Instanzenzug: Saarländisches Az: 2 U 3/21vorgehend Az: 12 O 211/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im April 2018 von einem Händler einen gebrauchten VW Multivan, in dem ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) eingebaut ist.
2Der Kläger hat zuletzt die Aufhebung und Zurückverweisung der erstinstanzlichen Entscheidung (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten (Berufungsantrag zu 2.1), die Freistellung von Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 2.2) sowie die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 2.3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers durch Urteil zurückgewiesen. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge insoweit weiter.
Gründe
3Revision
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten könne nicht festgestellt werden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein in die Motorsteuerungssoftware implementiertes "Thermofenster" oder eine durch die Fahrkurve initiierte Prüfzykluserkennung dazu genutzt würden, eine Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand vorzutäuschen. Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, da es sich bei den genannten Rechtsnormen nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele, die den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers bezweckten.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Endentscheidung
11Differenzschadenzu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:030925UVIAZR694.22.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-99521