Instanzenzug: Az: 4 St 2 BJs 328/20
Gründe
1Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord in 20 Fällen freigesprochen. Zudem hat es über die Entschädigung für vollzogene Untersuchungshaft und für die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme von Gegenständen entschieden. Der Generalbundesanwalt beanstandet mit seiner zu Ungunsten des Angeklagten erhobenen Revision die Verletzungen formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
21. Das Oberlandesgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3Der Angeklagte war im Sommer 1991 tonangebender Anführer der nationalsozialistisch, ausländerfeindlich und rassistisch eingestellten Skinhead-Szene in S. Ab August 1991 wurden in Deutschland zahlreiche Angriffe und erste Brandanschläge auf Asylsuchende und deren Wohnheime verübt. Es herrschte eine von Teilen der Bevölkerung getragene ausländerfeindliche Stimmung, die sich insbesondere ab dem anhand von Ausschreitungen in Hoyerswerda zeigte. Am Abend des warf dort ein Randalierer einen ersten Brandsatz auf eine Vertragsarbeiterunterkunft. Am selben Abend konsumierten der Angeklagte und seine damaligen beiden besten Freunde in einer Gaststätte in S. alkoholische Getränke. Sie hatten zwar von Ausschreitungen in Ostdeutschland gegen Asylsuchende und Ausländer, nicht aber von Brandflaschenwürfen Kenntnis. Möglicherweise die Ausschreitungen aufgreifend, äußerte der Angeklagte seinen Freunden gegenüber, dass hier in S. „auch sowas passieren“ müsse, womit er einen von ausländerfeindlichen und rassistischen Motiven getragenen Angriff auf ein bestimmtes Asylbewerberheim in S. zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft meinte. Die beiden anderen signalisierten dazu ihre Zustimmung, ohne dass es zu einer konkreten Planung eines Angriffs kam.
4In derselben Nacht wurde die hölzerne Treppe des angesprochenen Asylbewerberheims mittels Benzins in Brand gesetzt. Das Feuer breitete sich mit großer Geschwindigkeit im Treppenhaus aus und erfasste im Flur des Dachgeschosses den ghanaischen Staatsangehörigen Y., der einige Stunden später an den Folgen der Brandeinwirkung im Krankenhaus verstarb. Die weiteren sich in dem Haus aufhaltenden, teils schlafenden Menschen konnten sich vor den Flammen retten und das Haus verlassen. Wegen dieser Tat verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen der beiden Freunde des Angeklagten am .
52. Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da es sich nicht davon überzeugt hat, dass er bei der in der Gaststätte geäußerten Bemerkung einen Gehilfenvorsatz in Bezug auf die Haupttat des gesondert verfolgten Freundes hatte. Die ihm zur Last gelegte Äußerung, es habe in S. „auch mal etwas brennen oder passieren müssen“, habe sich nicht nachweisen lassen. Hinsichtlich der sinngemäß erwiesenen Aussage, es müsse dort auch mal etwas passieren, hätten keine Feststellungen dazu getroffen werden können, dass der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm, dem Freund zu dessen Tat psychisch Hilfe zu leisten, und dass er die wesentlichen Merkmale dieser Tat, insbesondere ihre Unrechts- und Angriffsrichtung, erkannte. Mangels einer „kontextuellen Verbindung zu einem zumindest ähnlich gelagerten Geschehen“, auf das der Angeklagte seine Äußerung bezogen haben könnte, sei ihm nicht nachzuweisen, dass er die Haupttat in ihren wesentlichen Zügen erkannt und zu fördern beabsichtigt habe.
II.
6Die Revision des Generalbundesanwalts ist unbegründet.
71. Die Verfahrensbeanstandung, das Oberlandesgericht habe in den Urteilsgründen einen in die Hauptverhandlung eingeführten polizeilichen Vermerk zu bundesweiten Brand- und Sprengstoffdelikten im Jahr 1991 nicht erörtert und damit den Inbegriff der Beweisaufnahme nicht ausgeschöpft (§ 261 StPO), hat keinen Erfolg. Zwar kann die unterbliebene Auseinandersetzung mit einer zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Urkunde als Verstoß gegen die Regelung des § 261 StPO gerügt werden, wenn eine Würdigung im Urteil im Hinblick auf die vollständige Erfassung des relevanten Beweisstoffes und die inhaltliche Richtigkeit der Feststellungen geboten war (vgl. , BGHSt 38, 14, 16 f.; vom – 1 StR 447/14, wistra 2018, 214 Rn. 27). Jedoch hat sich das Oberlandesgericht in den Urteilsgründen ausdrücklich mit dem genannten Vermerk befasst, daraus aber – letztlich vertretbar – andere Schlüsse gezogen als der Generalbundesanwalt.
8Dabei hat es in seine Würdigung eingestellt, dass es, wie aus dem Vermerk ersichtlich, bereits vor der Tat Brandanschläge auf Asylbewerberwohnheime gegeben habe, die Gewaltwelle nach Aussage des Ermittlungsbeamten indes nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda sprunghaft angestiegen sei und diese eine breite Aufmerksamkeit im gesamten Bundesgebiet zur Folge gehabt hätten. Es hat daher eine Übereinstimmung mit der Einschätzung des bei dem Gespräch in der Gaststätte anwesenden Zeugen gesehen, dass „Hoyerswerda nach seiner Erinnerung das erste ‚große Ding‘ mit Brandsätzen gewesen sei“. Ergänzend hat der Strafsenat die Aussagen zweier weiterer Zeugen angeführt, die ebenfalls nicht bestätigt hätten, bereits vor der Tat in S. von Brandanschlägen gehört oder darüber etwas im Fernsehen gesehen zu haben. Mit Blick auf diese Beweislage ist es nicht erforderlich gewesen, dass das Oberlandesgericht im Einzelnen die im Vermerk bezeichneten vorangegangenen Brandanschläge erörtert, zumal sich nicht aufdrängt, dass der Angeklagte oder sein Umfeld die dort als Beleg genannten Zeitungen las.
92. Die materiellrechtliche Prüfung aufgrund der erhobenen Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler ergeben.
10a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Diesem obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen; seine aufgrund der Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung ist für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Die Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei oder verneint es die Verwirklichung eines bestimmten Straftatbestandes, weil es vorhandene Zweifel nicht hat überwinden können, ist dies vom Revisionsgericht deshalb in aller Regel hinzunehmen (st. Rspr.; etwa , NZWiSt 2024, 187 Rn. 41 mwN).
11Zwar verpflichtet § 261 StPO das Tatgericht, alle festgestellten Tatumstände und Beweisergebnisse, soweit sie für oder gegen den Angeklagten sprechen können oder beide Möglichkeiten zulassen, einer umfassenden Würdigung zu unterziehen; diese ist in den Urteilsgründen darzulegen. Die dort dargestellte Beweiswürdigung kann jedoch ihrer Natur nach nicht in dem Sinne erschöpfend sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten ausdrücklich abgehandelt werden. Eine solche exzessive Erörterung überstiege die Möglichkeiten und Ressourcen der Gerichte, ohne dass jemals absolute Vollständigkeit erreicht werden könnte; sie ist daher von Rechts wegen nicht zu verlangen. Ausreichend ist die Angabe des für die Entscheidung Wesentlichen; die Urteilsgründe müssen deutlich machen, dass das Tatgericht naheliegende erhebliche Beweistatsachen nicht übersehen oder unvertretbar gewertet hat. Aus einzelnen tatsächlich bestehenden oder denkbaren Lücken der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, das Tatgericht habe nach den sonstigen Urteilsgründen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht. Eine revisionsrechtlich beachtliche Lücke liegt vielmehr erst vor, wenn eine wesentliche Feststellung überhaupt nicht erörtert oder ein aus den Urteilsgründen ersichtliches bedeutsames Beweisergebnis übergangen wird (s. insgesamt , NJW 2023, 89 Rn. 18 mwN).
12b) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung ohne Rechtsfehler.
13Das Oberlandesgericht hat umfangreich die Aussagen des bei dem Gespräch in der Gaststätte anwesenden Zeugen dargestellt und dahin gewürdigt, dass lediglich davon die Rede gewesen sei, es müsse hier „sowas passieren“, nicht aber, es müsse „sowas brennen“. Hierbei handelt es sich nach den Darlegungen um mögliche Schlüsse, ohne dass es zum Verständnis der Beweiswürdigung darauf ankommt und eine von der Revision geltend gemachte revisibele Lücke darstellt, wie der Zeuge im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung auf den – dem Strafsenat zufolge – unzutreffenden Vorhalt reagierte, er habe bei einer früheren Vernehmung von „brennen“ gesprochen. Die Urteilsgründe setzen sich ausführlich damit auseinander, dass der Zeuge klargestellt habe, sich lediglich an die sinngemäße Äußerung zu erinnern, „hier“ müsse „auch mal sowas passieren“. Die von der Revision für notwendig gehaltene noch weitergehende Darstellung der Zeugenaussage im Hinblick auf einzelne Sätze überspannt die Anforderungen an die Urteilsabfassung und geht über das nach der gefestigten Rechtsprechung revisionsrechtlich Erforderliche hinaus.
14Entsprechendes gilt, soweit der Generalbundesanwalt eine noch tiefergehende Auslegung eines am Tag nach dem Brand geführten Gespräches und ein Nebenklägervertreter die intensivere Erörterung eines etwaigen Zusammenhangs mit einem vorangegangenen Brandanschlag in L. am vermisst.
15Ferner liegt kein Widerspruch darin, dass das Oberlandesgericht sich einerseits näher mit den früheren Aussagen des Zeugen auseinandergesetzt, andererseits wegen dessen umgangssprachlicher Ausdrucksweise den verschrifteten Protokollinhalten lediglich einen eingeschränkten Beweiswert zugemessen hat. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es nicht allein auf die Verschriftungen abgestellt, sondern die die Vernehmungen durchführenden Personen dazu gehört hat. Überdies hat es eine Gesamtwürdigung der Beweislage vorgenommen und nicht allein auf das Verständnis des Zeugen von der in Rede stehenden Äußerung abgehoben. Dass es ihm bei der Würdigung besonderes Gewicht beigemessen hat, liegt innerhalb des dem Tatgericht insoweit zustehenden Spielraums. Ungeachtet einzelner Formulierungen in den Urteilsgründen ist nach deren Zusammenhang zudem auszuschließen, dass es übersteigerte Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt hat (s. zum Maßstab etwa , NStZ 2024, 186 Rn. 14 mwN).
16c) Aufgrund der danach zugrunde zu legenden Feststellungen fehlt es an einem Beihilfevorsatz des Angeklagten im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB. Wie das Oberlandesgericht zutreffend herangezogen hat, ist für eine Beihilfestrafbarkeit erforderlich, dass der Gehilfe die Handlungen des Haupttäters fördern und damit zur Tatbestandsverwirklichung durch diesen beitragen will. Zwar braucht der Beihilfevorsatz die Haupttat nicht in ihren Einzelheiten zu umfassen; der Teilnehmer muss keine bestimmte Vorstellung von ihr haben. Der Gehilfe muss aber die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Unrechtsgehalt und Angriffsrichtung, erkennen oder diese in seinen bedingten Vorsatz aufgenommen haben (, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 12 Rn. 100 mwN). Dies war beim Angeklagten in Bezug auf den Brandanschlag den Urteilsgründen zufolge nicht der Fall. Der von ihm bei seiner Äußerung erwogene rassistische Angriff auf das Wohnheim im Sinne von „Randale machen“ hat ein maßgeblich anderes Gepräge als die durch den tatsächlich ausgeführten Anschlag verwirklichten vorsätzlichen Tötungs- sowie Brandstiftungsdelikte und ist von davon deutlich abweichendem Unwert.
Schäfer Hohoff Anstötz
Kreicker Voigt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:071025U3STR534.24.0
Fundstelle(n):
EAAAK-06775