Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen der Online-Veröffentlichung beleidigender Videoclips - Unzulässigkeit mangels substantiierter Darlegung einer Grundrechtsverletzung
Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 185 StGB
Instanzenzug: Az: III-4 ORs 134/24 Beschlussvorgehend LG Detmold Az: 25 NBs-21 Js 570/22-70/23 Urteilvorgehend AG Detmold Az: 2 Ds-21 Js 570/22-306/23 Urteil
Gründe
A.
1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung.
I.
2 1. Der Beschwerdeführer betreibt einen YouTube-Kanal mit derzeit knapp 600.000 Abonnenten. Dabei bezeichnet er sich als "(...)" und sieht sich unter diesem Pseudonym als Kunst- und Kultfigur. Er veröffentlicht zahlreiche Video-Kurzfilme mit aktuellen politikkritischen und - nach seinem Verständnis - satirischen Inhalten im Internet. Die drei streitgegenständlichen Videos werden in den Tatbeständen der angegriffenen Entscheidungen näher beschrieben. Sie bestehen jeweils aus einer Collage von verschiedenen Videosequenzen aus Nachrichtensendungen und Filmen, die aneinandergeschnitten sind, sowie Sequenzen, die den Beschwerdeführer in einer Art Studio zeigen, während er die entsprechenden Nachrichten kommentiert. Die streitgegenständlichen Videos beziehen sich auf drei jeweils klar zu identifizierende deutsche Politikerinnen. In zwei der drei Videos ist unter anderem eine Filmsequenz eingeschnitten, in der eine Person aus einem Fahrzeug "Ey, Du kleine Fotze! Ey, Du kleine Fotze, Du dreckige!" rief, nachdem zuvor Sequenzen, die die jeweils betroffene Politikerin zeigten, eingeblendet wurden. Im dritten Video kommentierte der Beschwerdeführer eine Äußerung einer dritten Politikerin bezogen auf das Themenfeld der Migrationsbegrenzung in ironischem Ton mit dem Satz "Papperlapapp, die aufgedunsene Dampfnudel, fliegt die ein, wir haben Platz!".
3 2. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer wegen Beleidigung in drei Fällen aufgrund des zuvor geschilderten Sachverhalts verurteilt.
4 3. Das Landgericht hat die Berufung des Beschwerdeführers verworfen.
5 Insbesondere seien seine Äußerungen nicht durch die Kunstfreiheit oder die Meinungsfreiheit gedeckt. Die Bezeichnungen als "Fotze" und als "aufgedunsene Dampfnudel" seien als Schmähkritik zu verstehen. Zumindest müsste im Wege einer Abwägung in allen drei Fällen die Kunst- und Meinungsfreiheit hinter das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurücktreten. Sämtliche Äußerungen ließen jeden Bezug zu den in den vorherigen Beiträgen berührten Themen oder zu sonstigen sachlichen Themen vermissen und dienten lediglich der Herabwürdigung der so bezeichneten Person. Insbesondere die Äußerung "Ey, Du kleine Fotze, Du dreckige" enthalte keinerlei sachlichen Inhalt. Die Bezeichnung der dritten Politikerin als "aufgedunsene Dampfnudel" sei zwar mit einer ironischen Meinungsäußerung "Fliegt sie alle ein" verbunden, habe jedoch selbst keinen Sachkern und keinen Bezug zu der Äußerung aufgewiesen, sondern sei reduziert auf das Aussehen dieser Politikerin, das abschätzig und herabwürdigend kommentiert werde. In allen drei Fällen stehe auch nicht die künstlerische Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit bestimmten Themen im Vordergrund. Vielmehr bediene er sich lediglich der Kunstform der Satire, um die in Bezug genommenen Personen herabzuwürdigen. Die Kammer verkenne bei der Abwägung nicht, dass sich die Betroffenen als Politikerinnen, die sich freiwillig in die Öffentlichkeit begäben und zum Gegenstand öffentlicher Debatten gemacht hätten, aus diesem Grund in höherem Maße deutlichere und auch polemischere Kritik gefallen lassen müssten. Aber auch in der Öffentlichkeit stehende Personen müssten Formalbeleidigungen oder auf ihr Äußeres reduzierte herabwürdigende Äußerungen, die jede sachliche Auseinandersetzung vermissen ließen, nicht hinnehmen. Dies gelte umso mehr, als die Äußerungen nicht im Rahmen einer Debatte spontan gefallen seien, sondern von dem Beschwerdeführer überlegt in seine Videos eingearbeitet worden seien.
6 4. Das Oberlandesgericht hat ohne weitere Begründung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Beschwerdeführers beziehungsweise seines Verteidigers einstimmig beschlossen, die Revision als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben habe.
II.
7 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
8 Das Landgericht habe das Gewicht der Meinungs- und Kunstfreiheit bei der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Politikerinnen verkannt. So seien die Äußerungen zu Unrecht als Schmähkritik eingeordnet worden, während gleichzeitig festgestellt worden sei, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit hinter das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückzutreten habe, was widersprüchlich sei. Das Landgericht habe sich bei allen drei Sequenzen nicht ausreichend mit dem Kontext der Äußerung auseinandergesetzt. Die Quintessenz sei in einem Fall gewesen, dass die betroffene Politikerin in ihrer eigenen Vielfältigkeitsblase abgesoffen sei. Auch im anderen Fall sei die herangezogene kurze Videosequenz aus dem Gesamtzusammenhang gerissen worden. Im dritten Fall sei die Bezeichnung der Person als "aufgedunsene Dampfnudel" nicht hinreichend interpretiert worden. Der Dampf zu der Nudel sei als Synonym für Reden - vergleiche Dampf ablassen, Dampfplauderer - zu sehen. Man könne die Bezeichnung auch so auslegen, dass nur heißer Dampf und sonst nichts käme. Die "Dampfnudel" sei als kritische Überspitzung einer gescheiterten Politik zu verstehen. Daher handele es sich nicht um eine Schmähkritik.
B.
9 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil keine zwingenden Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegen und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig und hat deswegen keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und § 92 BVerfGG.
I.
10 Bei der Begründung der Verfassungsbeschwerde muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Gründen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 101, 331 <345>; 105, 252 <264>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 101, 331 <346>; 102, 147 <164>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Der behauptete Grundrechtsverstoß ist in Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 130, 1 <21>; 142, 234 <251 Rn. 28>; 149, 86 <109 Rn. 61>).
II.
11 Nach diesem Maßstab zeigt der Beschwerdeführer nicht substantiiert die Möglichkeit auf, durch die angegriffenen Entscheidungen in seinen Grundrechten verletzt zu sein.
12 1. Bezogen auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts legt die Verfassungsbeschwerde schon nicht dar, worin angesichts der einfachrechtlich in statthafter Weise fehlenden Begründung des angegriffenen Beschlusses (vgl. § 349 Abs. 2 StPO) eine mögliche Grundrechtsverletzung liegen könne.
13 2. Bezogen auf die Entscheidung des Landgerichts ist weder eine mögliche Verletzung der Kunstfreiheit (a) noch der Meinungsfreiheit (b) dargetan.
14 a) Selbst wenn man vom Vorliegen eines Kunstwerkes ausginge, hat die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend dargelegt, dass eine Verurteilung auf dieser Grundlage ausscheidet. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf den Vorwurf, dass die Äußerungen nicht ausreichend im Kontext des Gesamtwerkes gedeutet worden seien und die Voraussetzung einer Schmähkritik nicht erfüllten. Die Frage, inwieweit das Vorliegen von Schmähkritik über die anerkannte Bedeutung in der Dogmatik der Meinungsfreiheit (vgl. zum Zurücktreten der Meinungsfreiheit hinter das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei Schmähkritik BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2646/15 -, Rn. 13; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1954/17 -, Rn. 11) hinaus auch für die Kunstfreiheit erheblich ist, wird nicht erörtert. Auch sind die Grundsätze einer werkimmanenten Interpretation, die den spezifischen Wirkungsbedingungen von Kunst Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 119, 1 <27>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 519/08 -, Rn. 45; zu Kunstwerken mit satirischem und karikierendem Gehalt BVerfGE 75, 369 <377 f.>), nicht ausreichend unter Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung angewendet worden.
15 b) Auch hinsichtlich einer möglichen Verletzung seiner Meinungsfreiheit genügt der Beschwerdeführer nicht den Darlegungsanforderungen.
16 aa) Der Beschwerdeführer hat nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass das Landgericht fälschlicherweise vom Vorliegen von Schmähkritik (vgl. dazu BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 19; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1073/20 -, Rn. 29) ausgegangen ist.
17 bb) Darüber hinaus hat sich der Beschwerdeführer nicht inhaltlich damit auseinandergesetzt, dass das Landgericht zumindest eine hilfsweise Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Politikerinnen durchgeführt hat und es deswegen nicht darauf ankommt, ob eine Schmähkritik, die eine Abwägung entbehrlich machen würde, vorliegt. Weshalb die hilfsweise Abwägung verfassungsrechtlichen Anforderung nicht genügen sollte, legt die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend dar (vgl. zur hilfsweisen Abwägung BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 25, und - 1 BvR 362/18 -, Rn. 24; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2249/19 -, Rn. 19).
18 cc) Soweit der Beschwerdeführer einen Widerspruch zwischen der Annahme einer Schmähkritik einerseits und einer hilfsweisen Abwägung anderseits rügt, setzt er sich nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander, nach der die gerichtliche Feststellung einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik eine - hilfsweise - Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten nach den konkreten Umständen des Falles nicht ausschließt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 25, und - 1 BvR 362/18 -, Rn. 24; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2249/19 -, Rn. 19; zur Möglichkeit einer hilfsweisen Abwägung auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1024/19 -, Rn. 28).
19 Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
20 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250609.1bvr272124
Fundstelle(n):
MAAAJ-98652