Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Verfassungsbeschwerde betr die Befreiung einer Syndikusrechtsanwältin von der Rentenversicherungspflicht - ua Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt - Fehlen eines rückwirkenden Befreiungsantrags nach § 231 Abs 4b SGB VI
Gesetze: Art 14 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 231 Abs 4b S 1 SGB 6, § 231 Abs 4b S 4 SGB 6
Instanzenzug: Az: B 10 R 1/25 C Beschlussvorgehend Az: B 12 R 6/22 R Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 4 R 341/20 Urteilvorgehend Az: S 2 R 720/19 WA Urteil
Gründe
1Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslegung eines Bescheids über die Befreiung einer Syndikusrechtsanwältin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Wechsel des Arbeitgebers.
I.
21. Die Beschwerdeführerin ist seit dem als Rechtsanwältin zugelassen und Mitglied der Rechtsanwaltskammer (…) sowie des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen.
32. Mit Bescheid vom befreite die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rechtsvorgängerin der Deutschen Rentenversicherung Bund die Beschwerdeführerin antragsgemäß von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. In ihrem Antrag hatte die Beschwerdeführerin zur ausgeübten Beschäftigung die Alternative "angestellt, berufsspezifisch beschäftigt als" angekreuzt und dazu "Referentin/Rechtsabteilung" bei (…) e.V. sowie zum Beginn der Beschäftigung "" angegeben.
43. Zum nahm die Beschwerdeführerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem (…) e.V. eine neue Beschäftigung als Syndikusrechtsanwältin in der Abteilung "SR Recht" bei der (…) AG auf, ohne einen erneuten Befreiungsantrag zu stellen. Für diese Tätigkeit wurden bis zum Beiträge zur Altersvorsorge an das Versorgungswerk entrichtet. Anlässlich einer Betriebsprüfung meldete die (…) AG die Beschwerdeführerin ab Januar 2015 als versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung an und zahlt seitdem Pflichtbeiträge an die Deutsche Rentenversicherung Bund. Beiträge für davor liegende Zeiträume erhob die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht.
54. Den Antrag der Beschwerdeführerin festzustellen, der Befreiungsbescheid vom erfasse auch ihre ab dem ausgeübte Beschäftigung bei der (…) AG, lehnte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Bescheid vom ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bot die Deutsche Rentenversicherung Bund der Beschwerdeführerin an, ein Schreiben der Beschwerdeführerin als fristgerechten Antrag auf rückwirkende Befreiung nach dem § 231 Abs. 4b SGB VI auszulegen und den Widerspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Befreiungsverfahrens ruhend zu stellen. Die Norm war während des Widerspruchsverfahrens mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom (BGBl I 2015 S. 2517) neu geschaffen worden. Da die Beschwerdeführerin dies ablehnte, wies die Deutsche Rentenversicherung Bund den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Die Beschwerdeführerin sei nicht als Rechtsanwältin bei ihrer Arbeitgeberin beschäftigt. Aus der vorangegangenen Befreiungsentscheidung zur damaligen Tätigkeit könne keine Befreiung für die Beschäftigung bei der (…) AG hergeleitet werden.
65. Die hiergegen gerichtete Klage der Beschwerdeführerin ist vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben. Zwischenzeitlich ist die Beschwerdeführerin auf einen nunmehr gestellten Antrag mit Wirkung zum als Syndikusrechtsanwältin zugelassen und von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden.
76. Mit Urteil vom hat das Bundessozialgericht die nachträglich zugelassene Revision der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Die Auslegung des Befreiungsbescheids aus Sicht eines verständigen Empfängers ergebe dessen Geltung allein für die konkret ausgeübte Beschäftigung. Eine allgemein für jede Tätigkeit als Rechtsanwältin gültige Befreiung sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. So werde der Beginn der Befreiung nach dem ausdrücklich vermerkten Beginn des konkreten Beschäftigungsverhältnisses bestimmt. Zudem werde ausdrücklich auf den auf die konkrete Beschäftigung bezogenen Antrag der Beschwerdeführerin Bezug genommen. Eine solche Auslegung entspreche auch dem gesetzlichen Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI. Die Beschäftigung bei der (…) AG sei von dem Befreiungsbescheid nicht erfasst, da der Wechsel des Arbeitgebers ein neues Beschäftigungsverhältnis begründe. Weder aus dem Inhalt des Bescheids oder aus einer Prüfmitteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom , noch aus anderweitigen konkreten rechtlichen Hinweisen der Deutschen Rentenversicherung Bund gegenüber der Beschwerdeführerin ergebe sich ein Vertrauenstatbestand.
87. Die dagegen erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin ist erfolglos geblieben (Beschluss vom ).
98. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere die vom Bundessozialgericht vorgenommene Auslegung des Befreiungsbescheids als willkürlich. Daneben rügt sie eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sowie ihres Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG.
II.
10Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie zeigt weder den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügend auf, dass dem aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG folgenden Grundsatz der Subsidiarität genügt worden ist, noch dass die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführerin in den gerügten Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten besteht.
111. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde soll dem Bundesverfassungsgericht eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. BVerfGE 15, 288 <292>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>). Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt zudem, dass der Beschwerdeführer zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen seiner Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Zum notwendigen Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren gehört die Darlegung, dass und in welcher Weise der Beschwerdeführer dem Subsidiaritätsgrundsatz genügt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2164/21 -, Rn. 13 m.w.N.).
122. Ausgehend hiervon legt die Verfassungsbeschwerde nicht dar, dass dem aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG folgenden Grundsatz der Subsidiarität genügt worden ist.
13a) Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 115, 81 <91 f.>; 123, 148 <172>; 134, 242 <285 Rn. 150>; stRspr). Der Subsidiaritätsgrundsatz greift nicht nur dann ein, wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht, die Verfassungswidrigkeit des beschwerenden Akts der öffentlichen Gewalt geltend zu machen. Es genügt, wenn dessen Beseitigung aus anderen Gründen erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 78, 58 <69>), also die Möglichkeit besteht oder bestand, ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen (vgl. BVerfGE 33, 247 <258>; 51, 130 <139>; 76, 1 <39>; BVerfGK 4, 102 <103>).
14b) Danach war die Beschwerdeführerin nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung des § 231 Abs. 4b Sätze 1 und 4 SGB VI zum gehalten, einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre ab dem ausgeübte Beschäftigung zu stellen (vgl. zu der grundsätzlichen Verpflichtung derartige Befreiungsanträge zu stellen bereits BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2584/14 -, Rn. 11 und vom - 1 BvR 2534/14 -, Rn. 11). Diese Regelung war gerade zu dem Zweck geschaffen worden, ein durch die Rechtspraxis bei der Befreiung von Syndikusrechtsanwälten geschaffenes schutzwürdiges Vertrauen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BTDrucks 18/5201, S. 46). Hiermit hat der Gesetzgeber eine bis ins Einzelne ausgestaltete Möglichkeit geschaffen, mittels derer die Beschwerdeführerin die von ihr in Anspruch genommene Rechtsposition, nämlich ihre Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitraum vom bis zum , hätte geltend machen können.
153. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt ferner nicht die Möglichkeit einer Verletzung der gerügten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin erkennen.
16a)Die Verfassungsbeschwerde legt eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht ausreichend dar.
17aa) Willkürlich ist ein Richterspruch erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Willkür liegt erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 62, 189 <192>; 80, 48 <51>; 86, 59 <62 f.>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 112, 185 <215 f.>; stRspr). Hingegen kann von willkürlicher Missdeutung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <216>).
18bb) Dass die fachgerichtliche Auslegung des Befreiungsbescheids, insbesondere die durch das Bundessozialgericht, unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei, wird von der Beschwerdeführerin nicht ausreichend dargetan. Das Vorbringen zur aus Sicht der Beschwerdeführerin zutreffenden Auslegung des Befreiungsbescheids lässt nicht erkennen, dass das Bundessozialgericht sich mit der Rechtslage nicht eingehend auseinandergesetzt hat oder dass seine Auffassung jeden sachlichen Grundes entbehrt.Die Auslegung des Befreiungsbescheids, wonach die Befreiung allein auf die konkret ausgeübte Beschäftigung bezogen gewesen sei, steht im Einklang mit den in der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen (vgl. dazu -, juris, Rn. 22 m.w.N.).Das Bundessozialgericht stellt zur Begründung auf die äußere Gestaltung des Bescheids, auf die Anknüpfung des Beginns der Befreiung an den angegebenen Beginn des Beschäftigungsverhältnisses, auf die ausdrückliche Bezugnahme auf den Antrag der Beschwerdeführerin, auf die Unbestimmtheit der nach dem Verfügungssatz folgenden Ausführungen sowie auf den gesetzlichen Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB VI ab. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Gesichtspunkte lassen nicht erkennen, dass diese Auslegung völlig unvertretbar wäre. Dies gilt auch für das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass der konkrete Inhalt des Befreiungsbescheids Unterschiede zu den der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrundeliegenden Bescheiden aufweise.
19Soweit die Beschwerdeführerin meint, das Bundessozialgericht lehne in willkürlicher Weise die Gewährung von Vertrauensschutz ab, setzt sie sich nicht hinreichend mit dem angegriffenen Urteil auseinander, das sich vorrangig auf das Fehlen vertrauensbegründender rechtlicher Hinweise der Deutschen Rentenversicherung Bund stützt und weder aus der Prüfmitteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom noch aus der unterbliebenen Erhebung von Beiträgen für den Zeitraum vor 2015 Vertrauensschutz ableiten will.
20b) Die Verfassungsbeschwerde legt auch nicht dar, inwieweit die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung eine von der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Position darstellt (vgl. dazu BVerfGK 11, 352 <353>). Schließlich wendet die Beschwerdeführerin sich mit ihrem Vorbringen zur Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör letztlich nur gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidungen. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte aber nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1 <12>; 87, 1 <33>).
21Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
22Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20251028.1bvr099425
Fundstelle(n):
PAAAK-06125