Betriebsprüfung - Insolvenz des Arbeitgebers - keine Befugnis des Rentenversicherungsträgers zur Feststellung von Beitragsnachforderungen mittels Betriebsprüfungsbescheid nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Gesetze: § 28p Abs 1 S 1 SGB 4, § 28p Abs 1 S 5 SGB 4, § 28h SGB 4, § 38 InsO, § 87 InsO, § 178 InsO
Instanzenzug: SG Dresden Az: S 30 BA 38/19 Gerichtsbescheidvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 9 BA 15/20 Urteil
Tatbestand
1Der klagende Insolvenzverwalter wendet sich gegen einen gegenüber ihm ergangenen Betriebsprüfungsbescheid, den die Beklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen hat.
2Mit Beschluss vom (530 IN 2982/10) eröffnete das Amtsgericht D das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Infolge einer Betriebsprüfung im März 2017 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger hinsichtlich des Prüfzeitraums vom bis zum nachzufordernde Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von insgesamt 2 767 456,20 Euro einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 1 438 381 Euro als "sich ergebende(n) Insolvenzforderungen" fest. Diese würden von den zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht und zur Tabelle angemeldet. Eine Zahlungsaufforderung sei damit nicht verbunden (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).
3Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Sie seien nichtig, weil der Beklagten während eines Insolvenzverfahrens die Befugnis fehle, einen Insolvenzforderungen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen (Gerichtsbescheid vom ). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG zunächst entschieden, dass die Beklagte nach der Insolvenzeröffnung befugt gewesen sei, den Prüfbescheid über Grund und Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger zu erlassen (Zwischenurteil vom ). Nach einem vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis der Beklagten, mit dem der Nachforderungsbetrag auf 2 697 570,37 Euro (inkl Säumniszuschlägen) festgesetzt worden ist, hat das LSG den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom ).
4Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 38, 39, 81, 87, 88 und 174 Abs 3 InsO sowie des § 33 Abs 1 SGB X. Die Beklagte sei zur Festsetzung von Insolvenzforderungen durch Verwaltungsakt außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht befugt, der angegriffene Bescheid sei nichtig. Es bestehe auch kein Bedürfnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsakts. Die Einzugsstelle könne die Forderung ohne vorherigen Bescheid der Beklagten zur Tabelle anmelden.
5Der Kläger beantragt,das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom und das Zwischenurteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom aufzuheben sowie die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom zurückzuweisen.
6Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.
7Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
8Im Revisionsverfahren hat die Beklagte einen aufgrund des vor dem LSG abgegebenen Teilanerkenntnisses erlassenen "Ausführungsbescheid" vom nebst korrigierter Nachberechnungsanlagen übersandt. Der Bescheid gelte gemäß § 171 SGG als mit der Klage angefochten.
Gründe
9Die zulässige Revision des Klägers ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat den Gerichtsbescheid des SG auf die Berufung der Beklagten zu Unrecht aufgehoben und die Klage - soweit sie nicht durch Teilanerkenntnis erledigt war - abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten (dazu 1.), mit dem sie Insolvenzforderungen in Höhe von (zuletzt noch) 2 697 570,37 Euro auf Grundlage der Betriebsprüfung für den Zeitraum vom bis zum festgestellt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Senat kann offenlassen, ob der Vorrang des § 87 InsO (dazu 2.) auch zur Nichtigkeit gemäß § 40 Abs 1 SGB X führt. Ist ein Verwaltungsakt - wie vorliegend - allein mit der Anfechtungsklage angegriffen, so bedarf es, wenn der Klageanspruch begründet ist, nicht der Prüfung, ob der Verwaltungsakt nichtig ist ( 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35, juris RdNr 16).
101. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des LSG, der Gerichtsbescheid des SG sowie der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom und des Teilanerkenntnisses vom . Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom , denn er setzt als sogenannter Ausführungsbescheid lediglich das angenommene Teilanerkenntnis um und enthält keine darüber hinausgehende eigenständige Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X (vgl - juris RdNr 15).
112. Die Beklagte war nicht befugt, den hier angefochtenen Bescheid zu erlassen. Zwar sind die Träger der Rentenversicherung grundsätzlich berechtigt, Betriebsprüfungen durch Verwaltungsakt abzuschließen. Soweit die aufgrund der Betriebsprüfung festgestellten Beitrags- oder Umlagenforderungen aber zu den Insolvenzforderungen zählen, steht der Regelungsbefugnis die auch im Betriebsprüfungsverfahren zu beachtende spezielle Vorschrift des § 87 InsO entgegen.
12Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält (sog Ad hoc-Prüfung, § 28p Abs 1 Satz 3 SGB IV in der Fassung <idF> der Bekanntmachung vom , BGBl I 3710). Im Rahmen der Betriebsprüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken- , Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs 1 Satz 5 Halbsatz 1 SGB IV idF vom aaO). Das Ergebnis der Prüfung ist dem Arbeitgeber innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss der Prüfung mitzuteilen; durch den Prüfbescheid soll der Arbeitgeber Hinweise zu den beanstandeten Sachverhalten erhalten, um in den weiteren Verfahren fehlerhafte Angaben zu vermeiden (§ 7 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 Beitragsverfahrensverordnung <BVV> idF des 6. SGB IV-Änderungsgesetzes vom , BGBl I 2500 in Verbindung mit der Verordnungsermächtigung des § 28n SGB IV idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom , BGBl I 3057, und des § 28p Abs 9 SGB IV idF vom aaO). Diese sozialrechtlich eingeräumte Befugnis zum Erlass von Betriebsprüfungsbescheiden ist dem betriebsprüfenden Rentenversicherungsträger insolvenzrechtlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch § 87 InsO entzogen. Danach können die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Diese hier anwendbare Vorschrift (dazu a) steht der Feststellung durch Verwaltungsakt außerhalb des Insolvenzverfahrens entgegen (dazu b), auch wenn im angefochtenen Bescheid nicht zur Zahlung aufgefordert worden ist (dazu c). Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht wegen eines zwingenden Bedürfnisses für eine Regelung mit Bindungswirkung (dazu d) oder der Senatsrechtsprechung zum Abschluss auch beanstandungsfreier Betriebsprüfungen durch Verwaltungsakt geboten (dazu e).
13a) Insolvenzforderungen können gemäß § 87 InsO nur nach den Vorschriften der InsO durchgesetzt werden; hierfür sehen die §§ 174 ff InsO eine Anmeldung der Insolvenzforderungen beim Insolvenzverwalter vor ( - BGHZ 242, 157 = juris RdNr 17). Bei Ansprüchen auf Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen handelt es sich um Insolvenzforderungen iS von § 38 InsO, wenn sie in der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens "begründet" worden sind. Dieser Zeitrahmen grenzt Insolvenzforderungen von den vorweg zu berichtigenden Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 InsO) ab. Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Forderung kommt es auf die Erfüllung des anspruchsbegründenden Tatbestands an (zum Begriff der Insolvenzforderung vgl zB - SozR 4-1300 § 50 Nr 8 RdNr 17 ff) - der hier jeweils im Prüfzeitraum vom bis zum verwirklicht worden sein soll - und nicht auf die nachträgliche Feststellung oder Schätzung der Beitragshöhe im Betriebsprüfungsbescheid. Dahinstehen kann, ob die außerdem festgestellten Säumniszuschläge teilweise nachrangige Insolvenzforderungen nach § 39 Abs 1 Nr 1 InsO (idF des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom , BGBl I 509) sind, weil sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Denn bereits der die Begriffe des Insolvenzgläubigers und der Forderungen nicht einschränkende Wortlaut des § 87 InsO umfasst auch nachrangige Insolvenzgläubiger nach § 39 InsO. Durch das Vorliegen von Insolvenzforderungen unterscheidet sich der Sachverhalt grundlegend von demjenigen, der dem Urteil des Senats vom (B 12 R 16/13 R - SozR 4-2400 § 28p Nr 5) zugrunde gelegen hat. Dort ging es um die Befugnis des Rentenversicherungsträgers, Beitragsforderungen als "Masseverbindlichkeiten" durch Leistungs- oder Zahlungsbescheid festzusetzen.
14b) § 87 InsO steht der Feststellung noch nicht angemeldeter und geprüfter öffentlich-rechtlicher Insolvenzforderungen durch Bescheid entgegen. Dies gilt auch, wenn der Bescheid lediglich Grundlagen feststellt, die Auswirkungen auf die Höhe der anzumeldenden Forderungen haben (vgl - juris RdNr 24 zu einem Grundurteil auf Schadensersatz; - BFHE 183, 365, 367 = juris RdNr 9 zum Gewerbesteuermessbescheid; - BFHE 207, 10, 11 = juris RdNr 11 zu Besteuerungsgrundlagen; - BFHE 201, 392, 393 = juris RdNr 6 und 7; Breuer/Flöther in MüKoInsO, 4. Aufl 2019, § 87 RdNr 11; Mock in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl 2019, § 87 RdNr 30; aA - juris RdNr 16 für Feststellungsbescheide, durch die der Einheitswert eines Grundstücks festgestellt wird; Cymutta in BeckOK InsR, InsO § 87 RdNr 15, Stand , § 87 InsO schließe Leistungs-, Haftungs-, Feststellungs- oder Festsetzungsbescheide aus; Breitenbücher in Graf-Schlicker, InsO, 6. Aufl 2022, § 87 RdNr 10 und 11 mwN; - BVerwGE 151, 302 RdNr 11 mwN und - juris RdNr 16, jeweils zu Leistungsbescheiden). Die Vorschrift ist daher auch im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens zu beachten.
15Zwar ist die beklagte Rentenversicherungsträgerin nicht selbst Insolvenzgläubigerin. § 38 InsO definiert diese als die persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist nur an die Einzugsstelle zu zahlen, die ihn geltend zu machen (§ 28h Abs 1 Satz 1 und 3 SGB IV idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 3710) sowie zu verteilen hat (§ 28k SGB IV idF des LSV-Neuordnungsgesetzes vom , BGBl I 579) und gegebenenfalls auch für die mangelhafte Geltendmachung haftet (§ 28r SGB IV idF vom aaO). Die Beklagte dagegen darf weder die Zahlung der Beiträge und Umlagen an sich fordern noch eine Forderung zur Insolvenztabelle anmelden. Dies ist der Einzugsstelle vorbehalten (vgl schon - SozR 4-2400 § 28p Nr 5 RdNr 23). Dass das Gesetz zwischen der materiellen Anspruchsberechtigung der Einzugsstelle und deren Beitragseinzug einerseits sowie der Feststellung von Forderungen aufgrund einer Betriebsprüfung durch die Rentenversicherungsträger andererseits unterscheidet, ändert aber nichts daran, dass § 87 InsO auch im Rahmen einer öffentlich-rechtlich ausgestalteten Betriebsprüfung zu beachten ist. Die Vorschriften des SGB IV und der BVV über die - gegebenenfalls auch durch die Einzugsstelle veranlasste - Arbeitgeberprüfung enthalten zwar keine ausdrückliche Regelung für das Insolvenzverfahren, sie werden aber gesetzessystematisch durch § 87 InsO als speziellere Regelung überlagert. Das ergibt sich aus deren Rechtsgebiets übergreifenden und abschließenden Charakter, der durch den Regelungszusammenhang mit § 89 Abs 1, § 91 Abs 1 und §§ 174 ff InsO ausgeformt wird, um die gemeinschaftliche und gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzgläubiger (par conditio creditorum) sicherzustellen (vgl zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zB - juris RdNr 24; - für SozR 4-1300 § 50 Nr 8 RdNr 29 vorgesehen).
16§ 89 Abs 1 InsO bestimmt, dass Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig sind. Neben diesem Vollstreckungsverbot schließt es § 91 Abs 1 InsO aus, Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam zu erwerben, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Forderungen gegen einen Schuldner, die Insolvenzforderungen sind, also auch vor Insolvenzeröffnung entstanden sind (§ 35 Abs 1 InsO), sind ausschließlich beim Insolvenzverwalter zur Tabelle anzumelden (§ 174 Abs 1 Satz 1 InsO) und gelten als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben worden oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist (§ 178 Abs 1 Satz 1 InsO). Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs 3 InsO). Für öffentlich-rechtliche (Insolvenz-)Forderungen ist nichts Abweichendes geregelt. Die zuständige Einzugsstelle hat vielmehr als Gläubigerin des Anspruchs auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (vgl § 28h Abs 1 Satz 1 und 3 SGB IV) ebenso wie andere Insolvenzgläubiger ihre Insolvenzforderungen gemäß § 174 Abs 1 Satz 1 InsO anzumelden und feststellen zu lassen. Erst wenn eine Forderung bestritten wird, für die der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben ist, kann die Feststellung von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorgenommen werden (§§ 179 ff, 185 Satz 1 InsO).
17Diese insolvenzrechtlichen Regelungen würden umgangen, wenn Rentenversicherungsträger befugt wären, einen Vollstreckungstitel zu erlassen, der die Einzugsstelle entgegen dem insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber anderen Insolvenzgläubigern bevorzugen würde. In der Betriebsprüfung wird eine Entscheidung der Einzugsstelle über die Beitragshöhe nach § 28h Abs 2 SGB IV durch den Betriebsprüfungsbescheid ersetzt (§ 28p Abs 1 Satz 5 Halbsatz 2 SGB IV idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 3710). Die Einzugsstelle kann daher grundsätzlich auf der Grundlage eines Betriebsprüfungsbescheids vollstrecken und muss keinen eigenen Leistungsbescheid erlassen (vgl § 3 Abs 2 Buchst a Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz). Lässt die Einzugsstelle (als Gläubigerin der Insolvenzforderung) im zweistufigen Verfahren den Rentenversicherungsträger die Forderungshöhe feststellen, steht im Insolvenzverfahren das Verbot des § 87 InsO entgegen, sich außerhalb der Vorschriften des Insolvenzverfahrens einen Titel wegen einer Insolvenzforderung zu verschaffen. Dieses Verbot gilt auch für die Selbsttitulierung der Verwaltung (vgl - juris RdNr 16; - BFHE 201, 392, juris RdNr 9). Der Betriebsprüfungsbescheid des Rentenversicherungsträgers wirkt in diesem Zusammenhang wie ein (selbst titulierter) Vollstreckungstitel für die Einzugsstelle.
18Neben der Begünstigung der Einzugsstelle gegenüber anderen Insolvenzgläubigern zöge die Anerkennung einer Kompetenz der Rentenversicherungsträger zum Erlass eines Betriebsprüfungsbescheids eine Pflicht des Insolvenzverwalters nach sich, zusätzlich zum Verfahren des Bestreitens einer Forderung gegen diesen vorzugehen. Um die Feststellung einer Forderung zu verhindern, räumt die InsO dem Insolvenzverwalter das Recht ein, die Forderung zu bestreiten. Für diesen Fall ist es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben (§ 179 Abs 1 InsO). Ist - wie bei sozialversicherungsrechtlichen Beitrags- und Umlageforderungen sowie Säumniszuschlägen - für die Feststellung einer Forderung der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben, so ist die Feststellung bei dem zuständigen Gericht oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen (§ 185 Satz 1 InsO). Wäre der prüfende Rentenversicherungsträger befugt, gleichwohl einen Prüfbescheid mit Bindungswirkung zu erlassen, würden diese Regelungen zur Betreibenslast der Einzugsstelle als Insolvenzgläubigerin zu Ungunsten des Insolvenzverwalters (und anderer Insolvenzgläubiger) unterlaufen. Der Insolvenzverwalter müsste gegen den die Insolvenzforderung feststellenden Prüfbescheid des Rentenversicherungsträgers vorsorglich vorgehen und einen fristgemäßen Widerspruch (außerhalb der im Insolvenzrecht vorgesehenen Termine) erheben, um die Bindungswirkung dieses Verwaltungsaktes auszuschließen. Dies widerspricht den dargestellten, die InsO kennzeichnenden Verfahrensabläufen.
19c) Die Unvereinbarkeit eines Insolvenzforderungen feststellenden Verwaltungsakts mit der abschließenden Regelung des § 87 InsO wird nicht durch die in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen Hinweise, "Eine Zahlungsaufforderung ist damit nicht verbunden." und "Die Insolvenzforderungen (…) werden von der(n) zuständigen (…) Einzugsstelle(n) (…) zur Tabelle nach § 175 InsO angemeldet.", ausgeschlossen oder entscheidend gemildert. Selbst wenn deshalb eine (unmittelbare) Durchsetzbarkeit und Vollstreckbarkeit des Bescheids nicht gegeben sein sollte, ist und bleibt der durch ihn verlautbarte Verwaltungsakt nach § 31 SGB X mit feststellender Wirkung hinsichtlich Bestand und Höhe der jeweiligen Forderung aufgrund seiner Bekanntgabe wirksam erlassen. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung kommt nach einer Betriebsprüfung ergangenen Verwaltungsakten eine materielle Bindungswirkung insoweit zu, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht und Beitragshöhe personenbezogen für bestimmte Zeiträume festgestellt worden sind (vgl - BSGE 135, 65 = SozR 4-2400 § 28p Nr 8, RdNr 13 mwN; zur Bindungswirkung gegenüber den Arbeitnehmern vgl - SozR 4-2400 § 28p Nr 4 RdNr 21 und - juris RdNr 25, keine Verpflichtung zum Bescheiderlass gegenüber dem Arbeitnehmer). Wird der gegen den Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht eingelegt, ist er für die Beteiligten - und auch für die Einzugsstelle (vgl zu deren Bindung bei Leistungsbescheiden - SozR 4-2400 § 28p Nr 5 RdNr 23) - hinsichtlich der Höhe bindend. Der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Verwaltungsverfahren nach dem SGB IV würde unterlaufen, wenn die Rentenversicherungsträger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gemäß §§ 176, 177 InsO feststellende Bescheide erlassen dürften, die bereits über die Höhe der als Insolvenzforderung anzumeldenden Ansprüche bestimmen würden (so auch zur Festsetzung von einzelnen Besteuerungsgrundlagen - BFHE 201, 392, juris RdNr 9).
20d) Ein zwingendes Bedürfnis für den Erlass eines Verwaltungsakts nach Abschluss einer Betriebsprüfung bei bestehendem Insolvenzverfahren ist nicht festzustellen. Gemäß § 28p Abs 3 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 3710) unterrichten die Träger der Rentenversicherung die Einzugsstellen über Sachverhalte, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen. Eine bestimmte Form der Unterrichtung ist gesetzlich nicht vorgegeben. Die Anmeldung der Forderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen zur Insolvenztabelle bedarf keines forderungsbegründenden Bescheids (vgl - BSGE 88, 146, 147 f = SozR 3-2400 § 24 Nr 4 S 10, juris RdNr 14). Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen für Arbeitsentgelt entstehen mit wirksamer Zahlungsverpflichtung unabhängig von deren Auszahlung an die Arbeitnehmer (vgl - SozR 2100 § 8 Nr 5 S 10, juris RdNr 21; Segebrecht in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, § 22 RdNr 8, 36, 40 und 46, Stand ), sind auch fällig (vgl § 23 SGB IV, der Anwendung des § 41 InsO bedarf es daher nicht) und vom Arbeitgeber - vorliegend dem Kläger - zu begleichen (§ 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV iVm § 80 InsO; Becker in Römermann, InsO, § 179 RdNr 27, Stand Januar 2024).
21e) Dem hier gefundenen Ergebnis steht die Rechtsprechung des Senats ( - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43) zur Pflicht des Rentenversicherungsträgers, auch eine beanstandungsfrei durchgeführte Betriebsprüfung durch einen Verwaltungsakt, der den Bestimmtheitsanforderungen genügt und Gegenstand sowie Ergebnis der Prüfung angibt, zu beenden, nicht entgegen. Diese Rechtsprechung betrifft nicht Insolvenzforderungen. Der ihr zugrunde liegenden Erwägung, den Beteiligten eine ausreichende Rechtssicherheit über den Umfang der Betriebsprüfung zu verschaffen, ist bei Insolvenzforderungen durch die Anmeldung der Beitragsforderung zur Insolvenztabelle durch die Einzugsstelle und im Fall des Widerspruchs den darauf folgenden Erlass eines Verwaltungsakts Rechnung getragen.
223. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 161 Abs 1, § 154 Abs 1 bis 3 und § 162 Abs 3 VwGO.
234. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 Satz 1 iVm § 63 Abs 2 Satz 1 GKG. Von einer Festsetzung des Streitwerts in Höhe der zu erwartenden Insolvenzquote sieht der Senat ab. Da für den wirtschaftlichen Wert hinreichend belastbare Anhaltspunkte fehlen, erscheint ein Zurückgreifen auf den Auffangstreitwert in Höhe von 5000 Euro (§ 52 Abs 2 GKG idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 154) sachgerecht.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:130525UB12BA1223R0
Fundstelle(n):
JAAAK-00982