Gründe
I.
1Der Angeschuldigte ist am vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts München von diesem Tag, sodann aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ).
2Gegenstand des derzeit vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am in M. durch dieselbe Handlung zwei Menschen heimtückisch, mit gemeingefährlichen Mitteln und aus sonst niedrigen Beweggründen getötet, versucht, 54 Menschen heimtückisch, mit gemeingefährlichen Mitteln und aus sonst niedrigen Beweggründen zu töten, 54 andere Personen körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt sowie die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er vorsätzlich einen gefährlichen Eingriff vorgenommen habe, und dadurch vorsätzlich Leib oder Leben anderer Menschen gefährdet, wobei er in der Absicht gehandelt habe, einen Unglücksfall herbeizuführen, und durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen sowie eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht habe, strafbar gemäß § 211 Abs. 2 Variante 4, 5 und 7, § 223 Abs. 1, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2, § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB.
3Der Generalbundesanwalt hat unter dem Anklage gegen den Angeschuldigten zum Oberlandesgericht München erhoben. Nach Abschluss der Ermittlungen hat er den Tatvorwurf – unter Beschränkung des Verfahrens nach § 154a Abs. 1 Nr. 1 StGB betreffend Sachbeschädigungen – gewertet als Mord in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit 44 tateinheitlichen Fällen des versuchten Mordes, mit 25 tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung, mit 18 tateinheitlichen Fällen der Körperverletzung sowie mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Er hat neben sämtlichen im vollzogenen Haftbefehl genannten Strafgesetzen auch § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verletzt angesehen.
II.
4Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
51. Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
6a) Im Sinne eines solchen Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7Der aus Afghanistan stammende und seit dem Jahr 2016 in Deutschland lebende Angeschuldigte ist sunnitischer Muslim. Spätestens ab Herbst 2024 entwickelte er unter dem Einfluss islamisch-konservativer sowie in Teilen islamistisch und antiwestlich ausgerichteter afghanischer Geistlicher, deren Predigten er in sozialen Medien konsumierte, übersteigerte religiöse Vorstellungen, die mit der politischen Bewertung einhergingen, die USA und andere westliche Staaten seien für das Leid der muslimischen Bevölkerung in Afghanistan und im Nahen Osten verantwortlich.
8Auf dieser Grundlage gewann der Angeschuldigte spätestens am die Überzeugung, er sei aus religiösen Gründen dazu verpflichtet, als Reaktion auf die Situation der Muslime in islamisch geprägten Ländern willkürlich ausgewählte Personen in Deutschland anzugreifen und zu töten. Er rechnete damit, hierbei selbst ums Leben zu kommen. Seine Bereitschaft zu einer solchen Tat wurde durch diffuse Ängste sowie Wut und Enttäuschung über seine persönlichen Lebensumstände verstärkt.
9Am Vormittag des befuhr der Angeschuldigte in seinem Pkw vom Typ Mini die S. in M. in nördlicher Richtung. Zwischen den Kreuzungen zur M. und zur K. schloss er zu einer Kundgebung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) auf, deren etwa 1.400 Teilnehmer sich auf den drei Fahrspuren der S. zu Fuß ebenfalls in Richtung Norden bewegten. Den Schluss des Demonstrationszugs begleiteten fünf Polizeifahrzeuge und ein Unfallhilfewagen, die zu dessen Schutz in zwei Reihen versetzt dahinter fuhren.
10Nachdem der Angeschuldigte das Geschehen erfasst hatte, beschloss er, die Situation für sein beabsichtigtes Vorhaben auszunutzen. Zu diesem Zweck passierte er um 10:30 Uhr das letzte Begleitfahrzeug, scherte vor ihm ein und überholte die weiteren Begleitfahrzeuge, indem er mit noch mäßiger Geschwindigkeit durch den schmalen Korridor zwischen ihnen durchfuhr. Nach diesem sehr präzise Lenkbewegungen erfordernden Fahrmanöver beschleunigte er stark, steuerte seinen Pkw im Bereich der Kreuzung zur K. in das Ende der Menschenansammlung hinein und führte ihn, ohne zu bremsen oder weitere Lenkbewegungen vorzunehmen, durch die Demonstrationsteilnehmer hindurch. Nach der Kollision mit der zuerst getroffenen Person legte er noch eine Strecke von 23 Metern zurück, bis das Fahrzeug entgegen dem Willen des Angeschuldigten, der weiterhin das Gaspedal betätigte, zum Stillstand kam, weil die Vorderräder aufgrund vor und unter ihm liegender Personen den Bodenkontakt verloren hatten.
11Infolge der Fahrt des Angeschuldigten wurden eine 37 Jahre alte Frau und ihre in einem Kinderwagen befindliche zweijährige Tochter getötet; beide erlitten – bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 34 km/h – massive Kopfverletzungen, denen sie zwei Tage später erlagen. Zahlreiche weitere Menschen, die sich im hinteren Bereich des Demonstrationszugs aufhielten, wurden verletzt, teilweise schwer; eine Frau konnte dem Tatfahrzeug im letzten Moment ausweichen und blieb unversehrt. Während die Mehrzahl der Geschädigten dabei mit dem Pkw des Angeschuldigten kollidierte, wurden andere von Personen getroffen, die ihrerseits aufgrund des Zusammenstoßes mit dem Fahrzeug durch die Luft geschleudert oder umgestoßen wurden.
12Der vollverantwortlich handelnde Angeschuldigte beabsichtigte, eine möglichst große Anzahl von Personen in der Fahrspur seines Pkw zu treffen und zu töten. Er rechnete mit der Möglichkeit, dass darüber hinaus Menschen außerhalb des unmittelbaren Einwirkungsbereichs des Fahrzeugs durch Personen oder Gegenstände, die jeweils infolge der Kollision mit dem Fahrzeug durch die Luft geschleudert oder umgestoßen werden würden, getötet oder verletzt werden konnten. Des Weiteren erkannte er den Umstand, dass die Demonstrationsteilnehmer sich keines Angriffs versahen und infolgedessen in ihren Abwehrmöglichkeiten erheblich eingeschränkt waren, und nutzte ihn bewusst aus.
13b) Der Angeschuldigte, der noch am Tatort im Tatfahrzeug vorläufig festgenommen worden ist, hat zuletzt bei seiner polizeilichen Einvernahme sowie bei seiner psychiatrischen Exploration den Tatvorwurf im Wesentlichen eingestanden, wobei er zum eigentlichen Tatgeschehen eher oberflächliche Angaben gemacht hat. Er hat die religiös-politischen Beweggründe für die Tat eingeräumt und daneben als deren Anlass psychische Belastung, Ängste und Wut angeführt. Bei seinen Angaben zum motivationalen Tathintergrund haben sich allerdings gewisse Inkonsistenzen gezeigt.
14Daneben beruht der dringende Tatverdacht auf einer Vielzahl von sich einander bestätigenden und ergänzenden Ermittlungsergebnissen, insbesondere hinsichtlich
– des Kerngeschehens auf zahlreichen Zeugenaussagen, namentlich der bei dem Demonstrationszug eingesetzten Polizeibeamten und dem Fahrer des Unfallhilfewagens, auf Videoaufzeichnungen und dem eingeholten unfallanalytischen Sachverständigengutachten vom ,
– der Tatfolgen auf zwei Obduktionsberichten, rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten zu elf massiv an der Gesundheit Geschädigten, Arztdokumenten und Zeugenaussagen von Verletzten,
– der Tatmotivation und dem Vorgeschehen auf der Auswertung der auf dem Mobiltelefon des Angeschuldigten gespeicherten Daten, vor allem Chatkommunikation und Videodateien, auf den dazu gewonnenen Hintergrundinformationen (etwa zu den islamisch-konservativen afghanischen Predigern, die hochwahrscheinlich erheblichen Einfluss auf die religiös-politische Haltung des Angeschuldigten ausübten) sowie auf Zeugenaussagen von Personen aus seinem sozialen und beruflichen Umfeld.
15Die subjektive Tatseite ergibt sich mit dem nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche Verdachtsgrad aus Rückschlüssen aus dem objektiven Tatgeschehen unter Berücksichtigung der Einlassungen des Angeschuldigten und des schriftlichen Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen vom .
16In diesem Gutachten ist zudem im Einzelnen dargelegt, dass aus medizinischer Sicht beim Angeschuldigten zur Tatzeit keine psychische Störung vorlag, die einem der von § 20, 21 StGB vorausgesetzten Eingangsmerkmale zugeordnet werden könnte. Daher erübrige sich eine Betrachtung der Unrechtseinsichts- und der Steuerungsfähigkeit. Dass der Angeschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit vollverantwortlich handelte, steht überdies im Einklang mit den im Vorverfahren gewonnenen Erkenntnissen (s. dazu sogleich unter 4. b]).
17Wegen weiterer Einzelheiten wird verwiesen auf den vollzogenen Haftbefehl, die ihm zugrundeliegenden Antragsschrift vom und diejenige zur vorliegenden besonderen Haftprüfung vom . Eine in sich geschlossene Darstellung findet sich nunmehr im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift des Generalbundesanwalts.
18c) In rechtlicher Hinsicht ist die dem Angeschuldigten angelastete Tat unter Berücksichtigung der Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 1 StPO dahin zu beurteilen, dass er dringend verdächtig ist des Mordes – in zwei tateinheitlichen Fällen – in Tateinheit mit versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung und schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 211 Abs. 2 Variante 4, 5 und 7, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2, § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB).
19Mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichte der Angeschuldigte die Mordmerkmale der Tötung aus niedrigen Beweggründen sowie der heimtückischen und der mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen Tötung nach § 211 Abs. 2 Variante 4, 5 und 7 StGB (zu den gemeingefährlichen Mitteln vgl. − 4 StR 192/22, NStZ 2023, 288 Rn. 8 ff. mwN). Es besteht deshalb der dringende Verdacht des Mordes an den von dem Tatfahrzeug gleichzeitig erfassten beiden Getöteten. Darüber hinaus verübte der Angeschuldigte hochwahrscheinlich durch dieselbe Handlung im natürlichen Sinne gemäß § 52 Abs. 1 StGB (vgl. , BGHSt 63, 1 Rn. 17; LK/Scholze, StGB, 14. Aufl., Vor §§ 52 ff. Rn. 9, § 52 Rn. 6) zum Nachteil einer Vielzahl weiterer Menschen versuchte Morde, gefährliche Körperverletzungen und Körperverletzungen (zur Differenzierung zwischen den Körperverletzungsdelikten s. − 4 StR 192/22, aaO, Rn. 13 f. mwN; ferner , BGHSt 63, 138 Rn. 45). Die exakte Anzahl der jeweiligen idealkonkurrierenden Straftaten kann vorliegend dahinstehen. Denn für die Anordnung der Haftfortdauer kommt es darauf nicht an. Im Hinblick auf eine mutmaßliche Strafbarkeit nach § 223 Abs. 1 StGB hat der Generalbundesanwalt das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Sinne des § 230 Abs. 1 StGB bejaht.
202. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls (§ 169 Abs. 1 StPO) ergibt sich ohne Weiteres – wie im vollzogenen Haftbefehl und in der Anklageschrift dargelegt – aus § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, § 142a Abs. 1 GVG.
213. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).
22a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte, wenn er auf freien Fuß gelangte, dem Strafverfahren entzöge, als dass er sich ihm zur Verfügung hielte.
23Der Angeschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen (§ 211 Abs. 1 StGB). Zudem wird die besondere Schwere der Schuld zu prüfen sein (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB analog). Unabhängig davon, ob sie voraussichtlich festgestellt wird, begründet die Straferwartung einen hohen Fluchtanreiz. Die Gefahr einer Flucht wird noch dadurch erhöht, dass die hochwahrscheinliche Tat des Angeschuldigten Ausdruck seiner Ablehnung westlicher demokratischer Staatswesen ist. Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte afghanischer Staatsangehöriger ist, erst im Jahr 2016 als Flüchtling nach Deutschland kam und weiterhin über Kontakte zu seinen Angehörigen in Afghanistan verfügt.
24Alledem stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Insbesondere sind verfestigte berufliche oder soziale Bindungen von ihm in Deutschland, die geeignet wären, der Fluchtgefahr wirksam zu begegnen, nicht ersichtlich.
25b) Der Angeschuldigte ist außerdem eines Delikts aus dem Katalog des § 112 Abs. 3 StPO, des (versuchten) Mordes, dringend verdächtig. Die genannten Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte (zur gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift s. , juris Rn. 11 f.; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 112 Rn. 37 f. mwN).
26c) Eine – bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche – Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO [analog]) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
274. Entgegen dem Antrag eines der Verteidiger des Angeschuldigten ist der Haftbefehl nicht durch einen Unterbringungsbefehl gemäß § 126a Abs. 1 und 2 Satz 1 i.V.m. § 114 StPO zu ersetzen (zu dieser Möglichkeit im Verfahren der §§ 121, 122 StPO s. Brandenburgisches [S], juris Rn. 42; MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 126a Rn. 61, 63). Das ergibt sich bereits daraus, dass derzeit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine einstweilige Unterbringung nicht vorliegen:
28a) Nach § 126a Abs. 1 StPO kann ein Unterbringungsbefehl nur erlassen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird. Die Merkmale der dringenden Gründe entsprechen denjenigen des dringenden Tatverdachts im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO (s. , juris Rn. 11; BeckOK StPO/Krauß, 56. Ed., § 126a Rn. 5). Das erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit zum einen dahin, dass im Tatzeitpunkt die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, zum anderen dahin, dass im Urteilszeitpunkt die Anordnung jedenfalls einer der Maßregeln der §§ 63, 64 StGB zu erwarten ist (s. KG, Beschlüsse vom – 5 Ws 237/21, aaO; vom – 3 Ws 38/23, juris Rn. 15; MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 126a Rn. 11, 13).
29b) Ein solches Wahrscheinlichkeitsurteil und eine solche Wahrscheinlichkeitsprognose können derzeit nicht getroffen werden. Aufgrund der im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse lag vielmehr beim Angeschuldigten hochwahrscheinlich zur Tatzeit keine psychische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB vor, so dass auch seine – hier allein in Rede stehende – Unterbringung nach § 63 StGB nicht zu erwarten ist. Soweit der Verteidiger gegenüber dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs unter dem 6. und vorgebracht hat, der leitende Psychiater der psychiatrischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt St. habe bei dem Angeschuldigten nunmehr eine schwere Ausprägung einer chronifizierten Schizophrenie diagnostiziert, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung.
30Zur Prüfung einer Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit sowie einer einstweiligen Unterbringung des Angeschuldigten sind umfangreiche Ermittlungen geführt und insbesondere das schriftliche Gutachten eines besonders qualifizierten psychiatrischen Sachverständigen eingeholt worden. In der Justizvollzugsanstalt M. war am der hochgradige Verdacht auf eine paranoide Psychose gestellt worden, woraufhin der Angeschuldigte in die psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt St. verlegt worden war. Das von dem Sachverständigen unter dem erstattete schriftliche Gutachten ist gestützt auf die bis dahin in den Sachakten verschrifteten Ermittlungsergebnisse zuzüglich Videoaufnahmen der Festnahme, Vorführung beim Haftrichter und Vernehmung durch die Polizei, eine eingehende Exploration des Angeschuldigten mit einem ersten tatnahen Termin am , eine neuropsychologische Testung, eine MRT-Untersuchung seines Kopfes, die in der Justizvollzugsanstalt geführte Gesundheitsakte und die Angaben des behandelnden Psychiaters.
31Der psychiatrische Sachverständige ist auf dieser Grundlage – in Übereinstimmung mit einer Stellungnahme des behandelnden Psychiaters vom – zu dem Ergebnis gelangt, beim Angeschuldigten sei keine zur Tatzeit bestehende psychische Störung mit Krankheitswert festzustellen. Insbesondere hat er eine Psychose im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie („paranoide Psychose“) ausgeschlossen. Dies hat er im Einzelnen vor allem mit den Angaben des Angeschuldigten bei den Explorationsgesprächen und mit dem Fehlen für die Erkrankung typischer Symptome begründet.
32Unter Berücksichtigung dessen folgen aus dem der Gutachtenerstattung nachfolgenden Behandlungsverlauf in der psychiatrischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt St. – einschließlich der etwaigen kürzlich gestellten Diagnose einer Schizophrenie – keine dringenden Gründe für die Annahme, er habe sich bereits bei Begehung der Tat in einem seine Schuldfähigkeit ausschließenden oder erheblich vermindernden Zustand befunden. Die erforderliche hohe oder selbst eine nur überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass er in einem solchen Zustand handelte, geht daraus nicht hervor. Indes ist es nicht zulässig, die einstweilige Unterbringung nach § 126a Abs. 1 StPO anzuordnen, um überhaupt erst aufzuklären, ob entgegen einer beanstandungsfreien sachverständigen Begutachtung ihre gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Dass die Behandlung einer schweren psychischen Erkrankung gegebenenfalls auch im Justizvollzug vorzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen des § 126a Abs. 1 StPO nicht erfüllt sind, und dass neue Erkenntnisse in die Beurteilung durch den seit Anklageerhebung mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenat unter Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe einzufließen haben, bedarf keiner näheren Begründung.
33c) Die vom Verteidiger begehrte Einholung einer Stellungnahme des behandelnden Psychiaters durch den Senat ist vor diesem Hintergrund nicht veranlasst.
34d) Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom und das schriftliche Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen verwiesen.
355. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gegeben. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bisher in der für Haftsachen gebotenen Weise gefördert worden:
36Die Verfahrensakten umfassen mehr als 60 Stehordner. Im Anschluss an die vorläufige Festnahme des Angeschuldigten sind mehr als 400 Zeugen vernommen worden. Zudem ist sein am Tattag sichergestelltes Smartphone ausgewertet worden. Dies hat sich als aufwändig gestaltet. Im Speicher des Geräts hat sich ein Datenbestand von etwa 86 Gigabyte befunden, der neben einer Vielzahl von Bild- und Videodateien eine umfangreiche, teilweise in der afghanischen Landessprache Dari geführte Chatkommunikation umfasst hat. Des Weiteren sind aufwändige kriminaltechnische Untersuchungen notwendig gewesen. Ferner sind Sachverständigengutachten verschiedener Fachdisziplinen (Unfallanalytik, Rechtsmedizin, Psychiatrie) eingeholt worden.
37Unter den aufgezeigten Umständen wird die Anklageerhebung, die circa sechs Monate nach der Invollzugsetzung des ersten in dieser Sache ergangenen Haftbefehls erfolgt ist, dem Anspruch des inhaftierten Angeschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EMRK) gerecht.
38Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom Bezug genommen.
396. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Berg Voigt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:030925BAK65.25.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-99982