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BAG Urteil v. - 9 AZR 112/24

Rückforderung von Ausbildungskosten - Bestimmtheit einer Tarifnorm

Instanzenzug: ArbG Lingen Az: 4 Ca 26/23 Ö Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 11 Sa 588/23 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Ausbildungskosten.

2Am schlossen die Parteien einen Ausbildungsvertrag mit Wirkung zum . Die bei Vertragsschluss noch minderjährige Beklagte wurde dabei durch ihre Eltern vertreten. Der Vertrag enthält ua. folgende Regelungen:

3Nach § 7 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Nachwuchskräfte der Bundesagentur für Arbeit vom (TVN-BA) idF des 11. Änderungstarifvertrags (Stand: ) beträgt die Ausbildungsvergütung für Studierende für die Zeit vom bis 1.620,00 Euro, vom bis 1.645,00 Euro und ab 1.670,00 Euro.

4§ 30 TVN-BA enthält folgende Regelungen zur Erstattung der Ausbildungskosten:

5Im Juli 2021 absolvierte die Beklagte ihre Abschlussprüfung. Die Parteien schlossen daraufhin eine Vereinbarung, in der es heißt:

6Seit dem beschäftigte die Klägerin die Beklagte als Arbeitsvermittlerin auf Grundlage eines zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags vom . Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum . Mit Schreiben vom wurde sie von der Klägerin zur Rückzahlung eines Teils der Ausbildungskosten (15 Monate x 1.645,00 Euro) aufgefordert. Die Beklagte wies die Forderung unter Hinweis auf eine nicht hinnehmbare Konfliktsituation am Arbeitsplatz zurück.

7Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der wirksamen Rückzahlungsvereinbarung aus § 2 des Ausbildungsvertrags iVm. § 30 TVN-BA seien erfüllt. Eine unzumutbare Situation am Arbeitsplatz habe nicht bestanden.

8Die Klägerin hat beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat der Klageforderung entgegengehalten, die durch § 2 des Ausbildungsvertrags in Bezug genommenen Regelungen des § 30 TVN-BA seien bereits von vornherein nicht wirksam in das Ausbildungsverhältnis einbezogen worden. Jedenfalls seien sie durch den Auflösungsvertrag der Parteien aufgehoben worden, sodass spätestens dadurch die Grundlage für eine Rückzahlungsverpflichtung entfallen sei. Überdies sei § 30 TVN-BA unwirksam, da er gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG und das Bestimmtheitsgebot verstoße. Auch sei er nicht mit § 12 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BBiG und § 26 SGB IV vereinbar. Schließlich seien die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch nicht erfüllt. Die Beklagte habe die Beendigung nicht zu vertreten, da es ihr nicht zumutbar gewesen sei, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

10Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie begehrt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

11Die zulässige Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts nicht aufheben und die Klage abweisen. Es hat rechtsfehlerhaft angenommen, § 30 Abs. 2 TVN-BA sei mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam. Auf Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob der Klägerin der streitgegenständliche Rückzahlungsanspruch zusteht. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

12I. Die Revision ist zulässig. Sie setzt sich hinreichend mit der Begründung des angefochtenen Urteils auseinander. Soweit die Beklagte die Revision für unzulässig hält, weil die Klägerin nicht auf alle entscheidungserheblichen Argumente im Berufungsurteil eingegangen sei, übersieht sie, dass das Landesarbeitsgericht die Vereinbarkeit von § 30 TVN-BA mit Art. 3 Abs. 1 GG ausdrücklich offengelassen hat und es sich daher nicht um einen tragenden Grund handelt, mit dem sich die Revision zwingend hätte auseinandersetzen müssen (vgl. zu diesem Erfordernis  - Rn. 9).

13II. Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch gemäß § 2 des Ausbildungsvertrags iVm. § 30 TVN-BA nicht verneinen. Die Annahme, die Rechtsfolgenregelung in Abs. 2 der Tarifnorm sei nicht hinreichend bestimmt, weil unklar sei, auf welche „monatliche Ausbildungsvergütung“ bei der Berechnung der Rückzahlungssumme abzustellen sei, überspannt die Anforderungen an die Bestimmtheit einer tarifvertraglichen Rückzahlungsregelung.

141. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit verlangt vom Normgeber, die von ihm erlassenen Regelungen so bestimmt zu fassen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm angesprochene Rechtsfolge erfüllt sind. Dies gilt grundsätzlich auch für tarifvertragliche Regelungen, was insbesondere im Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Der Normadressat muss erkennen können, ob er von einer Regelung erfasst ist und welchen Regelungsgehalt die tarifliche Vorschrift hat. Dabei ist den Tarifvertragsparteien allerdings die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht verwehrt. Unbestimmte Rechtsbegriffe genügen den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit und Justitiabilität, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können (st. Rspr., zuletzt  - Rn. 41; umfassend zB  - Rn. 38 mwN, BAGE 170, 56).

152. Von diesen Grundsätzen ausgehend erweist sich § 30 TVN-BA entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts als hinreichend bestimmt. Die Norm lässt sich mit herkömmlichen juristischen Methoden sachgerecht dahingehend auslegen, dass sich der zurückzuzahlende Betrag aus einem zeit- und einem entgeltbezogenen Faktor errechnet. Danach hat der Absolvent abhängig vom Zeitpunkt, zu dem er nach Abschluss des Studiums bei der Klägerin ausscheidet, das Fünf- bis Fünfzehnfache der zuletzt gezahlten Ausbildungsvergütung zurückzuzahlen.

16a) Die Höhe des Rückzahlungsanspruchs ist in § 30 Abs. 2 TVN-BA in drei Stufen geregelt. Zurückzuzahlen ist das Fünfzehnfache der monatlichen Ausbildungsvergütung, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht begründet wird oder innerhalb des ersten Jahres seines Bestehens endet, das Zehnfache der monatlichen Ausbildungsvergütung, wenn ein Arbeitsverhältnis innerhalb des zweiten Jahres seines Bestehens endet und das Fünffache der monatlichen Ausbildungsvergütung, wenn ein Arbeitsverhältnis innerhalb des dritten Jahres seines Bestehens endet.

17b) Dieses dreistufige System ist in seiner Grundstruktur einfach, klar und verständlich. Anhand der Regelung lässt sich für einen Studienanwärter ohne Weiteres erfassen, welche Verpflichtungen auf ihn zukommen, wenn er nach Beendigung seines Studiums aus einem selbst zu vertretenden Grund entweder schon gar kein Arbeitsverhältnis mit der Klägerin begründet oder ein solches innerhalb der ersten drei Jahre wieder beendet.

18c) Die Anknüpfung an die „monatliche Ausbildungsvergütung“ als Berechnungsfaktor für die Rückzahlungshöhe ist ebenfalls hinreichend klar. Die Tarifvertragsparteien haben diese zwar nicht ausdrücklich beziffert. Sie haben jedoch mit ihrer Begriffsverwendung auf die tarifliche „monatliche Ausbildungsvergütung“ abgestellt, die in § 7 TVN-BA als solche bezeichnet und während der Ausbildung fortlaufend angepasst wird. Die Auslegung des § 30 TVN-BA ergibt, dass es auf die Höhe der zuletzt aufgrund von § 7 TVN-BA gezahlten Ausbildungsvergütung ankommt (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB  - Rn. 19; - 7 AZR 247/21 - Rn. 20).

19aa) Auf die zuletzt gezahlte Ausbildungsvergütung abzustellen, liegt schon deshalb nahe, weil ein Rückzahlungsanspruch überhaupt erst entstehen kann, wenn die Ausbildung beendet ist. Nach § 30 Abs. 1 TVN-BA setzt er voraus, dass entweder im Anschluss an den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung aus einem von der Nachwuchskraft zu vertretenden Grund ein Arbeitsverhältnis nicht begründet wird oder ein im Anschluss an den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung begründetes Arbeitsverhältnis aus einem von der Nachwuchskraft zu vertretenden Grund innerhalb der ersten drei Jahre endet.

20bb) Unter Berücksichtigung des tariflichen Regelungskontexts ist es fernliegend anzunehmen, mit der monatlichen Ausbildungsvergütung könne eine Monatsvergütung gemeint sein, die in einer früheren Phase der Ausbildung gezahlt worden ist. Nur während des Studiums ist die Ausbildungsvergütung variabel (§ 7 Abs. 1 TVN-BA). Der Tarifvertrag sieht eine Rückzahlungsverpflichtung nicht schon vor, wenn der Studierende das Studium in seinem Verlauf abbricht. Mit der monatlichen Ausbildungsvergütung in § 30 TVN-BA kann deshalb nicht die „jeweils aktuelle“ Monatsvergütung während des Studiums gemeint sein. Nach Beendigung der Ausbildung besteht kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung mehr. Sie steigt demzufolge auch nicht mehr. Das Argument des Landesarbeitsgerichts, angesichts der mehrjährigen Bindungsfrist sei bei einer späteren Kündigung ggf. eine weitere Erhöhung des Betrags zu erwarten, trägt deshalb nicht.

21cc) Soweit das Landesarbeitsgericht auf die im Ausbildungsvertrag angegebene Vergütung von 1.570,00 Euro abstellt, kann es darauf bei der Auslegung einer Tarifnorm nicht ankommen, weil diese den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 11 mwN) folgt und damit anhand abstrakter Kriterien ohne Berücksichtigung der individuellen Vertragsverhältnisse vorzunehmen ist. Ungeachtet dessen ist in § 4 des Ausbildungsvertrags klar und deutlich geregelt, dass die Vergütung nach § 7 TVN-BA erfolgt und lediglich „zurzeit 1570 Euro“ betragen sollte. Durch diese Formulierung war die Variabilität der Ausbildungsvergütung von Anbeginn unmissverständlich vertraglich vereinbart.

22III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die tarifvertragliche Rückzahlungsregelung in § 30 TVN-BA, die nach der zutreffenden Annahme des Landesarbeitsgerichts kraft vertraglicher Bezugnahme auf den Tarifvertrag zwischen den Parteien anwendbar ist, unterliegt keiner vertraglichen Inhaltskontrolle und verstößt weder gegen Grundrechte noch gegen einfaches Gesetzesrecht.

231. Die Parteien haben den TVN-BA in seiner Gesamtheit wirksam in Bezug genommen. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Norm deshalb keiner Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterzogen.

24a) Die Parteien haben in § 2 des Ausbildungsvertrags geregelt, das Ausbildungsverhältnis bestimme sich nach TVN-BA und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Bezugnahmeklausel in § 2 des Ausbildungsvertrags keine überraschende Klausel iSd. § 305c Abs. 1 BGB ist. Ein Arbeitnehmer muss damit rechnen, dass eine Arbeitgeberin auf die für sie geltenden oder die betrieblich und fachlich einschlägigen Tarifverträge verweist. Dabei handelt es sich um ein im Arbeitsleben verbreitetes Gestaltungsinstrument (st. Rspr., vgl.  - Rn. 24).

25b) Die Rückzahlungsregelung in § 30 TVN-BA ist selbst nicht am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen. Tarifverträge sind wegen der Bereichsausnahme in § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB von einer AGB-Kontrolle ausgeschlossen. Auch eine Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglich insgesamt in Bezug genommenen Tarifverträgen erfolgt nicht, weil sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (ausf.  - Rn. 28 ff., BAGE 163, 144).

26c) Ohne Verstoß gegen die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, Erfahrungssätze oder Denkgesetze sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Vereinbarung über die Aufhebung des Ausbildungsvertrags zwischen den Parteien nicht dazu führt, dass § 30 TVN-BA unanwendbar geworden ist.

27aa) Bei der Vereinbarung über die Aufhebung des Ausbildungsvertrags handelt es sich um eine atypische Willenserklärung, die vom Revisionsgericht nur dahingehend überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt hat oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat (vgl.  - Rn. 23).

28bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Annahme der Vorinstanzen, die Vereinbarung regele die Beendigung der Ausbildung, ohne dabei die nachvertraglichen Verpflichtungen des Ausbildungsvertrags aufzuheben, nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien über die reine Beendigung der Ausbildung hinaus rechtsgestaltend in den Regelungsgehalt des Ausbildungsvertrags eingreifen wollten, liegen nicht vor. Insbesondere enthält die Vereinbarung keine Ausgleichsklausel (zur Auslegung von Auflösungsvereinbarungen  - Rn. 35 ff.). Zutreffend haben die Vorinstanzen dabei auf den zeitlichen Kontext der Vereinbarung (Beendigung des Studiums; Abschluss des Anschlussarbeitsvertrags) abgestellt und angenommen, dass die Parteien die rechtlichen Verhältnisse auf „sichere Füße“ stellen und das Ausbildungsverhältnis unzweifelhaft - ggf. aber auch nur deklaratorisch - beenden wollten angesichts des Beginns der Anschlussbeschäftigung.

292. § 30 TVN-BA ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der Gleichheitssatz wird weder dadurch verletzt, dass der Rückzahlungsanspruch in drei Jahresschritten und nicht monatsweise abschmilzt, noch dadurch, dass sich die Höhe des Rückzahlungsbetrags nicht an der individuellen Ausbildungsdauer orientiert.

30a) Eine Norm verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn durch sie eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl.  - Rn. 62 ff., BVerfGE 126, 400).

31b) Die Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG erfordert, den Zweck der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen, und den damit einhergehenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen; dies begrenzt die richterliche Kontrolldichte (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 158).

32aa) Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Dieser Freiheit liegt die Erwartung zu Grunde, dass der autonome Verhandlungsprozess einer Ordnung und Befriedung des Arbeits- und Wirtschaftslebens dient. Dem Tarifvertrag kommt daher eine Angemessenheitsvermutung zu (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 144 mwN).

33bb) Die Tarifautonomie sichert die kollektive Interessendurchsetzung und die Umsetzung der Ergebnisse in den individuellen Arbeitsverhältnissen grundrechtlich ab und erweitert die individuelle Freiheit der Tarifgebundenen. Die Kollektivierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kann diese Freiheit aber auch gefährden (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 147 ff.). Das Koalitionsgrundrecht schützt die Mitglieder der Tarifvertragsparteien vor den damit verbundenen Freiheitsgefährdungen, indem die Tarifvertragsparteien jedenfalls den allgemeinen Gleichheitssatz bei der Tarifnormsetzung zu achten haben. Diese Grenze der Tarifautonomie folgt unmittelbar aus der Verfassung. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Folgen gleichheitswidriger Tarifnormen bedarf es nicht (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 149, 152 f.). Daher können die Gerichte für Arbeitssachen unter Hinweis auf die Grenzen der Tarifautonomie wegen des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungswidrig befundenen Tarifnormen die Geltung versagen (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 155).

34cc) Die Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz hat aber den Zweck der Tarifautonomie, eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen, zu berücksichtigen (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 158). Den Tarifvertragsparteien stehen bei der Wahrnehmung der verfassungsrechtlich eröffneten Kompetenz zur Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume zu. Es bleibt grundsätzlich den Tarifvertragsparteien aufgrund dieser Sachnähe und ihrer tarifpolitischen Kenntnisse überlassen, ob und für welche Bereiche sie spezifische Regelungen treffen und durch welche situationsbezogenen Kriterien diese ausgestaltet sind. Dabei dürfen sie auch Typisierungen und Generalisierungen vornehmen und müssen nicht die objektiv vernünftigste und sachgerechteste Lösung treffen. Die Tarifvertragsparteien sind sogar befugt, Regelungen zu treffen, die die Betroffenen im Einzelfall für ungerecht halten und die für Außenstehende nicht zwingend sachgerecht erscheinen (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 158, 160 mwN; iE ebenso  - Rn. 35 mwN).

35dd) Der Umfang der Gestaltungsspielräume ist insbesondere abhängig von Regelungsgegenstand, Komplexität der Materie, den betroffenen Grundrechten sowie Art und Gewicht der Auswirkungen für die Tarifgebundenen. Bei Tarifnormen, deren Gehalte im Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen und bei denen spezifische Schutzbedarfe oder Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung von Minderheitsinteressen nicht erkennbar sind, ist die gerichtliche Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG angesichts der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Spielräume der Tarifvertragsparteien auf eine Willkürkontrolle beschränkt (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 163). Willkür der Tarifvertragsparteien ist nicht schon dann zu bejahen, wenn sie unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung treffen. Tarifnormen sind nur dann willkürlich, wenn die ungleiche Behandlung der Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (, 1 BvR 1422/23 - Rn. 162 ff., 167).

36c) § 30 TVN-BA hält dem Maßstab der Willkür stand. Die Norm bewegt sich innerhalb der Grenzen der Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien.

37aa) Die dreistufige Rückzahlungsregelung in Jahresschritten ist nicht willkürlich.

38(1) Die relativ grobe Staffelung hat zwar zur Folge, dass es für die Höhe des Rückzahlungsanspruchs keinen Unterschied macht, ob der Arbeitnehmer bereits zu Beginn oder erst am Endes eines Jahresabschnitts aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Mit einer Staffelung in kleineren Schritten (etwa nach Monaten statt Jahren) hätte sich ein höheres Maß an Gleichbehandlung erreichen lassen.

39(2) Von den Tarifvertragsparteien ist aber nicht zu verlangen, dass sie die gerechteste und differenzierteste der denkbaren Regelungen treffen. Bei Umsetzung des Grundsatzes, dass die Höhe des Rückzahlungsanspruchs mit zunehmender Dauer des Verbleibs im Arbeitsverhältnis sinken muss, bedarf es keiner kleinteiligen Lösung, da die Tarifvertragsparteien Generalisierungen und Vereinfachungen vornehmen dürfen. Eine Abstufung in Jahresschritten ist nicht evident unsachlich. Auch sie trägt der mit der Regelung intendierten Bindung des Absolventen Rechnung.

40bb) Die fehlende Differenzierung danach, wie lange die Ausbildung konkret gedauert hat, erweist sich ebenfalls nicht als willkürlich.

41(1) Zwar kann - worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat - die fehlende Differenzierung danach, wie lange die Ausbildung im Einzelfall gedauert hat, zu einer Begünstigung solcher Arbeitnehmer führen, deren Ausbildung länger als nötig dauerte. Sie hat nämlich zur Folge, dass diese im Falle ihres Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb der ersten drei Jahre prozentual einen niedrigeren Anteil der arbeitgeberseits konkret aufgewandten Ausbildungskosten erstatten müssen als diejenigen, die die Ausbildung in der Mindestzeit durchliefen. Der Begünstigungseffekt könnte danach als umso stärker angesehen werden, je länger die Ausbildung dauerte. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Rückzahlungspflicht nicht an den vom Arbeitnehmer im Einzelfall erlangten beruflichen, finanziellen oder geldwerten Vorteil (vgl.  - zu I 2 b der Gründe mwN), sondern an den durch die Ausbildung abstrakt erworbenen Abschluss ansetzt, dessen Wert nicht davon abhängt, wie lange der Absolvent benötigt hat, ihn zu erlangen.

42(2) Die sich aus der mangelnden Differenzierung nach der Ausbildungsdauer ergebende Unschärfe ist jedenfalls nicht willkürlich. Mit Blick auf den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien ist nicht zu verlangen, dass der prozentuale Anteil der Rückzahlungssumme an den tatsächlichen Aufwendungen bei allen Rückzahlungssachverhalten identisch ist. Auch insoweit ist zu beachten, dass die Tarifvertragsparteien generalisieren dürfen und sie nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung treffen müssen, sondern dass es genügt, dass für die Differenzierung ein einleuchtender Grund vorliegt. Ausreichend ist, dass die Tarifvertragsparteien mit dem Abstellen auf die Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses einen plausiblen Anknüpfungspunkt für die Bemessung des Rückzahlungsbetrags gewählt haben. Wegen ihrer Sachnähe und ihrer tarifpolitischen Kenntnisse ist es ihnen selbst überlassen, durch welche situationsbezogenen Kriterien sie spezielle Regelungen ausgestalten.

433. § 30 TVN-BA verstößt auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

44a) Die Tarifnorm berührt die Berufsfreiheit der Nachwuchskräfte, die unter ihren Anwendungsbereich fallen. In der Rückzahlungsverpflichtung liegt eine Beeinträchtigung von Art. 12 Abs. 1 GG, denn das Grundrecht schützt die Vertragsfreiheit der Beschäftigten im beruflichen Bereich. Es garantiert die freie Wahl des Arbeitsplatzes und schützt den Entschluss, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, ein Arbeitsverhältnis beizubehalten oder es aufzugeben (vgl. , 1 BvR 1375/14 - Rn. 38, BVerfGE 149, 126;  - Rn. 28). Diese Freiheit wird durch § 30 TVN-BA beeinträchtigt, da mit der Regelung die selbstbestimmte Aufgabe eines im Anschluss an die Ausbildung abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses durch die Nachwuchskraft innerhalb der ersten drei Jahre seines Bestehens verzögert oder verhindert werden soll.

45b) Nach gefestigter Rechtsprechung dürfen Tarifverträge die Rückzahlung von Ausbildungskosten im Hinblick auf die die Berufsfreiheit beeinträchtigende Bindungswirkung nur eingeschränkt vorsehen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Die Rückzahlungspflicht muss einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen und der Arbeitnehmer muss mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muss sich die Erstattungspflicht als verhältnismäßig erweisen. Dabei fließen die Dauer der Bindung an das Arbeitsverhältnis, der Umfang der Ausbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrags und dessen Abwicklung in die Beurteilung ein (vgl.  - zu II der Gründe; - 5 AZR 29/96 - zu I 1 der Gründe; - 5 AZR 605/82 - zu III 1 der Gründe).

46c) Ausgehend von dem auch insoweit zu berücksichtigenden weiten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien (sh. o. ausf. unter III 2 b;  - Rn. 27) ist § 30 TVN-BA mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Bindungsdauer beläuft sich auf drei Jahre und steht damit in einem angemessenen Verhältnis zur Studiendauer (drei bis max. fünf Jahre). Die Höhe der Rückzahlungspflicht (fünf bis max. 15 monatliche Ausbildungsvergütungen) steht nicht außer Verhältnis zum Umfang des Fachhochschulstudiums. Mit Beendigung des Studiums hat die Beklagte einen werthaltigen Abschluss erreicht. Die Rückzahlungspflicht ist jährlich abgestuft und sinkt mit fortschreitender Dauer des eingegangenen Arbeitsverhältnisses. Zwar haben die Tarifvertragsparteien mit § 30 TVN-BA eine nur wenig differenzierende Regelung getroffen. Sie haben dabei allerdings die Grenzen ihrer Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Das gefundene Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung zu der nahezu identischen Vorläuferregelung des § 30 TVN-BA (§ 18 des Tarifvertrags zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beratungsanwärter vom ; dazu  - zu II der Gründe; - 5 AZR 605/82 - zu III 1 der Gründe).

474. § 30 TVN-BA verstößt auch nicht gegen § 12 Abs. 2 Nr. 1 und § 14 Abs. 1 Nr. 3 BBiG, denen zufolge Auszubildende nicht an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligt werden dürfen (ausf. zum Kostenbeteiligungsverbot  - Rn. 44 f.). Diese Normen sind nicht anwendbar, da die Ausbildung der Beklagten im Rahmen eines Fachhochschulstudiums erfolgte, § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG (vgl.  - Rn. 18; ebenso schon zur fehlenden Anwendbarkeit des BBiG auf die Vorgängerregelung  -; bestätigt durch  -).

485. Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen § 26 SGB IV vor, der die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in der Sozialversicherung regelt. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass § 30 Abs. 2 TVN-BA den zurückzuzahlenden Anteil der (insgesamt entstandenen) Ausbildungskosten pauschaliert unter Heranziehung der Ausbildungsvergütung als reiner Kalkulationsgröße berechnet. Es geht damit um die Rückforderung von Ausbildungskosten, nicht von Vergütung.

49IV. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch nach § 30 TVN-BA vollständig vorliegen. Die getroffenen Feststellungen erlauben kein Urteil darüber, ob das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis aus einem von der Beklagten zu vertretenden Grund geendet hat. Der Rechtsstreit ist damit nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

501. Die Beklagte ist Nachwuchskraft iSd. § 30 Abs. 1 TVN-BA. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 2 TVN-BA, da sie zum Zwecke eines Studiums an der Hochschule der Bundesagentur eingestellt worden war. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete innerhalb des ersten Jahres seines Bestehens durch Kündigung der Beklagten (§ 30 Abs. 1 Buchst. b TVN-BA).

512. Ein Rückzahlungsanspruch setzt zudem voraus, dass die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu vertreten hat, § 30 Abs. 1 Buchst. b TVN-BA. Der Arbeitnehmer hat eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dann nicht zu vertreten, wenn er sich aufgrund eines Fehlverhaltens des Arbeitgebers als zur Eigenkündigung berechtigt ansehen darf (vgl.  - Rn. 27, BAGE 118, 36; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz - 4 Sa 357/15 - Rn. 50).

523. Das Landesarbeitsgericht hat sich - nach seinem rechtlichen Ansatz konsequent - mit den Hintergründen der Kündigung nicht vollständig befasst. Eigene Feststellungen hierzu hat es nicht getroffen, sondern allgemein auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

53a) In seinen Entscheidungsgründen hat es die Frage des Vertretenmüssens explizit offengelassen. Ob die Beklagte konkrete Tatsachen dargelegt hat, die auf ein dem Arbeitgeber zurechenbares Verhalten schließen lassen, das zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt Anlass gibt, lässt sich auf Basis des Berufungsurteils deshalb nicht abschließend beurteilen. Soweit das Landesarbeitsgericht zu den „erheblichen Mängeln“ im Vortrag der Beklagten ausführt, bilden diese keine hinreichende Grundlage für eine eigene Beurteilung des Senats. Daraus ergibt sich nur, was die Beklagte aus Sicht des Landesarbeitsgerichts noch hätte vorgetragen müssen, nicht aber, was sie bereits vorgetragen hat. Nur unter Berücksichtigung auch dessen könnte der Senat selbst entscheiden.

54b) Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird sich das Landesarbeitsgericht - gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag und Erhebung angebotener Beweise - die Überzeugung bilden müssen, ob die Beklagte das Ende des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien zu vertreten hat iSd. § 30 TVN-BA. Der Arbeitgeber, der die Rückzahlung von Ausbildungskosten geltend macht, trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, dass der Arbeitnehmer das vorzeitige Ende des Arbeitsverhältnisses zu vertreten hat. Auf erster Ebene genügt, dass der Arbeitgeber darauf verweist, der Arbeitnehmer habe das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt. Damit hat dieser den unmittelbaren Grund für das Ende des Arbeitsverhältnisses gesetzt. Trägt der Arbeitnehmer im Rahmen seiner substantiierten Einlassung (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) allerdings vor, er sei durch ein Fehlverhalten des Arbeitgebers hierzu veranlasst worden und legt er konkret Tatsachen dar, die auf ein dem Arbeitgeber zurechenbares Verhalten schließen lassen, das zum Ausspruch einer Kündigung berechtigten Anlass gibt, hat der Arbeitgeber die vorgetragenen Tatsachen zu widerlegen (allgemein zu den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast  - Rn. 37 mwN, BAGE 148, 299).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:150725.U.9AZR112.24.0

Fundstelle(n):
VAAAK-02721