Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Überwiegend erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen eine Festnahme vor Anordnung von Abschiebungshaft - zu den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts bzgl der Ermächtigungsgrundlage für eine Freiheitsentziehung - Gegenstandswertfestsetzung
Gesetze: Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 Abs 1 S 1 GG, Art 104 Abs 2 S 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 2 Abs 14 AufenthG 2004 vom , § 2 Abs 15 AufenthG 2004 vom , § 62 Abs 3 S 1 AufenthG 2004 vom , § 62 Abs 5 AufenthG 2004, Art 15 Abs 1 EGRL 15/2008, Art 15 Abs 2 EGRL 15/2008, Art 8 Abs 3 Buchst f EURL 33/2013, Art 9 Abs 2 EURL 33/2013, Art 9 Abs 3 EURL 33/2013, Art 2 Buchst n EUV 604/2013, Art 28 Abs 2 EUV 604/2013, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-29 T 140/20 Beschlussvorgehend AG Frankfurt Az: 934 XIV 1357/19 B Beschluss
Gründe
I.
11. Der eritreische Beschwerdeführer reiste im Jahr 2018 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte fest, dass nach Art. 13 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig war und ordnete die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien an.
22. Nach fünf gescheiterten Überstellungsversuchen wurde der Beschwerdeführer am Morgen des , einem Freitag, in Gewahrsam genommen. Ein Abschiebungsversuch am selben Tag gegen 12:30 Uhr scheiterte am Widerstand des Beschwerdeführers.
33. Noch am ordnete das Regierungspräsidium Kassel gegen den Beschwerdeführer die vorläufige Ingewahrsamnahme nach Art. 8 Abs. 3 lit. f und Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 der Richtlinie 2008/15/EG (Rückführungsrichtlinie) an. Zur Begründung wurde ausgeführt, es werde beabsichtigt, einen Antrag auf Anordnung von Abschiebehaft "unverzüglich zu stellen". Der Beschwerdeführer müsse zur Sicherung der Haftbeantragung vorläufig in Gewahrsam genommen werden, denn es bestehe Fluchtgefahr. Eine "richterliche Entscheidung über die Anordnung (vorläufiger) Sicherungshaft" könne vor der Vorführung und Anhörung vor dem Haftrichter nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden. Nach Rücksprache mit dem Amtsgericht werde der Beschwerdeführer dem Haftrichter am , einem Samstag, vorgeführt.
44. Auf einen Haftantrag des Regierungspräsidiums hin ordnete das Amtsgericht Frankfurt am Main nach persönlicher Anhörung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom gegen diesen Haft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG a.F. an bis einschließlich . Zur Begründung führte das Gericht aus, die Voraussetzungen der Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 lit. n Dublin-III-VO in Verbindung mit § 2 Abs. 15 Satz 1, § 2 Abs. 14 Nr. 6 und § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG a.F. lägen vor, denn es bestehe Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer habe sich in der Vergangenheit bereits seiner Überstellung nach Italien entzogen.
55. Unter dem beantragte der Beschwerdeführer festzustellen, dass seine Ingewahrsamnahme am ab 15 Uhr bis zum Erlass des Haft anordnenden rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte. Zugleich beantragte er, ihm Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen.
66. Mit Beschluss vom wies das Amtsgericht den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers und den Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zurück. Die behördliche Ingewahrsamnahme auf Grundlage von § 62 Abs. 5 AufenthG sei rechtmäßig gewesen. Auch sei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung eingeholt worden. Am Amtsgericht habe am , einem Freitag, die Antragstellung nur innerhalb der Geschäftszeit, also bis 15 Uhr, erfolgen können.
77. Die gegen den erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom zurück. Die vorläufige Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers auf Grundlage von § 62 Abs. 5 AufenthG sei rechtmäßig erfolgt. Es habe ein dringender Verdacht bestanden, dass die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG a.F. vorlagen, und eine richterliche Entscheidung habe nicht vor der Ingewahrsamnahme eingeholt werden können. Zudem sei der Beschwerdeführer nach der Ingewahrsamnahme unverzüglich dem Haftrichter vorgeführt worden.
II.
8Der Beschwerdeführer hat am Verfassungsbeschwerde erhoben.
91. Er wendet sich gegen den und den .
102. Er rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Amts- und Landgericht hätten verkannt, dass es zum Zeitpunkt der behördlichen Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers an einer - nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG für die Beschränkung der Freiheit der Person vorgeschriebenen - Ermächtigungsgrundlage in Form eines formellen Gesetzes gefehlt habe. Die Festnahme am habe dazu gedient, seine Vorführung vor den Richter zur Anordnung von Überstellungshaft zu sichern. Die von dem Regierungspräsidium genutzte Rechtsgrundlage des § 62 Abs. 5 AufenthG ermächtige nicht zu einer behördlichen Ingewahrsamnahme zur Vorbereitung von Dublin-Überstellungshaft.
113. Zudem hätten Amts- und Landgericht ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Denn die Gerichte hätten die Frage, ob der Beschwerdeführer unverzüglich vor den Haftrichter geführt wurde, nicht ausreichend untersucht und damit den Gewährleistungsgehalt von Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verkannt. Weder Amts-, noch Landgericht hätten aufgeklärt, warum der Haftantrag nicht noch am gestellt worden sei.
124. Indem Amts- und Landgericht seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt hätten, hätten sie ihn zudem in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.
III.
13Das Hessische Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat und das Regierungspräsidium Kassel hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die die Abschiebungshaft betreffenden Verwaltungsvorgänge haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
IV.
14Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sich der Beschwerdeführer gegen den seinen Feststellungsantrag zurückweisenden Teil des und gegen den die hiergegen erhobene Beschwerde zurückweisenden Teil des richtet. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Entscheidung liegen insoweit vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung eines in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechts des Beschwerdeführers - namentlich seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG - angezeigt (1.). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (2.).
151. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers zurückweisenden Teil des wendet sowie gegen den die hiergegen erhobene Beschwerde zurückweisenden Teil des ist sie zulässig und in einer die Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet.
16Die angegriffenen Teile der Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 (dazu unter a)) und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG (dazu unter b)).
17a) Amts- und Landgericht haben den Beschwerdeführer in seinem durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Recht auf Freiheit der Person verletzt.
18aa) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 32, 87 <92>; 65, 317 <322>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene, tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>; 96, 10 <21>), also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>).
19Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195>; 58, 208 <220>). Freiheitsbeschränkungen bedürfen einer materiell-gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118 <119>; 29, 183 <195>), wobei ein Bundes- oder Landesgesetz in Betracht kommt. Inhalt und Reichweite der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Gerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 <322 f.>; 96, 68 <97>).
20bb) Aus der Verschärfung des schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalts durch Art. 104 Abs. 1 GG, der noch unterstützt wird durch die formalen Garantien in Art. 104 Abs. 2 GG, ist zu entnehmen, dass es dem Grundgesetz im Bereich der Freiheitsentziehungen auf eine besonders rechtsstaatliche, förmliche Regelung ankommt. Der Gesetzgeber hat Freiheitsentziehungen in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln (vgl. BVerfGE 29, 183 <195 f.>). Ebenso wie aus diesem Grunde Gewohnheitsrecht als "gesetzliche Grundlage" ausscheidet, gilt dies auch für die analoge Heranziehung von Normen. Denn diese sind nach der Intention des Gesetzgebers zur Zeit ihres Erlasses nicht auf die Fälle gerichtet gewesen, auf die sie durch Analogie angewendet werden sollen. Nur der Gesetzgeber aber soll nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darüber entscheiden, in welchen Fällen Freiheitsentziehungen zulässig sein sollen (vgl. BVerfGE 29, 183 <195 f.>; 83, 24 <31 f.>; BVerfGK 6, 119 <124>). Diese Auslegung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigt sich auch durch den Vergleich mit dem Analogieverbot im Strafrecht, das aus dem in Art. 103 Abs. 2 GG vorgeschriebenen, dem Art. 104 GG ähnlichen Gebot bestimmter gesetzlicher Regelung herzuleiten ist (vgl. BVerfGE 29, 183 <196> m.w.N.).
21cc) Gemessen hieran verletzen die angegriffenen Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts den Beschwerdeführer in seinem durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Recht auf Freiheit der Person. Denn die Gerichte haben verkannt, dass die behördliche Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers nicht auf Grundlage eines den Anforderungen aus Art 104 Abs. 1 Satz 1 GG genügenden, förmlichen Gesetzes erfolgte.
22(1) Zunächst stellen die Vorschriften der Art. 8 Abs. 3 lit. f, Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Richtlinie 2008/15/EG (Rückführungsrichtlinie), auf die sich das Regierungspräsidium in seiner "Anordnung der vorläufigen Gewahrsamnahme" vom stützte, keine taugliche Rechtsgrundlage für eine Freiheitsbeschränkung dar.
23Zwar können Regelungen in EU-Richtlinien in bestimmten Fällen - wenn Mitgliedstaaten die entsprechende Regelung nicht fristgerecht umgesetzt haben und soweit die fragliche Vorschrift inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist - unmittelbare Wirkung im Verhältnis zwischen Staat und Einzelnem entfalten. Allerdings vermag die unmittelbare Anwendung von Regelungen aus einer EU-Richtlinie nur Rechte des Einzelnen zu begründen. Während dieser sich gegenüber dem Staat auf die für ihn günstige Vorschrift berufen kann, ist der Mitgliedstaat, der die unzureichende oder verspätete Umsetzung verantworten muss, wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben daran gehindert, auf Grundlage einer nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien-Vorschrift gegen den Einzelnen vorzugehen (vgl. , ECLI:EU:C:2004:12, Rn. 56 m.w.N.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Kommentar, 6. Aufl. 2022, Art. 288 AEUV, Rn. 58; vgl. BVerfGE 75, 223 <237 ff.>; 85, 191 <205>). Danach kommen die von dem Regierungspräsidium zitierten Vorschriften der Aufnahme- und der Rückführungsrichtlinie - ohne, dass es einer weiteren Auseinandersetzung mit ihrem Regelungsgehalt bedürfte - nicht als Ermächtigungsgrundlagen für Eingriffe in die Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers in Betracht.
24(2) Auch als das Regierungspräsidium ausweislich des an das Amtsgericht gerichteten Haftantrags vom davon ausging, der Beschwerdeführer befinde sich "aufgrund Anordnung nach § 62 Abs. 5 AufenthG" in vorläufigem Gewahrsam, bezog es sich nicht auf eine taugliche gesetzliche Grundlage im Sinne des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.
25(a) Die Auslegung der Form und Verfahren der Freiheitsentziehung regelnden Vorschriften des einfachen Rechts obliegt in erster Linie den Fachgerichten. Dies gilt trotz des Umstands, dass Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Beachtung der sich aus dem jeweiligen Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Formen zur Verfassungspflicht erhebt. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht berufen, anstelle der Fachgerichte den Regelungsgehalt der gesetzlich vorgeschriebenen Förmlichkeiten einer Freiheitsbeschränkung, über deren Inhalt und Reichweite Meinungsverschiedenheiten bestehen, im Einzelnen verbindlich festzustellen. Ungeachtet des hohen Ranges des hier geschützten Grundrechts ist es auch in diesem Bereich vorrangig Aufgabe der Fachgerichte, den Sinn des Gesetzesrechts mit Hilfe der anerkannten Methoden der Rechtsfindung zu ergründen und den Anwendungsbereich des Gesetzes zu bestimmen (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>). Das Bundesverfassungsgericht kann erst dann korrigierend tätig werden, wenn das fachgerichtliche Auslegungsergebnis über die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen hinausgreift, insbesondere wenn es mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit nicht zu vereinbaren ist oder wenn es sachlich schlechthin unhaltbar ist und somit Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) vorliegt (vgl. BVerfGE 65, 317 <322>).
26(b) Zunächst schied eine unmittelbare Anwendung von § 62 Abs. 5 AufenthG für die vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme zur Vorbereitung der Dublin-Überstellungshaft aus (vgl. LG Halle, Beschluss vom - 1 T 167/19 -, juris, Rn. 14 ff.; LG Braunschweig, Beschluss vom - 8 T 594/19 -, juris, Rn. 20 ff.; LG Osnabrück, Beschluss vom - 11 T 360/19 -, juris, Rn. 14 ff.; -, juris, Rn. 18). Denn die Vorschrift des § 62 Abs. 5 AufenthG diente und dient ausweislich ihres eindeutigen Wortlauts ausschließlich dazu, durch eine vorläufige Ingewahrsamnahme die richterliche Anordnung der Sicherungshaft im Sinne des § 62 Abs. 3 AufenthG vorzubereiten.
27Indes war in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits zum Zeitpunkt der vorläufigen Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers am geklärt, dass für die Zwecke der Anordnung der Dublin-Überstellungshaft nicht auf die in § 62 Abs. 3 AufenthG a.F. normierten Haftgründe der Sicherungshaft zurückgegriffen werden konnte. Denn die Voraussetzungen für die Überstellungshaft in Verfahren nach der Dublin-III-VO waren zum Zeitpunkt der Festnahme des Beschwerdeführers abschließend in Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 lit. n Dublin-III-VO in Verbindung mit § 2 Abs. 15 in Verbindung mit § 2 Abs. 14 AufenthG a.F. geregelt (vgl. -, juris, Rn. 4; vgl. Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BTDrucks 18/4097, S. 25; vgl. Grotkopp, Abschiebungshaft, 2020, Rn. 169).
28Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO setzt für die Inhaftierung der zu überstellenden Person eine erhebliche Fluchtgefahr voraus. Nach Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO ist eine derartige, erhebliche Fluchtgefahr gegeben, wenn Gründe vorliegen, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Die danach objektiv gesetzlich festzulegenden Kriterien bleiben dem nationalen Gesetzgeber überlassen (vgl. Bumiller, in: Bumiller/Harders/Schwamb, 13. Aufl. 2022, FamFG § 415 Rn. 15).
29Nachdem der Gesetzgeber die Kriterien im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-III-VO abschließend in § 2 Abs. 15 in Verbindung mit § 2 Abs. 14 AufenthG a.F. normiert hatte, war für die Anordnung der Überstellungshaft ein Rückgriff auf die in § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG a.F. normierten Haftgründe der Sicherungshaft ebenso ausgeschlossen, wie die Anwendung von § 62 Abs. 5 AufenthG für die vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme zur Vorbereitung der Überstellungshaft.
30(c) Eine analoge Anwendung von § 62 Abs. 5 AufenthG für die vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers zur Sicherung der Überstellungshaft schied ebenso aus, da sie dem strengen Gesetzesvorbehalt in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und dem daraus folgenden Analogieverbot zuwiderliefe (vgl. BVerfGE 29, 183 <196>; 83, 24 <31 f.>; vgl. auch -, juris, Rn. 19 f.). Bis zum Inkrafttreten von § 2 Abs. 14 Satz 3 AufenthG in der Fassung vom durch das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, vgl. BTDrucks 19/10047, S. 30) fehlte es mithin an einer den Anforderungen des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG genügenden Rechtsgrundlage für die vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme von Asylsuchenden zur Sicherung und Vorbereitung der Überstellungshaft. Amts- und Landgericht haben dies verkannt.
31b) Amts- und Landgericht haben den Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen zudem in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Denn dass nach der Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers eine richterliche Entscheidung wie geboten unverzüglich nachgeholt worden wäre, wird durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen, anders als von den Gerichten angenommen, gerade nicht belegt.
32aa) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. zum Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG: BVerfGE 103, 142 <151 ff.>). Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters, etwa durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, jedenfalls zur Tageszeit zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>; 105, 239 <248>).
33Die Freiheitsentziehung setzt grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus (vgl. nur BVerfGE 10, 302 <321>; 22, 311 <317>).
34Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte, verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 311 <317>). Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert dann, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 10, 302 <321>). "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239 <249> m.w.N.). Nicht vermeidbar sind etwa die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein widerständiges Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne Weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 ff., 156>).
35Die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Freiheitsentzug (absehbar) vor Ablauf der Frist des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG endet. Diese Vorschrift setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze (vgl. BVerfGE 83, 24 <33>), befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. BVerfGE 105, 239 <249> m.w.N.).
36bb) Den vorstehenden Maßstäben tragen die Entscheidungen von Amts- und Landgericht nicht ausreichend Rechnung.
37Amtsgericht und Landgericht haben weder hinreichend aufgeklärt, welche Anstrengungen das Regierungspräsidium unternommen hat, um einen Richter zu erreichen, noch wurde untersucht, welche Vorkehrungen am zuständigen Amtsgericht Frankfurt am Main für die Erreichbarkeit eines Richters getroffen worden waren. Die im angegriffenen enthaltene Feststellung, dass nach Ende der "Geschäftszeiten" des zuständigen Amtsgerichts am Freitagnachmittag um 15 Uhr keine richterliche Entscheidung mehr zu erlangen gewesen sei, reicht nicht aus, weil es allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter nicht gibt (vgl. BVerfGE 105, 239 <251>).
38Zudem oblag es den Gerichten, bei der Prüfung, ob eine richterliche Entscheidung unverzüglich im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nachgeholt wurde, eine dem Schutzzweck des Art. 104 Abs. 2 GG entsprechende Gerichtsorganisation zu Grunde zu legen. Der Richtervorbehalt hat als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen hohe Bedeutung; er erfordert deshalb besondere Bemühungen und Vorkehrungen. Grundsätzlich muss jedenfalls die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters zur Tageszeit (vgl. BVerfGE 105, 239 <248>; 149, 293 <333 Rn. 96>) sichergestellt werden. Die Tageszeit geht dabei über die üblichen Geschäfts- beziehungsweise Dienstzeiten der Gerichte hinaus und umfasst den Zeitraum zwischen 6 und 21 Uhr (vgl. BVerfGE 139, 245 <267 f. Rn. 64> und 151, 67 <89, Rn. 58> jeweils zur effektiven Durchsetzung des Richtervorbehalts aus Art. 13 Abs. 2 GG). Darüber hinaus ist ein richterlicher Bereitschaftsdienst während der Nachtzeit jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgeht (vgl. BVerfGE 103, 142 <156> und 139, 245 <268 Rn. 64> sowie BVerfGK 2, 176 <178> und 5, 74 <78> jeweils zu Art. 13 Abs. 2 GG, wonach ein nächtlicher Notdienst an den Gerichten in Abhängigkeit vom Aufkommen der nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen einzurichten ist). Ausgehend hiervon können Gerichte insbesondere in Großstädten verpflichtet sein, durch die Einrichtung eines nächtlichen Bereitschaftsdienstes die Erreichbarkeit eines Richters sicherzustellen.
39Ob die Gerichtsorganisation am Amtsgericht diesem verfassungsrechtlichen Gebot genügte, kann mangels entsprechender Feststellungen der Gerichte nicht überprüft werden.
40Die angegriffenen Entscheidungen von Amts- und Landgericht, die den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers als unbegründet zurückgewiesen und damit die Aufrechterhaltung des Gewahrsams ohne richterliche Entscheidung auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Feststellungen gebilligt haben, werden den Gewährleistungen von Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG jedenfalls nicht gerecht.
412. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Verfahrenskostenhilfe durch den wendet und gegen den soweit durch ihn die Beschwerde gegen die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen wurde, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
V.
421. Der Beschluss des Amtsgerichts ist insoweit aufzuheben, als darin der Feststellungsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen wird. Der Beschluss des Landgerichts ist aufzuheben, soweit die gegen die Zurückweisung des Feststellungsantrags erhobene Beschwerde zurückgewiesen wird. Die Sache ist insoweit zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).
432. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1333/21 -, Rn. 67 m.w.N.). Die Festsetzung des Gegenstandswerts findet ihre Grundlage in § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
ECLI Nummer: 
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250804.2bvr033022
Fundstelle(n):
  UAAAK-02931