Gründe
1I. In der Hauptsache begehrt der Kläger neben der Zuerkennung des Merkzeichens RF noch die rückwirkende Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG ab Antragstellung im August 2018, die das SG erst mit Wirkung ab September 2020 bejaht hat.
2Gegen das der Klage (nur) insoweit stattgebende erstinstanzliche Urteil haben zunächst beide Beteiligte fristgerecht Berufung eingelegt; der Beklagte hat sein Rechtsmittel aber vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG die Kostenentscheidung des SG geändert; in der Sache hat es die Berufung "zurückgewiesen". Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, hinsichtlich des Merkzeichens aG sei die Berufung bereits unzulässig, da das Urteil des SG insoweit rechtskräftig geworden sei. Der Kläger habe sein Rechtsmittel ausweislich der Berufungsschrift (anders als seine Klage) nur "wegen" des Merkzeichens RF eingelegt, was angesichts seines teilweisen Obsiegens im Klageverfahren auch folgerichtig erscheine. Jedenfalls sei die Berufung aber auch insoweit - ebenso wie bezüglich des Merkzeichens RF - unbegründet (Urteil vom ).
3Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und diese mit einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und einer Divergenz zur Rechtsprechung des BSG begründet.
4II. Werden - wie hier - mehrere eigenständige Streitgegenstände im Sinne einer objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) geltend gemacht, erfordert die Zulassung der Revision die formgerechte Darlegung von Zulassungsgründen für jeden prozessualen Anspruch (vgl - juris RdNr 5 mwN; - juris RdNr 4). Da sich die Beschwerdebegründung auf die Feststellung des Merkzeichens aG beschränkt, bezüglich der Entscheidung des LSG über das (fehlende) Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF aber keinen Revisionszulassungsgrund geltend macht, geht der Senat davon aus, dass sich die Nichtzulassungsbeschwerde lediglich auf die Entscheidung des LSG über das Merkzeichen aG bezieht. Im Übrigen ist das Urteil des LSG damit bereits nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist rechtskräftig geworden.
5Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin keinen Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG) ordnungsgemäß dargetan.
61. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt.
7Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher unter Berücksichtigung des anwendbaren Rechts und der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Frage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb ihre Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 6 mwN).
8Der Kläger misst folgender Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung bei:"Sind bei der Auslegung von Erklärungen der klagenden Partei zum Streitgegenstand ausschließlich Äußerungen zu berücksichtigen, die innerhalb der Berufungsfrist abgegeben werden, auch wenn die Berufung nur fristwahrend eingelegt wird und in der Berufungsschrift Antragstellung und Begründung erst angekündigt werden?"
9Die Beschwerdebegründung zeigt aber die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht auf. Sie beschränkt sich vielmehr auf eine Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur entsprechenden Problematik bei der Klageerhebung. Im vorliegenden Fall hätte es indes einer Auseinandersetzung mit der Senatsentscheidung zur Hemmung der Rechtskraft nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 705 Satz 2 ZPO bedurft ( - juris RdNr 8). Danach (und nach der dort zitierten BGH-Rechtsprechung) ist bei einem statthaften Rechtsmittel eine Erweiterung der Rechtsmittelanträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig, soweit nicht hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands ein eindeutiger Rechtsmittelverzicht erklärt wurde, der jedoch im Zweifel nicht allein in der Stellung beschränkter Rechtsmittelanträge zu erblicken sei.
102. Der Kläger hat auch die von ihm gerügte Divergenz nicht in der gebotenen Weise bezeichnet.
11Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen (stRspr; zB - juris RdNr 8 mwN). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB - juris RdNr 6 mwN).
12Daran fehlt es hier. Der Kläger hält dem LSG im Wesentlichen vor, bei der Auslegung der Berufungsschrift zu seinen Lasten den in ständiger Rechtsprechung des BSG anerkannten Meistbegünstigungsgrundsatz nicht angewandt zu haben. Dazu verweist er auf folgende Rechtssätze, die er der höchstrichterlichen Rechtsprechung entnimmt:"Jede Beschränkung des Streitgegenstands setzt jedoch aus Gründen der Rechtsklarheit und im Hinblick darauf, dass die Kläger im Zweifel das für sie Günstigste begehren, eine unzweifelhafte und ausdrückliche Erklärung der Kläger voraus.""Allein aus fehlenden Äußerungen des Klägers zu abtrennbaren Aspekten eines Verwaltungsakts kann regelmäßig nicht geschlossen werden, dass die betreffende Teilregelung nicht angefochten sein, sondern in Bestandskraft erwachsen soll. Nur wenn der Wille des Klägers zur Begrenzung des Streitgegenstands klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen ist, kann eine Teilanfechtung oder eine teilweise Klagerücknahme angenommen werden."
13Dieser BSG-Rechtsprechung stellt er folgenden Rechtssatz des LSG gegenüber:"Die Auslegung von Erklärungen der klagenden Partei zum Streitgegenstand im Rechtsmittelverfahren richtet sich nicht danach, was dem Kläger den größten Nutzen bringen kann, sondern nur nach den Erklärungen, die innerhalb der Berufungsfrist abgegeben werden, und bestimmt sich vornehmlich nach deren Wortlaut, einschließlich der 'wegen'-Angabe (Betreffzeile) im Rubrum der Berufungsschrift."
14Die Beschwerdebegründung zeigt aber nicht auf, an welcher Stelle seines Urteils und durch welche konkrete Aussage das LSG hier einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat. Sie geht vielmehr selbst davon aus, das LSG sei lediglich "sinngemäß" von der ihm zugeschriebenen rechtlichen Einschätzung ausgegangen, die zudem ersichtlich von den Umständen des vorliegenden Einzelfalls geprägt ist. Dieser Vortrag schließt es nicht aus, dass das LSG die abstrakten rechtlichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung teilt und nur im Fall des Klägers zu einem abweichenden Auslegungsergebnis gekommen ist. Dies würde aber allenfalls einen Rechtsanwendungsfehler darstellen, der den Zugang zur Revisionsinstanz nicht eröffnet. Allein die - behauptete - Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB aufgrund der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (stRspr; zB - juris RdNr 16; - juris RdNr 6).
15Wenn der Kläger indes auf diese Weise aus der Entscheidung des LSG einen so genannten verdeckten Rechtssatz ableiten wollte, hätte er darlegen müssen, an welcher Stelle und mithilfe welcher anerkannten Methodik sich dieser vom LSG nicht ausdrücklich so formulierte Rechtssatz gleichwohl dem Urteil entnehmen lässt. Für eine Divergenzrüge reicht es dagegen nicht aus, wie der Kläger ohne nähere Herleitung lediglich eine mögliche Lesart des Urteils anzuführen. Es genügt grundsätzlich auch nicht, aus der konkreten Rechtsanwendung im Einzelfall auf einen Rechtssatz zu schließen ( - juris RdNr 10 mwN; - juris RdNr 9).
163. Der Kläger hat auch den nur sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.
17Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
18Zwar lässt das Vorbringen des Klägers inzident erkennen, dass er davon ausgeht, das LSG habe zu Unrecht ein Prozessurteil anstelle eines Sachurteils erlassen (dazu etwa - juris RdNr 6; - juris RdNr 4). Auch bei diesem Verfahrensfehler muss die Beschwerdebegründung indes, weil es sich nicht um einen absoluten Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 ZPO) handelt, substantiiert darlegen, dass die Entscheidung des LSG auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr; vgl - juris RdNr 7; - juris RdNr 7; - juris RdNr 9).
19Daran fehlt es hier. Die Möglichkeit, dass die klägerische Berufung ausgehend von der Rechtsansicht des LSG Erfolg hätte haben können, wird nicht nachvollziehbar aufgezeigt. Soweit der Kläger bei seinen Ausführungen zum Beruhenszusammenhang im Rahmen der Divergenzrüge der Hilfsbegründung des LSG, er habe die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG nicht vor September 2020 erfüllt, entgegentritt, wendet er sich letztlich gegen dessen (medizinische) Beweiswürdigung. Letztere entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indes vollständig der Beurteilung durch das BSG im Beschwerdeverfahren. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (vgl zB - juris RdNr 15 mwN). Vor diesem Hintergrund kann hier dahinstehen, ob die Erwägungen des LSG zur Unbegründetheit der Klage - wie der Kläger meint - als "nicht geschrieben" gelten.
20Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
214. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
225. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:120825BB9SB325B0
Fundstelle(n):
JAAAJ-98948