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BGH Urteil v. - VIa ZR 26/24

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 3 U 194/22vorgehend LG Würzburg Az: 94 O 2154/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2017 von einem Händler ein neues Wohnmobil Dethleffs Globebus GT 06. Das von der Beklagten hergestellte Basisfahrzeug Fiat Ducato ist mit einem 2,3-Liter-Dieselmotor des Typs Multijet (Baumusterbezeichnung F1AGL411C, Schadstoffklasse Euro 6) mit einer Leistung von 110 kW ausgerüstet. Für den Typ des Basisfahrzeugs hatte das Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (MIT) der Republik Italien eine EG-Typgenehmigung erteilt.

2Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt die Zahlung von 70.464,28 € (Kaufpreis von 69.700 € und Kosten für nachträgliche Einbauten von 764,28 €) nebst Prozesszinsen abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs, die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung entstandener oder entstehender weiterer Schäden, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger seine Klageanträge weiterverfolgt. Für den Fall, dass er keinen "großen" Schadensersatz verlangen könne, hat er hilfsweise den Ersatz von 15 % des Kaufpreises abzüglich von der Beklagten darzulegender Vorteile nebst Prozesszinsen begehrt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers im Beschlussweg zurückgewiesen.

4Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zuletzt mit der Maßgabe weiter, dass er wegen der weiteren Nutzung des Fahrzeugs statt eines Betrags von 70.464,28 € lediglich noch einen Betrag von 43.393,28 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des erworbenen Fahrzeugs verlangt. Darüber hinaus verfolgt der Kläger nur noch den Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und den Hilfsantrag auf Ersatz von 15 % des Kaufpreises abzüglich etwaiger von der Beklagten darzulegender Vorteile nebst Prozesszinsen weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Die vom Kläger in erster Linie gestellten Anträge seien unbegründet. Ein Anspruch nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht. Selbst wenn die behauptete Abschaltung der Abgasreinigung nach einem Zeitfenster (sogenannter "Timer") und die temperaturgesteuerte Abgasrückführung (sogenanntes "Thermofenster") vorhanden und als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren seien sowie prüfstandsbezogen arbeiten sollten, scheiterten sämtliche deliktischen Ansprüche daran, dass es an einem Verschulden der Beklagten fehle, weil diese sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe. Aufgrund der Zurückweisung der Hauptanträge im Beschlussweg sei der im Berufungsverfahren klageändernd gestellte Hilfsantrag wirkungslos.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann weder ein Anspruch aus § 826 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint werden.

91.

10a) Diese Annahme setzt voraus, dass der Fahrzeughersteller sowohl einen konkreten Rechtsirrtum seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter als auch die Unvermeidbarkeit des Rechtsirrtums mit Blick auf sämtliche für die Prüfung der Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung maßgeblichen Einzelheiten konkret darlegt und erforderlichenfalls beweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 63 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.). Insbesondere genügt - wovon das Berufungsgericht allerdings auch nicht ausgegangen ist - für die Entlastung des Herstellers nicht seine Berufung darauf, dass ihm eine EG-Typgenehmigung erteilt wurde oder erteilt worden wäre. Denn eine solche (hypothetische) Genehmigung muss nicht in jedem Fall in Kenntnis sämtlicher für die Prüfung der Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung maßgeblichen Einzelheiten erteilt sein. Folglich bedeutet sie nicht zwangsläufig, dass die zuständige Behörde die Einschätzung des Herstellers bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der in Rede stehenden Abschalteinrichtung bestätigt hat oder hätte (vgl. , juris Rn. 79 ff.; VIa ZR 335/21, aaO Rn. 63 ff.).

11welche konkreten (Fehl-)Vorstellungen die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten hinsichtlich der genauen Bedatung und Funktionsweise eines im Fahrzeug des Klägers verbauten "Thermofensters" und/oder eines darin implementierten "Timers" sowie der Rechtmäßigkeit der Einrichtungen in ihrer konkreten Ausgestaltung und gegebenenfalls ihrer Kombination hatten, fehlen jegliche Feststellungen.

122. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen lassen sich Ansprüche aus § 826 BGB auch im Übrigen nicht verneinen.

13a) Hat die Genehmigungsbehörde die gerügten Funktionen im Rahmen ihrer Untersuchungen überprüft und nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft, bleibt zwar kein Raum für die Annahme, der beklagte Hersteller habe eine dieser Funktionen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus (vgl. VIa ZR 506/21, juris Rn. 11 mwN). Dass es sich hier so verhielt, ergeben die von dem Berufungsgericht bisher getroffenen Feststellungen jedoch ebenfalls nicht. dem Berufungsgericht

14b) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Rechtsauffassung der Beklagten ist eine Haftung nach § 826 BGB aus Rechtsgründen auch nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil feststünde, dass die Beklagte nicht für die etwaige Ausstattung des in dem Fahrzeug verbauten Motors mit unzulässigen Abschalteinrichtungen verantwortlich wäre oder Personen, deren Kenntnis sie sich zurechnen lassen müsste, davon nicht gewusst hätten. Feststellungen des Berufungsgerichts dazu fehlen.

15Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

16Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der bislang lediglich unterstellten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer deliktischen Haftung der Beklagten zu treffen haben.

                                                                        

                                                                        

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:030925UVIAZR26.24.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-99259