort-Besichtigung an – die Kanzlei teilte ihr bereits vorab mit, dass es keine Dokumentation der Arbeitszeiten gebe.

Daraufhin erließ die Behörde drei Anordnungen:

  1. Die Pflicht zur Erfassung von Arbeitsbeginn, -ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit für alle angestellten Rechtsanwälte, die dem Arbeitszeitgesetz unterliegen.

  2. Eine Unterweisung besagter Mitarbeitender über die Notwendigkeit dieser Aufzeichnungen nebst der Pflicht, die Belege für diese Unterweisung der Behörde zuzusenden.

  3. Eine Pflicht zur Mitteilung, wie die Kanzlei dafür sorgen will, dass die disziplinarisch verantwortlichen Partner ihrer Verantwortung als Führungskraft bei Gestaltung und Kontrolle der Arbeitszeiten durch deren regelmäßige Prüfung nachkommen.

Die Kanzlei klagte gegen die Anordnung.

Das VG Hamburg bestätigte die ersten zwei Anordnungen der Arbeitsschutzbehörde:

  • Die Hamburger Behörde durfte die ersten zwei Anordnungen auf Grundlage von § 17 Abs. 2 ArbZG treffen. Nur die dritte erachtete sie angesichts der ersten zwei Anordnungen als überflüssig und damit nicht verhältnismäßig.

  • Es bestand die konkrete Gefahr, dass in der Kanzlei regelmäßig gegen die tägliche Höchstarbeitszeit in § 3 ArbZG (8 Stunden, nur in Ausnahmefällen und bei entsprechendem Ausgleich 10) und gegen die Mindestruhezeiten von 11 Stunden gem. § 5 Abs. 1 ArbZG verstoßen wird. Die Hinweise wiesen auf tägliche Arbeitszeiten von 11-14 Stunden hin, und dies ohne Einhaltung der Ruhezeiten. Diesen Verdacht konnte die Kanzlei nicht durch Vorlage von erfassten Arbeitszeiten ausräumen.

  • Die Eigenverantwortung der angestellten Anwälte ist hier kein Argument. Denn das Gesetz differenziert gerade nicht danach, ob eine Überschreitung der Höchstarbeitszeit und eine Unterschreitung der Ruhezeiten freiwillig oder auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgt.

  • Angestellte Rechtsanwälte sind auch nicht vom Anwendungsbereich der § 3, 5 Abs. 1 ArbZG ausgenommen. Eine Ausnahme ergibt sich nicht aus § 18 ArbZG, da Associates regelmäßig keine leitenden Angestellten sind und auch nicht mit Chefärzten vergleichbar sind. Associates sind regelmäßig nicht Teil der Leitungsebene und nicht mit betriebslenkenden Entscheidungen befasst, sondern beschränken ihre Tätigkeit in der Regel auf die Bearbeitung konkreter Mandate. Eine analoge Anwendung des § 45 Satz 2 WPO scheidet ebenfalls aus, denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke – die BRAO ist bewusst nicht entsprechend geändert worden.

  • Das Territorialprinzip, also dass angestellte Rechtsanwälte auch Tätigkeiten im Ausland ausüben, ist kein tragendes Argument: Mit der Anordnung der Arbeitszeiterfassung auf der Grundlage des bundesrechtlichen ArbZG wird weder hoheitlich noch in sonstiger Weise in die Rechtsordnung anderer Staaten eingegriffen.

  • Die Anordnung ist auch ansonsten verhältnismäßig: Sie dient dem Zweck, Verstöße gegen die gesetzliche Höchstarbeitszeit aufzuklären. Diese Höchstarbeitszeit dient wiederum sowohl dem gesundheitlichen Schutz der Mitarbeitenden als auch dem Interesse der Allgemeinheit, nicht für die Krankheitskosten einstehen zu müssen, die durch übermäßige Arbeitszeiten entstehen. Dem steht auch nicht entgegen, wenn der Krankenstand in der Kanzlei erheblich unter dem Durchschnitt liegt. Zum einen sagt dies nichts über die Einhaltung von Arbeitszeiten aus, zum anderen kann diese Information auch auf einen derart hohen Arbeitsdruck hindeuten, dass die Beschäftigten trotz Krankheit ihrer Arbeitstätigkeit nachgingen.

  • Die Anordnung ist auch nicht besonders belastend für die Kanzlei – schließlich hat sie ja bereits ein System zur Erfassung der „billable hours“ für die Mandantschaft. So hätten EuGH und BAG auch kein konkretes System zur Arbeitszeiterfassung festgeschrieben, sondern ließen Freiheiten bei der Ausgestaltung der Erfassung. Eine Erfassung lediglich der über die Höchstarbeitszeit hinausgehenden Stunden wäre laut BAG nicht gleich geeignet. Denn aus einer solchen Aufzeichnung ließe sich jedenfalls nicht die genaue Lage der Arbeitsstunden im Tagesverlauf und damit die Einhaltung der Ruhepausen entnehmen.

  • Das Gericht berücksichtigte die besonderen Berufspflichten von Rechtsanwälten wie etwa das Verbot der Mandatsniederlegung zur Unzeit gem. § 43 BRAO i.V.m. § 671 Abs. 2 BGB. Deshalb sieht das Arbeitszeitgesetz auch Ausnahmen vor und erlaubt vorübergehend Überstunden für Notfälle – wenn diese in angemessener Zeit wieder ausgeglichen werden. Wenn es aber regelmäßig zu solchen „Notfällen“ kommt und dies für die Geschäftsleitung vorhersehbar ist, muss sie hier organisatorisch vorausplanen.

  • Auch sieht das Gericht, dass einem Mandat regelmäßig ein besonderes Vertrauensverhältnis zugrunde liegt und ein Rechtsanwalt daher nicht beliebig austauschbar ist. Dann aber muss die Kanzlei die Mandatsbearbeitung eben besser organisieren und etwa bei umfangreichen Mandaten von Anfang an mehr Rechtsanwälte pro Mandat einsetzen, die sich gegenseitig ersetzen können.

Hinweis:

Das VG hat die Berufung zugelassen. Die Rechtsfrage, ob, eine Anordnung der Erfassung von Arbeitszeiten auf der Grundlage von § 17 Abs. 2 ArbZG ergehen kann, hat grundsätzliche Bedeutung, da die Frage in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt ist und für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung hat.

Quelle: BRAK online, Meldung v. (lb)

Fundstelle(n):
JAAAK-07112