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BGH Beschluss v. - XII ZB 157/24

Bestehen eines Interessenkonflikts zwischen Betroffenem und Betreuer: Entziehung der Vertretungsbefugnis des Betreuers nach neuem Recht; Anordnung einer geteilten Mitbetreuung; Doppelfunktion als Betreuer und Testamentsvollstrecker

Leitsatz

1.    Seit der zum in Kraft getretenen Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts ist die isolierte gerichtliche Entziehung der Vertretungsbefugnis des Betreuers wegen erheblichen Interessengegensatzes nicht mehr zulässig. § 1789 Abs. 2 BGB ist nicht analog anwendbar.

2.    Das Bestehen eines Interessenkonflikts zwischen Betroffenem und Betreuer ist bei der Erstanordnung der Betreuung zu berücksichtigen und kann Grund zur Anordnung einer geteilten Mitbetreuung nach § 1817 Abs. 1 Satz 2 BGB geben. Diese kann auch nachträglich im Wege der teilweisen Entlassung des Betreuers nach § 1868 Abs. 1 BGB und der Bestellung eines weiteren Betreuers erfolgen.

3.    Die Doppelfunktion als Betreuer und Testamentsvollstrecker löst für sich genommen noch keine Notwendigkeit einer gesonderten Bestellung eines weiteren Betreuers aus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom - XII ZB 2/07, FamRZ 2008, 1156).

Gesetze: § 1796 BGB vom , § 1789 Abs 2 BGB, § 1815 BGB, § 1817 Abs 1 S 2 BGB, § 1868 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: 4 T 334/23 Beschlussvorgehend AG Siegburg Az: 43 XVII 105/04

Gründe

1Die im Jahr 1967 geborene Betroffene leidet an einer mittelgradigen Intelligenzminderung bei Morbus Down. Für sie ist seit 2004 eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögens- und Behördenangelegenheiten eingerichtet. Bis Anfang 2023 war ihre Mutter zur Betreuerin und ihre Schwester, die Beteiligte zu 1, zur Verhinderungsbetreuerin bestellt.

2In einem notariell beurkundeten Testament der Mutter aus dem Jahr 2011 ist die Betroffene als nicht befreite Vor- und Alleinerbin eingesetzt. Die drei Kinder der Beteiligten zu 1 sind zu gleichen Teilen als Nacherben eingesetzt. Die Beteiligte zu 1 ist zur Testamentsvollstreckerin bestimmt. Das Testament enthält nähere Maßgaben zur Verwendung der Erträge aus dem Nachlass zu Gunsten der Betroffenen, eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB sowie die Bestimmung einer angemessenen Vergütung für die Testamentsvollstreckertätigkeit.

3Seit dem Tod der Mutter ist die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin und deren Tochter, die Beteiligte zu 2, seit Juli 2023 zur Verhinderungsbetreuerin bestellt. Die Beteiligte zu 2 lebt seit einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands der Betroffenen mit ihr in häuslicher Gemeinschaft und versorgt und pflegt sie. Die Beteiligte zu 2 wohnt im von der Betroffenen geerbten Anwesen und erhält neben einer Verrechnung mit der auf 250 € vereinbarten Miete eine Vergütung von monatlich 250 €.

4Das Amtsgericht - Rechtspflegerin - hat den Beteiligten zu 3, einen Rechtsanwalt, mit dem Aufgabenkreis „Wahrnehmung der Rechte der Betroffenen gegenüber der Testamentsvollstreckerin sowie Abschluss einer Miet- und Pflegevereinbarung mit der Verhinderungsbetreuerin“ zum Ergänzungsbetreuer bestellt. Die von der Beteiligten zu 1 dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht nach Bestellung der Beteiligten zu 4 zur Verfahrenspflegerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1, mit welcher sie weiterhin die Aufhebung der Ergänzungsbetreuung erstrebt.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts, dessen Entscheidung in FamRZ 2025, 544 veröffentlicht ist, hat die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gemäß § 1817 Abs. 5 BGB neben dem Fall von § 1824 BGB iVm § 181 BGB auch zu erfolgen, wenn eine Interessenkollision im Sinne des § 1789 Abs. 2 BGB vorliegt. Ähnlich wie bei der Notwendigkeit einer Ergänzungspflegerbestellung für einen minderjährigen Erben bei Testamentsvollstreckung seines das Sorgerecht innehabenden Elternteils sei darauf abzustellen, ob konkreter Anlass zu der Annahme besteht, der Vertreter werde die Belange des Vertretenen nicht im gebotenen Maße wahren und fördern. Die Anordnung der Ergänzungsbetreuung unter Berücksichtigung der hier gegebenen Umstände sei danach nicht zu beanstanden. Der erhebliche Interessengegensatz liege bei der Betrachtung des vorliegenden Falles zum einen konkret darin, dass die Beteiligte zu 1 zugleich die rechtliche Vertreterin der Betroffenen, nicht berücksichtigter Abkömmling der verstorbenen Mutter sowie Testamentsvollstreckerin für die Betroffene als Vorerbin sei. Die Funktion der Testamentsvollstreckerin übe sie auch für die Nacherben aus, welche ihre eigenen Abkömmlinge seien. Eine konkrete Interessenkollision sei hinsichtlich des Abschlusses eines Miet- und Pflegevertrages mit der Beteiligten zu 2, ihrer Tochter als einer der drei Nacherben, gegeben. Das gehe über eine typische Interessenkollision hinaus, auch wenn keinerlei konkreter Anlass ersichtlich sei, der ein Eingreifen erforderlich oder eine Überprüfung dringend notwendig erscheinen lasse.

7Dies begründe - in Abweichung von einer schlichten Testamentsvollstreckung für eine betreute Person - ein Spannungsfeld der durch die rechtlichen und zudem verwandtschaftlich vorgegebenen Interessen, in deren Zentrum die Beteiligte zu 1 stehe. Letztendlich schlage sich die Interessenkollision auch bereits konkret in dem Umstand nieder, dass unter anderem ein Mietvertrag aus dem Jahre 2012 zugunsten der Beteiligten zu 2 existiere, wonach eine Miete in Höhe von 250 € vereinbart worden ist. Diese Miete werde jedoch nach Aussage der Beteiligten zu 1 nicht an die Betroffene bzw. deren gesetzliche Vertreterin entrichtet, sondern durch Pflegeleistungen abgegolten. Die Beteiligte zu 2 erhalte darüber hinaus eine weitere Aufwandsentschädigung in Höhe von 250 €, welche ebenfalls als Vergütung für Pflegeleistungen gedacht sei.

82. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung einer Ergänzungsbetreuung ist im vorliegenden Fall auf Grundlage der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen nicht zulässig.

9a) Nach § 1817 Abs. 5 BGB hat das Betreuungsgericht einen Ergänzungsbetreuer zu bestellen, soweit ein Betreuer aus rechtlichen Gründen gehindert ist, einzelne Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen.

10aa) Eine rechtliche Verhinderung besteht, wenn und soweit die Vertretungsmacht des Betreuers nach § 1824 BGB ausgeschlossen ist, insbesondere gemäß § 1824 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 BGB für ein Rechtsgeschäft zwischen seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Betreuten andererseits. Das gilt nach §§ 1824 Abs. 2, 181 BGB auch für Insichgeschäfte des Betreuers.

11bb) Die vom Beschwerdegericht für die Ergänzungsbetreuerbestellung angeführte Vorschrift des § 1789 BGB, die dem früheren § 1796 BGB (in der - bis zum gültigen - Fassung vom , im Folgenden: aF) entsprechend eine gerichtliche Entziehung der Vertretungsbefugnis bei erheblichem Interessengegensatz vorsieht, betrifft die Vormundschaft und findet auf die rechtliche Betreuung keine Anwendung. Die bis in § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB aF insoweit noch vorgesehene entsprechende Anwendung von § 1796 BGB auf die Betreuung ist durch das am in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom (BGBl. I S. 882) nicht übernommen worden.

12Einer in der Literatur befürworteten analogen Anwendung des § 1789 BGB (so Reh FamRZ 2022, 673, 674; BeckOGK/Schmidt-Recla [Stand: ] BGB § 1817 Rn. 50 mwN; MünchKommBGB/Schneider 9. Aufl. § 1817 Rn. 32; aA Grüneberg/Götz BGB 84. Aufl. § 1824 Rn. 1; Jurgeleit/Jurgeleit Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1817 Rn. 25; Jürgens/Brosey Betreuungsrecht 8. Aufl. § 1817 Rn. 13; BeckOK BGB/Müller-Engels [Stand: ] § 1817 Rn. 17; Braun in Bauer/Lütgens/Schwedler HK Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Juni 2024] § 1817 Rn. 63) fehlt es an den hierfür notwendigen Voraussetzungen.

13Eine Analogie erfordert zum einen eine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen muss eine Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte gegeben sein, also der entscheidungsrelevante Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss BGHZ 225, 166 = FamRZ 2020, 1009 Rn. 36 mwN).

14den Ausschluss der Vertretungsmacht als auch die gerichtliche Entziehung der Vertretung erfassen, können hier nicht für ein vermeintliches Redaktionsversehen angeführt werden (so aber Reh FamRZ 2022, 673, 674). Das Kindschaftsrecht weist gegenüber dem Betreuungsrecht bedeutsame Unterschiede auf. Das zeigt sich schon daran, dass die Entziehung von Teilbefugnissen der elterlichen Sorge ohne die Möglichkeit nach §§ 1629 Abs. 2, 1789 Abs. 2 BGB gemäß § 1666 BGB erst ab der Schwelle der Kindeswohlgefährdung zulässig wäre, während das Betreuungsrecht in §§ 1815, 1817 BGB wesentlich flexiblere Regelungen erlaubt. Die gleichzeitig erfolgte unterschiedliche Regelung im Kindschaftsrecht belegt im Gegenteil, dass dem Gesetzgeber im Bereich des Betreuungsrechts die Streichung der Verweisung auf das Vormundschaftsrecht im Hinblick auf die Entziehung der VertretungVertretung

15Vertretung wegen erheblichen Interessenkonflikts des Betreuers bewusst und hat diese sogar gezielt vorgenommen. Dass dadurch keine Rechtsschutzlücke für den Betroffenen entstanden ist, ergibt sich aus der Möglichkeit, gerade im Fall des (partiellen) Interessenkonflikts zwischen Betroffenem und Betreuer nach §§ 1815 Abs. 1, 1817 Abs. 1 Satz 2 BGB eine geteilte Betreuung zu verschiedenen Aufgabenbereichen anzuordnen (Braun in Bauer/Lütgens/Schwedler HK Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Juni 2024] § 1817 Rn. 63; Jürgens/Brosey Betreuungsrecht 8. Aufl. § 1817 Rn. 13). Die Anordnung einer nach Aufgabenbereichen geteilten Mitbetreuung gemäß § 1817 Abs. 1 Satz 2 BGB ermöglicht schon bei der erstmaligen Anordnung der Betreuung eine umfassende Berücksichtigung der Interessen des Betroffenen. Wird ein erheblicher Interessenkonflikt erst nach der Erstanordnung der Betreuung offenbar oder entsteht dieser erstmals aufgrund veränderter Sachlage, so ist dem durch Entziehung eines Aufgabenbereichs als teilweise Entlassung des Betreuers (§ 1868 BGB) Rechnung zu tragen (Grüneberg/Götz BGB 84. Aufl. § 1824 Rn. 1, § 1868 Rn. 1; Jurgeleit/Jurgeleit Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1817 Rn. 25; vgl. BVerfG FamRZ 2022, 722 Rn. 18 f.;  3Z BR 135/02 - juris Rn. 11; anders Jürgens/Brosey Betreuungsrecht 8. Aufl. § 1817 Rn. 13: Änderungsentscheidung nach § 1871 Abs. 1 BGB).

16b) Nach diesen Maßstäben bestand für die vorliegende Anordnung der Ergänzungsbetreuung keine gesetzliche Grundlage.

17aa) Allerdings wäre die Anordnung der Ergänzungsbetreuung grundsätzlich zulässig, soweit es um die Wahrnehmung der Rechte der Betroffenen gegenüber der Testamentsvollstreckerin geht. Diese fällt, jedenfalls soweit davon rechtsgeschäftliches Handeln umfasst ist, unter den Vertretungsausschluss nach §§ 1824 Abs. 2, 181 BGB, weil es sich insoweit wegen Personenidentität um Insichgeschäfte handeln würde, die ihr vorliegend als Betreuerin nicht gestattet sind. Hierfür muss jedoch die Notwendigkeit einer Ergänzungsbetreuung absehbar sein (vgl. MünchKommBGB/Schneider 9. Aufl. § 1817 Rn. 32), zumal die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers auf Vorrat nicht zulässig ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 251/19 - FamRZ 2020, 47 Rn. 12 zur Ergänzungsbetreuung nach früherer Rechtslage). Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung ist indessen nicht ersichtlich, dass die Beteiligte zu 1 gegen ihre Pflichten als Testamentsvollstreckerin verstoßen haben könnte, was Anlass dazu geben würde, ihr gegenüber Rechte der Betroffenen wahrzunehmen oder diese zu prüfen.

18Vertretung im Übrigen besteht - wie ausgeführt - mangels unmittelbarer oder analoger Anwendbarkeit von § 1789 Abs. 2

191868

201868

21Allein die Doppelfunktion der Beteiligten zu 1 als Betreuerin und Testamentsvollstreckerin führt schließlich nicht ohne entsprechende Anhaltspunkte zur Notwendigkeit einer zu Kontrollzwecken anzuordnenden Mitbetreuung (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 2/07 - FamRZ 2008, 1156 Rn. 16 f. zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis bei Minderjährigen). Die fehlende Kontrollmöglichkeit der Betroffenen rechtfertigt die Anordnung einer Mitbetreuung noch nicht. Eine solche liegt in den meisten Fällen der Betreuung vor und hängt eng mit der Ursache der Betreuungsbedürftigkeit zusammen. Die Einrichtung einer Mitbetreuung zu Kontrollzwecken hat nur zu erfolgen, wenn Anhaltspunkte für Pflichtverstöße oder eine mangelnde Eignung der Betreuerin vorliegen. Das ist hier nicht festgestellt.

223. Der angefochtene Beschluss ist mithin aufzuheben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist die vom Amtsgericht angeordnete Ergänzungsbetreuerbestellung ersatzlos aufzuheben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250625BXIIZB157.24.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-98646