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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 22.24

Erfolgreicher Verpflichtungsantrag bei dienstlicher Beurteilung

Leitsatz

Bei der Erstellung von Beurteilungen sind vorhandene Beurteilungsbeiträge vom Zweitbeurteiler eines Soldaten stets zu berücksichtigen.

Tatbestand

1Der Antragsteller wendet sich gegen die für ihn zum Stichtag erstellte planmäßige dienstliche Beurteilung (Regelbeurteilung).

2Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Zuletzt wurde er im November ... zum Oberstleutnant befördert und mit Wirkung vom 1. Juni ... in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen.

3Der Antragsteller war vom bis als Chef der ... Inspektion der ... eingesetzt. Für diese Verwendung erstellte der ...kommandeur ... der ... einen Beurteilungsbeitrag, in dem er die Leistungen des Antragstellers mit dem Gesamturteil "D" bewertete. Ab dem wurde der Antragsteller als Einsatzstabsoffizier beim ... verwendet. Für diese Verwendung erstellte der internationale Vorgesetzte des Antragstellers, der Kommandierende General ... (ein 4-Sterne-US-General), unter dem einen Officer Evaluation Report, in dem er die Leistungen des Antragstellers als "exceptional performance" beurteilte und ihn hinsichtlich seines Potenzials in die "top 5 % of the Lieutenant Colonels serving in the ... Headquarter" einstufte.

4Für den Antragsteller wurde zum Stichtag für den Zeitraum ab eine Regelbeurteilung und eine Personalentwicklungsbewertung nach dem neuen Beurteilungssystem der Bundeswehr (Version 4 der Allgemeinen Regelung A-1340/50 über die "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten") erstellt. Der Erstbeurteilende (ein Brigadegeneral) bewertete in seinem am eröffneten Anteil die Leistung des Antragstellers in acht Einzelmerkmalen mit "erfüllt die Leistungserwartungen stets in vollem Umfang (Normalleistung)" und in zwei Einzelmerkmalen mit "übertrifft die Leistungserwartungen überwiegend"; fünf Einzelmerkmale wurden nicht bewertet. Der Zweitbeurteilende (ein Generalleutnant) setzte in seinem am eröffneten Anteil fünf Einzelmerkmale um eine Stufe auf "erfüllt die Leistungserwartungen und übertrifft sie teilweise" herauf und vergab insgesamt das Gesamturteil "D 0". Zur Änderung der Einzelmerkmale erklärte er, dass diese im Hinblick auf das zwischen ihm und dem Erstbeurteilenden abgestimmte Gesamturteil und im Leistungsvergleich mit anderen Soldaten der Vergleichsgruppe nicht schlüssig und daher anzupassen gewesen seien; dabei stütze er seine Anhebungen auch auf das im Zuge der Abstimmung dargestellte Leistungsbild. Zum Gesamturteil führte er aus, dass der Antragsteller ein führungsstarker Offizier sei, der auch unter dem Eindruck der besonderen Anforderungen seines Dienstpostens und in einer durch ihn nicht unbedingt präferierten Verwendung seine Leistungsfähigkeit bestätigt habe. In der Personalentwicklungsbewertung wurde dem Antragsteller als Entwicklungsprognose ein Potential bis Besoldungsgruppe A 16 zugesprochen.

5Mit Schreiben vom erhob der Antragsteller Beschwerde gegen das Zustandekommen seiner Beurteilung und das Gesamturteil. Zur Begründung führte er aus, der Erstbeurteilende habe ihm gegenüber mehrfach geäußert, dass er keine Kenntnisse von seiner Tätigkeit habe. Stattdessen habe er im Erörterungsgespräch seine Beurteilungshistorie, also seine früheren Beurteilungen als Bewertungsgrundlage angesprochen. Die Aussage in dem Officer Evaluation Report, wonach er zu den oberen 5 % der Oberstleutnante zähle, habe er offensichtlich nicht berücksichtigt. Auch der Zweitbeurteilende habe ihn noch nie gesehen, geschweige denn bis zum Erörterungstelefongespräch je wahrgenommen. Den Officer Evaluation Report habe er gemäß eigener Aussage nicht gekannt. Da weder der Erst- noch der Zweitbeurteilende über hinreichende Erkenntnisse über seine Leistungen als Adjutant des Kommandierenden US-Generals verfügt hätten, hätte der Officer Evaluation Report deutlich stärker gewichtet werden müssen. Ein Gesamturteil von "D 0" sei jedenfalls inakzeptabel. Das Heranziehen seiner Beurteilungshistorie sei ein unzulässiges Mittel, weil es allein auf die Leistungen im Beurteilungszeitraum ankomme. Den Hauptgrund für seine Bewertung unterhalb der Stufe "B 0" - trotz des vorliegenden herausragenden Officer Evaluation Reports - sehe er darin, dass er Truppenoffizier und nicht Generalstabsoffizier sei.

6Mit Bescheid vom , ausgehändigt am , wies der Inspekteur des Heeres die Beschwerde zurück. Zum Beurteilungsbeitrag des Kommandierenden Generals sei festzustellen, dass Nr. 514 AR A-1340/50 eine Soll-Vorschrift darstelle, deren Verletzung nicht zur Aufhebung der Beurteilung führe. Aussagen und Bewertungen in einem Beurteilungsbeitrag seien zudem nur insoweit beachtlich, als sie bei der abschließenden Beurteilung zur Kenntnis genommen und bedacht werden müssten. Zudem bestehe gemäß Nr. 517 AR A-1340/50 kein Anspruch auf Fortschreibung der Aussagen von Beurteilungsbeiträgen. Unbegründet sei ferner das Vorbringen, der Erstbeurteilende habe keine ausreichende Kenntnis von den Leistungen des Antragstellers gehabt. Ausweislich der von dem Erstbeurteilenden eingeholten Stellungnahme habe dieser sich über das Leistungsbild des Antragstellers regelmäßig mit dem unmittelbaren Vorgesetzten des Antragstellers, einem US-Oberst, ausgetauscht. Zudem habe er in seiner Funktion als Chef des Stabes an Besprechungen zur Reisevorbereitung des Kommandierenden Generals teilgenommen, bei denen der Antragsteller teilweise mitgewirkt habe. Die Aussage in dem Officer Evaluation Report, wonach der Antragsteller zu den "top 5 %" der Oberstleutnante gehöre, sei - so die Stellungnahme des Erstbeurteilenden - weder so gemeint noch realistisch; derartige Einstufungen seien vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Beurteilungssystems zu sehen, das sich weder vollständig noch in Einzelaspekten auf die Beurteilung des Antragstellers übertragen lasse.

7Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom weitere Beschwerde. Zur Begründung machte er geltend, dass der Bescheid des Inspekteurs des Heeres weite Teile seiner Beschwerde ignoriere, zweifelhafte Auslegungen der Beurteilungsvorschriften heranziehe und auf sachlich falschen Aussagen der Beteiligten beruhe. Insbesondere rüge er, dass die Zweitbeurteilung im Beschwerdebescheid weitestgehend ausgespart worden sei. So sei der Zweitbeurteilende offenbar nicht befragt worden. Dieser habe ihm gegenüber im Erörterungsgespräch eingeräumt, dass er den Officer Evaluation Report nie gesehen habe. Nach wie vor beanstande er auch die Benachteiligung von Truppenoffizieren gegenüber Generalstabsoffizieren bei Beurteilungen. Gleiches gelte für die Orientierung an historischen Beurteilungen, die keine Grundlage für die aktuell anstehende Beurteilung sein dürften. Soweit sich der Erstbeurteilende darauf berufe, dass er Kenntnisse über ihn durch Gespräche mit dem Leiter der Adjutantur erlangt habe, weise er darauf hin, dass der betreffende US-Oberst erst Mitte Juni 2021 und damit gerade einmal sechs Wochen vor dem Stichtag der Beurteilung in der Dienststelle eingetroffen sei. Unklar sei ferner, woher der Erstbeurteilende seine Kenntnisse des US-amerikanischen Beurteilungssystems und dessen Einschätzung habe.

8Mit Bescheid vom , zugegangen am , wies der Generalinspekteur der Bundeswehr die weitere Beschwerde zurück. Sie stelle sich hinsichtlich des Anteils des Erstbeurteilenden bereits als unzulässig, weil verfristet erhoben, dar. Unabhängig davon sei die Beschwerde sowohl hinsichtlich des Anteils des Erstbeurteilenden als auch des Anteils des Zweitbeurteilenden unbegründet. Insbesondere sei die Einbeziehung und Gewichtung des Beurteilungsbeitrags des Kommandierenden Generals durch den Erstbeurteilenden nicht zu beanstanden. Dieser sei bereits nicht verpflichtet gewesen, den Beurteilungsbeitrag überhaupt zu berücksichtigen, weil er ausreichende Erkenntnisse über die Leistungen des Antragstellers durch eigene Wahrnehmungen gehabt habe. Gleichwohl habe er den Beurteilungsbeitrag in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt und bei der Leistungsbewertung mit erwogen. Ein Anspruch auf Übernahme der Bewertungen eines Officer Evaluation Reports in die dienstliche Beurteilung bestehe nicht. Der pauschale Vorwurf der Benachteiligung von Truppenoffizieren sei unsubstantiiert und fernliegend. Unbegründet sei die weitere Beschwerde auch hinsichtlich des Anteils des Zweitbeurteilers. Dieser sei seiner Pflicht, sich vor der Vergabe des Gesamturteils im Rahmen der Abstimmungsgespräche mit den übrigen beurteilenden Vorgesetzten ein umfassendes Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsbild zu verschaffen, nachgekommen. Unschädlich sei, dass dem Zweitbeurteilenden der Beurteilungsbeitrag des US-Generals nicht vorgelegen habe. Wenn schon der Erstbeurteilende nicht verpflichtet gewesen sei, diesen zu berücksichtigen, so gelte dies gleichermaßen für den Zweitbeurteilenden, der seine für die Vergabe des Gesamturteils notwendigen Erkenntnisse durch die Abstimmungsgespräche gewonnen habe. Der Zweitbeurteilende sei auch nicht verpflichtet gewesen, weitere Erkenntnisquellen zu erschließen. Gemäß Nr. 917 AR A-1340/50 habe die Vergabe des Gesamturteils nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage von Arbeitsergebnissen, Beiträgen Dritter oder sonstigen Erkenntnissen zu erfolgen. Diesen alternativ nebeneinanderstehenden Vorgaben sei der Zweitbeurteilende durch die Durchführung des Abstimmungsgesprächs, in dem die Eignung, Leistung und Befähigung intensiv besprochen worden sei, gerecht geworden.

9Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht beantragt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt.

10Zur Begründung verweist der Antragsteller im Wesentlichen auf seinen Vortrag im vorgerichtlichen Beschwerdeverfahren. Seine Beschwerde stütze sich maßgeblich darauf, dass Erst- und Zweitbeurteilender nicht über die erforderlichen eigenen Kenntnisse für eine zutreffende Einschätzung von Leistung, Eignung und Befähigung verfügt hätten und die gleichwohl vorgenommenen Abweichungen von den Beurteilungsbeiträgen ohne dokumentierte und nachvollziehbare Erklärungen erfolgt seien. Widersprüchlich sei, dass der Generalinspekteur es für ausreichend halte, wenn sich der Zweitbeurteilende als einzige Erkenntnisquelle auf Aussagen des Erstbeurteilenden berufe, er jedoch gleichzeitig entgegen der Einschätzung des Erstbeurteilenden dessen Wertungen verändere.

11Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner unter Aufhebung der für ihn zum Stichtag erstellten dienstlichen Beurteilung sowie unter Aufhebung des Beschwerdebescheids des Kommandos Heer vom in der Fassung der Beschwerdeentscheidung des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts durch Erstellung einer neuen dienstlichen Beurteilung zum Stichtag neu zu bescheiden.

12Der Generalinspekteur der Bundeswehr beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

13Er verweist auf die Gründe der Beschwerdebescheide. Für ein sachfremdes Vorgehen der beurteilenden Vorgesetzten gebe es keinen Anhaltspunkt. Der Zweitbeurteiler habe zudem die Leistungsbewertung in fünf Einzelmerkmalen angehoben. Die beurteilenden Vorgesetzten hätten sich auch nicht von den früheren dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers leiten lassen, sondern auf diese lediglich hingewiesen, um dem Antragsteller zu verdeutlichen, dass keine gegebenenfalls zu begründende Abweichung im Verhältnis zu früheren Beurteilungen vorliege.

14Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Gründe

15Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

161. Der Antrag ist zulässig.

17a) Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten - hier: dem Bundesverwaltungsgericht (§ 22 i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO) - ist eröffnet (§ 27a Abs. 5 Satz 1 SG, § 17 Abs. 1 WBO).

18b) Der - sachgerechte - Verpflichtungsantrag auf erneute Bescheidung (Neuerstellung der dienstlichen Beurteilung) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts bezieht sich nur auf die planmäßige dienstliche Beurteilung (Regelbeurteilung) zum Stichtag , nicht auf die parallel erstellte Personalentwicklungsbewertung. Er umfasst die Regelbeurteilung als Ganzes, die erst mit der Eröffnung des Anteils des Zweitbeurteilenden als dienstliche Maßnahme (§ 17 Abs. 3 Satz 1 WBO) abgeschlossen war und vom Antragsteller fristgerecht angefochten wurde. Eine gesonderte Beschwerde gegen den Anteil des Erstbeurteilenden war nicht erforderlich (vgl. 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 ff. Rn. 25 ff., insbesondere Rn. 32).

19c) Der Antragsteller ist auch antragsbefugt. Er hat Anspruch auf eine Regelbeurteilung seiner fachlichen Leistung, Eignung und Befähigung (§ 27a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SG, § 2 Abs. 1 SLV), die im Einklang mit den Garantien für eine sachgerechte Beurteilung nach der Rechtsordnung und dem jeweiligen Beurteilungssystem steht (vgl. Nr. 1202, 1203 AR A-1340/50 sowie BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59 Rn. 27 m. w. N. und vom - 1 WB 31.17 - NVwZ-RR 2019, 54 Rn. 23). Einen dahingehenden Rechtsverstoß macht der Antragsteller geltend, wenn er rügt, der Zweitbeurteilende habe einen zu berücksichtigenden Beurteilungsbeitrag nicht zur Kenntnis genommen und deshalb auf einer unvollständigen Sachverhaltsgrundlage ein zu schlechtes Gesamturteil vergeben.

202. Der Antrag ist auch begründet.

21Die Regelbeurteilung des Antragstellers zum Stichtag und die Beschwerdebescheide des Inspekteurs des Heeres vom und des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom sind rechtswidrig und deshalb aufzuheben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO). Das Bundesministerium der Verteidigung ist verpflichtet, die Erstellung einer neuen Regelbeurteilung für den Antragsteller zum Stichtag unter Beachtung der nachfolgenden Rechtsauffassung des Gerichts zu veranlassen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 4 WBO).

22Die Rechtswidrigkeit der Beurteilung folgt nicht schon daraus, dass es den hier maßgeblichen untergesetzlichen Beurteilungsvorschriften zum Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage fehlte. Die am Beurteilungsstichtag geltenden Vorschriften der §§ 2, 3 SLV und die hierzu ergangene Allgemeine Regelung A-1340/50 "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten" konnten bis zum Inkrafttreten von § 27a SG in der Fassung vom übergangsweise weiter angewandt werden (vgl. 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 Rn. 35 ff. m. w. N.). Auch bei Anwendung dieser Vorschriften erweist sich die gegenständliche Regelbeurteilung indes als rechtswidrig.

23a) Dienstliche Beurteilungen sind gerichtlich nur beschränkt nachprüfbar, weil den Vorgesetzten bei ihrem Werturteil über die Eignung, Befähigung und Leistung ein Beurteilungsspielraum zusteht (stRspr, vgl. - auch zum Folgenden - BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 43.12 - juris Rn. 38, vom - 1 WB 6.18 - juris Rn. 28 und vom - 1 WRB 2.19 - juris Rn. 24 m. w. N.). Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob der Vorgesetzte den anzuwendenden Begriff der Beurteilung oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Hat das Bundesministerium der Verteidigung - wie hier - Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, an denen sich die Beurteilungspraxis im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) ständig orientiert, kann das Gericht ferner prüfen, ob diese Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den normativen Regelungen für Beurteilungen in Einklang stehen ( 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59 Rn. 30 m. w. N.). Der inhaltliche Kern der Beurteilung, also die Ausfüllung des Persönlichkeits- und Leistungsbilds des Soldaten, ist dagegen einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen, weil es sich hierbei um ein höchstpersönliches, subjektives und insofern unvertretbares Werturteil des Beurteilenden handelt, das nicht durch die Einschätzung eines Außenstehenden ersetzt werden kann (vgl. 1 WB 34.12 - juris Rn. 23).

24b) Hiernach ist die Regelbeurteilung des Antragstellers zum Stichtag rechtswidrig, weil der Zweitbeurteilende das Gesamturteil ohne die gebotene Berücksichtigung des Officer Evaluation Report des Kommandierenden Generals ... vom vergeben hat.

25aa) Ein wesentliches Element des neuen Beurteilungssystems der Bundeswehr ist die Vergabe eines die Regelbeurteilung abschließenden, richtwertegebundenen Gesamturteils durch den Zweitbeurteilenden (Nr. 905 AR A-1340/50). Das Gesamturteil ist ein eigenständiges, ganzheitliches Werturteil in Abwägung bzw. Gewichtung der Bewertungen der Erstbeurteilenden; die zweitbeurteilenden Vorgesetzten tragen dabei für die Schlüssigkeit der gesamten Beurteilung Sorge und können unter anderem - wie auch im vorliegenden Fall geschehen - die Bewertung einzelner Merkmale der Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsbeurteilung des Erstbeurteilenden herauf- oder herabsetzen (Nr. 912 Satz 3 und 4 AR A-1340/50). Die Erst- und Zweitbeurteilenden stimmen sich vor der Erstellung der Beurteilungen über die Bewertung und den Beurteilungsmaßstab ab und legen das Abstimmungsergebnis dem weiteren höheren Vorgesetzten anonymisiert zur Billigung vor; dieser billigt mit bindender Wirkung die Ergebnisse der Abstimmungsgespräche hinsichtlich der Maßstabswahrung, d. h. der Einhaltung der Richtwerte bzw. einer entsprechenden Differenzierung (Nr. 913 Satz 1 bis 4 AR A-1340/50).

26Dem Zweitbeurteilenden kommt in diesem System eine doppelte Funktion zu. Er steht zum einen - wie der weitere höhere Vorgesetzte - im Dienste der Maßstabsverbindlichkeit und hat insbesondere in den Abstimmungsgesprächen die Anwendung eines einheitlichen, sachgerechten Beurteilungsmaßstabs zu gewährleisten (Nr. 912 AR A-1340/50). Zum anderen ist er - wie der Erstbeurteilende - hinsichtlich der tatsächlichen Kenntnis von Person und Leistung des Soldaten in die Pflicht genommen. Wenn Nr. 104 Abs. 1 Satz 3 AR A-1340/50 fordert, dass die beurteilenden Vorgesetzten über ausreichende Kenntnis von Eignung, Befähigung und Leistung der zu beurteilenden Person verfügen sollen, bezieht sich dies sowohl auf Erst- als auch auf Zweitbeurteilende (siehe auch Nr. 302 Satz 3 AR A-1340/50). Gleiches gilt für Nr. 104 Abs. 2 Satz 2 AR A-1340/50, wonach die beurteilenden Vorgesetzten über ausreichende eigene Personenkenntnis der zu beurteilenden Person verfügen oder zumindest in der Lage sein sollen, Beurteilungsaussagen Dritter verantwortlich einzuschätzen, um sachgerecht bewerten zu können. Der Grundsatz, dass auch die zweitbeurteilenden Vorgesetzten über eigene tatsächliche Kenntnisse verfügen sollen, ist schließlich vorausgesetzt, wenn Nr. 917 Satz 1 AR A-1340/50 bestimmt, dass die Vergabe des Gesamturteils nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage von Arbeitsergebnissen, Beiträgen Dritter oder sonstigen Erkenntnissen zu erfolgen hat, sofern sich die Zweitbeurteilenden keine persönliche Kenntnis von den Beurteilten verschaffen konnten.

27Mit dieser Doppelfunktion des Zweitbeurteilenden, der zwischen dem Erstbeurteilenden und dem weiteren höheren Vorgesetzten steht und deren Funktionen vereint, unterscheidet sich das aktuelle Beurteilungssystem der Bundeswehr von demjenigen, das dem Beschluss des für das Beamtenrecht zuständigen 2. Senats des 2 VR 3.23 - (BVerwGE 180, 275 Rn. 53) zugrunde lag. Im dortigen Beurteilungssystem war die hinreichende Kenntnis von Person und Leistung des Beamten allein einem "Erstbeurteiler", die Gewährleistung eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabs (Maßstabsverbindlichkeit) allein einem "Letztbeurteiler" zugewiesen.

28bb) Im vorliegenden Fall hat der Zweitbeurteilende, indem er den Officer Evaluation Report nicht zur Kenntnis genommen und bei der Vergabe des Gesamturteils berücksichtigt hat, gegen die Vorschrift der Nr. 917 Satz 1 AR A-1340/50 verstoßen. Er ist damit von einer in einem wesentlichen Punkt unvollständigen Erkenntnisgrundlage ausgegangen, was die Regelbeurteilung des Antragstellers zum Stichtag rechtswidrig macht.

29(1) Die Regelbeurteilung des Antragstellers enthält unter Nr. IV die Eintragung "Beurteilungsbeiträge liegen nicht vor". Diese Eintragung ist formal falsch und schon für sich genommen zu korrigieren. Zwischen den Beteiligten unstrittig und auch in den Beschwerdebescheiden anerkannt ist, dass im Zeitpunkt der Erstellung der Regelbeurteilung ein Beurteilungsbeitrag des ...kommandeurs ... der ... über die dortige Verwendung des Antragstellers bis zum und ein Officer Evaluation Report des Kommandierenden Generals ... vom über die unmittelbar anschließende Verwendung des Antragstellers beim Deutschen Anteil United States Army in ... vorlagen. Der Officer Evaluation Report ist als internationale Beurteilung einem Beurteilungsbeitrag gleichgestellt und wie dieser zu berücksichtigen (Nr. 520 Satz 1 i. V. m. Nr. 506 ff. AR A-1340/50). Zusammen überdecken die beiden Beurteilungsbeiträge den gesamten Beurteilungszeitraum.

30Die Berücksichtigung des Beurteilungsbeitrags des ...kommandeurs stand im Beschwerdeverfahren nicht im Streit. Unstrittig ist weiter, dass der Erstbeurteilende Kenntnis von dem Officer Evaluation Report hatte, auch wenn er dessen Aussagen und Wertungen im Ergebnis keinen wesentlichen Stellenwert zumaß. Unstrittig ist schließlich, dass der Zweitbeurteilende, wie dieser selbst einräumt, keine Kenntnis von dem Officer Evaluation Report hatte. Eine solche Kenntnis hat er auch nicht im Beschwerdeverfahren erlangt; er wurde von den mit der Beschwerde befassten Bundeswehrstellen nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert.

31(2) Der Zweitbeurteilende war verpflichtet, den Officer Evaluation Report bei der Vergabe des Gesamturteils zu berücksichtigen.

32(a) Der Zweitbeurteilende hatte erklärtermaßen keine persönliche Kenntnis von der Person des Antragstellers und dessen Tätigkeit und Leistungen im Beurteilungszeitraum. Er war deshalb gemäß Nr. 917 Satz 1 AR A-1340/50 gehalten, sich anderweitige Erkenntnisquellen zu verschaffen und das Gesamturteil nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage von Arbeitsergebnissen, Beiträgen Dritter oder sonstigen Erkenntnissen zu vergeben. Dabei hätte der Zweitbeurteilende bei der Vergabe des Gesamturteils den Officer Evaluation Report des Kommandierenden Generals ... berücksichtigen müssen.

33Soweit ein beurteilender Vorgesetzter nicht in der Lage ist, sich ein eigenes vollständiges Bild von den Leistungen der zu beurteilenden Person zu machen, stellen Beurteilungsbeiträge, die auf unmittelbarer eigener Anschauung beruhen, die zwar nicht ausschließliche, aber vorrangige Erkenntnisquelle dar (vgl. für das Beamtenrecht 2 C 21.16 - BVerwGE 157, 366 Rn. 21 m. w. N.). Dies gilt auch für - den Beurteilungsbeiträgen gleichgestellte - internationale Beurteilungen (Nr. 520 Satz 1 AR A-1340/50), wie hier den Officer Evaluation Report des dem Antragsteller vorgesetzten US-Generals. Die in dem Beschwerdebescheid des Inspekteurs des Heeres erörterte Frage, unter welchen Voraussetzungen - entgegen der Sollvorschrift der Nr. 514 Satz 2 AR A-1340/50 - ausnahmsweise auf die Einholung eines solchen internationalen Beurteilungsbeitrags verzichtet werden kann, stellt sich hier nicht. Denn der Officer Evaluation Report vom lag im Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung tatsächlich vor. Vorhandene Beurteilungsbeiträge sind indes in jedem Falle zu berücksichtigen. So wenig ein beurteilender Vorgesetzter bei fehlender eigener Anschauung davon absehen darf, einen Beurteilungsbeitrag einzuholen (vgl. zu dieser Konstellation 2 A 2.10 - NVwZ-RR 2013, 54 Rn. 11 und vom - 2 C 21.16 - BVerwGE 157, 366 Rn. 21 m. w. N.), ebenso wenig ist er in einem solchen Fall befugt, einen bereits vorliegenden Beurteilungsbeitrag zu übergehen.

34(b) Der Zweitbeurteilende hat das Gesamturteil ohne Kenntnisnahme des Officer Evaluation Reports und damit ohne Berücksichtigung einer wesentlichen Erkenntnisquelle vergeben. Da es sich bei dem Gesamturteil um die abschließende und maßgebliche Wertung der Regelbeurteilung handelt, ist diese insgesamt aufzuheben.

35Bei der Neuerstellung ist der Officer Evaluation Report wie ein Beurteilungsbeitrag zu berücksichtigen (Nr. 520 Satz 1 AR A-1340/50). Seine Feststellungen und Bewertungen sind insoweit zu beachten, als sie von den beurteilenden Vorgesetzten zur Kenntnis genommen, einbezogen und bedacht, nicht aber "fortschreibend" in die Regelbeurteilung übernommen werden müssen (vgl. Nr. 517 Satz 1 und 2 AR A-1340/50 sowie zur internationalen Beurteilung eines Soldaten 1 WB 41.07 - juris Rn. 36 und zu Beurteilungsbeiträgen allgemein zuletzt Beschluss vom - 1 WB 21.24 - juris Rn. 46 m. w. N.). Dem Zweitbeurteilenden ist es unbenommen, den Officer Evaluation Report im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zu würdigen und dessen Feststellungen und Wertungen in Beziehung zu seinen Eindrücken und sonstige Erkenntnisse von Person und Leistungen des Antragstellers zu setzen.

363. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:280825B1WB22.24.0

Fundstelle(n):
HAAAK-02461