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BGH Urteil v. - IV ZR 109/24

Wirksamkeit einer Pandemie-Ausschlussklausel in den Bestimmungen einer Jahres-Reiseversicherung

Leitsatz

Die Formulierung "Nicht versichert sind Schäden durch Pandemien" in den Bestimmungen einer Jahres-Reiseversicherung (hier: Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) VB-                      ) verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB oder das Verbot einer unangemessenen Benachteiligung, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Gesetze: § 307 Abs 1 S 1 BGB, § 307 Abs 1 S 2 BGB

Instanzenzug: Az: 14 U 40/23vorgehend Az: 52 O 194/21

Tatbestand

1    Der Kläger, ein als qualifizierter Verbraucherverband im Sinne von § 4 Abs. 1 UKlaG eingetragener Verein, und der beklagte Versicherer streiten über die Wirksamkeit einer Klausel in den Versicherungsbedingungen des von der Beklagten vertriebenen Produkts "Jahres-Reiseversicherung".

2    Die Versicherungsbedingungen für die Jahres-Reiseversicherung VB-                  (im Folgenden: VB) unterteilen in ihrem Besonderen Teil (Abschnitt B) das Produkt in eine Reise-Rücktrittsversicherung, Reiseabbruch-Versicherung, Notfall-Versicherung, Reisegepäck-Versicherung und Reise-Krankenversicherung, für welche sie dort die versicherten Leistungen und versicherten Ereignisse beschreiben. Im Allgemeinen Teil (Abschnitt A) ist in § 6 Nr. 1 e) und Nr. 2 auszugsweise Folgendes bestimmt:

"§ 6 Ausschlüsse

1.    Nicht versichert sind Schäden durch

e)    Pandemien. Im Rahmen der Reise-Krankenversicherung besteht im Ausland Versicherungsschutz, wenn zum Zeitpunkt der Einreise der versicherten Person keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland für das jeweilige Zielgebiet bestand.

2.    In Gebieten, für welche zum Zeitpunkt der Einreise der versicherten Person eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland bestand, ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen.

…"

3    Im Glossar der VB (Abschnitt C) ist unter Buchstabe P folgende Erläuterung zum Begriff "Pandemie" wiedergegeben:

"Eine Pandemie ist eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit."

4    Der Kläger hat in der Hauptsache beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, in Bezug auf Verträge über Jahres-Reiseversicherungen mit den Bestandteilen Reise-Rücktrittsversicherung, Reise-Abbruchversicherung, Notfall-Versicherung, Reisegepäck-Versicherung, Reise-Krankenversicherung die Ausschlussklausel in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) VB, hilfsweise in Verbindung mit der Erläuterung des Begriffs "Pandemie" in Abschnitt C der VB, oder mit diesen inhaltsgleiche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ausgenommen gegenüber einer Person, die in ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer), zu verwenden sowie sich auf die Klauseln bei der Abwicklung derartiger Verträge zu berufen.

5    Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

6    Die Revision hat keinen Erfolg.

7    I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Ausschlussklausel in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) VB sei nicht nach §§ 307 bis 309 BGB unwirksam. Der Begriff Pandemie lasse nicht mehrere Deutungen zu, sondern sei seinem Inhalt nach eindeutig. Die Definition im Glossar stelle eine - zutreffende - Zusammenfassung des vom Duden genutzten und die Alltagssprache abbildenden Wortverständnisses dar. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde die international gebräuchlichen Definitionen hierbei im Blick haben und gehe von einer Pandemie jedenfalls in dem Moment aus, in dem die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, im Folgenden: WHO) eine Infektionskrankheit zur Pandemie erkläre.

8    Es ergebe sich keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil die Ausschlussklausel sowohl hinsichtlich der Frage, ob ein Risikoausschluss bestehe, als auch dafür, ab wann dieser eingreife bzw. nicht mehr eingreife, hinreichend klar und verständlich sei. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne zwar mangels epidemiologischer Fachkenntnisse nicht selbst beurteilen, ob eine Pandemie vorliege, er wisse aber - mittlerweile -, dass dies bestimmbar sei, es hierfür genaue und nachvollziehbare wissenschaftliche Kriterien gebe und er sich diesbezüglich auf den entsprechenden Internetseiten der WHO bzw. des Robert Koch-Instituts (im Folgenden: RKI) kundig machen könne. Es sei anzuerkennen und auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, dass es nicht versicherbare Risiken gebe, für welche die Versicherungen mit guten Gründen keinen Schutz anböten.

9    Ob eine Pandemie im Sinne der Definition im Glossar vorliege oder nicht, obliege nicht der Beurteilung des Klauselverwenders, sondern der Beurteilung des angerufenen Gerichts. Dabei sei unter Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Maßstäbe klar bestimmbar, ob dies der Fall sei. Dass in der Fachwissenschaft für das Vorliegen einer Pandemie neben dem Verbreitungsgrad unter Umständen noch weitere Voraussetzungen verlangt werden, mache die Klausel nicht unklar. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der fehlenden Möglichkeit des Versicherungsnehmers, den konkreten Zeitpunkt des Eingreifens eines Ausschlusses im Schadensfall sicher beurteilen zu können. Es sei dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass der Risikoausschluss erst dann greife, wenn das Risiko nach Wertung der Fachkreise - schon oder noch - vorliege.

10    Die Klausel sei auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unwirksam. Die Rechte des Versicherungsnehmers seien durch den Risikoausschluss nicht derart eingeschränkt, dass der Vertragszweck gefährdet werde. Es verblieben für alle Versicherungsarten in Abschnitt B der angebotenen Bedingungen praktische Anwendungsfälle mit nicht unerheblicher Reichweite. Eine unangemessene Benachteiligung könne auch nicht darauf gestützt werden, dass der Ausschlussfall an versicherungsfremde Anforderungen geknüpft würde. Insbesondere mache die Klausel den Risikoausschluss gerade nicht von dem Ausrufen einer Pandemie durch z.B. die WHO abhängig, die auch politische Erwägungen berücksichtige. Aus Sicht des Versicherers bestehe auch ein legitimes Interesse daran, Risiken vom Vertrag auszuschließen, welche die dauernde Erfüllbarkeit des Versicherungsvertrags insgesamt in Frage stellten.

11    II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

12    Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung der beanstandeten Formulierung in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) VB in Verbindung mit der Begriffserläuterung "Pandemie" in Abschnitt C nach § 1 UKlaG verneint. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Ausschlussklausel nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot oder das Verbot einer unangemessenen Benachteiligung unwirksam.

13    1. Nach dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel müssen dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die damit verbundenen Nachteile und Belastungen, soweit nach den Umständen möglich, so verdeutlicht werden, dass er den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen kann (vgl. , BGHZ 242, 249 Rn. 22; vom - IV ZR 129/23, VersR 2024, 1201 Rn. 15; jeweils m.w.N.; st. Rspr.). Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Insoweit gilt kein anderer Maßstab als derjenige, der auch bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zu beachten ist ( aaO; vom aaO). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom  - IV ZR 32/24, BGHZ 243, 180 Rn. 40 m.w.N.; st. Rspr.).

14    Bei einer - wie hier in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) VB vereinbarten - Risikoausschlussklausel geht das Interesse des Versicherungsnehmers und Versicherten zudem in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer oder Versicherte braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 277/22, VersR 2024, 240 Rn. 16 m.w.N.).

15    a) Diesen Erfordernissen entspricht die Ausschlussklausel in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) VB in Verbindung mit der Erläuterung des Begriffs "Pandemie" in Abschnitt C. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann dieser Klausel bei der zunächst vorzunehmenden Auslegung hinreichend klar entnehmen, wann die Leistungspflicht der Beklagten ausgeschlossen sein soll (vgl. auch MünchKomm-VVG/Schreier, 3. Aufl. Bd. 4 Kap. 58 Reiseversicherung Rn. 45a; BeckRS 2022, 43642 Rn. 23; a.A. Dörner in Prölss/Martin, VVG 32. Aufl. ATR 08/21 Ziff. 5 Rn. 8 ff.; Staudinger in Beckmann/Matusche-Beckmann, Vers-HdB 4. Aufl. § 50 Rn. 20 ff.; Staudinger in Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht 3. Aufl. AT-Reise 2008/2021 Ziff. 5 Ausschlüsse Rn. 7 Fn. 173; Staudinger/Busse, r+s 2021, 66, 68 ff.).

16    aa) Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird dabei zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgebend ist, denn einen fest umrissenen, vorrangig zu berücksichtigen Begriff der Rechtssprache gibt es nicht. Eine etwa in bestimmten Fachkreisen übliche Terminologie, die hier im Übrigen nicht erkennbar ist, wäre nicht maßgeblich, weil sie von dem oben genannten maßgeblichen Auslegungsgrundsatz für Versicherungsbedingungen abwiche (vgl. , VersR 2023, 41 Rn. 12; vom  - IV ZR 84/12, VersR 2013, 995 Rn. 21; vom  - IV ZR 174/12, r+s 2013, 334 [juris Rn. 12]; jeweils m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist deshalb die Anknüpfung des Berufungsgerichts an einen etwaigen dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht bekannten epidemiologischen Fachbegriff. Ausgangspunkt der Auslegung ist damit der Wortlaut der Klausel. Der Versicherungsnehmer wird, wenn er den Ausschluss in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) Satz 1 VB in den Blick nimmt, feststellen, dass Schäden durch Pandemien nicht versichert sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Pandemie eine Infektionskrankheit bzw. eine Seuche, die nicht auf ein begrenztes Gebiet beschränkt ist, sondern sich weit, über mehrere Länder und Kontinente verbreitet (vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, 29. Aufl. "Pandemie"). Wendet er sich dann dem Glossar der VB zu, wird er auf die Definition (Abschnitt C) unter Buchstabe P treffen, wonach in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch eine Pandemie eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit ist. Der Versicherungsnehmer wird dieser Definition entnehmen, dass maßgeblich für den Begriff der Pandemie deren Ausbreitung ist. Dabei wird ihm unmittelbar verdeutlicht, dass es sich um ein Ausbruchsgeschehen handeln muss, das sich rasch und weiträumig - über Länder und Kontinente hinweg - verwirklicht und mit einer hohen Zahl an zeitgleich auftretenden Infektionen einhergeht. Er wird daraus folgern, dass von dem Ausschluss ein örtlich begrenztes Infektionsgeschehen (Endemie) nicht erfasst wird. Um den Umfang der Versicherung im Pandemiefall genauer zu bestimmen, wird er weiter Abschnitt A § 6 Nr. 1 VB insgesamt und das übrige Klauselwerk in den Blick nehmen. Er wird daraus schließen, dass er die durch die Reise-Rücktritts-, Reise-Abbruch- und Notfall-Versicherung versicherten Leistungen trotz einer unerwartet schweren Erkrankung oder eines Todesfalls (Abschnitt B Teil I § 2 Nr. 1-3, § 3 Nr. 1 a) und e), Abschnitt B Teil II § 2, § 3 Nr. 1 a) und d) und Abschnitt B Teil III § 6 Nr. 1 a) und d) VB) oder die durch die Reise-Krankenversicherung versicherten Leistungen bei einer entsprechenden Reisewarnung - wie auch in Abschnitt A § 6 Nr. 2 VB vorgesehen - trotz einer (schweren) Krankheit oder eines Todesfalls (Abschnitt B Teil V §§ 1-4 VB) nur dann nicht erhält, wenn er an einer Infektionskrankheit erkrankt oder an dieser stirbt, die sich länder- und kontinentübergreifend schnell ausbreitet. Den Schluss, die Verbreitung eines harmlosen Krankheitserregers könnte eine Pandemie darstellen, wird er schon deshalb nicht ziehen, weil er feststellen wird, dass in der Reiserücktritts- und Reiseabbruchversicherung (Abschnitt B Teil I § 3 Nr.1a und Teil II § 3 Nr. 1a VB) der Versicherungsfall ausdrücklich als "schwere Erkrankung" bezeichnet wird.

17    Soweit weitere Kriterien - wie etwa das Auftreten eines neuartigen Virus, die geringe oder fehlende Immunität in der Bevölkerung, die Ressourcenbelastung im Gesundheitsversorgungssystem - während einer länder- und kontinentübergreifenden Ausbreitung einer Infektionskrankheit herangezogen werden, um das pandemische Risiko und die Konsequenzen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung einzuschätzen und zu bewerten, sind diese für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht entscheidend, weil sie im Wortlaut und dem erkennbaren Sinnzusammenhang der Bedingungen keinen Niederschlag finden und für ihn, wie ausgeführt, allein der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend ist. Das gleiche gilt für die Einschätzungen und Erklärungen aus den in Betracht kommenden Fachkreisen, einerseits aus den institutionellen, wie der WHO und dem RKI, und andererseits aus wissenschaftlichen Fachkreisen, auf die gerade nicht Bezug genommen wird. Im Streitfall kommt es mithin - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und von Teilen der Literatur (Benzenberg in Looschelders/Pohlmann, VVG 4. Aufl. Reiseversicherung Rn. 43a; Brand in Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport 2021, Teil 6 Rn. 40; MünchKomm-VVG/Schreier, 3. Aufl. Bd. 4 Kap. 58 Reiseversicherung Rn. 45; Richter in van Bühren/Richter, Reiseversicherung 4. Aufl. ATR08 Ziff. 5 AT Reise Ausschlüsse Rn. 13; Rixecker in Schmidt, COVID-19, 3. Aufl. § 12 Rn. 8; Schreier, VersR 2020, 513, 520; Seeholzer, ZAP 2020, 715, 718) - nicht entscheidend auf eine mögliche Erklärung der WHO oder Einschätzung eines Sachverständigen an, sondern allein auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers von einer Pandemie.

18    bb) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird auch aufgrund des für ihn erkennbaren Zwecks und Sinnzusammenhangs der Klausel annehmen, dass eine Pandemie, die zum Ausschluss versicherter Leistungen für Schäden führt, nur dann vorliegt, wenn allgemein von einer Pandemie im Sinne einer akuten Notlage der Bevölkerung berichtet wird, weil infolge einer sich sehr schnell ausbreitenden länder- und kontinentübergreifenden Infektionskrankheit eine große Anzahl an Personen schwer erkranken oder sterben.

19    (1) In diesem Verständnis wird er bestärkt durch einen Blick auf die weiteren Ausschlusstatbestände, die in Abschnitt A § 6 Nr. 1 VB genannt sind. Sie erfassen, soweit sie mit dem Ausschlusstatbestand "Pandemien" vergleichbar sind, Großschadensereignisse mit akuten Gefahren für Leib und Leben der Versicherten ("Krieg, Bürgerkrieg, kriegsähnliche Ereignisse, innere Unruhen oder den Einsatz von ABC-Waffen", Abschnitt A § 6 Nr. 1 a) Satz 1 VB; "Kernenergie oder sonstige ionisierende Strahlung", Abschnitt A § 6 Nr. 1 b) VB). Für den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer sind insoweit der Sinn und Zweck der Ausschlussklausel und das Interesse des Versicherers ersichtlich, das für die angebotene Jahres-Reiseversicherung unkalkulierbare Risiko von Schäden auszuschließen, welches von Infektionskrankheiten mit außergewöhnlich hoher Ansteckungsgefahr sowie einer länder- und kontinentübergreifenden Ausbreitung und einer sehr großen Anzahl an (schwer) erkrankten Personen ausgeht (vgl. MünchKomm-VVG/Schreier, 3. Aufl. Bd. 4 Kap. 58 Reiseversicherung Rn. 45; Günther/Piontek, r+s 2020, 242, 247; Staudinger/Busse, r+s 2021, 66, 67). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daraus folgern, dass "Pandemien" ohne konkrete Gesundheitsgefahren für einen Großteil der Bevölkerung, die nicht zu einer akuten Notlage führen, nicht erfasst sein sollen. Er wird des Weiteren erkennen, dass eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer harmlosen Infektionskrankheit für die angebotene Jahres-Reiseversicherung keine Relevanz hat. Dieses Verständnis erlangt er im Rückschluss daraus, dass er im Rahmen der Reise-Rücktrittsversicherung, Reiseabbruch-Versicherung und Notfall-Versicherung die versicherte Leistung stets nur im Fall einer unerwartet schweren Erkrankung oder im Todesfall erhält (Abschnitt B Teil I § 2 Nr. 1-3, § 3 Nr. 1 a) und e), Abschnitt B Teil II § 2, § 3 Nr. 1 a) und d) und Abschnitt B Teil III § 6 Nr. 1 a) und d) VB) und die Ausschlussklausel somit nur für diese damit vergleichbaren Fälle relevant ist. Etwas anderes ergibt sich für den Versicherungsnehmer auch nicht daraus, dass es in der Reise-Krankenversicherung nach dem Bedingungswortlaut in Abschnitt B Teil V § 1 Ziff. 1 VB keiner unerwartet schweren Erkrankung bedarf, sondern danach allgemein Krankheiten und Unfälle erfasst werden. Gerade bei der Reise-Krankenversicherung besteht bei Auslandsreisen - anders als bei den anderen Versicherungsprodukten - auch im Fall von Pandemien Versicherungsschutz, wenn es zum Zeitpunkt der Einreise keine Reisewarnung des Auswärtigen Amts gab. Bei harmlosen Infektionskrankheiten wird es eine Reisewarnung in der Regel nicht geben.

20    (2) Schließlich wird ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Versicherungsbedingungen dann von einer Pandemie im Sinne der Ausschlussklausel ausgehen, wenn die länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit zu einer akuten Notlage für die Bevölkerung in Deutschland führt oder diese nach den Versicherungsbedingungen infolge einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für andere Länder angenommen wird. Er wird erkennen, dass der Leistungsausschluss für Ansteckungsgefahren, die bei einer sich außergewöhnlich schnell ausbreitenden Infektionskrankheit mit schweren Verläufen in Gebieten außerhalb Deutschlands bestehen, gleichzeitig durch Abschnitt A § 6 Nr. 2 VB erfasst werden soll. Danach ist der Versicherungsschutz in Gebieten, für die zum Zeitpunkt der Einreise der versicherten Person eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland bestand, ausgeschlossen. Dass die Versicherungsbedingungen auf pandemiebedingte Reisewarnungen Bezug nehmen, entnimmt der Versicherungsnehmer zudem im Umkehrschluss der Ausnahmeregelung in Abschnitt A § 6 Nr. 1 e) Satz 2 VB, wonach - beschränkt auf die Reise-Krankenversicherung - auch für "Schäden durch Pandemien" Versicherungsschutz besteht, wenn zum Zeitpunkt der Einreise der versicherten Person keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland für das jeweilige Zielgebiet bestand.

21    b) Nach Maßgabe dieser Auslegung, insbesondere des Wortlauts, systematischen Zusammenhangs und Zwecks der angegriffenen Regelung, kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer hier im Hinblick auf die Anforderungen des Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) bei Vertragsschluss erkennen, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden können. Die Klausel führt ihm hinreichend klar vor Augen, was ihn erwartet. Mögliche tatsächliche Schwierigkeiten im Einzelfall festzustellen, ab und bis wann er von einer Pandemie im Sinne einer akuten Notlage während einer länder- und kontinentübergreifenden Ausbreitung der Infektionskrankheit ausgehen kann und muss, stehen dem nicht entgegen, und zwar auch nicht im Hinblick darauf, dass Ausschlussklauseln eng auszulegen sind. Solche Schwierigkeiten sind nicht unüblich und führen nicht zur Intransparenz (vgl. , BGHZ 234, 352 Rn. 43 f. zur "unerwarteten und schweren" Erkrankung in der Reiseversicherung; vom - IV ZR 159/18, VersR 2020, 95 Rn. 15 f. zur "erhöhten Kraftanstrengung" in der Unfallversicherung). Diese Schwierigkeiten folgen hier für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar aus der Natur der Sache, weil sich Infektionskrankheiten dynamisch ausbreiten und die Übergänge bei der Bestimmung des Schweregrads einer Pandemie fließend sind (vgl. Dörner in Prölss/Martin, VVG 32. Aufl. ATR 08/21 Ziff. 5 Ausschlüsse Rn. 8, der von einem dynamischen Prozess spricht). Die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen. Weder bedarf es eines solchen Grades an Konkretisierung, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können, noch ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (vgl. , BGHZ 241, 362 Rn. 32; vom aaO Rn. 15; jeweils m.w.N.). Aufgrund des sich ständig verändernden Verlaufs einer Pandemie und der damit verbundenen Formulierungsschwierigkeiten seitens des Versicherers bei Abfassung der Klauseln können von ihm keine näheren Darlegungen verlangt werden. Insbesondere ist für den Versicherungsnehmer auch das Interesse des Versicherers klar erkennbar, dass dieser unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation keinen Versicherungsschutz für ein unkalkulierbares Risiko im Hinblick auf eine große Zahl drohender Versicherungsfälle gewähren will.

22    2. Die Ausschlussklausel ist nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen eines Verstoßes gegen das Verbot einer unangemessenen Benachteiligung unwirksam. Es liegt weder eine Vertragszweckgefährdung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor, noch ist im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB eine sonstige unangemessene Benachteiligung anzunehmen.

23    a) Das Gebot der kundenfeindlichsten Auslegung greift hier - entgegen der Ansicht der Revision - nicht. Erst wenn mehrere Auslegungen - wie hier nicht - möglich wären, gingen Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders (vgl. , BGHZ 241, 362 Rn. 37; vom  - IV ZR 341/22, VersR 2024, 995 Rn. 24; jeweils m.w.N.).

24    b) Die Ausschlussklausel führt hiernach nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung, weil der Ausschluss von "Schäden durch Pandemien" nicht wesentliche Rechte des Versicherungsnehmers in einer die Erreichung des Vertragszwecks gefährdenden Weise einschränkt (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Nicht jede Begrenzung des Leistungsversprechens bedeutet für sich genommen eine Vertragszweckgefährdung. Vielmehr bleiben Leistungsbegrenzungen zunächst grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen weckt. Eine Gefährdung des Vertragszwecks liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (Senatsbeschluss vom  - IV ZR 212/23, VersR 2025, 90 Rn. 23 m.w.N.; st. Rspr.). Dies ist hier nicht der Fall, weil weltweit sich ausbreitende Infektionskrankheiten nicht typischerweise, sondern nur in ganz selten auftretenden Ausnahmefällen zu einer akuten Notlage der Bevölkerung im vorgenannten Sinne führen. Hinzukommt, dass gerade im Bereich der für Versicherungsnehmer besonders wichtigen Reise-Krankenversicherung als Baustein des Versicherungspakets eine Vertragszweckgefährdung auch dadurch verhindert wird, dass der Ausschluss überhaupt nur dann eingreifen kann, wenn im Zeitpunkt der Einreise eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes bestand. Damit wird in einer Vielzahl von Fällen gewährleistet, dass der Versicherungsnehmer die Reise gar nicht erst antreten wird oder, wenn eine Reisewarnung nicht erfolgte, Versicherungsschutz für ihn besteht.

25    c) Aufgrund dieses Ausnahmecharakters benachteiligt die Ausschlussklausel den Versicherungsnehmer auch nicht aus sonstigen Gründen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben (vgl. Senatsurteil vom  - IV ZR 350/22, BGHZ 241, 362 Rn. 39 m.w.N.), weil im Übrigen die Beklagte ein schützenswertes Interesse hat, die versicherten Risiken bei sich pandemisch ausbreitenden Infektionskrankheiten, die zu einer akuten Notlage der Bevölkerung im vorgenannten Sinne führen, zu beschränken.

26    3. Auf der Grundlage der vorgenannten Auslegung ist die Pandemie-Ausschlussklausel auch unter Berücksichtigung der Transparenzmaßstäbe aus Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, 29; im Folgenden: RL 93/13/EWG) nicht missbräuchlich (vgl. zum Transparenzerfordernis Arce, C-365/23, EU:C:2025:192 = NJW-RR 2025, 692 Rn. 69 f.; vom , Caixabank u.a. [Transparenzkontrolle bei Verbandsklagen], C-450/22, EU:C:2024:577 = VersR 2025, 101 Rn. 36 f.; vom , Van Hove/CNP Assurances, C-96/14, EU:C:2015:262 = VersR 2015, 605 Rn. 40 f.; jeweils m.w.N.). Es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen zu prüfen, ob das Transparenzgebot der RL 93/13/EWG erfüllt ist ( aaO Rn. 71 m.w.N.; vgl. auch aaO Rn. 41; vom aaO Rn. 27 f. und 47). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer ist - wie dargelegt - als normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher bei Vertragsschluss auf der Grundlage des Wortlauts, der Struktur und Stellung sowie des erkennbaren Zwecks der Regelung insbesondere in der Lage zu verstehen, wann die Leistungspflicht der Beklagten ausgeschlossen ist, und kann die wirtschaftlichen Folgen einer solchen - erkennbar nur in Ausnahmefällen eingreifenden - Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einschätzen. Mögliche tatsächliche Schwierigkeiten im Streitfall festzustellen ab und bis wann er von einer Pandemie im Sinne der Versicherungsbedingungen ausgehen kann und muss, stehen dem nicht entgegen, weil der Versicherungsnehmer gegenüber der Beklagten keinen geringeren Informationsstand hat; für diese ist der Verlauf einer länder- und kontinentübergreifenden Ausbreitung einer Infektionskrankheit ebenfalls unsicher und nicht vorhersehbar (vgl. zum Schutzgedanken des Transparenzgebots der RL 93/13/EWG aaO Rn. 69; vom aaO Rn. 36; vom aaO Rn. 26 und 40; jeweils m.w.N.).

Prof. Dr. Karczewski                  Dr. Brockmöller                  Dr. Bußmann

                               Dr. Götz                                Rust

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:051125UIVZR109.24.0

Fundstelle(n):
ZIP 2025 S. 4 Nr. 46
QAAAK-04039