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BGH Beschluss v. - 2 StR 333/24

Instanzenzug: LG Aachen Az: 69 KLs 8/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Bestimmen Minderjähriger zum Absatz von Betäubungsmitteln“ und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und davon einen Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Ferner hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

21. Der Schuldspruch bedarf in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung, weil am das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom (KCanG, BGBl. I Nr. 109) in Kraft getreten ist und die neue Rechtslage bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO gebotenen konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall für den Angeklagten günstiger ist als die Rechtslage nach dem Tatzeitrecht. Im Fall II 2b ist der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG niedriger als der vom Landgericht zur Anwendung gebrachte Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG. Im Fall II 2a kann der Senat sicher davon ausgehen, dass das Landgericht, das den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG zur Anwendung gebracht hat, einen minder schweren Fall des § 34 Abs. 4 KCanG angenommen hätte.

3Der Angeklagte ist deshalb in Fall II 2a der Urteilsgründe nicht des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, sondern des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 2 KCanG in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG schuldig.

4In Fall II 2b der Urteilsgründe tritt an die Stelle der Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG die Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG. Während die nicht geringe Menge im Betäubungsmittelrecht ein Qualifikationsmerkmal darstellt, ist sie bei Cannabis nach § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG nur noch ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall und als solches nicht in die Urteilsformel aufzunehmen (vgl. etwa , Rn. 2).

5§ 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

62. Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.

73. Die Gesamtstrafe ist auch deshalb aufzuheben, weil die Urteilsgründe nicht alle Tatsachen angeben, die für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB von Bedeutung sind.

8a) Das angefochtene Urteil bezieht sich auf Taten des Angeklagten vom 20. und (Fall II 2a der Urteilsgründe) und vom (Fall II 2b der Urteilsgründe). Da der Angeklagte diese Taten vor dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom begangen hat und die dort verhängte Bewährungsstrafe bislang nicht erlassen worden ist, waren die Einzelstrafen aus diesem Urteil – wie von der Strafkammer zutreffend erkannt – grundsätzlich in die verhängte Gesamtstrafe einzubeziehen. Das Landgericht hat jedoch übersehen, dass der Angeklagte die dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom zugrunde liegenden Taten vom , und zum Teil vor dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom und dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom begangen hat, das allerdings ohne Rücksicht auf den Tatzeitpunkt dort keine Zäsurwirkung entfaltet (vgl. , NStZ-RR 2025, 116 f.). Die Verurteilungen vom und vom könnten daher teilweise untereinander gesamtstrafenfähig sein. Ist eine neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 Abs. 1 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abzuurteilende Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden (, NStZ-RR 2022, 371 mwN). Im Übrigen ermächtigt und verpflichtet § 55 StGB den Tatrichter, in rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen; die Rechtskraft einer Gesamtstrafe stellt auch dann kein Hindernis dar, wenn nicht alle in ihr zusammengefassten Einzelstrafen in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen sind, sie vielmehr zu verschiedenen Gesamtstrafen zusammengefügt werden oder als Einzelstrafe bestehen bleiben sollen (, NStZ-RR 2010, 9 mwN).

9b) Ob die Bildung der Gesamtstrafe danach dem Gesetz entsprach, ist anhand der getroffenen Feststellungen nicht zu beantworten. Denn die Strafkammer macht keine näheren Angaben zur Erledigung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom . Sie gibt lediglich an, dass die Strafe zusammen mit derjenigen aus dem Urteil vom in einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gemäß § 460 StPO vom einbezogen wurde; eine dies hindernde Zäsurwirkung des Strafbefehls des Amtsgerichts Aachen vom scheint dabei aufgrund von dessen zwischenzeitlicher Erledigung verneint worden zu sein. Entscheidend ist der Vollstreckungsstand der Strafe zum Zeitpunkt der Gesamtstrafenlage, die der von der Strafkammer vorgenommenen Gesamtstrafenbildung entgegenstehen könnte (vgl. , Rn. 12 mwN), mithin der Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom . Ob die mögliche Zäsurwirkung des Strafbefehls vom nicht nur die am , sondern auch die am begangene Tat aus diesem Urteil erfasste, hängt zudem davon ab, ob der Strafbefehl nach dieser Tat erlassen worden ist. Insofern hätte es näherer Angaben zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung bedurft (vgl. , Rn. 5 mwN). Im Fall der Unaufklärbarkeit der für § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bedeutsamen zeitlichen Verhältnisse ist nach dem Zweifelssatz zu entscheiden, wobei es darauf ankommt, was für den Täter in der konkreten Situation günstiger ist (vgl. , Rn. 7 mwN; LR-StPO/Sander, 27. Aufl., § 261 Rn. 203).

104. Von der Aufhebung des Strafausspruchs bleibt die Entscheidung über die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung unberührt (vgl. , Rn. 19 mwN). Die Einziehungsentscheidung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.

115. Soweit eine Gesamtstrafe mit den Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom zu bilden ist, wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB auch über die Anrechnung erbrachter Bewährungsleistungen zu befinden. Das Landgericht hat zu dieser zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe keine Feststellungen zu Bewährungsauflagen und ihrer Erfüllung getroffen, sondern lediglich mitgeteilt, dass die Strafvollstreckung „noch nicht vollständig erledigt“ sei.

Menges                                Meyberg                                Grube

                      Schmidt                                      Lutz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:030625B2STR333.24.0

Fundstelle(n):
XAAAK-00383