Europa | Gültigkeit der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (EuGH)
Der EuGH erklärt die Bestimmung in
der EU-Mindestlohnrichtlinie für nichtig, in der die Kriterien aufgeführt sind,
die von Mitgliedstaaten, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt, bei der
Festlegung und Aktualisierung dieser Löhne zwingend zu berücksichtigen sind,
sowie die Vorschrift, die eine Senkung dieser Löhne unterbindet, wenn sie einer
automatischen Indexierung unterliegen ().
Hintergrund: Am erließ der Gesetzgeber der Union, d. h. das Europäische Parlament und der Rat, die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union. Zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Union wird mit dieser Richtlinie ein Rahmen geschaffen, um insbesondere die Angemessenheit von gesetzlichen Mindestlöhnen in Mitgliedstaaten mit derartigen Löhnen zu gewährleisten und Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung zu fördern.
Sachverhalt: Dänemark hat den Gerichtshof angerufen und beantragt, die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Dänemark ist u. a. der Ansicht, dass diese Richtlinie gegen die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten verstoße, da sie unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts innerhalb der Union und in das Koalitionsrecht eingreife, die gemäß den Verträgen in die nationale Zuständigkeit fielen.
Die Richter des EuGH gaben Dänemark nur teilweise Recht:
Der in den Verträgen vorgesehene Ausschluss der Zuständigkeit der Union in beiden in Rede stehenden Bereichen erstreckt sich nicht auf alle mit dem Arbeitsentgelt oder dem Koalitionsrecht in jeglichem Zusammenhang stehenden Fragen. Er betrifft auch nicht jede Maßnahme, die in der Praxis Auswirkungen oder Folgen für das Lohnniveau hat. Andernfalls würden bestimmte Zuständigkeiten, die der Union übertragen wurden, um die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen zu unterstützen und zu ergänzen, ihrer Substanz beraubt. Der Ausschluss der Zuständigkeit gilt somit nur, wenn das Unionsrecht unmittelbar in die Festsetzung des Arbeitsentgelts und in das Koalitionsrecht eingreift.
Nach Prüfung des Ziels und des Inhalts der Richtlinie liegt ein solcher Eingriff nur in zwei konkreten Fällen vor.
Erstens schreibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt, Kriterien vor, die bei der Festlegung und Aktualisierung dieser Löhne zu berücksichtigen sind. Insoweit beinhaltet die Richtlinie eine teilweise Harmonisierung der Bestandteile gesetzlicher Mindestlöhne und damit einen unmittelbaren Eingriff in die Festsetzung des Arbeitsentgelts.
Zweitens gilt dasselbe für die Vorschrift, die eine Senkung der gesetzlichen Mindestlöhne unterbindet, wenn das nationale Recht einen automatischen Mechanismus für Indexierungsanpassungen dieser Löhne vorsieht.
Daher erklärt der EuGH die Bestimmungen der Richtlinie für nichtig, die diese unmittelbaren Eingriffe des Unionsrechts in die Festsetzung der Vergütungen beinhalten und für die demzufolge keine Gesetzgebungskompetenz der Union besteht. Im Übrigen weist er die Klage Dänemarks ab und bestätigt damit zum überwiegenden Teil die Gültigkeit der Richtlinie.
Vor allem stellt der EuGH fest, dass das Unionsrecht mit der Richtlinie nicht unmittelbar in das Koalitionsrecht eingreift. Zu diesem Ergebnis gelangt er insbesondere in Bezug auf die Bestimmung der Richtlinie über die „Förderung von Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung“, und zwar u. a. deshalb, weil diese Bestimmung die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, zu regeln, dass mehr Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beizutreten haben. Der Gerichtshof weist auch den Klagegrund Dänemarks zurück, die Richtlinie sei auf einer unzutreffenden Rechtsgrundlage erlassen worden.
Die Nichtigkeitsklage zielt auf die Nichtigerklärung einer unionsrechtswidrigen Handlung der Unionsorgane ab. Sie kann bei dem Gerichtshof bzw. dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder natürlichen oder juristischen Personen erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die unionsrechtswidrige Handlung für nichtig erklärt. Entsteht dadurch eine Regelungslücke, hat das betreffende Organ diese zu schließen.
Der Volltext des Urteils C-19/23 ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung v. (lb)
Fundstelle(n):
CAAAK-03802