Artenschutzrechtliche Prüfung Windenergieanlage
Leitsatz
Brutplätze und Ansammlungen von nicht in der Anlage 1 zu § 45b BNatSchG aufgezählter und daher nicht kollisionsgefährdeter Brutvogelarten müssen hinsichtlich möglicher Kollisionsgefahren mit Windenergieanlagen keiner artenschutzrechtlichen Prüfung unterzogen werden.
Gesetze: Anl 1 BNatSchG
Instanzenzug: Thüringer Oberverwaltungsgericht Az: 5 KO 776/21 Urteilvorgehend VG Gera Az: 5 K 978/20 Ge Urteil
Gründe
1Die Beigeladene, eine regionale Planungsgemeinschaft, wendet sich gegen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts, durch das der beklagte Landkreis verpflichtet wird, den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
3Die Beschwerde bezeichnet die folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:
"Ist es zur Annahme einer harten Tabuzone notwendig und vom Plangeber zu verlangen, dass dieser bei Vorliegen eines durch formelles Landesgesetz vorgesehenen Bauverbotes im Landschaftsschutzgebiet zu überprüfen hat, ob das landesgesetzliche Bauverbot - ähnlich einer Bestimmung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung - zur Wahrung der Schutzzwecke und des Charakters des jeweiligen Landschaftsschutzgebietes im Sinne von § 26 Abs. 1 BNatSchG erforderlich ist, zumal der Plangeber in Bezug auf und im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Abwägung gemäß § 7 Abs. 2 ROG hinsichtlich formaler Landesgesetze keine Verwerfungskompetenz hat?"
4Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Es kann dahinstehen, ob dies schon deswegen der Fall ist, weil es sich bei der hinter der Frage steckenden Problematik der Abgrenzung von "harten" und "weichen" Tabuzonen um auslaufendes Recht handelt. Die Beschwerde weist selbst zutreffend darauf hin, dass der Gesetzgeber mittlerweile durch mehrere Gesetzesnovellen das Planungssystem für die Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung grundlegend umgestellt hat. Ob es insoweit wegen einer Vielzahl noch nach altem Recht zu beurteilender Verfahren weiterhin ein hinreichendes Bedürfnis für eine Klärung der Frage in einem Revisionsverfahren gibt (vgl. hierzu 2 B 53.24 - juris Rn. 19), kann offenbleiben.
5Die aufgeworfene Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision jedenfalls deshalb nicht, weil es sich nicht um eine Frage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) handelt. Das Oberverwaltungsgericht hat es als fehlerhaft erachtet, dass die Beigeladene nur abgeglichen habe, ob Unterschutzstellungen oder Landschaftspflegepläne die Errichtung von baulichen Anlagen unter einen Erlaubnisvorbehalt stellen. Nachdem sie dies verneint habe, sei sie von einem in § 36 Abs. 4 Nr. 1 ThürNatG 2019 (§ 56b ThürNatG 2006) enthaltenen absoluten Bauverbot für die betroffenen Gebiete ausgegangen. Darin habe sie ein auf unabsehbare Zeit unüberwindbares rechtliches Hindernis gesehen, das einer Windenergienutzung entgegenstehe und daher die Ausweisung einer harten Tabuzone rechtfertige (UA S. 20). Einen bundesrechtlichen Bezug weisen diese Ausführungen nicht auf. Dass es der Beigeladenen auch tatsächlich um die Auslegung des Landesrechts geht, wird deutlich, wenn sie rügt, dass das Oberverwaltungsgericht "die Vorschrift des § 56b ThürNatG 2006, welche ein formelles Gesetz darstellt, hinsichtlich der Beurteilung der Bindungswirkung gegenüber der Beigeladenen im Wege der regionalplanerischen Abwägung fehlerhaft so (behandelt), als handele es sich bei § 56b ThürNatG 2006 um eine Schutzgebietsverordnung" (Beschwerdebegründung S. 20). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Frage auch nicht dadurch zu einer des revisiblen Rechts, dass sie sich im Rahmen einer Abwägungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 ROG stellt. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage ist nicht diese bundesgesetzliche Norm, sondern allein die landesrechtliche Bestimmung und deren Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht. Das rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
6Auch die Frage,
"Ist es mit den Grenzen des aus § 7 Abs. 2 ROG folgenden Abwägungsgebotes und dem diese Grenzen markierenden Grundsatz, dass vom Plangeber nicht mehr gefordert werden kann, als er 'angemessener Weise' leisten kann, vereinbar, wenn vom Plangeber verlangt wird, bei einer Einstufung als harte Tabuzone vorab die Frage prognostisch zu prüfen und zu beantworten, ob auf den betroffenen Flächen ein Bauverbot auf Grundlage der naturschutzrechtlichen Befreiungsmöglichkeit gemäß § 67 BNatSchG (nicht nur kleinräumig) überwunden werden kann?",
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat schon nicht in generalisierender Weise für die Einstufung als harte Tabuzone eine prognostische Prüfung gefordert, ob ein Bauverbot nach § 67 BNatSchG nicht nur kleinräumig überwunden werden kann. Es hat vielmehr ausdrücklich darauf abgestellt, dass mit Blick auf die "besondere Situation dieser Gebiete der Befreiungsvorschrift des § 67 BNatSchG eine besondere Bedeutung beizumessen (sei)" und es hat ausdrücklich offengelassen, ob "allein schon die theoretische Möglichkeit einer Befreiung generell" genüge, um davon auszugehen, dass der Errichtung und dem Betrieb von Windenergieanlagen in altrechtlichen bzw. übergeleiteten Landschaftsschutzgebieten von vornherein kein rechtliches Hindernis entgegensteht (UA S. 22). In diesem Zusammenhang war für das Oberverwaltungsgericht ferner maßgeblich, dass es sich um zu DDR-Zeiten ausgewiesene und übergeleitete Unterschutzstellungen handelte, die offenbar seit Jahrzehnten keine Anpassungen mehr erfahren haben. Unabhängig hiervon tragen diese Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts nicht selbständig das Urteil, die Ausweisung der harten Tabuzonen sei abwägungsfehlerhaft. Dies ergibt sich aus der die Ausführungen zu § 67 BNatSchG einleitenden Formulierung ("Selbst wenn man ... ergäbe sich ... kein anderes Ergebnis").
7Die weitere Frage,
"Welche Anforderungen sind bezüglich Art, Umfang, Reichweite und Erfassungstiefe an die vom Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom - 4 CN 1.11 - und vom - 4 CN 2.12 - angenommenen Dokumentationspflichten hinsichtlich der Unterscheidung zwischen harten und weichen Tabukriterien zu stellen; muss insbesondere jeder Arbeitsschritt, den der Plangeber gedanklich nachvollzieht, vollständig (z.B. durch Aktenvermerke oder Ähnliches) dokumentiert werden oder bezieht sich die Dokumentationspflicht allein auf die aus Sicht des Plangebers für seine Abwägungsentscheidung im Ergebnis relevanten Informationen und durchgeführten Prüfungen?",
vermag die Zulassung der Revision ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Die Frage würde sich - soweit sie verallgemeinerungsfähig ist - schon deswegen nicht stellen, weil das Oberverwaltungsgericht keine vollständige in Aktenvermerken festgehaltene Dokumentation jedes Arbeitsschritts gefordert hat. Es hat vielmehr auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ( 4 CN 1.11 - BVerwGE 145, 231 Rn. 11 und vom - 4 CN 2.12 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 391 Rn. 6) festgestellt, dass sich die Beigeladene den Unterschied zwischen harten und weichen Tabuzonen klargemacht hat und zutreffend davon ausgegangen sei, dass die ausgewiesenen Landschaftsschutzgebiete nicht generell als harte Tabuzonen einzuordnen seien. Für die dann gleichwohl ohne Einzelfallprüfung erfolgte Annahme, dass jedes der Landschaftsschutzgebiete wegen des in § 36 Abs. 4 Nr. 1 ThürNatG 2019 normierten Bauverbotes als harte Tabuzone einzuordnen sei, fehle es an einer nachvollziehbaren, schlüssigen und substantiierten Dokumentation der Überlegungen für die Einstufung des jeweiligen Landschaftsschutzgebietes als harte Tabuzone. Das Oberverwaltungsgericht hat damit lediglich die pauschale Annahme, es bestehe aufgrund der Landschaftsverordnungen ein generelles Bauverbot, beanstandet und lediglich insoweit eine fehlende Dokumentation der Überlegungen des Plangebers bemängelt. In der Sache legt das Oberverwaltungsgericht nachfolgend im Einzelnen dar, warum die Beigeladene zu Unrecht von harten Tabuzonen ausgegangen ist, ohne auf die fehlende Dokumentation zurückzukommen. Der Sache nach sind die Ausführungen über die fehlende Dokumentation daher nicht tragend gewesen, weshalb auch aus diesem die Zulassung der Revision nicht in Betracht kommt.
8Schließlich führt auch die Frage,
"Sind Koloniebrüter - wie hier der Graureiher - vom Anwendungsbereich des § 45b BNatSchG und der hierzugehörigen Anlage 1 zum Bundesnaturschutzgesetz erfasst mit der Folge, dass sie mangels Auflistung nicht als windenergiesensibel (d. h. kollisionsgefährdet) eingestuft werden können mit der Folge, dass kein hinreichendes Kollisionsrisiko und damit kein signifikant erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG besteht, welches als artenschutzrechtlicher Belang, der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegenstehen kann?",
nicht zur Zulassung der Revision. Sie lässt sich aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend hervorgehoben, dass der Gesetzgeber mit § 45b BNatSchG i. V. m. der Anlage 1 das Ziel verfolgt, zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie bundeseinheitliche Standards für die in diesem Zusammenhang durchzuführende artenschutzrechtliche Prüfung vorzugeben. Damit wollte der Gesetzgeber gleichzeitig dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen, untergesetzliche Maßstabsbildungen für auf naturschutzrechtliche Zusammenhänge verweisende Tatbestandsmerkmale zu schaffen (, 595/14 - BVerfGE 149, 407 Rn. 24). Dazu hat er in der Anlage 1 zu § 45b BNatSchG eine abschließende Liste der kollisionsgefährdeten Brutvogelarten aufgestellt (BT-Drs. 20/2354 S. 25). Diese Liste knüpft an das von der Umweltministerkonferenz vorgelegte Signifikanzpapier aus dem Jahr 2020 an und erweitert die dort aufgeführten Arten um drei weitere Arten, die von den Ländern wegen ihrer Kollisionsgefährdung ergänzt worden waren (BT-Drs. 20/2354 S. 31). § 45b BNatSchG enthält für die fachliche Bewertung des Tötungsrisikos für diese kollisionsgefährdeten Brutvogelarten besondere Regelungen. Dabei stellt der Gesetzeswortlaut auf die Brutplätze der in der Anlage 1 genannten Brutvogelarten ab und bewertet das Tötungsrisiko je nach Entfernung dieses Brutplatzes von der Windenergieanlage.
9Vor diesem Hintergrund hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die in der Gesetzesbegründung enthaltene Aussage, § 45b BNatSchG erfasse nicht den Umgang mit "der betriebsbedingten Kollisionsgefährdung von Ansammlungen bzw. während der Zeiten des Vogelzuges" (BT-Drs. 20/2354 S. 25), sich nur auf die gelisteten kollisionsgefährdeten Vogelarten beziehen kann. Welche Arten eine betriebsbedingte Kollisionsgefährdung aufweisen, wird - wie dargelegt - in der Anlage 1 zu § 45b BNatSchG abschließend für die Arten festgelegt, ohne zwischen Exemplaren oder Ansammlungen der aufgezählten Brutvogelarten zu unterscheiden. Wie sich aus den Anmerkungen der Anlage 1 zu den Vogelarten "Rohrweihe", "Wiesenweihe" und "Uhu" ergibt, ist für die Kollisionsgefährdungen die Höhe der Rotorunterkante in Abhängigkeit von der Geländemodellierung maßgeblich. Nur wenn die sich hieraus ergebenden unterschiedlichen Unterkantenhöhen unterschritten werden, sind diese Arten überhaupt als kollisionsgefährdet anzusehen. Maßgeblich für die Kollisionsgefährdung sind danach erkennbar das Flug- und Jagdverhalten der Arten sowie die Geländeverhältnisse und die Unterkantenhöhe der Anlage. Es fehlt insoweit an jedem Anhaltspunkt dafür, dass Vogelarten, die aufgrund ihres Jagd- und Flugverhaltens und der Bauweise der Anlage nicht kollisionsgefährdet sind, dann Kollisionsrisiken ausgesetzt sind, wenn sie in Ansammlungen auftreten. Hiervon geht auch der Gesetzgeber an anderer Stelle der Gesetzesbegründung aus. Im Zusammenhang mit der Begründung, welche Vogelarten in die Liste aufgenommen wurden (BT-Drs. 20/2354 S. 31 unten), stellt er unter Hinweis auf die fachwissenschaftlichen Erkenntnisse ausdrücklich klar, dass nur "Ansammlungen (insbesondere Kolonien, bedeutende Brut- und Rastgebiete sowie Schlafplatzansammlungen) von kollisionsgefährdeten oder störungsempfindlichen Brut- und Rastvogelarten" von der Anlage 1 zu § 45b BNatSchG nicht umfasst werden.
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:071125B7B2.25.0
Fundstelle(n):
HAAAK-06842