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EuGH Urteil v. - C-101/24

Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 28 – Beteiligung an der Erbringung von Dienstleistungen – Art. 44 und 45 – Ort der Dienstleistung – Art. 203 – Ausweisung der Mehrwertsteuer in einer Rechnung – Elektronisch erbrachte Dienstleistungen – Appstore – In-App-Käufe

Leitsatz

  1. Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom geänderten Fassung

    ist dahin auszulegen, dass

    seine Anwendung, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger vor dem Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat, nicht allein deshalb ausgeschlossen werden kann, weil in den von letzterem Steuerpflichtigen den Endkunden erteilten Bestellbestätigungen der erste Steuerpflichtige als Leistender genannt wird und der in dessen Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

  2. Die Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung

    ist dahin auszulegen, dass,

    wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger gemäß Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in geänderter Fassung behandelt wird, als ob er eine Dienstleistung selbst erhalten und erbracht hätte, der Ort der fingierten, an diesen Steuerpflichtigen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 dieser Richtlinie in geänderter Fassung zu bestimmen ist.

  3. Art. 203 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung

    ist dahin auszulegen, dass,

    wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat mit der Folge, dass letzterer Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob er diese Dienstleistungen erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, der erste Steuerpflichtige nicht deshalb als Schuldner der Mehrwertsteuer in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat gemäß diesem Art. 203 angesehen werden kann, weil er in den an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen mit seinem Einverständnis als Leistender genannt wird und dort der in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

Gesetze: RL 2006/112/EG Art. 28, RL 2006/112/EG Art. 44, RL 2006/112/EG Art. 45, RL 2006/112/EG Art. 203

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28, 44, 45 und 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Hamburg-Altona (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) und der XYRALITY GmbH (im Folgenden: Xyrality) über die Umsatzbesteuerung von Dienstleistungen, die sie in den Jahren 2012 bis 2014 auf elektronischem Weg erbracht hat.

Rechtlicher Rahmen

Mehrwertsteuerrichtlinie

3 Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

4 Art. 28 der Richtlinie lautet:

„Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.“

5 Art. 44 der Richtlinie bestimmt:

„Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. …“

6 Art. 45 der Richtlinie sieht vor:

„Als Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. …“

7 Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Die Mehrwertsteuer wird von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.“

Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011

8 In Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2011, L 77, S. 1) in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1042/2013 des Rates vom (ABl. 2013, L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung Nr. 282/2011) heißt es:

„Für die Anwendung von Artikel 28 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] gilt, dass wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, davon auszugehen ist, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist, es sei denn, dass dieser Anbieter von dem Steuerpflichtigen ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt.

Damit der Anbieter der elektronisch erbrachten Dienstleistungen als vom Steuerpflichtigen ausdrücklich genannter Erbringer der elektronisch erbrachten Dienstleistungen angesehen werden kann, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:

a)

Auf der von jedem an der Erbringung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen beteiligten Steuerpflichtigen ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung müssen die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und der Erbringer dieser elektronisch erbrachten Dienstleistungen angegeben sein;

b)

auf der dem Dienstleistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung oder Quittung müssen die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und ihr Erbringer angegeben sein.

Für die Zwecke dieses Absatzes ist es einem Steuerpflichtigen nicht gestattet, eine andere Person ausdrücklich als Erbringer von elektronischen Dienstleistungen anzugeben, wenn er hinsichtlich der Erbringung dieser Dienstleistungen die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert oder die Erbringung der Dienstleistungen genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt.“

9 Nach Art. 3 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013 gilt Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ab dem .

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10 Die in Deutschland ansässige Xyrality entwickelt Spiele-Apps für mobile Endgeräte. Für deren Vertrieb nutzt sie u.a. eine internetbasierte digitale Vertriebsplattform für Software (Appstore), die bis zum von X, einem in Irland ansässigen Unternehmen, betrieben wurde. Endkunden, die mobile Endgeräte mit einem bestimmten Betriebssystem nutzten, konnten die Apps in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Jahren kostenlos über den Appstore herunterladen.

11 Durch den entgeltlichen Erwerb von Verbesserungen oder anderen Vorteilen (In-App-Käufe) konnte der Endkunde im Spiel, das er vorher heruntergeladen hatte, vorankommen oder andere Vorteile erlangen. Der Endkunde konnte die gewünschten Verbesserungen oder Vorteile in der Spiele-App von Xyrality auswählen und gegen Entgelt freischalten lassen. Die Abwicklung dieser In-App-Käufe erfolgte über den Appstore und mittels einer der dort vom Endkunden hinterlegten Zahlungsmethoden.

12 Konkret öffnete sich nach Auswahl eines kostenpflichtigen Artikels durch den Endkunden innerhalb der Spiele-App zunächst ein Pop-up-Fenster, in dem das ausgewählte Produkt, der Bruttopreis sowie die Zahlungsart genannt wurden. Sodann betätigte der Endkunde den „Kaufen-Button“, und ein zweites Fenster öffnete sich, in dem noch einmal auf den Kaufgegenstand, den Preis sowie die Zahlungsmethode hingewiesen wurde. Schließlich sah der Endkunde nach Anklicken des „Bestätigen-Buttons“, wie sich ein drittes Fenster mit dem Hinweis öffnete, dass die Zahlung erfolgreich gewesen sei. Der Endkunde konnte sodann unmittelbar in der App mit dem Spiel fortfahren. In den drei Fenstern war nur das Logo von X zu sehen. Xyrality wurde nicht als Leistende genannt.

13 Der Endkunde erhielt nach dem Kaufvorgang von X eine Bestellbestätigung per E‑Mail, die das Logo des Appstores und die Angabe enthielt, dass bei Xyrality eingekauft worden sei. Ferner wurden der Bruttopreis und die darin enthaltene (deutsche) Umsatzsteuer genannt. X teilte Xyrality monatlich die von den Endkunden getätigten In-App-Käufe mit und stellte für jeden Kauf eine Provision von 30 % in Rechnung.

14 Xyrality sah sich zunächst als Leistende der an die Endkunden erbrachten Dienstleistungen an, so dass sie für Endkunden aus der Europäischen Union deutsche Umsatzsteuer anmeldete. Am reichte sie jedoch berichtigte Umsatzsteuererklärungen für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum ein. Sie machte geltend, sie habe mit X einen Vertrag über eine Dienstleistungskommission im Sinne von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie geschlossen. Daher habe sie selbst Dienstleistungen an X erbracht, und X sei als Leistungserbringerin gegenüber den Endkunden aufgetreten.

15 Da sie folglich der Auffassung war, dass der Ort ihrer Leistungen an X gemäß Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Irland liege, reduzierte Xyrality die Bemessungsgrundlage der in Deutschland umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätze um die In-App-Käufe der Endkunden aus der Union.

16 Das Finanzamt vertrat nach einer Außenprüfung die Auffassung, dass X lediglich Vermittlerin sei. Zwar sei der jeweilige Kaufvorgang über den Appstore erfolgt. Der Endkunde sei jedoch bei jedem einzelnen Schritt des In-App-Kaufs auf die Nutzungsbedingungen für die Dienstleistung hingewiesen worden. X habe damit dem Endkunden in eindeutiger Weise bei jedem Kauf gezeigt, dass die Umsätze für eine fremde Person ausgeführt worden seien und X lediglich die Forderung einziehe. Das Finanzamt erließ daher Umsatzsteuerbescheide für die Besteuerungszeiträume 2012 bis 2014, in denen die von Xyrality vorgenommenen Änderungen nicht berücksichtigt wurden. Darüber hinaus blieben ihre Einsprüche erfolglos.

17 Xyrality erhob Klage, der das Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Urteil vom stattgab. Es stellte fest, die von Xyrality erbrachten Dienstleistungen seien nicht in Deutschland steuerbar, weil Empfängerin dieser Dienstleistungen X sei.

18 X habe bei den In-App-Käufen im eigenen Namen gehandelt. Die Einbettung der von Xyrality angebotenen Produkte in die Appstore-Oberfläche habe beim durchschnittlichen Endkunden die Erwartung geweckt, dass X Vertragspartnerin und Verkäuferin dieser Produkte sei, zumal sich der Endkunde zunächst beim Appstore habe anmelden und dessen Nutzungsbedingungen habe akzeptieren müssen. X sei nicht hinreichend deutlich im Namen eines anderen Dienstleistungserbringers aufgetreten. Die Käufe seien zwar aus der von Xyrality entwickelten Spiele-App heraus erfolgt, und die Spieloberfläche sei während des Kaufvorgangs im Hintergrund angezeigt worden. Dennoch sei der Endkunde durch die Darstellungen in den Pop-up-Fenstern virtuell in den Appstore geleitet worden. Konkret sei der Kaufvorgang unter dem dominant dargestellten Appstore-Logo abgewickelt worden.

19 Das Finanzamt legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg Revision beim Bundesfinanzhof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein.

20 Der Bundesfinanzhof fragt sich als Erstes, ob die Annahme, dass X und nicht Xyrality die Leistungen an die Endkunden, die die in Rede stehenden In-App-Käufe getätigt hätten, ausgeführt habe, in Einklang mit dem Unionsrecht steht.

21 Er weist darauf hin, dass nach seiner „Laden-Rechtsprechung“ davon auszugehen sei, dass ein Endkunde, der in einem Laden Waren des täglichen Bedarfs kaufe oder sonstige Leistungen beziehe, grundsätzlich mit dem Ladeninhaber in Geschäftsbeziehungen treten wolle. Diese Betrachtung, die der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität entspreche, sei auch auf Dienstleistungen anwendbar, die auf elektronischem Weg oder als Telekommunikationsdienstleistungen erbracht würden.

22 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts würde es jedoch mit der Bestätigung des Urteils des Finanzgerichts Hamburg in Divergenz zur rechtlichen Einordnung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze durch X und die irischen Steuerbehörden treten, und es käme zu einer möglicherweise endgültigen Nichtbesteuerung der Umsätze. Deshalb ersucht es den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie in einem Fall wie dem bei ihm anhängigen Anwendung findet.

23 Für die Annahme, dass von einer Leistungserbringung durch Xyrality an die Endkunden auszugehen sei, so dass es sich hier nicht um einen Fall von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie handele, sprechen aus Sicht des vorlegenden Gerichts die von X erteilten Bestellbestätigungen, die angäben, dass bei Xyrality im Appstore von X eingekauft worden sei, und die deutsche Umsatzsteuer auswiesen.

24 Auch wenn Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 erst seit dem gelte, könnte jedoch der Umstand, dass diese Bestimmung den Regelungsgehalt von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie konkretisiere, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom , Fenix International (C‑695/20, EU:C:2023:127), entschieden habe, dafür sprechen, dass die dort niedergelegten Grundsätze auch auf die Umsätze von Xyrality vor diesem Zeitpunkt Anwendung fänden. Weiterer Anhaltspunkt hierfür könnten die nicht bindenden Leitlinien aus der 93. Sitzung des Mehrwertsteuer-Ausschusses vom (Dokument C – taxud.c.1[2012]1410604 – 709) sein.

25 Als Zweites führt das vorlegende Gericht aus, dass sich, wenn davon auszugehen sei, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie im vorliegenden Fall anwendbar sei, daraus eine juristische Fiktion ergebe, nach der zwei gleichartige Dienstleistungen nacheinander erbracht würden. Wie weit diese Fiktion reiche, sei in Deutschland umstritten.

26 In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie für seine Anwendbarkeit verlange, dass es einen Auftrag gebe, zu dessen Ausführung der Kommissionär für Rechnung des Kommittenten hinsichtlich der Erbringung von Dienstleistungen tätig werde, was den Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Kommissionär und dem Kommittenten voraussetze, die die Erteilung dieses Auftrags zum Gegenstand habe. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts wäre es denkbar, die rechtliche Beziehung zwischen dem Kommissionär und dem Kommittenten, für dessen Rechnung er handele, umsatzsteuerrechtlich vollständig so zu behandeln wie die Dienstleistung, bei der der Kommissionär hinzutrete. Die Fiktion von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie würde damit auf die gesamte Leistung erstreckt.

27 Wenn im vorliegenden Fall davon auszugehen wäre, dass die Leistung unmittelbar von Xyrality erbracht werde, läge der Ort dieser Leistung in Deutschland. Dies würde demnach gleichermaßen für die fiktive Leistung von Xyrality an X gelten.

28 Es wäre jedoch auch denkbar, dass zumindest der Ort der Dienstleistung, zu der der Kommissionär hinzutrete, auch den Ort der Dienstleistung des Kommissionärs an den Kommittenten bestimme. Der Ort der fiktiven Leistung von Xyrality an X läge auch bei dieser Sichtweise in Deutschland.

29 Schließlich könnte davon ausgegangen werden, dass der Ort der Dienstleistung, zu der der Kommissionär hinzutrete, und der Ort der Dienstleistung des Kommissionärs an den Kommittenten getrennt zu bestimmen seien. Im vorliegenden Fall würde diese Sichtweise dazu führen, dass der Ort der fiktiven Leistung von Xyrality an X nach Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Irland läge, da X eine Steuerpflichtige sei, die die fiktive Leistung für ihr Unternehmen bezogen habe. Der Ort der Leistung von X an die Endkunden läge nach Art. 45 der Mehrwertsteuerrichtlinie ebenfalls in Irland.

30 Als Drittes möchte das vorlegende Gericht klären, welche Auswirkungen es hat, dass X mit Einverständnis von Xyrality per E‑Mail Bestellbestätigungen versandt hat, in denen angegeben worden ist, dass bei Xyrality im Appstore eingekauft worden sei, und in denen der Bruttopreis und die darin enthaltene deutsche Umsatzsteuer genannt sind.

31 In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob Xyrality die mit ihrem Einverständnis in ihrem Namen ausgewiesene Umsatzsteuer nach Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie schuldet, weil die fraglichen Bestellbestätigungen Rechnungen im Sinne dieser Bestimmung sein könnten.

32 Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen eine deutsche Steuerpflichtige (Entwicklerin) vor dem eine Dienstleistung auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige (Endkunden) über einen Appstore einer irischen Steuerpflichtigen erbracht hat, Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzuwenden mit der Folge, dass die irische Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob sie diese Dienstleistungen von der Entwicklerin erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, weil der Appstore erst in den – den Endkunden erteilten – Bestellbestätigungen die Entwicklerin als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat?

2.

Bei Bejahung der Frage 1: Liegt der Ort der gemäß Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie fingierten, von der Entwicklerin an den Appstore erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 der Richtlinie in Irland oder gemäß Art. 45 der Richtlinie in Deutschland?

3.

Falls nach der Antwort auf die Fragen 1 und 2 die Entwicklerin keine Dienstleistungen in Deutschland erbracht hat: Besteht eine Steuerschuld der Entwicklerin für deutsche Umsatzsteuer gemäß Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie, weil der Appstore sie vereinbarungsgemäß in seinen per E‑Mail an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, obwohl die Endkunden nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

33 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass seine Anwendung, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger vor dem Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat, ausgeschlossen ist, weil in den von letzterem Steuerpflichtigen den Endkunden erteilten Bestellbestätigungen der erste Steuerpflichtige als Leistender genannt wird und der in dessen Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

34 Gemäß Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der zu ihrem Titel IV („Steuerbarer Umsatz“) gehört, werden Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.

35 Dieser Art. 28, der allgemein gefasst ist, ohne Beschränkungen in Bezug auf seinen Anwendungsbereich oder seine Tragweite zu enthalten, und somit alle Dienstleistungskategorien abdeckt, schafft die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte (Urteil vom , Fenix International, C‑695/20, EU:C:2023:127, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Dementsprechend stellt Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Regel auf, dass der Steuerpflichtige, der im Rahmen einer Dienstleistung als Vermittler im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt, als Erbringer dieser Dienstleistungen gilt (Urteil vom , Fenix International, C‑695/20, EU:C:2023:127, Rn. 55).

37 Es ist Sache des nationalen Gerichts, bei dem ein Rechtsstreit über die Anwendung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie anhängig ist, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der Natur der vertraglichen Verpflichtungen des Kommissionärs gegenüber seinen Kunden zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift erfüllt sind (vgl. entsprechend Urteil vom , Henfling u.a., C‑464/10, EU:C:2011:489, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Im vorliegenden Fall ist dem Vorlagebeschluss zu entnehmen, dass X nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden In-App-Käufen im eigenen Namen gehandelt hat, da insbesondere die Einbettung der Produkte in die Appstore-Oberfläche beim durchschnittlichen Endkunden die Erwartung geweckt habe, dass X Vertragspartnerin und Verkäuferin der Produkte sei, zumal sich der Endkunde zunächst beim Appstore habe anmelden und dessen Nutzungsbedingungen habe akzeptieren müssen, bevor er diese Produkte habe erwerben können. X sei dagegen während des Kaufvorgangs im Appstore nicht hinreichend deutlich im Namen eines anderen aufgetreten.

39 Das vorlegende Gericht zieht diese Feststellungen zwar nicht in Zweifel, stellt sich aber die Frage, inwieweit die beiden Umstände, dass in den den Endkunden von X erteilten Bestellbestätigungen Xyrality als Leistende genannt war und dass die deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen war, für die Anwendung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie relevant sind.

40 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur dann Anwendung finden kann, wenn es einen Auftrag gibt, zu dessen Ausführung der Kommissionär für Rechnung des Kommittenten bei der Erbringung der Dienstleistung tätig wird. Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass der Endkunde trotz der Komplexität der Transaktionsketten, die für die Erbringung elektronischer Dienstleistungen kennzeichnend sein kann, in bestimmten Fällen in der Lage ist, von der Existenz des Auftrags zu wissen und die Identität des Kommittenten zu kennen, reichen diese Umstände allein nicht aus, um auszuschließen, dass der Steuerpflichtige, der sich an der Dienstleistung beteiligt, im Sinne dieses Art. 28 im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Dritten tätig wird. Es kommt nämlich in erster Linie auf die Befugnisse an, über die dieser Steuerpflichtige im Rahmen der Dienstleistung verfügt, an der er sich beteiligt (Urteil vom , Fenix International, C‑695/20, EU:C:2023:127, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41 Die Anwendbarkeit von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie kann folglich nicht allein aufgrund des Umstands, dass der Endkunde durch Bestellbestätigungen, die er zwangsläufig erst nach Abschluss des Kaufvorgangs erhält, von der Identität des Kommittenten Kenntnis erlangt, ausgeschlossen werden, wenn sich aus den anderen relevanten Gesichtspunkten ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift erfüllt sind.

42 Soweit sich das vorlegende Gericht darüber hinaus auf Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Vorschrift der Leistungserbringer für Mehrwertsteuerzwecke bestimmt werden soll, wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden. Insoweit ergibt sich aus dem Urteil vom , Fenix International (C‑695/20, EU:C:2023:127, Rn. 89), dass dieser Art. 9a nicht als Ergänzung oder Änderung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden kann.

43 Der am in Kraft getretene Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 findet auf den Ausgangsrechtsstreit, der in den Jahren 2012 bis 2014 erbrachte Dienstleistungen betrifft, in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung. Gleichwohl ist diese Vorschrift insofern zu berücksichtigen, als sie ein Konzept verdeutlicht und klärt, das sich in der Mehrwertsteuerrichtlinie findet und seit deren Einführung anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Leichenich, C‑532/11, EU:C:2012:720, Rn. 32, und vom , Welmory, C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 44 bis 46).

44 Jedenfalls kann, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus dem Umstand, dass Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 während des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraums noch nicht anwendbar war, nicht gefolgert werden, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Bezug auf diesen Zeitraum anders auszulegen ist, als es sich aus diesem Art. 9a Abs. 1 ergibt.

45 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass seine Anwendung, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger vor dem Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat, nicht allein deshalb ausgeschlossen werden kann, weil in den von letzterem Steuerpflichtigen den Endkunden erteilten Bestellbestätigungen der erste Steuerpflichtige als Leistender genannt wird und der in dessen Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

Zur zweiten Frage

46 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger gemäß Art. 28 der Richtlinie behandelt wird, als ob er eine Dienstleistung selbst erhalten und erbracht hätte, der Ort der fingierten, an diesen Steuerpflichtigen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 der Richtlinie zu bestimmen ist oder gemäß Art. 45 der Richtlinie, weil die Endkunden Nichtsteuerpflichtige sind.

47 Wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, schafft Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte.

48 Der Ort einer Dienstleistung ist nach den Vorschriften von Titel V Kapitel 3 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu bestimmen. Die Abschnitte 2 und 3 dieses Kapitels enthalten die allgemeinen Regeln für die Bestimmung des Ortes der Besteuerung der Dienstleistung sowie besondere Regeln für spezielle Dienstleistungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Climate Corporation Emissions Trading, C‑641/21, EU:C:2022:842, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49 So bestimmt Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie insbesondere, dass als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, der Ort gilt, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Gemäß Art. 45 der Richtlinie gilt als Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen grundsätzlich der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.

50 Was den Ort einer Dienstleistung anbelangt, bei der ein Steuerpflichtiger gemäß Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie behandelt wird, als ob er sie von einem anderen Steuerpflichtigen erhalten hätte, wobei diese Steuerpflichtigen als Kommissionär bzw. Kommittent handeln, so geht, wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, weder aus Art. 28 noch aus einer anderen Bestimmung der Mehrwertsteuerrichtlinie hervor, dass der Ort dieser Dienstleistung abweichend von den in Titel V Kapitel 3 der Richtlinie vorgesehenen Regeln zu bestimmen wäre. Der Ort der Dienstleistung bestimmt sich daher nach Art. 44 der Richtlinie.

51 Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger gemäß Art. 28 der Richtlinie behandelt wird, als ob er eine Dienstleistung selbst erhalten und erbracht hätte, der Ort der fingierten, an diesen Steuerpflichtigen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 der Richtlinie zu bestimmen ist.

Zur dritten Frage

52 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat mit der Folge, dass letzterer Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob er diese Dienstleistungen erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, eine Mehrwertsteuerschuld des ersten Steuerpflichtigen in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat gemäß diesem Art. 203 deshalb besteht, weil er in den an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen mit seinem Einverständnis als Leistender genannt wird und dort der in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

53 Gemäß Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie wird die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.

54 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs soll diese Vorschrift der Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann. Sie kommt folglich zur Anwendung, wenn die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil der Adressat der in Rede stehenden Rechnung sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann (Urteil vom , Finanzamt Österreich [Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer], C‑378/21, EU:C:2022:968, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

55 Das vorlegende Gericht führt aus, dass Xyrality im vorliegenden Fall zunächst X dazu ermächtigt habe, sie in den Bestellbestätigungen als Leistende zu nennen und die sich daraus ergebenden umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen gegenüber dem Endkunden durch Einbehalt von deutscher Umsatzsteuer – als der für die Dienstleistungen geltenden Umsatzsteuer – zu ziehen; später habe sie aber gegenüber dem Finanzamt die gegenteilige Auffassung vertreten. Das widersprüchliche Verhalten von Xyrality könnte es rechtfertigen, davon auszugehen, dass sie gemäß Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie Schuldnerin der Umsatzsteuer bleibe, und zwar, um eine Gefährdung des Steueraufkommens durch einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen den deutschen und den irischen Steuerbehörden zu vermeiden, in dessen Folge die Steuer letztlich in keinem der beiden Mitgliedstaaten erhoben würde.

56 Hierzu ist jedoch festzustellen, dass Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie, wie der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, funktional mit dem Recht auf Vorsteuerabzug verknüpft ist, da er dazu dient, eine Gefährdung des Steueraufkommens zu vermeiden, die sich aus einem zu hoch bemessenen Abzugsbetrag ergibt. Nach den Angaben im Vorlagebeschluss sind die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen indessen nicht an Steuerpflichtige für die Zwecke ihres Unternehmens, sondern an Nichtsteuerpflichtige erbracht worden. Mangels Gefährdung des Steueraufkommens im Zusammenhang mit dem Recht auf Abzug von zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer ist Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie also nicht anwendbar. Der Umstand, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestellbestätigungen möglicherweise nicht als Rechnungen angesehen werden können, wie Xyrality in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, erscheint daher für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich.

57 Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat mit der Folge, dass letzterer Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob er diese Dienstleistungen erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, der erste Steuerpflichtige nicht deshalb als Schuldner der Mehrwertsteuer in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat gemäß diesem Art. 203 angesehen werden kann, weil er in den an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen mit seinem Einverständnis als Leistender genannt wird und dort der in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

Kosten

58 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.

Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

seine Anwendung, wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger vor dem Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat, nicht allein deshalb ausgeschlossen werden kann, weil in den von letzterem Steuerpflichtigen den Endkunden erteilten Bestellbestätigungen der erste Steuerpflichtige als Leistender genannt wird und der in dessen Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

2.

Die Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass,

wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger gemäß Art. 28 der Richtlinie 2006/112 in geänderter Fassung behandelt wird, als ob er eine Dienstleistung selbst erhalten und erbracht hätte, der Ort der fingierten, an diesen Steuerpflichtigen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 dieser Richtlinie in geänderter Fassung zu bestimmen ist.

3.

Art. 203 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass,

wenn ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat mit der Folge, dass letzterer Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob er diese Dienstleistungen erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, der erste Steuerpflichtige nicht deshalb als Schuldner der Mehrwertsteuer in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat gemäß diesem Art. 203 angesehen werden kann, weil er in den an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen mit seinem Einverständnis als Leistender genannt wird und dort der in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:764

Fundstelle(n):
EAAAK-01344